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3.) Salutogenese von Aaron Antonovsky

Unser Leben hängt davon ab, was wir aus dem machen, was aus uns gemacht wurde.

(Jean Paul Sartre)

Der Ansatz von Aaron Antonovsky, die Salutogenese, beschäftigt sich mit dem Zustand und der Erhaltung der Gesundheit und ist daher der gegenteilige Ansatz der Pathogenese, welche sich mit der Entstehung und Heilung von Krankheit beschäftigt. Die medizinische Wissenschaft hat sich immer stärker mit der Heilung von Krankheit und weniger mit der Erhaltung der Gesundheit beschäftigt. Aus dieser Perspektive kann auch die negativ behaftete Definition von Gesundheit verstanden werden: „Gesundheit wird negativ definiert als Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit ist der Normalzustand, Gesundheit ist alltäglich, Gesundheit muss in der Regel nicht weiter thematisiert werden“ (Bengel, 1997: S. 1).

Antonovsky, geleitet von dem überraschenden Ergebnis einer empirischen Studie, entwickelt in seiner Theorie die Vorstellung, dass der Mensch ein Gefühl entwickelt, welches ihn dazu befähigt, verschiedene Dinge, die ihm im Leben begegnen, positiv oder negativ, optimistisch oder pessimistisch beurteilen und empfinden zu können.

Antonovsky stößt 1970 im Rahmen der Auswertung einer Studie über die Adaption von Frauen im nahen Osten, Israel, die im Zweiten Weltkrieg zwischen 16 und 25 Jahre alt waren, auf das Ergebnis, dass 29 % der Befragten als psychisch und physisch gesund eingestuft wurden. Die Probanden waren alle in Konzentrationslagern, mussten viel Leid und Grausamkeit mit ansehen und über sich ergehen lassen, und lebten auch nach dem Krieg in einem Land, welches von militärischen und politischen Spannungen geprägt war (Vgl.

Antonovsky 1997: S.15). Antonovsky faszinierte die Tatsache, dass beinahe ein Drittel der Frauen als psychisch und physisch gesund bezeichnet werden konnten. Aufgrund dieses überraschenden Ergebnisses versuchte Antonovsky herauszufinden, was die Ursache dafür sein kann, dass Menschen, die furchtbare Erlebnisse und Schicksalsschläge in ihrem Leben erleiden mussten, dennoch gesund bleiben können. Antonovskys wissenschaftliche Arbeiten waren nach der Fragestellung der gesundheitserhaltenden Maßnahmen ausgerichtet, und er entwickelte daraufhin das Modell des Kohärenzgefühls (Sense of Coherence).

Das, was im Folgenden bei Antonovsky das Kohärenzgefühl beschreibt, bringt in ähnlicher Weise Piaget mit seinen Begriffen der Akkomodation und der Assimilation zum Ausdruck.

Piaget beschäftigte sich mit der Entwicklung des Denkens bei Kindern. In seiner Theorie beschreibt er die Entwicklung der Kognition durch Akkomodation und Assimilation. Mit Assimilation ist das Verbinden von neuen Erfahrungen mit bereits erlebten Erfahrungen und dessen Eingliederung oder Assimilation in ein schon bestehendes Schema gemeint. Die Definition der Assimilation von Piaget besagt, dass ein Objekt je nach der eigenen Handlung und unter dem eigenen Gesichtspunkt in Funktion eines „Schemas“ modifiziert wird. (vgl.

Piaget, 1975: S. 348). Mit Akkomodation ist die Erweiterung oder die Anpassung einer bereits abgeschlossenen oder definierten Situation bzw. deren Anpassung an die Realität gemeint. Die Überlegungen von Piaget sind ähnlich den Termini Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit von Antonovsky, die weiter unten beschrieben werden.

Lazarus beschäftigt sich in seinem Werk Psychological stress and the coping process mit der Bewältigung von Belastungen und spricht vom Konzept der kognitiven Bewertung. (vgl.

Faltermaier 1987: S. 62). Dabei rückt er zunächst das Problem der unterschiedlichen Empfindungsweise von Stress in den Fokus. Ähnlich wie Antonovsky thematisiert auch Lazarus die unterschiedliche Wahrnehmungsweise von Personen, die einer ähnlichen Lebenssituation gegenüberstehen. Wie eine Person in einer bestimmten Situation handelt, hängt zunächst von den Persönlichkeitseigenschaften ab. Damit sind Persönlichkeitseigenschaften wie das Selbstbild, die Selbstachtung oder die Ich-Stärke gemeint. Ein anderer wichtiger Einfluss ist die Bewältigungskompetenz. Dabei geht es um die Überlegung, dass eine Person die Fähigkeiten, die zur Lösung des Problems benötigt werden, auch besitzen muss. Diese beiden Komponenten betont auch Antonovsky in Form der Verstehbarkeit und der Handhabbarkeit in seinem Modell der Salutogenese. Als dritten wesentlichen Einfluss sieht Faltermaier den körperlichen und psychischen Zustand einer Person (ebd. 1987: S. 121ff). Im Anschluss legt House vier Arten von Unterstützungshandlungen vor, welche die Wahrnehmungsweise und in der Folge die Handlung und den Umgang mit einer Lebenssituation beeinflussen. Eine dieser vier Unterstützungshandlungen ist die emotionale Unterstützung, wie Liebe, Empathie oder Vertrauen. Die zweite ist die Rückmeldung oder das Feedback, welches eine Person von einer anderen bekommt. Die Bereitstellung der Information, wie eine andere Person die betreffende Person einschätzt, muss sich um die Lösung des Problems drehen, sie muss also in der Auseinandersetzung mit dem Problem hilfreich sein können. Die vierte Unterstützungshandlung sieht House in der direkten Hilfeleistung bei der Lösung von

Problemen, also der Mithilfe bei Arbeit oder der monetären Aushilfe in schwierigen Situationen (vgl. ebd. 1987: S. 109).

Die Ausführungen von Antonovsky sind also keine völlig neuen Überlegungen, haben aber dennoch eine besondere Aufmerksamkeit in der Medizin erhalten.

Im Folgenden wird die Theorie der Kohärenz beschrieben und die Ursachen, die jemandem ein hohes Kohärenzgefühl innewohnen lassen, aufgezeigt.

3.1) Zur Abgrenzung von Pathogenese und Salutogenese

Zunächst soll noch einmal der Unterschied zwischen der Salutogenese und der Pathogenese herausgearbeitet und bewusst gemacht werden. In der Pathogenese beschäftigen sich die Forscher mit den Umständen der Krankheitsbildung und dem Umgang mit Krankheiten und deren Lösung. Die Ansätze in der Pathogenese gehen davon aus, dass Gesundheit der Normalzustand ist. Krankheit ist demnach etwas Abnormales. Generell findet sich viel Material in der Literatur zur Diskussion über die Definition von Gesundheit und Krankheit.

Auch die Definition der World Health Organisation (WHO) hat mit ihrem Verständnis über die Gesundheit keine Klarheit in die Diskussion bringen können. Mit der Bezeichnung der Gesundheit als „Zustand des vollkommenen psychischen und physischen Wohlbefindens“

impliziert sie unbewusst, dass Gesundheit gar nicht möglich ist, da sich der Terminus der Vollkommenheit als utopisch erwiesen hat (Bengel 2001: S. 15). „Der salutogenetische Ansatz geht von der Annahme aus, dass Ungleichgewicht, Kranksein, Leid und Tod die inhärenten Elemente menschlicher Existenz sind“ (Noack, 1997: S. 95). Die Salutogenese richtet ihren Fokus auf das Entstehen von Gesundheit, ihre Ursachen und ihre Erhaltung.

Antonovsky verwendet zur klaren Abgrenzung die Metapher eines Flusses oder reißenden Stromes. Jeder Mensch wandert am Fluss entlang, und es ist nicht zu verhindern, dass jeder Wanderer einmal in den Fluss hineinfällt. Der Ansatz der Pathogenese beschäftigt sich mit dem Retten des Menschen aus dem Fluss, ohne dabei die Frage zu stellen, wie der Mensch denn in den Fluss gefallen ist und wieso er nicht, oder nur sehr schlecht, schwimmen kann.

Die Salutogenese hat sich dem Inhalt verschrieben, dass niemand sicher am Ufer entlanggeht, und sie stellt die Frage, wie jemand zu einem guten Schwimmer werden kann. „Meine Arbeit ist der Auseinandersetzung mit folgender Frage gewidmet: Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?“ (Antonovsky, 1997: S. 92).

3.2) Das Kohärenzgefühl

Antonovsky beschäftigt sich also mit der Salutogenese und prägt dabei den Begriff des Kohärenzgefühls. Unter dem Kohärenzgefühl versteht Antonovsky „eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass (1) die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; (2) einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; (3) diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen“ (ebd. 1997: S. 36).

Mit dem ersten Punkt der Definition meint Antonovsky, dass Personen, welche ein hohes Kohärenzgefühl haben, Dinge, die ihnen begegnen, unter dem Wissen, dass diese einen bestimmten Grund haben und sich erklären, verstehen lassen. Antonovsky nennt diese Eigenschaft auch Verstehbarkeit, da die Person, welcher sie innewohnt, alle Stimuli deuten kann. Mit der äußeren Umgebung meint er alle Stimuli, die einer Person von seiner Umgebung zugetragen werden. Die innere Umgebung stellt alles Mentale dar, Wünsche, Bedürfnisse, Erwartungen, Gedanken. Die innere und äußere Umgebung sind für Personen mit hohem Kohärenzgefühl nichts, was zufällig und willkürlich auftaucht, sondern organisiert, strukturiert und verständlich erklärbar ist.

Der zweite Punkt der Definition wird von Antonovsky auch als Handhabbarkeit beschrieben.

Die Handhabbarkeit ist das Wissen einer Person, dass sie den Anforderungen der Einflüsse, welchen sie ausgesetzt ist, durch ihre eigene Fähigkeit begegnen kann. Das Vertrauen auf die eigene Fähigkeit lässt eine Person mit den Geschehnissen, den Schicksalen in ihrem Leben, leben lernen, sie annehmen und als Herausforderung betrachten.

Der dritte Punkt der Definition über die Herausforderungen, welche Anstrengung und Engagement bezahlt machen, wird von Antonovsky auch als Bedeutsamkeit interpretiert.

Dabei sind Elemente im Leben eines Menschen gemeint, die für ihn eine große Bedeutung haben. Charakteristisch für diese wichtigen Elemente ist, dass sie es wert sein müssen, dass man Emotionen und Energien in sie investiert.

3.3) Stressoren

Stressoren definiert Antonovsky als „ein Merkmal, dass Lebenserfahrung mit sich bringt, welche durch Inkonsistenz, Unter- oder Überforderung und fehlende Teilhabe an

Entscheidungsprozessen charakterisiert ist“ (ebd. 1997: S. 44). Stressoren sind besonders dadurch gekennzeichnet, dass sie Spannungszustände hervorrufen, denen durch Handlungen entgegengetreten wird. Stressoren können bestimmte Erfahrungen sein, die man im Leben gemacht hat, wie z.B. Schicksalsschläge oder der Tod eines Angehörigen. Antonovsky nennt diese Art von Stressoren „Stress-Lebensereignisse“. Eine andere Art von Stressor ist der chronische Stressor, also ein permanenter, dauerhafter Einfluss, der aus dem Umfeld einer Person kommt. Dieser Einfluss ist aufgrund der kulturellen Umstände, der sozialen Rolle, und der interpersonellen Situation determiniert. Ein dritter Stressor ist jener der „täglichen Widrigkeiten“, also Situationen, auf die man nicht vorbereitet ist. Dieser Einfluss ergibt sich aber aufgrund der erstgenannten Stressoren.

Antonovsky unterscheidet Widerstandsressourcen, welche einen positiven Einfluss haben, und Widerstandsdefizite, welche einen negativen Einfluss im Umgang mit einer Spannungssituation hervorrufen. Ein Stressor kann demnach Widerstandsdefizite oder Widerstandsressourcen in einer Lebenssituation hervorrufen. Im Bezug auf die innere Umgebung eines Menschen, z.B. Ich-Stärke, und im Bezug auf die äußere Umgebung, z.B.

Reichtum oder kulturelle Stabilität, kann ein Mensch auf ein Kontinuum festgelegt werden.

„Je höher man sich auf dem Kontinuum befindet, desto wahrscheinlicher wird man solche Lebenserfahrungen machen, die einem starken Kohärenzgefühl förderlich sind; je weiter unten man sich befindet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Lebenserfahrungen, die man macht, einem schwachem Kohärenzgefühl dienen“ (ebd. 1997: S. 44).

3.4) Der Einfluss der Stärke des Kohärenzgefühls

Nachdem festgestellt und definiert wurde, was das Kohärenzgefühl (Sense of Coherence) ist, stellt sich die Frage, was ein hohes oder niedriges Level des Kohärenzgefühls bedingt.

Zunächst ist es Antonovsky wichtig, herauszuheben, dass das Maß des Kohärenzgefühls grundsätzlich von Geschlecht, Rasse, Schichtzugehörigkeit, sozialen Kategorien und gesellschaftlich-historischen Bedingungen abhängt.

3.4.1) Entwicklung des Kohärenzgefühls in der frühen Kindheit

Wie in der Definition gezeigt wurde, gibt Antonovsky drei Variablen an, welche im Laufe des Lebens ein hohes oder niedriges Kohärenzgefühl zur Folge haben. Die Faktoren, welche die Höhe des Kohärenzgefühls beeinflussen, sind besonders im Baby- und Kindesalter

entscheidend und verändern sich mit zunehmendem Alter nur noch marginal. Antonovsky spricht vom „Muster der Lebenserfahrung“, mit welchem das Kohärenzgefühl untrennbar verbunden ist. Es geht ihm dabei darum, herauszufinden, welche Art von Lebenserfahrung zur Entwicklung eines hohen Kohärenzgefühls notwendig ist. Die Lebenserfahrung beschreibt Antonovsky als „ein Charakteristikum, Phänomen oder Beziehung, das ausgedehnte und wiederholte Erfahrungen zur Verfügung stellt, um die unzähligen Stimuli zu erklären, die einen fortwährend bombardieren“ (ebd. 1997: S. 93). Die wiederholten und ausgedehnten Erfahrungen sind für Antonovsky eng mit den drei Komponenten der Verstehbarkeit, der Handhabbarkeit und der Bedeutsamkeit verbunden. „Konsistente Erfahrungen schaffen die Basis für die Verstehbarkeitskomponente, eine gute Belastungsbalance diejenige für die Handhabbarkeitskomponente und die Partizipation an der Gestaltung des Handlungsergebnisses diejenige für die Bedeutsamkeitskomponente“ (ebd. 1997: S.93).

Konsistente Erfahrungen, also Erfahrungen die Sicherheit schaffen, sind die Basis, dass eine Person das, was ihr im Leben begegnet, als nicht zufällig auffasst oder versteht. Es geht Antonovsky dabei darum, zu zeigen, dass z.B. ein Kind nicht ständig neu lernen muss, dass sich die physische und soziale Umwelt nicht ständig neu ordnet. Das Kind lernt irgendwann, Vertrauen in diese Konstanten zu setzen. Diese Konstanten sind aber nach Antonovsky nichts, was einfach vorhanden ist, also nichts Selbstverständliches, sondern etwas, das auch abwesend sein kann. In der modernen Gesellschaft ist die Konsistenz der Inkonsistenz gewichen. Werte und Erfahrungen werden in unterschiedlicher Umgebung differenziert bewertet.

Für die Höhe der Handhabbarkeitskomponente, also das Wissen, die Fähigkeiten innezuhaben, um auf Einflüsse reagieren zu können, ist die Belastungsbalance im Kohärenzmodell entscheidend. Mit Belastungsbalance meint Antonovsky die Überforderung oder Unterforderung während eines bestimmten Prozesses. Für Kinder beginnt die entscheidende Phase erst, wenn sie die Möglichkeit haben, sich zwischen Alternativen zu entscheiden, also z.B. bewege ich mich jetzt oder nicht; sage ich die Wahrheit oder nicht. Mit der Möglichkeit, zwischen verschiedenen Verhaltensweisen zu wählen, entstehen Regeln und Herausforderungen, die für die Belastungsbalance entscheidend sind. In dieser Phase des Lebens des Kindes entsteht nicht nur die Option, zwischen verschiedenen Verhaltensweisen wählen zu können, sondern es tritt für das Kind auch ein bestimmter Anspruch, bestimmte Regeln von außen, meist von den Eltern, in Kraft. Antonovsky sieht vier Möglichkeiten, mit denen das Kind konfrontiert ist: es kann ignoriert, abgelehnt, ermuntert oder bestätigt werden

(vgl. ebd. 1997: S.98). Für ein hohes Maß an Handhabbarkeit ist eine abwechslungsreiche Konfrontation des Kindes mit den vier oben genannten Handlungsweisen vonnöten.

Für die Stärke der Bedeutsamkeitskomponente ist die aktive, teilnehmende Mitgestaltung an Handlungsergebnissen ausschlaggebend. Wenn der Säugling Hunger hat, kann als Reaktion darauf die stillende Mutterbrust, ein Klaps oder auch Nichtbeachtung folgen. Ob die Bedeutsamkeitskomponente eine Basis für ein starkes Kohärenzgefühl bietet, hängt von der Qualität der Reaktion des Umfelds ab. Kinder, die aktiv an sozialen Entscheidungsprozessen beteiligt sind, werden im Bereich der Bedeutsamkeitskomponente ein höheres Kohärenzgefühl haben.

3.4.2) Die Entwicklung des Kohärenzgefühls im jugendlichen Alter

Im jugendlichen Alter ist die Wahrnehmung des Lebens stark von dem inneren Drängen des

„selbst Ausprobierens“ und den gegenüberstehenden Vorgaben der erwachsenen Welt geprägt. Informationen darüber, wie man leben soll, was gerade „angesagt“ ist und was nicht, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll und wie nicht, haben verschiedene Urheber. Die Urheber können die Eltern, Lehrer, jugendliche Freunde (Peers), die Medien oder auch das Internet sein. Wenn Eltern etwas anderes sanktionieren als Lehrer und die Botschaften, die im Fernsehen und Internet vermittelt werden, wieder etwas anderes, dann ist die Komponente der Konsistenz in Gefahr, stark geschwächt zu werden. Die Regelmäßigkeit und die Konstanz, die Vertrauen schaffen, gehen dabei verloren.

Antonovsky macht drei kulturelle Wege aus, in denen Jugendliche aufwachsen und durch welche das Kohärenzgefühl beeinflusst wird. „Die komplexe offene Gesellschaft, die eine Vielzahl von zulässigen realistischen Optionen bereitstellt; die integrierte, homogene und relativ isolierte Gesellschaft oder Subkultur; und der verheerende, verwirrende soziokulturelle Kontext, der es unmöglich macht, das Leben zu verstehen“ (ebd. 1997: S. 101). Zur ersten Gruppe gehören Jugendliche, deren Eltern der Mittelschicht angehören und welche die Chance auf eine gute Berufs- oder Schulausbildung haben. Sie sind in einem Umfeld aufgewachsenen, in denen ihnen immer viele verschiedene legitime Möglichkeiten, ihr Leben zu führen, präsentiert wurden. Ihre Versuche mit Alkohol, Drogen oder Sex wurden lächelnd toleriert und unter dem Licht der stürmischen Jugend betrachtet. Natürlich ist es möglich, dass ein Jugendlicher, der in diesem kulturellen Umfeld aufwächst, auch in die Kriminalität abrutscht und sein Leben einen ganz anderen Verlauf nimmt, aber statistisch gesehen ist dies eher die Ausnahme.

Die Jugendlichen, die in einer isolierten Kultur oder Subkultur aufwachsen, trifft man am stärksten in religiösen Gruppen an. Sie sind Konformisten, akzeptieren die Pflichten, Werte und Regeln der Gesellschaft, leben diese Werte aber selber nicht. In solchen Kulturen gelten einerseits die gesellschaftliche Verpflichtung und Akzeptanz des Regelwerkes, beim Broterwerb, in der Bildung usw. Andererseits leben sie bestimmte religiöse Praktiken und Riten aus, mit denen sie sich tatsächlich identifizieren. Sie lassen die Welt Welt sein in dem Bewusstsein, dass sie anders sind, dass sie wissen, was wirklich wichtig im Leben ist.

Jugendliche, die in einem verwirrenden, soziokulturellen Kontext aufwachsen, sind von Anfang an mit den Schwierigkeiten in ihrem Leben vertraut. Sie haben keine Perspektive den Beruf und die Familie betreffend, sondern kennen die Ungewissheit des nächsten Tages und haben Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit, Gewalt und Rassismus gemacht.

Diese drei von Antonovsky beschriebenen kulturellen Wege können nicht im Sinne eines kausalen Schemas gegliedert werden: Wenn man in einer offenen Gesellschaft aufwächst, hat man die größte Chance, ein hohes Kohärenzgefühl zu entwickeln, in der isolierten Gesellschaft ist die Chance schon größer, ein geringeres Kohärenzgefühl zu entwickeln, und das Aufwachsen im verwirrenden Kontext hat ein geringes Kohärenzgefühl zur Folge. Die soziokulturelle Komponente ist nur ein Baustein, der für die Höhe des Kohärenzgefühls verantwortlich ist. Diese mehrkulturelle Betrachtungsweise soll darauf hinweisen, „dass es für Jugendliche mehr als ein Erfahrungsmuster gibt, das – nach der Kindheit – einen zweiten Grundstein dafür legt, dass man seine Welt als verstehbar, handhabbar und bedeutsam erlebt“

(ebd. 1997: S. 103).

3.4.3) Die Entwicklung des Kohärenzgefühls im Erwachsenenalter

Für Antonovsky kann sich das Kohärenzgefühl im Erwachsenenalter manifestieren, da er zunächst seine Analyse bei der beruflichen Tätigkeit, die sich auf das Kohärenzgefühl auswirkt, beginnt. Der Beruf, den Frau oder Mann ausübt, egal ob monetär entgolten oder nicht, ist zur Zeit der ersten Ausgabe des Buchs von Antonovsky noch auf die nächsten 40 Jahre vorgegeben. Mittlerweile ist ein häufiger Berufswechsel zur Normalität in modernen Gesellschaften geworden, die Qualifikation der Berufsausbildung lässt aber immer noch eine konstante Berufsrichtung unterstellen. Jemand, der eine Lehre gemacht hat, wird seinen Arbeitsplatz und die Firma, für die er arbeitet, vielleicht öfters wechseln, aber er wird nicht in eine andere berufliche Schicht eindringen. Für Antonovsky ist es wichtig zu zeigen, dass das soziokulturelle Umfeld, in welchem ein bestimmter Beruf ausgeübt wird, in einem Fall zu

einem hohen Kohärenzgefühl führen kann und in einem anderen Umfeld zu einem niedrigeren. Als Beispiel führt Antonovsky die Tätigkeit einer Hausfrau an, die in afrikanischen Kulturen ein hohes Ansehen und einen hohen Stellenwert genießt, in postmodernen Kulturen hingegen wenig Wertschätzung erfährt und aufgrund der mangelnden Individualisierung als Zeichen von Schwäche ausgelegt wird. Die Arbeit wirkt sich besonders auf die Komponente der Handhabbarkeit aus. Dabei ist besonders das Gleichgewicht zwischen Überforderung und Unterforderung von Bedeutung, welches Voraussetzung dafür ist, dass ein hohes Kohärenzgefühl erreicht werden kann. Natürlich hat der Mensch nicht nur eine Arbeitsrolle zu erfüllen, sondern auch andere soziale Rollen, die sich ebenso auf das Kohärenzgefühl auswirken.

Nachdem man in das Erwachsenenalter eingetaucht ist und sein Leben beruflich, familiär und sozial geordnet hat, hat man bestimmte Erfahrungen gemacht, die Inkonsistenzen im Leben beschreiben. Man weiß darüber Bescheid, hat diese Inkonsistenzen mehr oder weniger akzeptiert und hat ein bestimmtes Kohärenzniveau erreicht. Antonovskys Annahmen gründen darauf, dass jemand, der ein starkes Kohärenzgefühl hat, auch in Zukunft ein starkes

Nachdem man in das Erwachsenenalter eingetaucht ist und sein Leben beruflich, familiär und sozial geordnet hat, hat man bestimmte Erfahrungen gemacht, die Inkonsistenzen im Leben beschreiben. Man weiß darüber Bescheid, hat diese Inkonsistenzen mehr oder weniger akzeptiert und hat ein bestimmtes Kohärenzniveau erreicht. Antonovskys Annahmen gründen darauf, dass jemand, der ein starkes Kohärenzgefühl hat, auch in Zukunft ein starkes