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2.1 Risiko und Risikomanagement

2.1.1 Risiko

Der Risikobegriff findet seine erstmalige schriftliche Erwähnung in den genuesischen Versicherungsverträgen von 1319, welche zur Risikobewältigung des Seetransports von Handelsgütern abgeschlossen wurden. Er ist in seiner ursprünglichen Form also eng mit unternehmerischem Gedankengut verknüpft (vgl. Peter 2001, S. 20 f.) und im logis-tischen Kontext angesiedelt.

Die heutige Risikoforschung ist unterdessen weitaus diversifizierter und definiert den Begriff des Risikos im Kontext der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin. Daher gibt es keinen allgemeingültigen Risikobegriff, eine Definition ist, abhängig vom Untersu-chungsgegenstand, zweckmäßig abzugrenzen (vgl. Kimmig 2001, S. 48). Peter (2001, S. 23) unterscheidet die in der folgenden Tabelle dargestellten Disziplinen mit ihrem jeweiligen Risikobegriff und nennt die Bereiche ihrer Anwendung.

Abbildung 2: Risikodefinitionen in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen Quelle: Peter 2001, S. 23

Der naturwissenschaftlich-mathematische Ansatz von Risiko definiert den Begriff als Produkt aus dem (Schadens-) Ausmaß des Ereignisses sowie der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens. Zur Berechnung der Risikogröße ist somit eine Quantifizierung der beiden Faktoren notwendig, welches eine entsprechende Datensammlung voraussetzt.

Im entscheidungslogischen Risikobegriff erscheint das Risiko einer Handlungsalter-native als Wahrscheinlichkeitsverteilung ihrer möglichen Folgeereignisse. Demnach handelt es sich auch hier um eine mathematische Annäherung über Methoden der Sta-tistik, was wiederum das Vorhandensein von ausreichend detaillierten Daten erfordert.

Im Unterschied zur Anwendung in der vorgenannten Disziplin wird neben der negativen aber auch explizit die positive Abweichung vom Ziel bewertet und als Chance bezeich-net.

Zwei in ihrer Anwendung stark betriebswirtschaftlich ausgerichtete Varianten sind die informationstheoretische Risikodefinition sowie die systemorientierte Risikoauffas-sung. Nach Helten (1994, S. 21) lässt sich das Risiko als Informationsdefizit über das Erreichen der gesteckten Ziele beschreiben. Diese Beschreibung eignet sich als Über-leitung zur systemtheoretischen Sichtweise, welche Risiko als Eintreten von Störpro-zessen definiert, die eine Zielverfehlung zur Folge haben. Verbunden sind beide

Ansät-ze durch die Ungewissheit über das Eintreten von StörproAnsät-zessen, die sich in der Ver-fehlung der Ziele niederschlagen.

Das soziologische wie das psychologische Risikoverständnis basieren auf dem Ver-gleich mit dem Terminus Gefahr. Während Luhmann (1991, S. 30) die beiden Begriffe über die Möglichkeit einer eigenen Entscheidung voneinander abgrenzt, werden sie im alltäglichen Sprachgebrauch, ob 'riskant' oder 'gefährlich', weitgehend gleichgesetzt und negativ interpretiert.

Eine alternative häufig zitierte Herangehensweise strukturiert die genannten Ansätze weiter, indem eine Unterscheidung nach Ursache und Wirkung vorgenommen wird.

Der ursachenbezogene Risikobegriff sieht das Risiko im Zusammenhang mit Ent-scheidungssituationen und stellt die Risikoursache, die durch ein Informationsdefizit des Entscheidungsträgers über zukünftige Situationen und Ereignisse geprägt ist, in den Vordergrund (vgl. Braun 1984, S. 24). In diesem Punkt besteht Ähnlichkeit zum informa-tionstheoretischen Risikobegriff. Es wird in Entscheidungssituationen unter Sicherheit, messbarer oder wahrer Unsicherheit unterschieden (vgl. Böger 2010, S. 15), wobei das Risiko mit abnehmender Informationsgüte und somit zunehmender Varianz des mögli-chen Ergebnisses zunimmt. Diese Unterscheidung gilt jedoch nur im Kontext der Zeit, zu der die Entscheidung getroffen wird. Wenn nämlich als sicher angenommene Institu-tionen bzw. als sicher eingeschätzte Parameter, sprunghaften Veränderungen (Diskon-tinuitäten) wie makroökonomischen Schocks oder (Natur-) Katastrophen unterliegen (vgl. Bernstein 1996, S. 116), gelten im Nachhinein andere Bedingungen als zunächst angenommen. Darüber hinaus werden objektive und subjektive Wahrscheinlichkeiten in der Entscheidungsfindung diskutiert. Objektive Wahrscheinlichkeiten sind dabei in-tersubjektiv nachprüfbar, während subjektive Einschätzungen mit persönlichen Erfah-rungen so etwas wie einem Bauchgefühl folgen (vgl. Pfohl 1977, S. 24; March / Shapira 1987, S. 1408). Dieser psychologische Aspekt des ursachenbezogenen Risikobegriffs spielt im Falle messbarer Unsicherheiten in Entscheidungssituationen für diese Arbeit eine wichtige Rolle und wird im Abschnitt zum Risikomanagement weitergehend disku-tiert.

Beim wirkungsbezogenen Ansatz, der die Folgen einer Entscheidung in den Mittel-punkt der Betrachtung stellt (vgl. Lazanowski 2006, S. 17), handelt es sich hingegen um eine Herangehensweise, die dem entscheidungslogischen Verständnis am nächsten

kommt. Dabei wird Risiko zumeist als Gefahr einer Fehlentscheidung interpretiert (vgl.

Imboden 1983, S. 51), beziehungsweise wird eine Entscheidung unter Risiko, die dann zu einem Verlust führt, als Fehler verstanden (vgl. March / Shapira 1987, S. 1413 f.).

Dieses Verständnis passt zu den Darstellungen von Burger und Buchhart (2002, S. 9), nach denen für Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen die Verlustgefahr im Risikokontext im Vordergrund steht. Auch für diese Arbeit stehen diese sogenannten reinen Risiken im Fokus, während spekulative Risiken ein Unterschreiten des Zielwerts genauso als Option erkennen wie ein Übertreffen (vgl. Lück 2000, S. 315) und insbe-sondere in der Finanzwirtschaft betrachtet werden.

Eine praxisnahe Definition von Risiko muss einem interdisziplinären Vorgehen folgen, da sich die Spanne unternehmerischen Handelns über verschiedene Wissenschaftsdis-ziplinen erstreckt. Außerdem besteht ein Bezug zwischen der Situation und den An-nahmen, also den Ursachen, die zu einer Entscheidung führen, und ihren tatsächlichen Auswirkungen.

In der Folge heißt das, dass das Risiko zunehmend feingliedriger, operativer Hand-lungsalternativen zuverlässig anhand des Produkts aus dem (Schadens-) Ausmaß des Ereignisses sowie der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens definiert werden kann. Stra-tegische Handlungsalternativen im Kontext der Gesamtunternehmung, die eine Vielzahl verschiedener Aspekte in der Entscheidungsfindung berücksichtigen und ein ganzes Bündel an Handlungen nach sich ziehen, bedürfen aufgrund der abnehmenden Infor-mationsgüte über künftige Umweltzustände hingegen einer ganzheitlichen Definition des Risikos. Eine solche findet sich bei Nedeß et al. (2006, S. 241) und bildet das für diese Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Risiko:

Auslöser für negative Zielabweichungen sind dabei Störprozesse, die sich als statisti-sche Ausreißer häufig einer mathematistatisti-schen Quantifizierbarkeit entziehen (vgl. Peter 2001, S. 85).

So können die Risiken einzelner Kontrakte eines Unternehmens anhand des Produktes aus der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens und des resultierenden Schadenswertes bewertet werden. Diese objektive monetäre Bewertungsform dient als Instrument, um

der subjektiven psychologischen Risikovermeidung als Gefahrenabwehr „um jeden Preis“ ein Gegengewicht beizustellen. Denn im ganzheitlichen systemorientierten An-satz der Unternehmung ist die Diversifizierung des Risikoportfolios möglich, während dies dem Agenten im Sinne der Principal-Agent-Theorie1 unmöglich ist. Weitergehende Erkenntnisse aus der Forschung zum Thema Risikomanagement sollen aber im folgen-den Abschnitt vorgestellt werfolgen-den.