• Keine Ergebnisse gefunden

Die Herzegowina – Bergland, Grenzland, Hinterland

Im Dokument Die Serbisch-Orthodoxen in (Seite 53-62)

1. Historische Rahmungen – Glauben, Kirche, Herrschaft und Raum

1.3 Die Herzegowina – Bergland, Grenzland, Hinterland

Die Herzegowina besteht aus Teilen der historischen Regionen Zahum/Hum und Travunia. Der Name der östlichen Region Travunia stammte wohl von dem Fluss, der heutigen Trebišnjica; jener von Zahum/Hum bedeutete schlicht Bergland oder Land jenseits der Berge.44 Obwohl unter den Gebieten zeitweise auch Küstengebiete gemeint waren, verstand man unter Zahum und Travunia meist die mehr oder minder schwer zugänglichen Gebiete im gebirgigen Hin-terland der Küste. Die geographische Nähe zur Adria und die naturräumliche Ab geschiedenheit der Gebirgsregionen waren jahrhundertelang prägend für die kulturellen und religiösen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen von Zahum und Travunia. In der Antike lagen sie größtenteils jenseits der Grenze

41 Ćorović, Vladimir: Mostar i njegova srpska pravoslavna opština. Beograd 1933, 42–46.

In Sarajevo existierte seit dem 17. Jahrhundert eine Art Kirchenstatut, das jährliche Laien-versammlungen, die Wahl ihrer Vertreter und deren Verwaltungshoheit über Kirchengüter festlegte. Die Veränderungen ab dem Ende des 18. Jahrhundert sind unbekannt. Vrankić: Re-ligion und Politik 237–239.

42 »Kleine beeidete Verfassung, die alle zu befolgen haben [Mali ustav pod zakletvom da ga imaju svi ispunjavati]«. In: Pamučina: Početak dolaska 257. Vgl. darüber auch Ćorović:

Mostar i njegova srpska pravoslavna opština 49–51; Radulović: Režim fanariota 49 f.

43 Pamučina: Početak dolaska 257.

44 Für die Regionen gibt es über die Jahrhunderte in unterschiedlichen Sprachen eine Vielzahl von Bezeichnungen:

Hum, Hlm, Zahum/Zachlumia/Zahumlje, Chelmum/Culmia/terra de Chelmo (Bergland bzw. Land jenseits der Berge – also von Dalmatien aus bezeichnet);

Travunia, Tribunia, Terbunia, Trovunia auch Trebinje (wohl nach dem Fluss, der heu-tigen Trebišnjica, unwahrscheinlicher erscheint die Benennung nach einer religiösen Kult-stätte [slav. trebište]).

Die Herzegowina – Bergland, Grenzland, Hinterland 53 des intensiven Einflusses der römischen Zivilisation. Im 4. Jahrhundert kam mit der Teilung des Römischen Reiches zur kulturellen Nord-Süd-Grenze wie beschrieben eine politische Grenze in Ost-West-Richtung hinzu, die bald auch Folgen für die kirchlich-religiöse Sphäre hatte.

Konflikthaft wurde die kirchliche Ost-West-Grenze in Zahum und Travunia jedoch erst im 13. Jahrhundert. Das gebirgige westbalkanische Hinterland45 war bis ins 6. Jahrhundert kaum christianisiert. Mit der slawischen Einwanderung im 6. und 7. Jahrhundert gerieten die wenigen christlichen Verwaltungsstruk-turen und Kirchen dort unter Druck,46 sodass erst ab dem 8. Jahrhundert von nachhaltigem Kirchenaufbau und Christianisierung der Bevölkerung gespro-chen werden kann. Etwa seit dem Ende des 9. Jahrhunderts existierten in den Regionen Kirchenorganisationen, die zumindest den Anspruch erhoben, das gebirgige Hinterland zu verwalten. Zahum/Hum war entlang der Neretva von der Küste relativ leicht zu erschließen, nach Travunia gelangte man von Süden nur über zwei, drei Gebirgspässe. So besaß das westlicher gelegene Hum einen Bischof in der Adriastadt Stagnum/Ston, das östlich davon bis zur Bucht von Cattarus/Cattaro reichende Travunia hatte um die Jahrtausendwende schon einen Bischof jenseits der Berge, wahrscheinlich im Kloster des hl. Petrus, in der Nähe des heutigen Trebinjes. Die Bistümer Hum und Travunia waren Suf-fragane romtreuer Erzbistümer, wobei Spalato/Split, Antibarum/Bar und spä-ter auch Ragusa/Dubrovnik um die Oberhoheit konkurrierten.47 Im politischen

45 Unter dem Begriff Balkan(-raum) werden in dieser Arbeit jene Gebiete südlich der Unterläufe von Save und Donau verstanden, die sich bis ins 18.  und 19.  Jahrhundert un-ter osmanischer Herrschaft befanden und die ein starkes, keineswegs ausschließliches, ost-römisch-orthodoxes Erbe aufwiesen. Der Begriff westlicher Balkan stammt zudem nicht, wie oft behauptet, aus dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Gerade in kirchenhistorischen Arbeiten taucht er sowohl auf deutsch als auch auf serbisch/serbokroatisch spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts auf und wurde gerade für die jahrhundertelangen fluiden Grenzräume zwischen Orthodoxie und Katholizismus in Südosteuropa verwendet. Zum Begriff West-balkan vgl. etwa Pfeilschifter: Die Balkanfrage; Grujić: Pravoslavna srpska crkva; Hudal: Die serbisch-orthodoxe Nationalkirche.

46 Vgl. Jelenić, Julijan: Kultura i bosanski franjevci. Sv. I. Sarajevo 1990, 15; Andrić, Ivo:

Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herr-schaft. Klagenfurt 2011; Imamović, Enver: Prostor Bosne i Hercegovine u prethistoriji i antici.

In: Bosna i Hercegovina od najstarijih vremena. Sarajevo 1998, 13–41, hier 36–39; Hudal: Die serbisch-orthodoxe Nationalkirche 2 f.; Džaja, Srećko M.: Die »Bosnische Kirche« und das Islamisierungsproblem Bosniens und der Herzegowina in den Forschungen nach dem Zwei-ten Weltkrieg. München 1978, 35; Fine: The early medieval Balkans 25–29; Lovrenović, Du-bravko: Od slavenskog naseljavanja do Bana Kulina (VIIXII st.). In: Bosna i Hercegovina od najstarijih vremena 43–56, hier 43 f.

47 Vgl. Jireček: Geschichte der Serben (I); Ćorović, Vladimir: Značaj humske episkopije. In:

Ćosović, Stevo (Hg.): Episkopija zahumsko-hercegovačka. Beograd 2006, 15–36, hier 15–20;

Tošić, Đuro: Trebinjska oblast u srednjem vijeku. Beograd 1998; Blagojević, Miloš: Zahumsko-hercegovačka episkopija i mitropolija. Od osnivanja do kraja XIX veka. Beograd 2009, 9–12;

Janković, Milica/Janković, Đorđe: Trebinje od 7. do 12. stoleća. In: Tribunia 12 (2009), 35–50.

Sinne gehörten diese westbalkanischen Regionen im Hinterland der Adriaküste dabei vom 5. bis ins 10. Jahrhundert mehrheitlich zum Oströmischen Reich.48

Als im 12. Jahrhundert die serbische Nemanjidenherrschaft auf die Gebiete Travunia und Hum ausgriff, blieben zunächst die kirchlichen Strukturen mit ihren Bindungen an Rom bestehen. Nach der Erhebung der Eparchie Rascien/

Raška zum Erzbistum ließ Metropolit Sava jedoch die Bindungen Hums zu ka-tholischen Erzbistümern kappen und setzte dort kurze Zeit nach 1219 einen eige-nen Bischof ein. Den örtlichen romtreuen Bischof vertrieb man nach wenigen Jahrzehnten. Obwohl sich die katholischen und orthodoxen Kirchenhierarchien auf dem westlichen Balkan bis ins 13. Jahrhundert kaum in ihren religiösen Leh-ren und Praktiken unterschieden,49 standen sie sich aufgrund ihrer herrschaft-lichen Anbindung kompetitiv gegenüber. Zahum wurde in dieser Konkurrenz zum wichtigen Grenzbistum der Orthodoxie im Westen, dem im 13. Jahrhun-dert große Gebiete im Norden und Osten zugeschlagen wurden – unter ande-rem die Diözese Travunia.50

Auch den katholischen Bischof von Travunia vertrieb der serbische König Mitte des 13. Jahrhundert in Richtung Ragusa. Das katholische Bistum Travunia existierte dabei nominell und im Amt des Bischofs weiter – auf der Insel Mer-cano/Mrkan, unweit von Ragusa. Bis ins 19. Jahrhundert bestanden jedoch nur marginale Bindungen des Bischofs zu seinen Gläubigen jenseits der Berge. Seit Anfang des 19.  Jahrhunderts verwaltete der Bischof von Ragusa die Diözese Trebinje- Mrkan und 1890 unterstellte sie Rom der Verwaltung des Bischofs von Mostar-Duvno.51 In der praktischen Seelsorge ist die Herzegowina dadurch für

48 Grujić: Pravoslavna srpska crkva 5 f.; Slijepčević: Istorija Srpske pravoslavne crkve (1) 33–37.

49 So lebte etwa der katholische Erzbischof Dabralis von Spalato im 11. Jahrhundert -offen mit Frau und Kindern zusammen. Auch das Erzbistum Antivari musste noch 1199 Be-schlüsse gegen die Priesterehe erlassen und den Geistlichen als Zeichen der Abgrenzung ge-genüber den Orthodoxen die Entfernung ihrer langen Bärte vorschreiben. Jireček: Geschichte der Serben (I) 219.

50 Aus diesem Grund nannten sich die orthodoxen Bischöfe von Hum bis ins 20. Jahr-hundert hinein Bischöfe von Zahumlje, der Herzegowina und von Obermösien (Moesia superior/Gornja Mezija/Mizija), einer Provinz des Römischen Reiches südlich der unteren Donau. Im 16. und 17. Jahrhundert gab es dabei oft zwei, zeitweise sogar drei Bischöfe inner-halb der Eparchie der Herzegowina, was nicht ungewöhnlich war.

51 Nach seiner Flucht erhielt der Bischof von Travunia/Trebinje vom Ragusaner Erz-bischof einige kleine Inseln, darunter Mercano/M(a)rkan. Seine Nachfolger bezeichneten sich daher ab dem frühen 14. Jahrhundert als episcopi Mercane. Erst im 15. Jahrhundert be-sannen sich die katholischen Bischöfe des Amtes ihrer Vorgänger und nannten sich nun Bi-schöfe von Trebinje und Mrkan (marcanensis et tribuniensis). Auf das Gebiet jenseits der Berge und seine seine katholischen Gläubigen hatten sie von Dalmatien aus jedoch in osma-nischer Zeit nur sehr geringen Einfluss. Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb daher der ortho-doxe Mönch Joanikije Pamučina hämisch, die katholischen Bischöfe von Trebinje hätten sich genauso auch Bischof von Jerusalem oder Konstantinopel nennen können – das Verhältnis

Die Herzegowina – Bergland, Grenzland, Hinterland 55 Katholiken seit Jahrhunderten entlang der Neretva zweigeteilt, da östlich davon vor allem Weltgeistliche, westlich seit dem 14. Jahrhundert vor allem Franziska-ner wirken.

Im 14. Jahrhudnert gerieten Zahum und Travunia unter die Dominanz des bosnischen Fürsten, später Königs. Das vergrößerte Bosnien umfasste damit neben katholischen Kirchenstrukturen und jenen der unabhängigen heterodoxen Bosnischen Kirche52 nun auch orthodoxe kirchliche Strukturen. Gerade in -Zahum und Travunia wurden die verflochtenen weltlich-politischen und kirch-lichen Verhältnisse dadurch komplexer und wechselhafter. War die bosnische Zentralmacht ohnehin von meist schwacher Intensität, so löste sich in den 1430er Jahren der Feudalherr von Hum, Stjepan Vukčić Kosača, von der Ober-hoheit des bosnischen Königs. Wie viele seiner Zeitgenossen akzeptierte er hier-für zeitweise bereits die osmanische Oberhoheit.

Vukčić Kosača stammte wohl aus einer orthodoxen Familie, bekannte sich zum Katholizismus und nahm die letzten Anhänger der Bosnischen Kirche auf, nachdem diese aus Bosnien vertrieben worden waren. Als Folge seiner Eroberun-gen und seines Machtgewinns nannte er sich ab 1448/1449 »Herzog von Hum und des Küstenlandes« sowie »Herzog des Heiligen Savas« (dux sancti Savae/Sabbae).

Letzteres gründete darauf, dass das orthodoxe Kloster Mileševa seit dieser Zeit zu seiner Herrschaft gehörte, in dem die Reliquien des Heiligen Savas verwahrt wurden. Sein Herrschaftsgebiet – (Za-)Hum und Travunia nannte man von da an zunehmend Herzogsland – Hercegovina.53 Allein die weltlich-politischen und religiösen Zugehörigkeiten und Allianzen der Familie des ›Begründers‹ der Her-zegowina verdeutlichen nicht erst im 15. Jahrhundert die religiöse Vielfalt und Wechselhaftigkeit in der Herzegowina. So floh Stjepan Vukčić Kosačas Tochter

zwischen Anspruch und Wirklichkeit wäre das gleiche geblieben. Pamučina, Joanikije: Tri vjerozakona u Hercegovini. In: Ders.: Sabrana djela. Bileća 2005, 213–243, hier 239.

Zur Entwicklung der katholischen Diözese Trebinje-Mrkan vgl. die Ausarbeitung des Me-diävisten und habsburgischen Regierungsrates Ludwig von Thallóczy für die LR, 15.5.1889;

ABH, ZMFPrBH 789/1889 sowie Jireček, Konstantin: Geschichte der Serben. Bd. II, erste Hälfte: (1371–1537). Gotha 1918, 22 f.; Papac, Mitar: Trebinjska biskupija sredinom XIX. stoljeća. In: Vrela i prinosi. Zbornik za povijest Isusovačkoga reda u hrvatskim krajevima 8 (1938), 83–102; Puljić, Ivica: Trebinjsko-mrkanska biskupija u XIX. stoljeću. In: Babić, Petar/

Zovkić, Mato (Hg.): Katolička crkva u Bosni i Hercegovini u XIX i XX stoljeću. Sarajevo 1986, 91–120; Brajko, Ante: Pravno-povijesni položaj trebinjsko-mrkanjske biskupije. In: Puljić, Ivica (Hg.): Tisuću godina trebinjske biskupije. Sarajevo 1988, 217–230; Vukšić: Međusobni odnosi 37–42; Vrankić: Religion und Politik 321, 337 f.

52 Zum Phänomen der vieldiskutierten Bosnischen Kirche vgl. auswahlweise: Džaja: Die

»Bosnische Kirche« 36–67; Malcolm, Noel: Geschichte Bosniens. Frankfurt am Main 1996, 31–62; Fine: The late medieval Balkans 17–21, 43–48, 142–149; Ders.: The Bosnian church. It’s place in state and society from the thirteenth to the fifteenth century: a new interpretation.

London 2007.

53 Vgl. Jireček: Geschichte der Serben (II) 188–190; Velikonja: Religious separation and politcal intolerance 38 f.

Katarina, die Frau eines der letzten bosnischen Könige, nach der osmanischen Eroberung des Landes 1463 nach Rom, wo sie nach ihrem Tod von der katho-lischen Kirche selig gesprochen wurde. Stjepans Sohn, Katarinas Bruder, konver-tierte nach der osmanischen Eroberung zum Islam, heirate eine Sultanstochter und wurde als Hersekoğlu Ahmed paşa Großwesir des Osmanischen Reiches.54 Die osmanische Herrschaft prägte den Balkan in vielerlei Hinsicht nachhaltig.

Einen solchen Wandel stellten ab dem 16. Jahrhundert die massenhaften Konver-sionen von Orthodoxen und Katholiken zum Islam dar. Obwohl oder weil sich dieses Schlüsselphänomen der bosnischen Geschichte monokausalen Erklärun-gen entzieht, wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts heftig um die Ursachen und Zwecke, den Zeitpunkt und die ethno-religiöse Herkunft der Konvertiten ge-stritten.55 Zu Katholiken, Orthodoxen und Muslimen kamen im 16. Jahrhundert noch sephardische Juden, die das Osmanische Reich nach der Reconquista aus Spanien aufnahm.

Im selben Jahrhundert kristallisierte sich in direkter östlicher Nachbarschaft der Herzegowina ein neuer politischer wie religiöser Akteur heraus: Hier ver-selbstständigte sich in der entlegenen Gebirgsregion Montenegros ein autoch-thones orthodoxes Fürstbistum, das von mehreren Stämmen getragen wurde.

Bis ins 19. Jahrhundert regierte hier eine theokratische Dynastie von orthodoxen Fürstbischöfen. Das Osmanische Reich hatte in diesen schwer zugänglichen Ge-birgsregionen nie dauerhaft direkte Herrschaft ausüben können. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts musste die Hohe Pforte das unter russischer Protektion stehende orthodoxe Fürstentum faktisch anerkennen. Ende des 18. Jahrhunderts gerieten auch südlich der Herzegowina die Verhältnisse in Bewegung als die Republiken Venedig und Ragusa zusammenbrachen. Nach einem kurzen Intermezzo durch Napoleon profitierte davon vor allem das Habsburger Reich. Die Herzegowina er-hielt damit in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts an alten Grenzen neue Nachbarn – Habsburg und das immer selbstbewusster auftretende Montenegro.

Hinzu kam in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert das autonome Ser-bien, welches bald an politischer Bedeutung für den westlichen Balkan gewann.

Die Herzegowina war seit dem 16. Jahrhundert Ort zahlreicher Aufstände gegen die osmanische Herrschaft, die meist mit Unterstützung Venedigs, Habs-burgs und ab dem 19. Jahrhunderts auch Russlands, Serbiens und Monte negros ausbrachen. Prädestiniert dafür war das gebirgige Hinterland durch seine Nähe zur venezianisch, ragusanischen Küste, durch seine unkontrollierbaren offenen Grenzen nach Süden, Osten und Nordosten. Das 19. Jahrhundert veränderte die

54 Jireček: Geschichte der Serben (II) 172–179.

55 Aus der Fülle der Literatur zur Islamisierung in Bosnien und der Herzegowina, ein-schließlich der Darstellung der Historiographiegeschichte: Džaja: Die »Bosnische Kirche«;

Ders.:Konfessionalität und Nationalität; Filipović, Nedim: Islamizacija u Bosni i Hercegovini.

Tešanj 2005.

Die Herzegowina – Bergland, Grenzland, Hinterland 57 Herzegowina tiefgreifend. Die politische und militärische Schwäche des Os-manischen Reiches manifestierte sich besonders in Grenzregionen. Gleichzei-tig hatte der Handel stark zugenommen und damit den ökonomischen Aufstieg zahlreicher orthodoxer und muslimischer Händlerfamilien ermöglicht. Ortho-doxe Städter kauften in dieser Zeit Land und wurden im großen Stil zu landwirt-schaftlichen Grundbesitzern und Steuerpächtern. Für Bauernfamilien wuchs in dieser Zeit der materielle Druck, weil Grundbesitzer, Steuer pächter und der Staat die Abgaben und die Effektivität ihrer Einhebung erhöhten. In den Städ-ten erfuhr geistliche und weltliche Bildung einen langsamen Aufschwung. Russ-land und Habsburg engagierten sich im Wettstreit um Einfluss zunehmend auch außerhalb ihrer Grenzen. Vor allem Russland unterstützte wechselweise Monte-negro und Serbien in der Umsetzung ihrer Ansprüche auf Bosnien und die Her-zegowina. So entwickelten und verbreiteten sich mit der gezielten Unterstützung der Großmächte und der Nachbarstaaten nationale und separatistische Ideen, wobei die ländliche und die städtische Bevölkerung die osmanischen Verhält-nisse aus unterschiedlichen Gründen gleichermaßen in Frage stellten.

Politisch und militärisch war die östliche Grenze der Herzegowina im 19. Jahr-hundert für das Osmanische Reich ein dauerhafter Krisenherd. In den armen Gebirgsgegenden der östlichen Herzegowina kam es seit den 1840er Jahren jahr-zehntelang zu Aufständen, häufigen Überfällen und größeren militärischen Auseinandersetzungen zwischen osmanischem Militär und herzegowinisch-montenegrinischen Banden, die jeweils von Montenegro, Serbien, Russland, teils aber auch von Habsburg unterstützt wurden. Die Aufstände waren dabei so-wohl Folge tiefer sozialer Unzufriedenheit als auch Konsequenz der Gemenge-lage in der Region mit ihren zahlreichen äußeren politischen Akteuren. Auf Auf-stände und Kleinkriege folgten massenhaft Hunger und Fluchtbewegungen. Der Reichtum weniger städtischer Familien nahm dabei oft keinen Schaden, was so-wohl die sozialen Differenzen als auch die finanziellen Unterstützer bestimmter Konfliktparteien stabil hielt. Als Serbien in den 1860er Jahren zu einer Regio-nalmacht heranwuchs, engagierte es sich immer stärker in der Herzegowina. In dieser unsicheren Region plante Serbien als auch Montenegro einen Aufstand für ganz Bosnien zu entfachen, um so eine Angliederung an einen oder beide serbi-schen Staaten zu erzwingen.

1875 trugen Serbien und Montenegro erheblich zu einem neuerlichen Auf-stand vorrangig unter Orthodoxen in der östlichen Herzegowina bei, den os-manische Truppen kaum mehr unter Kontrolle bringen konnten. Ein Jahr spä-ter erhoben sich auch bulgarische Revolutionäre gegen das Osmanische Reich.

Serbien und Montenegro erklärten der Hohen Pforte den Krieg, wobei sie nur Russlands Kriegseintritt vor der Niederlage rettete. Als das Russländische Reich im Frühjahr 1878 im Separatfrieden von San Stefano ein riesiges, unter rus-sischer Kontrolle stehendes Bulgarien aus der Taufe hob, zwang es die übrigen Großmächte allen voran Österreich-Ungarn zum Handeln. Das vermeintliche

Mächte gleichgewicht war aus Wiener Perspektive zu sehr in Richtung Peters-burgs verschoben worden. Der daraufhin einberufene Berliner Kongress revi-dierte die in San Stefano festgelegten Grenzen und den Status Bulgariens, entließ Serbien, Montenegro und Rumänien in die volle Unabhängigkeit und übergab Bosnien-Herzegowina der Verwaltung Habsburgs. Damit wurde 1878 eine erste Lösung der Orientalischen Frage gefunden, die seit Jahrzehnten in der Herzego-wina ausgetragen worden war und für die sie strategische Verhandlungsmasse geliefert hatte. Habsburg expandierte in eine Region, aus der es seine Groß-machtstellung bedroht sah, begradigte die eigenen Grenzen und trat damit ge-wissermaßen eine Flucht nach vorn in Richtung seiner ärgsten Kontrahenten – Russland und den slawischen Nationalismen – an.

Raum und Bevölkerung

Die Herzegowina wurde und wird unterschiedlich verortet, auch da sie kultur-historisch, politisch als auch kirchenadministrativ verstanden werden kann.

Mit den Grenzverschiebungen des 19. Jahrhunderts schrumpfte die osmanische und später habsburgische Herzegowina im politischen und damit auch kirch-lichen Sinne im Osten und Nordosten: In den 1850er Jahren verlor das Osma-nische Reich die Gebiete um Grahovo an Montenegro, 1878 weitere Teile am Unterlauf des Flusses Piva und rund um die Stadt Nikšić. Bis heute nennt man diese Regionen im westlichen Montenegro auch Alte Herzegowina (Stara Her-cegovina). Die sich im Norden daran anschließenden Gebiete zwischen den Flüssen Tara und Lim, der sogenannte Sandžak von Novi Pazar, waren in den 1870er Jahren vom Vilayet Bosnien abgetrennt wurden. Dabei gehörten die bei-den westlichen Bezirke des Sandžaks – Plevlje (Taslica) und Prijepolje – wei-ter zur Metropolie Zahumlje-Herzegowina mit Sitz in Mostar. 1878 wurden die Gebiete des Sandžaks zwar militärisch von Habsburg besetzt, sie verblieben je-doch unter osmanischer Zivilverwaltung. Zur Vereinfachung dieser hoch kom-plizierten Regelungen trennte man die orthodoxen Kirchenbezirke Plevlje und Prijepolje daraufhin 1894 von der Diözese Zahumlje-Herzegowina ab.56 Weiter waren auch die zum politischen Kreis Sarajevo gehörigen Bezirke Čajniče und Foča Teil der Metropolie von Mostar, wodurch man sie bis heute eher zur Ost-herzegowina zählt. Andererseits gehörte weit im Nordwesten der Herzegowina, außerhalb des politischen Kreises Herzegowina, auch die Kleinstadt Županjac/

Duvno zur serbisch-orthodoxen Diözese von Mostar.

Die Eparchie Zahumlje-Herzegowina liefert neben dem kleineren politisch-administrativen Kreis Mostar den Rahmen für diese Untersuchung. Das Bistum

56 Die Bezirke Plevlje (Taslica) und Prijepolje im Sandžak von Novi Pazar gingen juris-diktionell und administrativ an die Eparchie Raška-Prizren.

Die Herzegowina – Bergland, Grenzland, Hinterland 59 umfasste 1878 etwa 74 Kirchgemeinden mit etwa 80.000 Gläubigen, einschließ-lich von 15 Gemeinden im Sandžak von Novi Pazar. Aufgrund des jähreinschließ-lichen Bevölkerungswachstums von etwa drei Prozent und trotz der dauerhaft großen Auswanderung von Serbisch-Orthodoxen, vor allem nach Nordamerika, um-fasste die 1894 verkleinerte Eparchie um 1900 bereits rund 100.000 Gläubige in 55 Kirchgemeinden. Bis zum Ersten Weltkrieg stiegen die Gläubigenzahlen wei-ter auf über 118.000 an, wobei die Eparchie dann nur noch in 53 Gemeinden

Die Herzegowina – Bergland, Grenzland, Hinterland 59 umfasste 1878 etwa 74 Kirchgemeinden mit etwa 80.000 Gläubigen, einschließ-lich von 15 Gemeinden im Sandžak von Novi Pazar. Aufgrund des jähreinschließ-lichen Bevölkerungswachstums von etwa drei Prozent und trotz der dauerhaft großen Auswanderung von Serbisch-Orthodoxen, vor allem nach Nordamerika, um-fasste die 1894 verkleinerte Eparchie um 1900 bereits rund 100.000 Gläubige in 55 Kirchgemeinden. Bis zum Ersten Weltkrieg stiegen die Gläubigenzahlen wei-ter auf über 118.000 an, wobei die Eparchie dann nur noch in 53 Gemeinden

Im Dokument Die Serbisch-Orthodoxen in (Seite 53-62)