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Religiöse Feiern

Im Dokument Die Serbisch-Orthodoxen in (Seite 65-145)

2. Religiöser Alltag

2.1 Religiöse Feiern

Alltagsleben ist in seiner materiellen und immateriellen Kultur voll von reli-giösen Bezügen.1 Um ein Bild relireli-giösen Alltagslebens der serbisch-orthodoxen Christen in der Herzegowina unter österreichisch-ungarischer Verwaltung zu zeichnen, untersuche ich die wichtigsten zeitlichen, räumlichen und sozialen Kristallisationspunkte kollektiven religiösen Lebens. Dabei betrachte ich reli-giöse Feiern vorrangig im ländlichen Raum, in dem die übergroße Mehrheit der Orthodoxen der Herzegowina lebte. Ich frage nach den Orten und Zeiten, den realen und imaginierten Kollektiven sowie den immanenten und transzenden-ten Bezügen der religiösen Feiern: Wann fanden religiöse Rituale eher im Rah-men der Familie, der Nachbarschaft, der Kirchgemeinde oder in Gruppen aus der weiteren Umgebung statt? Wann bildeten sich dabei multireligiöse Gruppen?

Wie waren die rituellen Rollen in den feiernden Kollektiven verteilt und wer lei-tete welche rituellen Feste? Wie gestallei-teten sich die Transzendenzbezüge? Wel-che Feiern waren die wichtigsten und wie veränderte sich ihr Stellenwert? Wo hatte außerdem die Trennung zwischen Heiligem und Profanem eine soziale Bedeutung? Diese Fragen spannen das Spektrum gemeinschaftlichen religiösen Lebens in einem vorrangig ländlichen, religiös vielfältigen Raum auf. Dabei wer-den unter dem Einfluss der neuen und intensivierten staatlichen als auch kirch-lichen Verwaltung die Bereiche religiösen Wandels deutlich.

Die Feier des Familienpatronats – die slava

Der primäre kollektive Rahmen und Ort der allermeisten religiösen Feste war die Familie. Sie war es, die einschließlich ihrer Ahnen, lebenden Angehörigen und zukünftigen Nachkommen das vorgestellte und reale Subjekt, Kollektiv und Bezugsobjekt der wichtigsten Feiern darstellte. Das größte und bedeutend-ste rituelle Fest im Leben der serbisch-orthodoxen Landbevölkerung war die slava, die Feier des christlich benannten Familien- oder Hauspatrons.2 Einmal

1 Vgl. u. a. Graf: Die Wiederkehr der Götter 33; McGuire, Meredith B.: Lived religion.

Faith and practice in everyday life. Oxford 2008, 13.

2 Vgl. Čajkanović: Mit i religija 223; 419; Dučić: Istorija SPC 269; Kaser, Karl: Ahnen-kult und Patriarchalismus auf dem Balkan. In: Historische Anthropologie 1/1 (1993), 93–122,

Religiöse Feiern 65 im Jahr feierte jede Großfamilie ihre je eigene slava. Dazu kamen an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen zahlreiche Gäste (zvanici) aus der weiteren Familie und der Nachbarschaft zusammen. Der Hausherr agierte als Stellvertreter der Familie und leitete die Feier.3 Gemeinsam mit den sozial und rituell wichtigsten Gästen der Feier sprach er im Verlauf des Festes wiederholt ritualisierte Segens-worte, sogenannte zdravice.

Die serbische ethnographische und religionssoziologische Forschung ist voll von Beschreibungen und Analysen dieses Festes.4 An dieser Stelle soll dabei da-nach gefragt werden, welche Gruppen unter wessen Leitung feierten, wer dem Fest Ende des 19. Jahrhunderts welche Bedeutungen zuwies und wie, wann und warum man versuchte das Fest zu reformieren.

An den slava-Feiern nahmen orthodoxe Priester hier und da teil, sie waren für sie aber nicht von zentraler Bedeutung. Wesentlich wichtiger waren die Gäste der nahen und fernen Verwandtschaft, aus der Nachbarschaft sowie Freunde der Familie. So feierte man häufig religiös gemischt, erbat und erteilte Segen für die Familie, tafelte, sang und tanzte. Die Gastfreundschaft drückte eine enge Be-ziehung aus, da von den Gastgebern erwartet wurde, auch die slava-Feiern ih-rer Gäste zu besuchen.5 Die zahlreichen Feiergäste und Mitglieder der Familie festigten durch die mehrtägige Feier den inneren Zusammenhalt der Familie.6 Auch galten natürlich die Ausgestaltung der Feier und die Zahl der Gäste als Gradmesser für die Stellung der Familie in der lokalen Gemeinschaft. Die slava-Feier stabilisierte so die innere Struktur der Familie und ihre Außenbeziehun-gen zur Nachbarschaft und zur lokalen Religionsgemeinschaft.

Der gemeinsame Hauspatron war das heilige Symbol der kollektiv leben-den und wirtschaftenleben-den Familie, für die patrilineare Abstammung, patriar-chale Ordnung und Patrilokalität eine wichtige Rolle spielte. Dabei gab es im

hier 96. Peter T. Alter bezeichnet die slava treffend als den Kristallisationspunkt der Volks-religiosität. Das Fest galt ihm zudem als ein Zeichen für den dezentralen Charakter der Ser-bisch-Orthodoxen Kirche. Alter, Peter T.: Nineteenth-century Serbian popular religion. The millet system and syncretism. In: Serbian studies 1–2/9 (1995), 88–103, hier 96.

3 Häufig wurde der Hausherr der slava-Feier in kirchlichen Quellen auch als kršnjak (Täufling) oder svečar (Jubilar) bezeichnet.

4 Hier nur einige ausgewählte Beispiele: Stefanović Vilovsky: Die Serben 166–174; Bandić:

Carstvo zemaljsko 239–254; Čajkanović: Mit i religija; Nedeljković, Mile: Slava u Srba. Beograd 1991; Kalezić, Dimitrije M.: Krsne slave u Srba. Beograd 1992.

5 Vgl. Bandić & Radulović: Narodno pravoslavlje 67.

6 Die meisten ethnologischen Arbeiten sprechen von einem dreitägigen Fest. Dučić: Isto-rija SPC 270; Dučić, Stevan: Život i običaji plemena Kuča. Beograd 1931, 243; Mitrović, Alek-sandar: Krsno ime nije ni patarenskog, ni srpskog, ni pravoslavnog postanka. In: GZMBH 24 (1912), 391–396; Grđić-Bjelokosić, Luka: Iz naroda i o narodu. Beograd 1985, 22. Đurić-Kozić spricht für die südöstliche Herzegowina auch von vier bis fünf Tage dauernden Festen. Đurić-Kozić: Šuma, Površ i Zupci 497. Vuk Karadžić bezeichnete die Herzegowina als einen Raum besonders langer und ausschweifender slava-Feiern: Karadžić, Vuk Stefanović: Srpski rječnik, istumačen njemačkijem i latinskijem riječima. Beograd 1898, 306.

ländlichen Raum der Herzegowina grundsätzlich zwei Typen von Familien – zum einen eine komplexe Hausgemeinschaft, die zadruga oder oft auch schlicht kuća (Haus),7 und zum anderen die Kernfamilie (inokosna porodica/inokoština).8 Joel Halpern definierte die zadruga als eine Verwandtschaftseinheit von min-destens zwei Kernfamilieneinheiten, die gemeinsam wohnen und arbeiten und die die Ressourcen des Haushalts kollektiv nutzen und kontrollieren. Gewöhn-lich waren die Vorstände der Kerneinheiten und die anderen Mitglieder der za-druga hauptsächlich patrilinear miteinander verwandt.9 Neben der komplexen zadruga gab es die erwähnte Kernfamilien aus Vater, Mutter und ihren gemein-samen Kindern. Familien, die ein gemeinsames Patronat feierten und in einer Region siedelten, gehörten häufig einer Bruderschaft (bra[t]stvo) an  – einem mehr oder minder engen Verband von Familien, die ihre Herkunft auf den-selben männlichen Ahnen zurückführten.10 Es gab zudem Bruderschaften, die gemeinsam einen Stamm (pleme) bildeten, sich also auf einen weiter zurücklie-genden Ahnherren beriefen. Nur die alteingesessenen Familien der Ostherzego-wina ordneten sich in die Konzepte von Bruderschaften und Stämmen ein und nutzten sie als ehrenhaften Ausweis ihrer Abstammung.11 Seit den 1880er Jahren vermischten Orthodoxe dabei zunehmend die Begriffe Bruderschaft und Stamm und benutzten sie undifferenziert und synonym füreinander. Auch daran zeigte sich ein fortschreitender Bedeutungsverlust von patrilinearen Kollektiven, aus denen sich kleinere familiäre Gruppen bildeten.

Nach den Erhebungen des Juristen, Historikers und Soziologen Valtazar Bo-gi šić12 aus Cavtat zählten in den 1870er Jahren in der östlichen Herzegowina die

7 Zur Diskussion um die Bezeichnungen, Charakteristiken und die Verbreitung unter-schiedlicher Familienformen auf dem Balkan: Kaser, Karl: Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan. Analyse einer untergehenden Kultur. Wien 1995, 36–60. Vgl. auch Mitterauer, Michael: Die Familie als historische Sozialform. In: Mitterauer, Michael/Sieder, Reinhard (Hg.): Vom Patriarchat zur Partnerschaft. München 1991, 21–45, hier 35–39.

8 Bogišić, Valtazar: O obliku nazvanom inokoština u seoskoj porodici Srba i Hrvata. In:

Ders.: Izabrana djela. Knj. 6: Članci i rasprave. Familija i nasljedstvo. Beograd, Podgorica 1999, 137–166.

9 Halpern, Joel Martin: Life course. A Balkan perspective. In: Kertzer, David I. (Hg.):

Family relations in life course perspective. Greenwich/Connecticut 1986, 211–235, hier 219.

10 Vgl. Novaković, Stojan: Krsna imena. Napomene za nova ispitivanja. In: Karadžić. List za srpski narodni život, običaje i predanje 6–7/2 (1900), 103–112, hier 104; Đurić-Kozić: Šuma, Površ i Zupci 495–497; Karadžić: Srpski rječnik (1898) 40; Erdeljanović, Jovan: Kuči, Brato-nožići, Piperi. Beograd 1981, 203–210.

11 Bogišić, Valtazar: Izabrana djela. Knj. 4: Pravni običaji u Crnoj Gori, Hercegovini i Al-baniji. Beograd, Podgorica 1999, 78–80.

12 Valtazar (Baltazar) Bogišić (1834–1908) führte in den 1870er Jahren rechtshistorische Forschungen in dalmatinischen, herzegowinischen, montenegrinischen und albanischen Gebieten durch. Er fragte vor allem nach Familienformen, Verwandtschaft, Teilung von Fa-milien, Erbschaft, Strafrecht, Blutrache und deren Befriedung. Zur Entstehung und Durch-führung seiner Erhebungen vgl. Nikčević, Tomica: Predgovor. In: Bogišić: Izabrana djela (4) 13–26. Zu seiner Person und seiner geistesgeschichtlichen Verortung vgl. Roksandić, Drago/

Religiöse Feiern 67 meisten Familien 10–20 Angehörige, nur ein kleiner Teil der Familien weniger, einige jedoch bis zu 40 Mitglieder.13 Somit machten in der Herzegowina über die Hälfte der orthodoxen Familien komplexe Hausgemeinschaften aus, die meh-rere Kernfamilien umfassten.14 Nach dem Ethnologen Jevto Dedijer, der eben-falls Ende des 19. Jahrhunderts in der Herzegowina forschte, lebten große und komplexe patrilineare Familienverbände in der Herzegowina vorrangig im nord-östlichen Teil.15 Komplexe Familien und Kernfamilien unterschieden sich dabei vor allem in der Größe ihrer Mitglieder und weniger im Verständnis von mate-riellem und ideellem Besitz, der in beiden Fällen kollektiv verstanden wurde.16

Feierten ganze Dörfer das gleiche Patronat, war dies oft ein Hinweis auf die verwandtschaftlichen Verbindungen der Familien in der väterlichen Linie. Es gab allerdings auch Fälle, in denen zugezogene Familien aus sozialen und öko-nomischen Gründen lokal übliche Patronate übernahmen oder sie zusätzlich zu ihren ererbten Feiern begingen.17 Hauspatrone verdeutlichten zum einen die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer patrilinear begriffenen Abstammungs-gruppe. Sie zeigen zum anderen aber auch, dass Patronate flexibel gewählt und Ahnenkulte auch aktiv neu gestiftet werden konnten.

Max Weber betonte den Zusammenhang zwischen häuslichen Ahnenkul-ten und patriarchalen Strukturen familiärer GemeinschafAhnenkul-ten. In der Stärke des Haus- und Ahnenkultes zeigte sich für ihn eine strukturelle Schwäche des or-ganisierten Priestertums.18 Niklas Luhmann wies in Religion der Gesellschaft in

Janković, Dragoslav (Hg.): Baltazar Bogišić i njegovo doba u intelektualnohistorijskoj per-spektivi. Zagreb 2012; Zimmermann, Werner Gabriel: Valtazar Bogišić 1834–1908. Ein Bei-trag zur südslavischen Geistes- und Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert. Wiesbaden 1962.

13 Nach Angaben von Bogišićs Informanten hatten um 1870 die größten orthodoxen Fa-milien in der Herzegowina bis zu 40 Mitglieder. Sie machten etwa 5 % der FaFa-milien aus. Ein Viertel der Familien umfasste etwa 20 Mitglieder und rund 40 % 10–15 Mitglieder. Der Rest der Familien zählte weniger als 10 Mitglieder. Bogišić: Izabrana djela (4) 30, 48. Ähnliche Zahlen auch bei: Grđić-Bjelokosić: Iz naroda i o narodu 137. Nach den in den 1930er Jahren gesammelten Daten zählten die größten Familien in der südöstlichen Herzegowina bis zu 30 Mitglieder, wobei unklar blieb welchen Anteil solche Familien ausmachten. Zumindest verkleinerten sich damit die größten Familienverbände von den 1870ern bis in die 1930er Jahre. Mićević, Ljubo: Život i običaji Popovaca. Beograd 1952, 130.

14 Bogišić: Izabrana djela (4) 129–137.

15 Dedijer, Jevto: Hercegovina. In: Ders./Đurić-Kozić, Obren/Filipović, Milenko S./Miće-vić, Ljubo (Hg.): Hercegovina. Antropogeografske studije. Gacko 2010, 7–453, hier 138.

16 Miler, Ernest: Die Hauskommunion der Südslaven. In: Jahrbuch der Internationalen Vereinigung für Vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin 3 (1898), 199–222, hier 215 f.

17 Đorđević: Naš narodni život (1923) 49; Mihić, Ljubo J.: Ljubinje sa okolinom. Ljubinje 1975, 834; Puljić, Mato: Pučka religioznost na tlu trebinjske biskupije. In: Puljić, Ivica (Hg.):

Tisuću godina trebinjske biskupije. Sarajevo 1988, 199–207, hier 201.

18 Weber: Wirtschaft und Gesellschaft 326. Karl Kaser kommt aus historisch-anthro-pologischer Sicht zu ähnlichen Befunden: »Auffallend ist, daß in Gebieten mit großer Bedeu-tung von Patrilinearität der Verehrung der männlichen Ahnen hohe BedeuBedeu-tung zukommt.

eine ähnliche Richtung. Zum Verhältnis von religiöser Organisation und tradi-tionaler Kultpraxis im Mittelalter schrieb er:

[Religiöse] Organisation vermittelt zwischen der religiösen Sinngebung […] und der täglichen Praxis spezifisch religiösen Verhaltens. Sie tritt damit (auch wenn sie Kulte veranstaltet) an die Stelle, die in der alten Welt die Kulte eingenommen hatten – sei es als Ahnenkulte in den Familien, sei es als gesellschaftlich institutionalisierte Rituale.19 Mit der Einnahme der Stelle eines Kultes durch eine religiöse Organisation meinte Luhmann konkret, dass ihre Experten die traditionellen Experten ver-drängten und ersetzten. Weber und Luhmann hoben damit die Verknüpfung von familiären und traditionalen gegenüber außerfamiliären und organisier-ten religiösen Kulorganisier-ten hervor. Damit stellorganisier-ten sie einen Zusammenhang zwischen dem Wandel von familiärer zu außerfamiliärer Kultpraxis und der parallelen Entwicklung von religiöser Organisation her. Die von Weber als synchron und interdependent bezeichneten Strukturphänomene von Patriarchalität, religiö-sem Ahnenkult und einer schwach organisierten Priesterschaft stechen in der Herzegowina geradezu ins Auge. Die religiöse, rituelle Verehrung der Ahnen und die patriarchal strukturierten Hausgemeinschaften stützten sich gegen-seitig und boten religiösen Experten von außerhalb der Familien nur geringe Möglichkeiten einer Beeinflussung.

Die Hauspatronsfeier hatte unter der slawischen Bevölkerung regional ver-schiedene Bezeichnungen: Man sprach von der slava (Feier > slaviti – feiern, verehren), krsno ime (Taufname) oder krsna slava (Tauffeier), sveti/svetac/sveto (Heiliger, Heiliges), slavlje/blag dan (Feier) oder služba/sluga (Dienst).20 Die Be-zeichnung der Feier beinhaltete oft eine Erklärung ihrer Herkunft. Vuk Kara-džić behandelte die Hauspatronsfeier in seinem serbischen Wörterbuch von 1818 und den nachfolgenden Auflagen bis 1898 unter dem Lemma ›krsno ime‹

(Taufname) und verwies unter ›slava‹ auf ersteres.21 In der Herzegowina schrie-ben Geistliche in den allermeisten Fällen über die Feier als Taufname (krsno ime) oder Tauf-slava (krsna slava), wobei es durchaus möglich scheint, dass die Bezeichnung unter Verwendung des Begriffes ›Taufe‹ den christlichen Ursprung und Charakter der Feier hervorheben sollte. Karl Kaser vermutete, dass die

Be-Dies trifft speziell auf die westlichen Balkangebiete zu, wo vorchristlicher Ahnenkult in ver-christlichter Form der jährlichen Hauspatronsfeier bis heute ausgeübt wird.« Kaser, Karl:

Macht und Erbe. Männerherrschaft, Besitz und Familie im östlichen Europa (1500–1900).

Wien 2000, 192.

19 Luhmann: Die Religion der Gesellschaft 227.

20 Vgl. Dučić: Istorija SPC 268; Puljić: Pučka religioznost 200. Grubač, Svetozar: Krsno ime ili slava. In: Istočnik 11–12/18 (1904), 164–169, hier 165; Kalezić: Krsne slave u Srba 4.

21 Vgl. das Lemma ›krsno ime‹ (Taufname) in der ersten und dritten Ausgabe des serbi-schen Wörterbuchs: Karadžić, Vuk Stefanović: Srpski rječnik, istolkovan njemačkim i latin-skim riječma. (Wolf Stephansohn’s Deutsch-Serbisch-Lateinisches Wörterbuch). Wien 1818, 790; Ders.: Srpski rječnik (1898) 306.

Religiöse Feiern 69 zeichnung slava erst mit der Entwicklung des Schulwesens im 19. Jahrhundert in Serbien in Gebrauch kam und ursprünglich nur von der Taufnamensfeier die Rede war.22 Mir erscheint dagegen die Bezeichnung slava als die ältere, da sie schlicht die wichtigste Feier bezeichnete. Im Begriff der Taufnamensfeier (krsno ime/krsna slava) lag bereits eine christliche Ursprungserklärung der Feier, dass nämlich die heidnischen Urahnen der Familien am Tag ihrer Taufe den Namen des Tagespatrons als Schutzheiligen übernommen hätten.23 Obwohl Historiker, Ethnologen und sogar Geistliche schrittweise ab den 1880er Jahren diese Er-klärung verwarfen und den Ursprung vielmehr in vorchristlichen Feiern slawi-scher Hausgötter oder römislawi-scher Herdgeister sahen,24 war und ist sie bis heute weit verbreitet. Welche Bezeichnung in der Herzegowina die ältere war und wel-che eine kirchlich christianisierte Form darstellte, lässt sich jedoch nicht siwel-cher klären. Ich verwende den bis heute am weitesten verbreiteten Namen slava als Analysebegriff, benutze aber jeweils auch die unterschiedlichen Quellenbegriffe wie Taufname und Tauf-slava.

Stärkeren Einfluss auf das religiöse Leben der Gläubigen begann die ortho-doxe Kirchenhierarchie in der Herzegowina erst nach Ablösung des phanario-tischen Bischofs Ignatije im Jahre 1888 zu gewinnen. Sein zweiter Nachfolger, Bischof Serafim, war sich der zentralen Bedeutung der slava-Feier im ortho-doxen Volk bewusst. Neben einer ganzen Reihe von Reformen forderte er bereits im Juni 1889, die Gemeindepfarrer sollten genaue Beschreibungen der slava-Feier sowie Listen über die von den Familien gefeierten Heiligen erstellen.25 Se-rafim schrieb, er wolle damit »aus der Mitte des serbischen Volkes sammeln, was da heilig, schön und gut ist, und das sind eben die serbischen volkstüm-lichen Taufnamen [, die slava-Feiertage].«26 Bildreich erläuterte er die immense

22 Kaser: Ahnenkult und Patriarchalismus 95. Ohne Argumente dafür zu liefern ist der-selben Meinung: Kalezić: Krsne slave u Srba 3–5.

23 Erklärungen des christlichen Ursprungs der slava in der Taufe der Familien- oder Stammesvorfahren, vgl. u. a. Karadžić, Vuk Stefanović: Život i običaji naroda srpskoga. Beč 1867, 69; Petranović, Bogoljub: Običaji srpskog naroda u Bosni. In: Glasnik Srpskog Učenog Društva 30 (1871), 313–361, hier 313; Stefanović Vilovsky: Die Serben 167. Grubač, Svetozar:

Krsno ime ili slava. In: Istočnik 11–12/18 (1904), 164–169, hier 164 f.; Grujić: Pravoslavna srpska crkva 11 f. Zweifel meldete bei dieser Erklärung an: Jireček: Geschichte der Serben (I) 180 f. Auch zeitgenössisch taucht diese Erklärung wiederholt in populärwissenschaftlichen Arbeiten auf: Novaković, Nenad: Pravoslavni pojmovnik. Banja Luka, Beograd 2008, 108.

24 Deutung des Ursprunges der slava vorrangig über vorchristliche Ahnenriten: Nodilo, Natko: Stara vjera Srba i Hrvata. Beograd 2003, 304; Ružitschitsch: Das kirchlich-religiöse Le-ben bei den SerLe-ben, 46 f.; Grđić-Bjelokosić: Iz naroda i o narodu 7; Mitrović: Krsno ime. Vgl.

auch Darstellungen und Kontroversen der letzten Jahrzehnte: Kulišić, Špiro/Petrović, Petar Ž./Pantelić, Nikola: Srpski mitološki rečnik. Beograd 1998, 259.

25 Rundschreiben des Bischofs Serafim an die gesamte Pfarrgeistlichkeit der Eparchie Zahumlje-Herzegowina br. 388, Mostar 2.6.1889. AHNKŽ, SPPUT 106/1889 Archivschachtel (kutija, fortan k.) 1888–1896.

26 Ebd.

Bedeutung der slava für das Fortbestehen der Serben über die Jahrhunderte der Unfreiheit und schloss mit der eindringlichen Bitte:

Priester! Wenn ihr all dies wisst und versteht, bemüht Euch, dieses Heiligtum im Volke zu bewahren. Schämt euch nicht für das Volk, egal welchen Ranges oder Stan-des es ist, denn auch sie sind die Söhne der heiligen orthodoxen Kirche.27

Serafim folgte dem Vorbild Sarajevos, von wo er das Rundschreiben übernom-men hatte.28 Die ab den 1880er Jahren durch die neue österreichisch-ungari-sche Verwaltung völlig neu gestaltete und institutionell gestärkte hohe Kirchen-verwaltung verfolgte klare Intentionen. In Bosnien-Herzegowina handelte es sich in den ersten Jahrzehnten österreichisch-ungarischer Verwaltung um eine Phase vielfältiger innerer Strukturierung, Normierung, Institutionalisierung und Professionalisierung der religiösen Organisationen. Gleichzeitig legte sich die Geistlichkeit nicht zuletzt mit dem Blick nach ›außen‹ auf ›eigene‹ religiöse Inhalte und Formen fest. Dies war Konfessionalisierung von Seiten der staat-licherseits unterstützten Geistlichkeit.

Den Fragen und Forderungen zur slava lag die Absicht des Bischofs zugrunde, in einer Zeit beschleunigten sozialen Wandels und in einem religiös vielfältigen Raum jene Riten zu besetzen, zu stützen und in ihren theologischen Grundlagen auszubauen, die als konstitutive konfessionelle Merkmale vor allem gegenüber den theologisch Nächsten, den Katholiken, dienen konnten. Dass die Wahl auf die slava fiel, ist wenig verwunderlich. Sie war im Balkanraum unter slawischen Orthodoxen stark verbreitet. Aber auch Katholiken und Muslime begingen das Fest.29 Bereits der Begründer der Serbisch-Orthodoxen Kirche, Erzbischof Sava, hatte sie im 13. Jahrhundert als christlichen Feiertag befürwortet.30

Dank der Aufforderung des Bischofs, Daten aus den Gemeinden zu sen-den, entstanden einige Beschreibungen orthodoxen religiösen Alltagslebens von herzegowinischen Dorfpfarrern. Pfarrer Marko Danilović aus der Gemeinde Dživar bei Trebinje, in der etwa Tausend Gläubige lebten,31 schrieb einen Bericht, in dem er in mehreren Punkten die Kirchen der Gemeinde, ihren Besitz und ihre Einrichtung sowie die begangenen religiösen Feste beschrieb. Dabei ging er auf die religiösen Bräuche seiner Gemeindemitglieder ein, an erster Stelle und am ausführlichsten auf die slava in seiner Gemeinde:

27 Ebd.

28 Rundschreiben des Konsistoriums der Eparchie Dabar-Bosna in Sarajevo, 1.1.1884. In:

Istočnik 10/2 (1888), 164; vgl. auch den Bericht über den dritten Schematismus der Eparchie Dabar-Bosna 1884–1886 mit ähnlichen Aufforderungen an die Priester: Bosanska vila 21/1 (1886), 335 f.

29 Reinhard: Konfession und Konfessionalisierung 186.

30 Vgl. Bandić: Carstvo zemaljsko 240.

31 Popović, Patrikije J. (Hg.): Šematizam Srpsko-pravoslavne Mitopolije i Arhidijeceze hercegovačko-zahumske. Sarajevo 1890.

Religiöse Feiern 71 [Z]um Brauch des Taufnamens [krsno ime] kommt das Volk in die Kirche und bringt rituellen Wein [pune]32 und die Ahnenliste [čitula]33 und gekochten Weizen [panaija]34 und eine Kerze. Nach dem Ende des Gottesdienstes verliest der Priester die Namen aller Toten [von der Ahnenliste], jeder Hausherr geht mit seinen Freun-den nach Hause und entzündet seine slava-Kerze [krsna svijeća]. Sie trinken zu Ehren Gottes und er [der Hausherr] bricht sein slava-Brot [krsni ljeb]. Der Hausherr hält die slava-Kerze mit entblößtem Haupt und betet zu Gott. Wenn ein Priester anwesend ist, beweihräuchert und begießt er das slava-Brot mit Wein und liest das Troparion und

Religiöse Feiern 71 [Z]um Brauch des Taufnamens [krsno ime] kommt das Volk in die Kirche und bringt rituellen Wein [pune]32 und die Ahnenliste [čitula]33 und gekochten Weizen [panaija]34 und eine Kerze. Nach dem Ende des Gottesdienstes verliest der Priester die Namen aller Toten [von der Ahnenliste], jeder Hausherr geht mit seinen Freun-den nach Hause und entzündet seine slava-Kerze [krsna svijeća]. Sie trinken zu Ehren Gottes und er [der Hausherr] bricht sein slava-Brot [krsni ljeb]. Der Hausherr hält die slava-Kerze mit entblößtem Haupt und betet zu Gott. Wenn ein Priester anwesend ist, beweihräuchert und begießt er das slava-Brot mit Wein und liest das Troparion und

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