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1 Einführung

1.6 Human Factors: Kommunikation und Ermüdung

Generell haben zwar die hohen Sicherheitsmaßnahmen, wie Regularien, die den Flugbetrieb steuern oder die hohen technischen Standards der Flugzeuge, zu einer erhöhten Flugsicherheit geführt, dennoch kommt es immer noch zu Flugzwischenfällen oder Flugunfällen (2-3 Unfälle pro Jahr). Bei ca. 70% aller Flugunfälle wird als Hauptursache menschliches Versagen gesehen (Cambell &

Bagshaw, 1999; Grabowski, 2005; Nagel, 1988; Helmreich, Sexton & Thomas, 2000a, 2000b; Helmreich, Merritt & Klinect, 2001). Die folgende Abbildung (siehe Abbildung 1.6) zeigt den Zusammenhang zwischen Flugunfällen und deren Ursachen, wobei als Hauptursache die Flugbesatzung betrachtet wird.

Den Berichten von Flugunfallanalysen zufolge werden oftmals eine mangelhafte Wartung seitens der Technik, ein technischer Defekt des Flugzeugs, Regelverstöße und/oder eine fehlerhafte Bedienung der Cockpitinstrumente der Piloten als Ursachen eines Flugzwischenfalls oder Flugunfalls gesehen. Nach einem Flugzeugunglück liegt das Interesse, aufgrund hoher Schadensersatzforderungen, auch eher an dem Wodurch als an dem Warum (Feggetter, 1982). Meist ist es aber die Verkettung vieler ungünstiger Ereignisse, die zu einem Unfall oder Zwischenfall führen. Solche Faktoren liegen oftmals weit im Vorfeld begründet. Beispielsweise kann die Aneinanderreihung ungünstiger Faktoren wie Müdigkeit, unzureichende Kommunikation im Cockpit, schlechte Wetterbedingungen, usw. begünstigen, Fehler im Cockpit zu begehen.

Bemühungen, Belastungs- und Ermüdungserscheinungen aufgrund von langen Flugdienstzeiten und/oder kurzen Ruhezeiten bei Piloten als potentielles Unfallrisiko in Erwägung zu ziehen, blieben lange Zeit ungeachtet. Eine Leistungsverschlechterung durch Ermüdung tritt kumulativ durch eine Reihe von Einsatztagen hintereinander mit langen Flugdienstzeiten und verkürzten Ruhezeiten auf. Zudem spielt auf der Kurzstrecke die Schichtarbeit eine große Rolle (Hockey, 1983).

Abbildung 1.6: Accidents by Primary Cause: Hull Lose Accidents - World-wide Commercial Fleet – 1992 trough 2001. Adaptiert aus

“Airplane Safety; Boeing Commercial Airplane Group”, 2001 statistical summary, June 2002. Anmerkung: *) bedeutet Anzahl der aufgetretenen Unfälle im Zeitraum von 1992 bis 2001.

0% 10% 20%

30% 40%

50% 60%

70% flight crew 98 *

airplane 21*

weather 14*

maintenance 8*

misc./other 4*

airport/ATC 4*

Erste Angaben in Flugunfallanalysen, in der als potentieller Faktor Übermüdung als Unfallursache herangezogen wurde, finden sich im Jahre 1993 (Caldwell &

Caldwell, 2003; NTSB, 1999). Am 29. April 1993 verunglückte eine Embraer EMB-120RT der Continental Airlines in Pine Bluff (Arkansas). Geplant war der Flug von Little Rock (Arkansas) nach Houston (Texas). Aufgrund einer harten Landung schossen sie über die Landebahn hinaus. Eine Flugbegleiterin und 12 Passagiere wurden dabei verletzt. Der Unfall ereignete sich am dritten Tag einer Dreitagesdienstkette und im siebten und letzten Leg des Flugdiensttages. Die Analyse zeigte eine kumulative Übermüdung aufgrund des Einsatzprofils der Cockpitbesatzung mit vorangegangenen langen Flugdienstzeiten und anschließend verkürzten Ruhezeiten.

Am 18. August 1993 verunglückte eine DC-8 der American International Airways während des Landeanfluges auf der U.S. Naval Air Station in Guantanamo Bay in Kuba. In dem Unfallbericht gibt die NTSB drei müdigkeitsbezogene Faktoren an, die zu dem Unfall führten: kumulativer Schlafentzug und lange Wachzeiten der Cockpitbesatzung sowie die Zeitverschiebung. Aufgrund der Flugdienstlänge und der Anzahl der Einsatztage hatte die Flugbesatzung einen verkürzten Schlaf innerhalb von 48 Stunden. Zum Zeitpunkt des Unglücks waren der Kapitän seit 23.5 Stunden, der Erste Offizier seit 19 Stunden und der Flugingenieur seit 21 Stunden wach. Zudem kam die Zeitverschiebung hinzu. Zeugen belegten die Aussage des Kapitäns, der kurz vor dem Unfall angab sehr müde zu sein. Die Flugbesatzung wurde durch einen inoperablen ‚glide slope’ am Instrumentenlandesystem (ILS) abgelenkt.

Eine Untersuchung im Rahmen des Line Operation Safety Audits – Programms (LOSA), in der Beobachtungsexperten im Cockpit von insgesamt 3500 normalen In- und Auslandflügen Sicherheitsverstöße, sowie Fehler und deren Bewältigung, als auch kritisches Verhalten seitens der Cockpitbesatzung aufzeichneten, klassifizierte fünf Fehlertypen, vor allem bei der Anflug- und Landephase (Helmreich, 2000; Helmreich & Klinect & Merritt, 1999b) (siehe Abbildung 1.6.2).

MOST FREQUENT ERROR TYPES - ACCIDENTS

Procedural Violations: gegen eine SOP wurde wissentlich verstoßen, z.B.

unterlassene Anflugbesprechung („Approach Briefing“) während des Landeanfluges.

Aircraft Handling: der Umgang mit den technischen Gerätschaften; die Fertigkeiten.

Communication failure: schlechte Kommunikation im Cockpit und/oder mit Air Traffic Control (ATC).

Procedural Error: gegen eine Standard Operation Procedure (SOP) wurde ungewollt verstoßen (meist unter Zeitdruck).

Poor Decision: falsche Entscheidungen getroffen; z.B. kein Durchstartmanöver („Go-Around“) eingeleitet.

Wie die Untersuchung zeigt, ist es, neben anderen Faktoren, auch eine mangelhafte Kommunikation im Cockpit, die zu Fehlverhalten und damit auch zu Flugzwischenfällen oder Flugunfällen führen kann. Als Beispiel kann hier der Flugunfall der Alitalia im Jahre 1990 in Zürich angeführt werden. Durch einen mechanischen Instrumentenfehler wurde das Flugzeug im Endanflug falsch positioniert. Der Copilot erkannte den Fehler und wollte daraufhin ein Durchstartmanöver einleiten, das der Kapitän nicht zuließ. Zehn Sekunden danach hatte das Flugzeug Bodenberührung und zerschellte etwa acht Kilometer vor der Landebahn an einer Bergkuppe. Der Copilot widersetzte sich nicht den Anweisungen des Kapitäns, aufgrund dessen Autorität, obwohl er den Fehler erkannte.

0 10 20 30 40 50 60 70 80

Procedural Violation

Aircraft Handling

Communication failure

Procedural Errors

Poor Decision Fehler in

% bei 76 Vorfällen

Abbildung 1.6.2: Adaptiert aus “Approach-and-landing Accident Reduction” von Dr. R Khatwa, Honeywell und Prof. Robert Helmreich, University of Texas, 2000.

Dem Beispiel ist zu entnehmen, wie sehr die hierarchische Struktur im Cockpit, die so genannte „Power Distance“ (PD), für eine gelungene Kommunikation eine Rolle spielt. In einer internationalen Studie wurde versucht die „Power Distance“

von Piloten aus 22 Ländern mittels dem Flight Management Attitudes Questionnaire (FMAQ) zu operationalisieren. Aus der Studie ergab sich eine hohe

„Power Distance“ – Skala vor allem in Kulturen, in denen es nicht gestattet ist, dem Kapitän Fragen zu stellen oder ihn auf Fehler hinzuweisen. Den höchsten PD-Score wiesen Marokko, die Phillipinen, Taiwan und Brasilien auf. Am anderen Ende des Kontinuums, mit niedrigerem PD-Score, waren Irland, Dänemark, Norwegen und die USA (Helmreich, Klinect und Merritt, 2001) (siehe Abbildung 1.6.3).

Die Untersuchungen bestätigen, dass die soziale Interaktion der Flugbesatzungsmitglieder einen wichtigen Bestandteil zur Flugsicherheit darstellt.

Daher wurden zur Verbesserung der Flugsicherheit auch soziale Komponenten und nicht nur technische Verbesserungen miteinbezogen. In den letzten 15 Jahren wurden deshalb airlinespezifische Crew Resource Management -Trainings (CRM) in den Fluggesellschaften eingeführt.

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50

Ireland Den

mark Norwa

y Bri

tish HK New Ze

aland USA Germ

any Sweden

Afr ica

Austr alia

Switz erlan

d Italy

Cypr us

Japa n

Malays ia Me

xico Korea

Arg entin

a Bra zil

Taiwan Phil

ippines Mo

rocco

Abbildung 1.6.3: Mean scores of pilots from 22 countries on the Flight Management Attitudes Questionnaire measure of Power Distance (scale range 0-100). Adaptiert aus “Culture, Error and Crew Resource Management”, von Helmreich, R., Wilhelm, J., Klinect, J., Merritt, A..

Departement of Psychology; The University of Texas at Austin, 2001.

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50

Ireland Den

mark Norwa

y Bri

tish HK New Ze

aland USA Germ

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Afr ica

Austr alia

Switz erlan

d Italy

Cypr us

Japa n

Malays ia Me

xico Korea

Arg entin

a Bra zil

Taiwan Phil

ippines Mo

rocco

Abbildung 1.6.3: Mean scores of pilots from 22 countries on the Flight Management Attitudes Questionnaire measure of Power Distance (scale range 0-100). Adaptiert aus “Culture, Error and Crew Resource Management”, von Helmreich, R., Wilhelm, J., Klinect, J., Merritt, A..

Departement of Psychology; The University of Texas at Austin, 2001.

CRM basiert auf der Sozial-, Kognitions- und Organisationspsychologie sowie auf Untersuchungen zur Interaktion von Mensch und Maschine. Diese Trainings sollen zur Verbesserung der Teamarbeit, der Kooperation, Kommunikation und dem Erkennen und Bewältigen von Fehlern im Team beitragen. Im Vordergrund steht nicht das Vermeiden von Fehlern, sondern das Lernen aus ihnen (Filser, 2002;

Helmreich, 1997; Helmreich & Merritt, 2000).

Eine weitere Aufgabe des Crew Resource Management-Trainings besteht darin, psychische und physische Auswirkungen durch Ermüdung und Stress anhand von Beispielen aufzuzeigen. Denn wie eine Befragung von ca.13500 Piloten aus 22 Ländern mit dem Flight Management Questionnaire (FMQ) und dem Cockpit Management Questionnaire (CMQ) zeigte, neigen Piloten (Kapitän, Erster Offizier, Senior First Officer) dazu, ihre Kapazitäten zu überschätzen. 65% der befragten Piloten gaben an, ihre Entscheidungsfähigkeit sei in Notfallsituationen genauso wie in normalen Situationen, 45% meinten, sie würden in Notfallsituationen nicht mehr Fehler begehen als sonst und 32% antworteten, ihre Leistung würde durch Ermüdung, Probleme oder durch ein weniger erfahrenes Besatzungsmitglied nicht beeinflusst werden (Helmreich, Klinect & Merritt, 2001).

Der Ansatz hat sich sicherlich bewährt. Dennoch sind trotz Crew Resource Management-Seminaren noch immer Flugzwischenfälle und Flugunfälle zu verzeichnen (Merritt & Helmreich, 2000). Der Grund hierfür ist einfach. Der Mensch steht in Interaktion mit seiner Umwelt (Edwards, 1988; Cambell & Bagshaw, 1999;

Nagel, 1988). Stressquellen in der Umwelt bzw. Arbeitswelt können unterschiedlichster Art sein (Cooper, 1983). Die Kapazitäten und Ressourcen des Menschen sind allerdings begrenzt. Steigt die Belastung auf den Menschen durch unterschiedliche Stressoren, treten Fehler aufgrund von Stress auf, der aus psychischer Fehlbeanspruchung (Überforderung, Unterforderung) und Ermüdung resultiert (Helmreich & Merritt, 2000; Hacker & Richter, 1998; Richter, 1998). Die Arbeitsbelastung und die Ermüdung scheinen daher die Ursachen zu sein, die zu Leistungsbeeinträchtigungen führen und damit die Flugsicherheit gefährden können. Zudem führt negativer Stress nicht nur zum Absinken der Arbeitsleistung (Richter, 1997), sondern auch, wenn er über längere Zeit andauert, zu psychischen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen und damit wiederum zu längerfristigen Leistungseinbußen (Hogan, 1982; Hoyos, 1999).