• Keine Ergebnisse gefunden

Die Supply Chain in der Windenergiebranche

Die dargestellte Veränderung der Kräfteverhältnisse auf dem Weltmarkt lässt zu-nächst vermuten, dass asiatische Windkrafthersteller auf ähnliche Weise wie bei der

Solarindustrie zu einem weltweiten Siegeszug ansetzen. Tatsächlich waren die chi-nesischen Hersteller im Jahr 2010 ausschließlich in China aktiv (vgl. BTM Consult 2011, S. 173). Das lässt sich unter anderem durch den deutlich größeren Transport-aufwand für Windturbinen begründen, denn die schiere Größe der Komponenten legt grundsätzlich dezentrale und damit lokale Wertschöpfungsketten nahe (vgl. Sorge 2009, S. 1).

Die Logistik ist jedoch nur ein Aspekt bei der Ausgestaltung der Supply Chain in der Windenergiebranche. Ein anderer ist die Frage nach der Wertschöpfungstiefe im All-gemeinen und der Fertigungstiefe der Hauptkomponenten im Speziellen. In der Windenergiebranche wurden im Zeitverlauf und in Abhängigkeit vom Reifegrad des jeweiligen Herstellers verschiedene Supply-Chain Strategien verfolgt. Die nachfol-genden Darstellungen basieren weitgehend auf den Erkenntnissen des „Supply Chain Assessment 2012-2015“ von BTM Consult (2011, S. 147 ff.):

Als die Windenergiebranche in ihren Kinderschuhen steckte, gab es noch keine spe-zifische Wind-Supply Chain. Die Anlagenhersteller kauften ihre Komponenten wie Getriebe und Generatoren bei Anbietern der Schwer- und Elektroindustrie ein. Ab Mitte der 90er-Jahre kam diese Strategie allerdings zunehmend an ihre Grenzen. Mit der stark ansteigenden Anzahl installierter Anlagen und aufgrund der Leistungszu-nahme der Anlagen begannen die Hersteller, aus Gründen der quantitativen Verfüg-barkeit sowie der Qualität der Komponenten, mit der eigenen Herstellung einer zu-nehmenden Anzahl an Komponenten und damit der vertikalen Integration in die Supply Chain. Dieser Trend hielt zunehmend befeuert von den Anforderungen der Investoren nach hoher Anlagenzuverlässigkeit, bei gleichzeitig vertretbaren Lieferzei-ten, über die Boom-Zeiten Mitte der 2000er-Jahre bis zur Finanzkrise 2008/2009 an.

In dieser Zeit wurde er einerseits von jüngeren Wettbewerbern relativiert, die auf-grund von mangelnder Produktkompetenz und fehlenden eigenen Fertigungskapazi-täten weiterhin auf das Outsourcing von Komponenten setzten. Andererseits blieb die vertikale Integration von Zulieferern in die Herstellerbetriebe häufig ein Thema auf der Agenda der Hersteller, das hinter dem Tagesgeschäft zur Erfüllung der Aufträge zurückstehen musste (vgl. Montana / Springmann 2011, S. 4).

Im Zuge der Finanzkrise ging die Nachfrage nach kapitalintensiven Windparks dann teils deutlich zurück. Geplante Investitionen in die Ausweitung von Fertigungskapazi-täten wurden in Erwartung einer überproportional wieder ansteigenden Nachfrage

vielerorts noch realisiert - mit dem Resultat erheblicher Überkapazitäten. Die Folge war umso schärferer Wettbewerb, sowohl unter den Anlagenherstellern als auch den Komponenten-Zulieferern. Für eine weitergehende vertikale Integration fehlte dann häufig nicht mehr die Zeit, sondern die Liquidität oder Kreditwürdigkeit, um derartige Investitionen zu leisten.

Reife Industrien tendieren zu einer geringen Wertschöpfungstiefe und damit zur Fremdvergabe von Fertigungsumfängen an spezialisierte Lieferanten. Sie verfolgen damit das Ziel der Generierung von Skaleneffekten zur Reduzierung von Kosten bei gleichzeitiger Steigerung der Qualität. Diese Anreize bestehen auch in der Wind-energiebranche. Im Zuge der sich auflösenden lieferantenseitigen Kapazitätsrestrikti-onen kaufen die Anlagenhersteller wieder bereitwilliger KompKapazitätsrestrikti-onenten extern ein.

Gleichzeitig ist die Anzahl der Lieferanten, die mit den erweiterten technischen An-forderungen der Multi-Megawatt Anlagen schritthalten können, weiterhin begrenzt.

Zur Abgrenzung vom Wettbewerb bedarf es zudem eines eigenständigen Designs der Kernkomponenten. Diese Faktoren führen zu der vorherrschenden Supply Chain Strategie der eigenen Produktion von Kernkomponenten und der Fremdbeschaffung solcher Komponenten, die für den Vorsprung vor oder die Abgrenzung vom Wettbe-werb weniger relevant sind.

Abbildung 16: Fertigungstiefe ausgewählter Hersteller

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BTM Consult 2011, S. 151

Die Hersteller werden in die Kategorien Fremdvergabe, Herstellung von Kernkompo-nenten und interne Herstellung von KompoKernkompo-nenten eingeteilt. Eindeutiges Beispiel für die interne Herstellung von Komponenten ist Enercon. Keine Kernkomponente wird auch nur anteilig extern eingekauft und auch Nicht-Kernkomponenten werden um-fassend selbst hergestellt. Als Gegenbeispiel dient hier GE Wind, die selbst

Kern-komponenten teils nicht selber herstellen oder zumindest einen Multiple-Sourcing-Ansatz verfolgen, indem sie auch Kernkomponenten zumeist von mehreren ver-schiedenen Lieferanten beziehen.

Bleibt die Frage, was als Kernkomponente definiert wird und wie die logistischen An-forderungen je Komponente ausgeprägt sind. Die Dimensionen als auch das Gewicht der Hauptkomponenten, bestehend aus Gondel, Blatt und Turm moderner Wind-energieanlagen, fallen in den Bereich des Großraum- bzw. Schwertransports. Aktuel-le Anlagengenerationen der Multimegawattklasse überschreiten selbst die hier gel-tenden Grenzen und müssen daher schon in der Entwicklung transportgerecht kon-struiert werden.

Abbildung 17: Anzahl und Kapazitäten der Turmlieferanten in Europa je Land in 2011 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Daten von BTM Consult 2011, S. 79 ff.

Um die verfügbaren Onshore-Wind-Ressourcen optimal auszunutzen, ist die Höhe der Türme bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an das zulässige Gondelge-wicht auf über 100m angewachsen, die in mehrere Segmente unterteilt sind. Ihre Montage erfolgt am Errichtungsstandort, das heißt, dass sie unabhängig von ande-ren Komponenten zum jeweiligen Windpark transportiert werden können. Ihande-ren

gro-ßen Dimensionen zum Trotz sind Türme für Firmen der Schwerindustrie technisch verhältnismäßig einfach zu fertigen. Die Turmlieferanten können die Fertigungsvolu-men verschiedener Hersteller bündeln, daraus Größeneffekte generieren und so wettbewerbsfähige Preise mit geringen Logistikkosten kombinieren, sofern sie in ei-ner attraktiven Windregion gelegen sind. Diese Ausgangssituation führte im Jahr 2011 jedoch zu einer schwachen Auslastung der weit über den europäischen Konti-nent verteilten Lieferanten von nur rund 50%. Zur Veranschaulichung sind die Stand-orte und Kapazitäten einer repräsentativen Anzahl an Turmlieferanten in Europa im Jahr 2011 in Abbildung 17 dargestellt. Diese Mischung aus hohen logistischen An-forderungen bei umfassendem Wettbewerb macht den Turm zur potentiell lokalsten Komponente in der Supply Chain der Windenergiebranche. Das heißt, dass die meis-ten Hersteller diese Komponente von mehreren Lieferanmeis-ten beziehen, die in ver-schiedenen Regionen angesiedelt sind. Der Turm ist in der Zusammenfassung seiner Attribute also keine Kernkomponente einer Windenergieanlage.

Moderne Flügel von Windenergieanlagen sind bis zu 60 Meter lang. Die letzte Gene-ration wird nicht mehr wie sonst üblich aus Glasfaserverbundwerkstoffen, sondern aus Carbon (Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff CFK) gefertigt (vgl. SGL Rotec 2012). Die Differenzierung im Design mit ihrer Implikation auf die Leistungsausbeute der Anlagen, die Verschiedenartigkeit der Zusammensetzung an Verbundwerkstoffen und Fertigungsverfahren macht den Flügel zu einer der Kernkomponenten einer Windenergieanlage, die jeder reifere Anlagenhersteller zumindest teilweise selbst produziert. Um auf zusätzliche Kapazität in Phasen großen Bedarfs zurückgreifen zu können, und gleichzeitig über flexible Kapazität zum Atmen in Schwächephasen zu verfügen, verfolgen die meisten Hersteller zumeist einen Dual-Sourcing-Ansatz. Das Blatt steht in Bezug auf die Supply Chain Strategie somit zwischen dem häufig fremdbeschafften Turm und der ausnahmslosen Kernkompetenz der Gondelmonta-ge.

Die auch Maschinenhäuser genannten Gondeln erreichen Gewichte von über 120 Tonnen (vgl. Bottler 2011, S. 33), was bei einer Masse des Schwertrans-portequipments von ungefähr 50 Tonnen den maximalen Brückenlasten in Europa von 180 Tonnen bereits sehr nahekommt und die Auswahl möglicher Landtransport-routen zunehmend einschränkt. Grund sind die mit zunehmender Leistung immer größer und schwerer werdenden Generatoren und Getriebe, Wellen und Naben, die

in den Werken der Anlagenhersteller in der Gondel montiert werden. Aus diesen Werken wird solange global beliefert, bis sich der Aufbau von Werken in anderen (Welt-) Regionen mit ausreichendem Absatz oder aussichtsreichem Absatzpotential lohnt. Die in den vorhergehenden Absätzen dargestellten Zusammenhänge werden in der nachfolgenden Graphik zusammengefasst.

Abbildung 18: Supply Chain und Sourcing-Strategie von Kernkomponenten Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BTM Consult (2011, S. 147 ff.)