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5. Resumé

Die in dieser Arbeit vorgestellten Daten zur Biosynthese der 3-Hydroxy-4-Methylanthranilsäure (historisch 4-Methyl-3-Hydroxyanthranilsäure, 4-MHA) in Streptomyces chrysomallus ergeben ein klares Bild der enzymatischen Schritte ausgehend vom Tryptophan bis zum 3-Hydroxy-4-methyl-D-kynurenin, dem unmittelbaren Vorläufer von 4-MHA. Zum einen konnten durch die Klonierung und Sequenzanalyse des Actinomycin-Biosynthese-Genclusters die für diese Schritte kodierenden Gene eindeutig annotiert und durch vergleichende biochemische Analyse des Wildtyp-Stamms Sc1 und der Deletionsmutante Mutante Sc-white funktionell identifiziert werden. Zum andern gelang durch die Expression der Methyltransferase-Gene acmI und acmL die Charakterisierung des ungewöhnlichen Methylierungsschritts der 4-MHA auf molekularer Ebene. Die Testung der rekombinant hergestellten Methyltransferasen AcmI und AcmL zeigte, dass sie ausschließlich das 3-Hydroxy-D-kynurenin zu der bisher unbekannten Verbindung 3-Hydroxy-4-Methyl-D-kynurenin konvertieren, die der wirkliche Vorläufer von 4–MHA anstatt der bisher angenommenen 3-Hydroxyanthranilsäure (3-HA) ist.

Kontroverse Befunde bei 3-HA-Fütterungsexperimenten mit dem Actinomycin Produzenten Streptomyces antibioticus zum einen und präliminäre Indizien für die Vorläuferrolle des 3-Hydroxy-4-Methyl-L-Kynurenin hatten bereits früher Zweifel an der Rolle von 3-HA in der 4-MHA Biosynthese genährt (Weissbach et al., 1965; Perlman et al., 1973).

Die Entdeckung eines 3-HA methylierenden Enzyms in S. antibioticus durch Jones war jedoch ein signifikantes Indiz für die Vorläuferrolle von 3-HA (Fawaz und Jones, 1988; Jones, 1987, 1993). Es wurde gezeigt, dass dieses Enzym 3-HK nicht methylieren konnte, zudem konnte eine 3-HK methylierende Aktivität in Proteinextrakten von S. antibioticus nicht nachgewiesen werden. Eine genauere Durchsicht der Veröffentlichungen über die 3-HA Methyltransferase zeigt allerdings, dass das Enzym ungewöhnlich früh in der vegetativen Wachstumsphase gebildet wird und möglicherweise nicht spezifisch im Actinomycin Biosyntheseweg involviert sein könnte (Fawaz und Jones, 1988;

Jones, 1987, 1993). Es wurden deshalb im Rahmen der hier vorgelegten Arbeit Versuche unternommen, die 3-HA Methyltransferase aus S. antibioticus zu isolieren und mit den 3-HK Methyltransferasen AcmI und AcmL zu vergleichen. Jedoch blieben Bemühungen, das Enzym aus Myzelien verschiedener Wachstumsstadien und der Actinomycin Produktionsphase von S. antibioticus nachzuweisen bzw. zu isolieren, erfolglos. Allerdings gelang es ebenso wenig, die 3-HK Methyltransferase in S. antibioticus Enzymfraktionen nachzuweisen, was die Rolle von 3-HA in dem Biosyntheseprozess der 4-MHA in S. antibioticus noch offen ließ. In diesem Zusammenhang muss bemerkt werden, dass allerdings auch andere bekannte Biosyntheseenzyme der Actinomycin

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Synthese aus S. antibioticus (im Gegensatz zu S. chrysomallus) in nur geringer Ausbeute zu erhalten oder schwer nachzuweisen sind. (Abschnitt 4.8.4).

Abbildung 77: Biosyntheseweg von Actinomycin ausgehend von Tryptophan über 4-MHA in S. chrysomallus. AdoMet = S-Adenosyl-L-Methionin, Sar = Sarkosin, N-Methylglycin, MeVal = N-Methylavalin

Zwar ließen die hier durch die Analyse von AcmI und AcmL erhaltenen Daten wenig Zweifel über die Vorläuferrolle von 4-MHK in S. chrysomallus oder S. parvulus , zumal in vitro Untersuchungen an Zellextrakten von S. chrysomallus die Präsenz dieser Enzyme in dem Streptomyceten zeigten, jedoch konnte nicht ausgeschlossen werden, dass auch 3-HA in einem Nebenweg oder „salvage pathway“ in 4-MHA konvertiert werden konnte. So könnte 3-HA durch verfrühte Spaltung von 3-HK entstehen, welches in dem „salvage pathway“ für die Biosynthese der MHA „gerettet“ werden könnte. Der 4-MHA-Biosyntheseweg hat alle Schritte des Tryptophanabbaus mit dem regulären 3-HA-Biosyntheseweg der Eukaryoten gemeinsam. Ohne den Methylierungsschritt müsste im 4-MHA Biosyntheseweg somit formal am Ende die Konversion von 3-HK zu 3-HA stehen. Die Expression und Testung der vom Actinomycin-Biosynthese-Gencluster kodierten Methyltransferasen AcmI und AcmL zeigt indessen, dass sie spezifisch 3-Hydroxy-D-Kynureninen zu 4-Methyl-3-Hydroxy-D-Kynurenin methylieren, aber nicht 3-HA (Abb. 77). Diese Enzyme gehören zu einer Gruppe aromatischer C-Methyltransferasen, die sich durch ihre Stereospezifität für D-Enantiomere von 3-HK vor ihren Orthologen in anderen Streptomyceten auszeichnen. Sie können wie im Abschnitt 4.6.5 diskutiert auch strukturell ähnliche Substrate (wie z. B. Tyrosin) mit geringerer spezifischer Aktivität methylieren. Ihre Stereospezifität ändert sich in Abhängigkeit von der Länge der Seitenkette am aromatischen Kern, welches sich durch Stereoselektivität für die L-Enantiomeren der Aminosäuresubstrate mit C3-Seitenketten und für die D-Enantiomeren der Aminosäuresubstrate mit C4-Seitenketten ausdrückt. Der Grund für die Stereoselektivität von AcmI und AcmL für 3- Hydroxy-D-Kynurenin ist unbekannt. Eine mögliche Bedeutung für den Biosyntheseweg der 4-MHA könnte darin liegen, dass der mögliche Vorläufer D-Kynurenin von der verfrühten Spaltung durch die Hydroxykynureninase AcmH verschont bliebe und dadurch das aus dem D-Kynurenin entstehende

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131 Hydroxy-D-Kynurenin nur in den Actinomycin Stoffwechsel flösse. Um diese Hypothese weiter zu untermauern sind in Zukunft weitere detailliertere Untersuchungen zu Epimerisierung und Stereoeselektivität der Reaktionen in der 4-MHA Biosynthesekette erforderlich. Interessanterweise zeigt das später als AcmI und AcmL beschriebene Homologe SibL der Sibiromycin Biosynthese (Li et al., 2009, Giessen et al., 2011), in welcher ebenfalls 4-MHA als Vorläufer des Diazepam Nukleus gebildet wird (Abb. 31), Stereospezifität weder für L- noch für D-3-Hydroxykynurenin. Phylogenetisch zeigt dieses Protein Distanz zu AcmI oder AcmL (Abb. 51), was deren unterschiedliche Stereospezifität reflektieren könnte.

Abbildung 78: Synthese von mono-C-Demethylactinomycin D ausgehend von 3-HA- und 4-MHA-Pentapeptidlactonen. Sar

= Sarkosin, N-Methylglycin, MeVal = N-Methylavalin.

Die zunächst an S. chrysomallus und S. parvulus durchgeführten Kurzzeit-Fütterungsexperimente mit 3-HA ergaben den obigen Befunden erwartungsgemäß, dass 3-HA die Actinomycinsynthese nicht stimulierte. Überraschenderweise induzierte sie aber die Synthese von C-Demethylactinomycinen, da sie aufgrund ihrer strukturellen Homologie mit 4-MHA von der Actinomycin Synthetase I (ACMS I) aktiviert werden kann und Anstelle von 4-MHA in Actinomycin Halbmoleküle inkorporiert wird. Die resultierenden Halbmoleküle können anschließend mit einem 4-MHA oder einem 3-HA Halbmolekül zu mono- oder di-C-Demethylactinomycinen kondensieren (Abb. 78). C-Demethylactinomycine wurden aber in der Folge auch in nicht mit 3-HA supplementierten Kulturen gefunden, jedoch werden sie in nur sehr geringen Mengen gebildet, so dass ihre Bildung unbemerkt geblieben wäre, wenn man nicht vorher durch die Fütterungsexperimente mit 3-HA auf ihre Existenz aufmerksam geworden wäre. Aus den dargestellten Gründen ist festzustellen, dass 3-HA kein natürlicher Metabolit in diesen Streptomyceten ist, da sonst die Bildung von Demethylactinomycin als substantieller Anteil der Gesamtactinomycingemische von Streptomyceten aufgefallen sein müsste.

Auch zeigen neuere genomische Daten, dass Streptomyceten im Primärmetabolismus keine Möglichkeit haben 3-HA zu bilden, da ihnen das Gen für Kynureninmonooxygenase fehlt (Lima et al., 2009)

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Radiotracerstudien mit 5-3H-Tryptophan in S. chrysomallus und S. parvulus zeigten, dass 3-HA im Gegensatz zu 4-MHA unter verschiedenen Bedingungen, u. a. in Gegenwart überschüssiger Pools unmarkierter 3-HA, nicht detektierbar ist. Die Tatsache, dass 3-HA nur aus 3-HK entstehen kann, lässt schließlich als einzige Erklärung für die Bildung der natürlichen Demethylactinomycine die Annahme zu, dass geringe Mengen des 3-Hydroxykynurenins in der 4-MHA Synthesekette vor ihrer Methylierung von der Hydroxykynureninase AcmH gespalten werden können. In der Tat führten Zugaben von 3-HK zu Myzelsuspension von S. chrysomallus und S. parvulus zu einer Induktion der Demethylactinomycinsynthese, was die Bedeutung von 3-HK als Vorläufer sowohl von 3-HA und 4-MHK offenbart. Offensichtlich resultiert die Überschwemmung des Zytoplasmas der Zelle mit externem 3-HK, dessen Methylierung nicht mehr bewältigt werden kann, in einem drastischen Anstieg der 3-HA-Konzentration durch Konversion des 3-HK in 3-HA durch die reichlich vorhandene Hydroxykynureninase AcmH und möglicherweise auch durch die katabolische Kynureninase KynU (Tabelle 14). Die erhöhte 3-HA Konzentration führt dann zur Bildung von C-Demethylactinomycin neben der trotz des Überschuss von 3-HA weiterhin dominanten Actinomycin Bildung. Allerdings kann 3-HA aufgrund der viel geringeren Substrataffinität der ACMS I gegenüber 3-HA (verglichen mit 4-MHA) nur wenig C-Demethylactinomycin liefern. So erreichte über längerer Zeiträume (bis 6 Stunden) die Menge des gebildeten C-Demethylactinomycin nicht mehr als 8 % der Gesamtmenge an Actinomycin bei einer HA Konzentration 250 µM. Ob und wie das überschüssige nichteingebaute 3-HA abgebaut wird, ist nicht bekannt. Jedoch könnten daraus verschiedene Oxidationsprodukte wie z. B. Cinnabarinsäure entstehen, die negative Auswirkungen auf die Zelle haben (Weber et al., 2006).

Es wurde bereits früher von Haese berichtet (Haese, 1987), dass die Zugabe von 3-HA und vor allem 4-MHA nach längerer Zeit einen schädlichen Einfluss auf das Wachstum von S. chrysomallus haben.

Enzym Substrat Km [µM] Vmax [µMs-1] kcat (s-1) kcat/Km [M-1s-1] AcmH D/L-HK 202 1.23 x 10-1 1.95 x 10-1 967

L-Kyn 274 4.05 x 10-2 4.60 x 10-2 169 KynU D/L-HK 145 1.80 x 10-1 5.00 x 10-2 333

L-Kyn 59 5.00 x 10-2 1.30 22034

Tabelle 14:Übersicht der kinetischen Werte für die Enzyme AcmH und KynU aus Hochrein, 2013. L-Kyn = L-Kynurenin.

Unter normalen Bedingungen wird kaum 3-HA gebildet werden, da die Methylierung des 3-HK offensichtlich quantitativ verläuft und das entstehende 4-MHK sofort zu 4-MHA hydrolysiert zu werden scheint. Dies setzt eine fein ausgewogene Regulation der 3-HK-4-MHK-4-MHA Reaktionskette voraus, bei der 3-HK auf keinen Fall akkumulieren darf, da es sonst zu 3-HA hydrolysiert werden würde. Notwendigerweise bedeutet dies auch, dass auch dass intrazelluläre 4-MHA in nur sehr kleinen Mengen vorkommt In der Tat zeigen die Abbildung 61 und 75, dass unter normalen Bedingungen intrazelluläres 4-MHA nicht detektierbar ist, jedoch nachweisbar wird, wenn sein

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133 Einbau in Actinomycin kompetitiv (durch Zugabe von 3-HA oder 3-HK) inhibiert wird und es dadurch akkumuliert. Es ist leicht einzusehen, dass geringfügige Mengen 3-HK, die aus dem Tryptophan stammen und aus der Reaktionssequenz sickern, durch KynU oder AcmH zu 3-HA hydrolysiert werden. Möglicherweise sind die Enzyme der Reaktionssequenz vom Tryptophan bis zum 4-MHK mikrokompartmentiert, wie z. B bestimmte Reaktionssequenzen im Carboxysom einiger Bakterien, welches dafür sorgt, dass schädliche Metaboliten solange vom Zellinneren abgeschirmt bleiben bis sie in harmlose Substanzen konvertiert werden (Corchero und Cedano, 2011). Im Fall einer Kompartimentierung der 4-MHK Synthese würde dies erklären, warum in der Anwesenheit von 5-3 H-Tryptophan und extern zugegebenem 3-HK keine radioaktive 3-HA detektiert wird. Offensichtlich bleibt das intrazelluläre (radioaktive) 3-HK von dem extern zugegebenen 3-HK abgeschirmt und geht ausschließlich über 4-MHK in die 4-MHA über (Abb 61). Von den bisher klonierten Genen des Actinomycin-Genclusters kommt aber keins für einen Bestandteil einer Mikrokompartmentierungsorganelle in Frage.

Die strikte Regulation des 4-MHA Weges bis zur 4-MHK Stufe und die damit verbundene Vermeidung der Bildung unerwünschter Nebenprodukte ist somit eine wichtige Bedingung für die Actinomycin-produzierenden Streptomyceten, 4-MHA als ausschließliches Endprodukt zu erhalten. Arbeiten von Brockmann und Seela, die di-C-Demethylactinomycin chemisch synthetisierten und in vivo und in vitro testeten, haben ergeben, dass das di-C-Demethylactinomycin D eine 10fach geringere DNA-Bindungsaffinität als Actinomycin besitzt (Brockmann und Seela, 1971). Die in vivo Aktivität in der Hemmung der Transkription lag sogar um das 30fache niedriger. Wesentliche Gründe könnten in der verringerten Stabilität des DNA-Actinomycin Komplexes wegen des Fehlens der Methylgruppen im Chromophor sein. Zum anderen könnte die höhere Hydrophobizität des Actinomycins gegenüber dem di-C-Demethylactinomycin für die die verbesserte Penetration durch Biomembranen und damit verbunden erhöhte in vivo Wirksamkeit gegenüber Demethylactinomycin verantwortlich sein. Aus all diesen Gründen ist es als Vorteil für die Streptomyceten zu sehen, dass sie auch im Primärmetabolismus keine 3-HA bilden können, da diese insbesondere, wenn Tryptophan vorhanden ist, konstant gebildet werden könnte und zur Bildung von Demethylactinomycin beitragen könnte.

Ein Beispiel für die Wechselwirkung des Primärmetabolismus mit der Biosynthese eines Sekundärmetaboliten ist die Phenazin-Synthese in Pseudomonas. Studien zur Phenazin-Biosynthese in Pseudomonas fluorescens und Pseudomonas aureofaciens haben gezeigt, dass das Biosynthese-Gencluster Gene für die Biosynthese der Anthranilsäure enthält, die Baustein des Phenazin Ringsystems ist (McDonald et al., 2001). Deletionen der Anthranilsäure-Biosynthese-Gene im Biosynthese-Gencluster führten aber nicht zur Eliminierung der Phenazin-Produktion sondern nur zu einer Schwächung. Tatsächlich stellten nämlich die Enzyme des Tryptophanmetabolismus wie

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Anthranilat Synthase u. a. weiterhin Anthranilsäure bereit, so dass die Phenazin-Synthese weiterlief.

Erst die Ausschaltung dieser Gene liefert dann Phenazin-negative Tryptophan-abhängige Disruptanten (Lin et al., 1998).

Ein weitere Notwendigkeit der strikten Regulation der 4-MHA Synthese vor allem in S. antibioticus ist die Präsenz der Phenoxazinon Synthase. PHS war für eine lange Zeit ein Leitenzym der Actinomycin Biosynthese, weil man annahm, dass es den letzten Schritt der Actinomycin-Synthese, die Phenoxazinon-Kondensation, katalysiert. In vitro Analysen der Phenoxazinon Synthase hatten gezeigt, dass PHS verschiedene o-Aminophenole zu den betrefenden Phenoxazinonen unter Sauerstoff Verbrauch kondensieren kann (Katz und Weissbach, 1962). Auch war seine Regulation und Coexpression mit der Actinomycin-Synthese in S. antibioticus ein ernstzunehmender Hinweis, dass das Enzym mit der Actinomycin-Biosynthese korreliert ist. Jedoch wurde nach langer Zeit der Beschäftigung mit dem Enzym von Jones gezeigt, dass PHS nicht notwendig für die Actinomycin-Synthese ist (Jones, 1986, 2000). Eine Gendisruption des PHS-Gens führte nicht wie erwartet zu einem Actinomycin-negativen Phänotyp. Obwohl das Enzym nicht mehr gebildet wurde, persistierte die Actinomycin-Synthese in der erhaltenen Mutante (Jones, 1986, 2000). Dies war ein Hinweis drauf, dass die eigentliche Phenoxazinon-Bildung wie in S. chrysomallus oder S. parvulus in einem PHS-unabhängigen Vorgang abläuft. Nichtsdestoweniger könnte die PHS an der Actinomycin-Synthese assistieren, wie hier durch die Beteiligung der PHS an der Demethylactinomycinsynthese gezeigt wurde. Überschüssige 4-MHA oder 3-HA wird hierbei von PHS mit Actinomycin Halbmolekülen kondensiert und liefert dabei Hemiactinomycine bzw. Demethylhemiactinomycine (Abb. 68 und 69).

In S. chrysomallus oder S. parvulus wurde unter gleichen Bedingungen die Bildung von Hemiactinomycinen oder Demethylhemiactinomycinen bisher nicht gesehen. Diese Stämme haben keine PHS Aktivität, was die Bedeutung von PHS für die Regulation der Actinomycin-Synthese in S. antibioticus unterstreicht.

Aus den vorliegenden Daten kann man schließen, dass PHS nur eine assistierende Funktion in der Biosynthese des Actinomycin besitzen könnte, aber hauptsächlich wie Tyrosinasen oder Peroxidasen für die Konversion von o-Aminophenolen in die korrespondierenden Phenoxazinone zuständig sein könnte. Bisher konnte im Actinomycin-Biosynthese-Gencluster von S. chrysomallus oder auch im kürzlich zugänglich gewordenen Actinomycin-Biosynthese-Gencluster aus Streptomyces iakyrus (Genbank Nummer: FN824141) keine Phenoxazinon-bildende Oxidase wie z. B. PHS identifiziert werden. Im Unterschied dazu besitzt z. B. das Grixazon Biosynthese Cluster für die Biosynthese des Phenoxazinon-Farbstoffs Grixazon in S. griseus ein Peroxidase Gen, das die Vorstufe o-Aminophenol 3-Amino-4-hydroxybenzaldehyd in das Grixazon oxidativ konvertiert (Suzuki et al., 2006). Deswegen

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135 können nur genomische Analysen in den Actinomycin-produzierenden Streptomyceten, in denen keine PHS-Aktivität gefunden wurde, weiterhelfen mögliche Gene Phenoxazinon-bildender Enzyme aufzufinden. Solche Projekte sind derzeit in unserer Arbeitsgruppe in Vorbereitung. Ob die Präsenz nur eines Pentapeptidlactonrings am Actinomycin-Chromophor einen Nachteil für die Bioaktivität der Actinomycinstrukturen darstellt, ist noch nicht bekannt, da die Hemiactinomycine neu sind und ausreichende Mengen für ihre Testung noch nicht zur Verfügung stehen. Vorläufige Untersuchungen haben gezeigt, dass Hemiactinomycin D wie Actinomycin in DNA interkaliert und dass es die Entwindung von Plasmid DNA durch Topoisomerase I ebenso wie Actinomycin D inhibiert (S.

Semsary, persönliche Mitteilung). Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Eigenschaften die Hemiactinomycine in der Zukunft noch offenbaren werden. Durch die Entdeckung des kompetitiven Effektes der 3-HA und 4-MHA im Einbau in die Peptidlactone als auch in der Phenoxazinonbildungsreaktion konnten bisher 11 neue Verbindungen mit definierter Strukturaussage erhalten werden. Sie sind in Tabelle 13 aufgelistet und erweitern das Spektrum der bisher biosynthetiserten Actinomycine um neue Derivate.

Abbildung 79: Das Actinomycin-Biosynthese-Gencluster aus S. chrysomallus. Blau: Actinomycin Synthetasen, weiß:

Funktion unbekannt, rot: 4-MHA Biosynthese Gene, lila: Regulation, grün: Resistenz, weiß-rot kariert: IS.

Insertionselemente.

Ein weiteres bedeutendes Ergebnis der Forschung unserer Arbeitsgruppe am Actinomycin, zu dem die vorliegende Arbeit beigetragen hat, ist die Aufklärung des Actinomycin-Biosynthese-Genclusters von S. chrysomallus (Abb. 79). Das Gencluster ist in der bis jetzt bekannten Ausdehnung charakteristischerweise dadurch geprägt, dass von seinen 28 Genen neun Gene sowohl als ORFs als auch in ihrer Anordnung verdoppelt vorliegen und dass aus ihrem Arrangement in zwei entgegengesetzt orientierte Arme eine Palindrom-Struktur des Genclusters resultiert. Hieraus könnte man schlussfolgern, dass das Gencluster nur für 19 statt für 28 Proteine kodiert, was verglichen mit vielen anderen Genclustern ähnlich komplexer Verbindungen wie das Actinomycin wenig ist (z. B.:

Daunomycin, Echinomycin) (Hutchinson, 1997; Zhang et al., 2013). Das fehlende

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Kynureninmonooxygenase-Gen könnte sich möglicherweise in dem sich an die linke Seite (Abb. 78) anschließenden Bereich auf dem S. chrysomallus Chromosom befinden. Für die Palindrom Struktur des Actinomycin-Biosynthese-Genclusters könnte eine Genduplikation verantwortlich gewesen sein (Butler et al., 1996, 2002). Vorstellbar ist, dass der Vorläufer des aktuellen Genclusters nur die NRPS Gene und den rechten Arm enthielt (einschließlich acmS). Dieses einfache Vorläufer-Gencluster wäre prinzipiell (zusätzlich mit Hilfe einer Kynureninmonooxygenase) bereit zur Biosynthese von 4-MHA Pentapeptidlactonen befähigt (Abb. 80).

Abbildung 80: Mögliche Mechanismen der Entstehung des Actinomycin-Biosynthese-Gencluster. A) Ausbildung eines Palindroms über Doppelstrangbruch in der Nähe einer kurzen Inverted Repeat Sequenz mit anschließender Ausbildung einer Schleifestruktur. Durch die bidirektionale DNA Replikation entsteht aus der Schleifestruktur ein Palindrom. (Butler et al., 1996) B) Aus zwei Kopien eines Vorläufer Moleküls mit der gleichen Inverted Repeat Sequenz entsteht durch Homologe Rekombination ein Palindrom (Butler et al., 2002).

Keller (1995) hat darauf hingewiesen, dass Actinomycine als bicyclische Chromopeptidlactone einen speziellen Vertreter der Arylpeptidlacton-Familie der Streptomyceten darstellen. Im Unterschied zu Actinomycin sind alle anderen Arylpeptidlactone dieser Familie monocyclisch (Abb. 81).

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Abbildung 81: Arylpeptidlacton-Familie der Streptomyceten. Abkürzungen: MeVal: Methylvalin; MeCys: N-Methylcystein, Sar: Sarkosin, N-Methylglycin; PheSar: Phenylsarkosin; b,N-DiMeLeu: L-,N-Dimethylleucin; D-HyPro: allo-D-Hydroxyprolin; PheGly: L-Phenylglycin, 4-Oxo-Pip: Pipecolinsäure; 4-DmaMePhe: L-Dimethylamino-Phenylalanin; D-Abu:

Aminobuttersäure; AHPA: 4-Amino-3-hydroxy-2-methyl-5-(3´-pyridyl)-pentansäure.

Repräsentative Vertreter sind z. B. das Pristinamycin und das Etamycin, Aorylhexapeptid bzw.

Aorylheptapeptidlacton, die prinzipiell den Actinomycin Hälften ähnlich sind. Sie besitzen allerdings die heterocyclischen Hydroxypicolinsäure als Aroylrest und mehr als fünf Aminosäuren, was formal eine Extension der Actinomycinpentapeptidlactonkette darstellt (Keller, 1995). Im Falle der Pristinamycin-Biosynthese wurde die Struktur der beteiligten Peptidsynthetasen aufgeklärt (Thibaut et al., 1997; de Crécy-Lagard et al., 1997). Die Ähnlichkeiten und gemeinsamen Struktureigentümlichkeiten der Actinomycin Synthetasen mit den Pristinamycin Synthetasen zwischen beteiligten Enzymen ACMS I und SnbA, ACMS II und SnbB, ACMS III und SnbC sind in der Tat verblüffend und SnbC ist formal eine Weiterentwicklung der trimodularen ACMS III in eine tetramodulare NRPS (Mast et al., 2011). Echinomycin ist zwar ein monocylisches Octadepsipeptid, jedoch sind in ihm zwei Chinoxalinoyl-tetrapeptidketten über Esterbrücken miteinander verknüpft.

Auch der Aufbau dieser Aorylpeptidketten ist ähnlich dem der 4-MHA Pentapeptidketten und die beteiligten Peptidsynthetase (Triostin Synthetasen, TRS) Enzyme sind homolog zu den Actinomycin Synthetasen (Schmoock et al., 2005). Bei Etamycin ist zwar das Peptidsynthetase System in seiner Gänze nicht aufgeklärt, jedoch ist die Aktivierung der Hydroxypicolinsäure (Schlumbohm und Keller, 1990) ähnlich wie beim Pristinamycin (Thibaut et al., 1997; de Crécy-Lagard et al., 1997), Echinomycin/ Triostin (Glund et al., 1990), Actinomycin (Keller et al 1984) oder dem Pyridomycin (Huang et al., 2011). Die Ähnlichkeiten der Strukturen und der Biosynthesesysteme (NRPS) der aromatischen Peptidlactonsysteme in den Streptomyceten und auch dass die aromatischen Carbonsäuren sämtlich vom Tryptophan abgeleitet sind, lässt vermuten, dass diese evolutionär

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verwandt sind. Auch im Falle des Actinomycins könnte ursprünglicher Vorläufer ein monocyclischer Peptidlacton gewesen sein, der erst im Laufe der Evolution durch die Akquisition der o-Aminophenolgruppierung am aromatischen Kern auf genetischen Wege die Befähigung zur Dimerisierung zum tricyclischen Phenoxazinonpeptid erlangte. Die spiegelsymmetrische Struktur des Actinomycins, die aus der monocyclischen Actinomycinhälfte resultiert, wird somit auf genetischer Ebene durch die inverted repeat Struktur des Genclusters reflektiert. Die Verdopplung des Genclusters könnten zum einen durch eine invertierte Genduplikation des Vorläufer-Clusters oder durch Fusion zweier orthologer Gencluster jeweils codierend für ein monocyclisches Pentapeptidlacton erklärbar sein (Abb. 80). Während der Evolution des Genclusters wären dann viele der doppelten Funktionen bzw. Gene, die doppelt vorlagen, verloren gegangen, insbesondere das zweite Set von Peptidsynthetase Genen, die aufgrund ihrer modularen Struktur viele directed repeats beheimaten und deswegen leicht durch Deletionen verloren gehen könnten, so dass das Actinomycin-Biosynthese-Gencluster in seine gegenwärtigen Form evolvierte (Keller und Crnovcic, in Vorbereitung).

Abbildung 82: Das Actinomycin-Biosynthese-Gencluster aus S. iakyrus. Blau: Actinomycin Synthetasen, weiß: Funktion unbekannt, rot: 4-MHA Biosynthese Gene, lila: Regulation, grün: Resistenz. NCBI Accession Nummer: FN824141.

Interessanterweise wurde vor kurzem das Actinomycin-Biosynthese-Gencluster aus Strepomyces iakyrus in Genbank abgelegt (Abb. 82). S. iakyrus produziert Actinomycine des G-Komplexes. Diese unterscheiden sich von Actinomycinen des C (S. chrysomallus) oder des X (S. antibioticus) Komplexes, dass neben verschiedenen Prolinanalogen in dem Pentapeptidlactonring auf der -Seite statt Threonin das 4-Chloro- oder 4-Hydroxythreonin eingebaut sein kann (Tabelle 1). Aufgrund dieser Modifikation kann das Threonin eine zusätzliche Bindung zu der 2-Aminogruppe des Phenoxazinon Chromophors ausbilden, was zu der in Abbildung 83 gezeigten tetracyclischen Strukturen resultiert.

Hierdurch unterscheidet sich die -Seite des Actinomycin G von der -Seite, so dass hier die nahezu spiegelsymmetrische Struktur der klassischen Actinomycine aufgehoben erscheint (Abb 83).

Ein Vergleich der Sequenz des S. iakyrus Actinomycin-Biosynthese-Genclusters mit der des S. chrysomallus Actinomycin-Biosynthese-Gencluster lieferte eine signifikant unterschiedliche Struktur. Dies konnte Aussagen über Genduplikation und Struktursymmetrie des produzierten Metaboliten erlauben (Abb. 82).

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Abbildung 83: Struktur der Actinomycine D, G3 und G5. Abbilungen nach Bitzer et al. 2009. Unterschiede zu Actinomycin D sind in rot gekennzeichnet.

Im Unterschied zum S. chrysomallus Actinomycin-Biosynthese-Gencluster hat das S. iakyrus Actinomycin-Biosynthese-Gencluster keine palindromische Struktur, in der sich 4-MHA Biosynthesegene und Selbstresistenzgene wiederholen. Alle bei S. chrysomallus doppelt vorkommenden Gene sind dort singulär (Tabelle 15). Auch ist die Anordnung dieser Gene eine andere und die Gesamtanzahl der Gene ist nicht zuletzt durch die Anwesenheit zahlreicher Aminosäuremodifikationen in den Peptidlactonringen, für deren Einführung wohl verschiedene Oxygenaseaktivitäten notwendig sind, größer. Jedoch ist die Anordnung der Gene der Actinomycin Synthetasen (ACMS) acmA,B,C,D (actG 2,2´,3´,1) exakt dieselbe (vergleiche Abb. 79 vs. 82).

Offensichtlich ist das ACMS (Core) Genensemble in der Natur hochkonserviert.

Bemerkenswerterweise liegen aber bei S. iakyrus die beiden NRPS Gene für die Assemblierung der Pentapeptidlactonringe ACMS II und ACMS III (acmB und acmC), in inverser Orientierung dupliziert vor, statt nur einmal wie bei S. chrysomallus. Die beiden Kopien sind getrennt voneinander durch Gene, unter denen sich wahrscheinlich die für die Halogenierung des Threonins verantwortlichen Halogenasegene befinden. Hieraus erhebt sich die Frage, ob die doppelte Ausführung der multimodularen NRPS Gene Folge einer Duplikation oder des früheren Zusammentretens zweier sehr ähnlicher Gencluster für ein monocyclisches Pentapeptidlacton mit anschließender Eliminierung überflüssiger doppelter Funktionen ist. So ist z. B. acmA,D nur einfach vorhanden, aber die NRPS Enzyme für die Pentapeptidlactonringe zweimal. Man könnte spekulieren, dass jeder der beiden ACMS II/III Gen-Sets spezialisierte Funktion besitzt, z. B. ein Gen-Set für die -Peptidseite und das zweite für die -Peptidseite, da sich die Pentapeptidlactonringe der beiden Seiten durch das 4-Chlorothreonin drastisch unterscheiden. Da der Chromophor wie bei den üblichen Actinomycinen von 4-MHA abstammt, ist natürlich nur ein einziges Initiationsmodul (acmA,D) erforderlich, welches sowohl mit den NRPS für die -Seite als auch mit denen für die -Seite gleich gut kooperieren würde.

Diese Spekulationen können jedoch nur durch Gendisruption in jedem der vier Peptidsynthetase

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Gene acmB1, acmC1 und acmB2, acmC2 und anschließende Analyse der entstehenden Aroylpentapeptidlactone gelöst werden.

ORF Funktionen der ORF´s Gen aus

S. chrysomallus

Höchste Ähnlichkeit zum Protein aus S. chrysomalus

(% Identität) (% Ähnlichkeit) actG12 Hypothetisches Protein

actG11 Ferredoxin

actG10 Cytochrom P450

actG9 Transposasefragment

actG8 UvrA-ähnliches Protein acmrC 54 69

actG7 Hypothetisches Protein acmS/acmE 47/61 64/74

actG6 Tryptophan 2,3-dioxygenase acmG 65 73

actG5 Methyltransferase acmL/acmI 65/66 77/75

actG4 LmbU-ähnliches Protein acmO/acmJ 53/55 66/67

actG3 Siderophor interagierendes Protein acmQ/acmV 56/57 71/70

actG2 Peptidsynthetase acmC 59 69

actG1 Peptidsynthetase acmB 59 68

actG1 Peptidsynthetase acmA 60 69

actG2 4-MHA Carrier Protein acmD 49 70

actG3 ABC Transporter ATP bindendes Protein acmrA/acmW 38/36 49/48 actG4 ABC Transporter Permease Untereinheit

actG5 TetR family Transkriptioneler Regulator acmP/acmU 55/55 65/65

actG6 Isomerase

actG7 Reductase

actG8 CypC P450 Hydroxylase acmM 68 54

actG9 -KG Halogenase

actG10 Peptidsynthetase acmC 53 64

actG11 Peptidsynthetase acmB 59 69

actG12 Arylformamidase acmF 59 67

actG13 Kynureninase acmH 67 76

actG14 Na/H Antiporter

actG15 MbtH-ähnliches Protein acmR 80 93

actG16 Hypothetisches Protein acmT 72 81

actG17 Hypothetisches Protein

Tabelle 15: Funktionen aller offenen Leserahmen (ORFs) welche sich im Actinomycin-Biosynthese-Gencluster von S. iakyrus befinden. Dargestellt sind die Identitäten und Ähnlichkeiten der einzelnen S. iakyrus Proteine zu den entsprechenden Homologen aus dem S. chrysomallus Actinomycin-Biosynthese-Gencluster. Das S. iakyrus Gencluster ist niedergelegt bei NCBI unter der Accession Nummer: FN824141.

Es wird erwartet, dass die zukünftige Bestimmung der Actinomycin-Biosynthese-Gencluster aus anderen Streptomyceten weitere Informationen über die Evolution der Gene und der Biochemie dieser hochinteressanten Verbindungen liefern wird.