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Reform der politischen und sozialen Struktur, Wandel der geistigen Werte

Der chinesische Modemisierungsprozeß ist nicht nur ein Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern ein umfassender Prozeß, der auch die soziale und kulturelle Entwicklung einschließt. Deswegen muß die Modernisierung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Reformen durchführen und Regulierungen der Sozialstruktur vornehmen. Im Prozeß der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umwandlungen muß sie auch die nur schwer sichtbaren Veränderungen beachten, die sich auf dem Gebiet der geistigen W erte vollziehen, und sie muß die wechselseitigen Einwirkungen und Beeinflussungen im Wandel von wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Aspekten aufeinander sehen. Gerade in diesen wechselseitigen Wirkungen entwickelt sich die Gesellschaftsgeschichte und schreitet fort.

I. Reform der politischen Strukturen in China

W ie zahlreiche westliche Wissenschaftler festgestellt haben, ging die Reform der politischen Strukturen in China im Vergleich zum Tempo der W irtschaftsreformen nur langsam voran. Aber man braucht nur die politische Lage Ende der achtziger Jahre mit derjenigen Ende der siebziger Jahre zu vergleichen, um zu entdecken, daß sich wirklich ein großer Wandel im politischen System Chinas vollzogen hat. Dieser Wandel kommt in den folgenden Punkten zum Ausdruck.

1. Seit 1978 hat die KP Chinas die frühere „Grundlinie“ des „Klassenkampfes als Hauptkettenglied“ negiert. Diese politische Veränderung war von außerordentlicher Bedeutung für die chinesische Entwicklung. Bis dahin galt jeder Chinese als Angehöriger einer Klasse und hatte eine bestimmte Klassenstellung inne. Die Arbeiterklasse (Proletariat) galt als führende Kraft des politischen Systems im sozialistischen China; die Bauern waren in 5 Ränge eingeteilt: Grundbesitzer, reiche Bauern, Mittelbauern, untere Mittelbauern und arme Bauern. Von diesen galten die Grundbesitzer und die reichen Bauern als

„Ausbeuterklassen“ und waren daher „Klassenfeinde“. Die Mittelbauern galten als schwankend, und nur die armen Bauern und die unteren Mittelbauern waren die „verbündete Armee“ der Arbeiterklasse auf dem Lande und Objekt der Unterstützung. In den Städten waren die Leute eingeteilt in Kapitalisten, Kleinbürgertum und Arbeiterklasse. Die Kapitalisten ließen sich wiederum unterteilen in „Kompradoren-Kapitalisten“ und „nationale Kapitalisten“;

erstere galten als Vertreter des ausländischen Imperialismus in China und mußten gestürzt werden, letztere galten ebenfalls als Klassenfeinde, konnten aber unter sozialistischen Bedingungen erzogen und umerzogen werden. Die Arbeiterklasse war die revolutionäre Hauptkraft. Obwohl die sozialistische Revolution in China schon mehr als 30 Jahre zuvor gesiegt hatte, blieb dieses klassentheoretische Modell einer sozialpolitischen Struktur dennoch von Mitte der fünfziger bis Ende der siebziger Jahre beständig die theoretische Grundlage politischen Denkens und politischer Entscheidungen der chinesischen Führung.

Diese glaubte damals, daß die KP Chinas intern bereits in zwei unversöhnliche Fraktionen gespalten sei: die konterrevolutionäre Fraktion derjenigen, die den kapitalistischen Weg gehen, und die revolutionäre Fraktion derjenigen, die den sozialistischen Weg gehen. Die revolutionäre Fraktion sollte, gestützt auf die Arbeiterklasse und verbündet mit den armen und unteren Mittelbauern, den Kam pf gegen die kontenevolutionäre Fraktion, die den kapitalistischen Weg ging, und gegen die Bourgeoisie führen. Würde diese Art von „K lassenkam pf4 nicht durchgeführt, könnte das sozialistische System Chinas seinen Charakter verändern. Daher war der Klassenkampf nicht nur eine Theorie, sondern er wurde zum alleinigen Mittel zur Behandlung jedweder praktischer Fragen und

sozialer Angelegenheiten. Ende der siebziger Jahre, um die Zeit des 3. Plenums des 11. ZK der KP Chinas herum, erkannten die neuen Führungspersönlichkeiten der Partei, daß der Unterschied zwischen diesen dogmatischen Theorien und Ansichten und den wirklichen Bedingungen der chinesischen Gesellschaft bereits weit auseinanderklaffte. Hierdurch waren viele neue Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in der chinesischen Gesellschaft hervorgerufen worden und ein neues soziales Chaos war entstanden. Dies war in Wirklichkeit schon zu einem ideologischen Hemmnis für die normale Entwicklung der chinesischen Gesellschaft und Wirtschaft und für den kontinuierlichen Fortschritt der Kultur geworden. Sie beschlossen daher, diese Theorie aufzugeben. Von da an wurde in der chinesischen Gesellschaft damit begonnen, der überwältigenden Mehrheit der Personen, denen 1957 der Hut eines „rechten Elementes“ aufgesetzt worden war, „den Hut abzunehmen“, gleichzeitig wurde auch den „erfolgreich umerzogenen“

„Grundbesitzern, reichen Bauern, Konterrevolutionären und schlechten Elementen“ „der Hut abgenommen“; außerdem wurde der „Klassenstatus“ der Söhne und Töchter der „Grundbesitzer, reichen Bauern, Konterrevolutionäre, schlechten und rechten Elemente“ „korrigiert“. Noch wichtiger war, daß während der „Kulturrevolution“ „gestürzte“ „Machthaber auf dem kapitalistischen W eg“ und eine Vielzahl verdienter Kader sowie eine große Menge Intellektueller, die kritisiert worden waren, nun wegen

„Unrechtmäßigkeit, Rechtsbeugung und Justizirrtum“ rehabilitiert wurden. Das führte dazu, daß diese Leute erneut an ihre alten Arbeitsplätze zurückkehrten.

Durch diese Politik der „Berichtigung von Abweichungen“ gewannen die Menschen neues Vertrauen in ihre eigene Zukunft, sie mobilisierte die Aktivität der breiten Volksmassen zur Teilnahme am Aufbau der Modernisierung. Die wesentlichen politisch-kulturellen Ursachen für das rasche chinesische Wirtschaftswachstum sind hier zu finden.

2. Seit langer Zeit gibt es im politischen Leben Chinas nur die Kommunistische Partei, die die führende Kraft der sozialistischen Politik ist. Dies liegt daran, daß die „Diktatur des Proletariats“, die gegenüber der Bourgeoisie ausgeübt wird, nur durch die Führung der KP Chinas verwirklicht werden kann. Die übrigen politischen Parteien, die es heute gibt, waren vor dem Sieg der chinesischen Revolution 1949 „demokratische“ Parteien; in der sehr langen Zeit nach dem Sieg der Revolution wurden sie als „kleinbürgerliche“ politische Kräfte betrachtet. Sie sollten unter der Leitung der KP Chinas stehen und selbst ihre kleinbürgerlichen Ideen überwinden; in jeder politischen Bewegung sollten sie in Worten und Taten die Übereinstimmung mit der KP Chinas aufrechterhalten. Während der „Kulturrevolution“ wurden viele der führenden Persönlichkeiten und Mitglieder dieser Parteien „entlarvt“ und „kritisiert“, die

„Diktatur“ wurde ihnen gegenüber ausgeübt und ihre politischen Aktivitäten wurden selbstverständlich verboten.

Nach dem 3. Plenum des 11. ZK der KP Chinas verwirklichte die neue KP- Führung gegenüber den „demokratischen Parteien“ eine neue Politik.

„Langfristige Koexistenz, gegenseitige Kontrolle“, diese Worte Mao Zedongs aus den fünfziger Jahren wurden zum grundlegenden Prinzip für den Umgang mit den demokratischen Parteien gemacht. Von der KP Chinas sprach man als

„Regierungspartei“, aber von den demokratischen Parteien als „beteiligten Parteien“. Die Führer dieser demokratischen Parteien wurden zu stellvertretenden Führern des Nationalen Volkskongresses oder der Politischen Konsultativkonferenz gewählt. Einige wichtige Persönlichkeiten dieser Parteien wurden auch in die Führungsgremien der Regierung, angefangen von der Zentrale bis hin zu allen möglichen lokalen Ebenen, gewählt, in den Nationalem Volkskongeß und die Politische Konsultativkonferenz, einige von ihnen bekleideten wichtige Ämter in den Regierungsorganen. Den Entfaltungsmöglichkeiten ihrer politischen Rolle wurde große Aufmerksamkeit geschenkt. So wird z.B. in vielen veröffentlichten Reden von führenden Mitgliedern der KP Chinas betont, daß sie die „Kontrolle“ der demokratischen Parteien gegenüber jedweden Organisationen der Partei wärmstens begrüßen;

jedes Mal, bevor Staat und Partei wichtige politische Handlungen öffentlich machen, laden Mitglieder des ZK der KP Chinas die Verantwortlichen der demokratischen Parteien zu „zwanglosen Aussprachen“ ein, wollen mit ihnen

„Kontakt halten“, sie „rechtzeitig in Kenntnis setzen“, um sie um ihre Meinung zu bitten. Diese Art der Zusammenarbeit ist in den achtziger Jahren zu einer politischen Konvention geworden. Obwohl die KP Chinas weiterhin unmißverständlich gegen ein „bürgerliches“ Mehrparteiensystem auftrat, hatte sie doch selbst den Slogan von der „gemeinsamen Verwaltung der Staatsangelegenheiten“ mit den demokratischen Parteien formuliert, und damit die „Zusammenarbeit mehrerer Parteien“ als eine Besonderheit sozialistischer demokratischer Politik zum Ausdruck gebracht. In dieser politischen Lage spielten die jetzt 9 demokratischen Parteien Chinas eine aktive und wichtige Rolle beim Aufbau der chinesischen Modernisierung. Z. B. leisteten sie auf der Grundlage ihrer jeweiligen Charakteristika, unterschieden nach wissenschaftlicher und technischer Modernisierung Chinas, wirtschaftlicher und technischer Kooperation mit dem Ausland, Reform des staatlichen Bildungssystems, Harmonie des politischen Lebens und Regulierung der politischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Schichten des Landes sowie der Behandlung politischer Probleme zwischen den Regionen und zwischen den Nationalitäten, einen Beitrag mit ihren eigenen Kräften.

3. Auch innerhalb der KP Chinas selbst ist seit Ende der siebziger Jahre eine Reorganisierung und Reform erfolgt. Die von Mao Zedong in seinen späten Jahren begangenen Fehler individueller willkürlicher Entscheidungen und des Kampfes aus kleinstem Anlaß wurden kritisiert; gerichtet auf diese beiden Arten von Abweichungen, die früher in der Partei existiert hatten, legte das ZK der KP Chinas neue Normen für das innerparteiliche Leben fest, die die Privilegien einzelner im innerparteilichen politischen Leben bekämpften und die kollektive Leitung stärkten.

4. Der Aufbau des Rechtssystems in China wurde seit 1978 tatkräftig verstärkt.

Die chinesische Verfassung wurde den neuen Prinzipien der Reform und Öffnung entsprechend revidiert. Der Komplex des Zivilrechtes wurde den staatsbürgerlichen Beziehungen dieser neuen Phase entsprechend verbessert. In diesen rechtlichen Bestimmungen wurden Rechte und Pflichten des Individuums, individuelles Vermögen und andere privatrechtliche Begriffe klar definiert, die persönliche Unabhängigkeit des Individuums und die persönliche W ürde wurden hervorgehoben. Gleichzeitig wurden eine Reihe von Gesetzen zur Wirtschaftsentwicklung und zu den chinesisch-ausländischen Wirtschaftsbeziehungen formuliert. Obwohl die Umsetzung einiger Gesetze in die Praxis noch eines Prozesses der Realisierung bedarf, ist doch die Gesamttendenz einer Verrechtlichung der chinesischen Gesellschaft nicht mehr umkehrbar.

5. Das politische Wahlsystem Chinas hat wichtige Veränderungen erfahren. Vor der Reform gab es in China zwei Formen politischer Wahl. Die eine war ein System direkter Ernennungen durch Gremien oder führende Mitglieder aller Ebenen der KP Chinas, nachdem eine politische Prüfung durch die Parteiorganisationen erfolgt war; die andere war ein System der unterschiedslosen Wahl von Delegierten. Seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik wurden diese Systeme verbessert. Zum einen wurde zwar weiterhin ein System der Wahl von Delegierten durchgeführt, aber deren ursprünglich unterschiedslose Wahl wurde in eine neue differenzierte Wahl umgewandelt. Die Wähler wurden bei den Wahlen entsprechend ermutigt, ihr W ahlrecht wahrzunehmen, gleichzeitig wurden die politischen Kandidaten zu legitimem Wettbewerb ermutigt. Zum anderen verwirklichten die Einheiten auf Kreisebene und darunter ein System, nach dem die lokalen Verwaltungsführungen durch die direkte Stimmabgabe der Staatsbürger gewählt wurden. Diese Veränderungen im Wahlsystem zeigen, daß der Verlauf der chinesischen Demokratisierung mit festen Schritten vorangeht.

6. Alle Verwaltungsorgane des chinesischen Staates verwirklichten ein System der Behördenangestellten. Dieses neue System wurde wirksam bei der Vereinfachung und Ordnung des Verwaltungsapparates.

7. Auf dem Gebiet internationaler Politik gab China seine frühere Strategie auf, d.h. die des internationalen Kampfes zwischen den beiden „Lagern“, dem des Kommunismus und Sozialismus auf der einen Seite und dem des Kapitalismus auf der anderen; ebenso die des Kampfes der kolonialen und halbkolonialen Völker gegen den Imperialismus und Neokolonialismus. Früher hießen die Slogans der internationalen Politik Chinas: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“, „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch mit den unterdrückten Völkern und Nationalitäten!“, „Unterstützt den nationalen Befreiungskampf der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas!“ usw. Nach 1978 gab China auch auf internationalem Gebiet langsam seine „Kampfstrategie“ auf und vertrat stattdessen die Meinung, daß „Weltkriege vermieden werden können“. Es befürwortete die Verwirklichung friedlicher Koexistenz mit allen Ländern der Welt, ungeachtet der Unterschiede in den politischen Systemen, Ideologien, dem Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung, in den Kulturen, Religionen usw. Um sich für eine neue, auf Frieden, Stabilität und Entwicklung gegründete, internationale Ordnung einzusetzen, trat China dafür ein, daß Widersprüche und Konflikte durch den friedlichen Dialog und Austausch zwischen allen Ländern und Gebieten gelöst werden sollten. In der internationalen Gesellschaft verfolgte China eine neue Entwicklungsstrategie umfassender Freundschaften und des Überwindens der eigenen schwachen Seiten durch das Lernen von den starken Seiten anderer. Um die Modernisierung des eigenen Landes zu entwickeln, strebte China nach guten internationalen Verhältnissen und nach internationaler Unterstützung.

8. Auf dem Gebiet politischer Probleme, die die Geschichte hinterlassen hat, und die von China selbst gelöst werden müssen, ergriff die seit der Reform neue Führung Chinas eine flexible Politik. Z.B. bei der Lösung des Problems der Rückgabe Hongkongs im Jahre 1997 und bei der Lösung des Problems der Vereinigung Taiwans mit dem Festland, wo sie die politische Idee „ein Land, zwei Systeme“ aufbrachte. Das bedeutete die Erlaubnis für Hongkong nach der Rückgabe und für Taiwan nach der Vereinigung mit dem Festland, weiterhin das jetzige politische System durchführen zu dürfen. Diese politische Idee eröffnete einen neuen und gangbaren Weg für friedliche Lösungen der Hongkong- und der Taiwan-Frage.

II. Die Reform der chinesischen Sozialstruktur

Verschiedene Sozialforscher sehen in der chinesischen Sozialstruktur verschiedene Gesellschaftsmodelle. Meiner Meinung nach weist das chinesische Gesellschaftsmodell in Wirklichkeit eine adsorbierende Struktur mit einer Politik- Ethik-Achse auf. Das Charakteristikum dieses Modells besteht in einer starken Person als politischem Zentrum, von dem aus mit moralischen Normen ein ausgedehntes Territorium beherrscht wird. Die Politik überzieht auf diese Weise mit ihren moralischen Ermahnungen ganz China von oben nach unten, von der Zentrale zu den Regionen. Seit langer Zeit hat dieses politische Modell über die Entwicklungsbedingungen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Struktur Chinas entschieden. Daher muß der Prozeß der Modernisierung der chinesischen Gesellschaft ein Prozeß der Ausdifferenzierung sein; in diesem Prozeß spalten sich alle Gebiete und Anlagen der modernen Gesellschaft von dem früheren vereinigten Politik-Moral-Modell ab, d.h. sie spalten sich von den politischen Feldern und politischen Begriffen ab. Von seinem Wesen her kann man diesen Prozeß einen „Prozeß der Entpolitisierung und Entmoralisierung“ nennen. Der Wandel, den die chinesische Gesellschaft, angeregt durch die Reform, in den achtziger Jahren erfuhr, war in der Tat genau dieser Prozeß. Seine wichtigsten Inhalte sind aus den folgenden Aspekten zu ersehen.

1. Ausdifferenzierung der politischen Struktur aus der chinesischen Gesellschaft als einer sozialen Totalität. Nach 1978 wurde die Aufgabe gestellt, das frühere Wirtschaftssystem zu reformieren. In Wirklichkeit war das frühere chinesische Wirtschaftssystem nichts weiter als ein organischer Bestandteil der „politisch­

ethischen Totalität“ der chinesischen Gesellschaft. Daher bedeutete die Wirtschaftsreform grundsätzlich das Erfordernis, eine neue Strukturbeziehung zwischen Politik und Wirtschaft herzustellen. Das A und O der Wirtschaftsreform war: das Feld der Wirtschaft aus der ursprünglichen

„politisch-ethischen Totalität“ herauszulösen und zu einem unabhängigen gesellschaftlichen Feld werden zu lassen. Deswegen ist es eine ganz natürliche Sache, daß die „Trennung der Wirtschaft von der Politik“ und „Trennung von Politik und Betrieb“ zur wichtigsten Aufgabe der chinesischen Wirtschaftsreform wurden. Diese Differenzierungen trugen ganz offensichtlich dazu bei, daß das Wirtschaftssystem die Gestalt eines unabhängigen gesellschaftlichen Komplexes in der modernen Gesellschaft annehmen konnte.

Zeitgleich mit der Trennung des wirtschaftlichen vom politischen System begannen sich auch Gebiete wie Wissenschaft, Kultur und Bildung von der

„politisch-ethischen Totalität“ abzulösen. Es wurde damit angefangen, ihre jeweilige „Besonderheit und Unabhängigkeit“ hervorzuheben und zu betonen.

Keines der Probleme in den gesellschaftlichen Gebieten, die aus den neuen Ausdifferenzierungen hervorgingen, ähnelte jenen früheren, in erster Linie als

politischen betrachteten Problemen; sie wurden jetzt nur noch als die

„ureigenen“ Probleme des jeweiligen Gebietes betrachtet, die mit den besonderen Methoden dieses Gebietes zu betrachten und zu lösen seien. A uf diese W eise fing die frühere „politisch-ethische Totalität“ an, sich aufzulösen, auch das „Politisch-Ethische“ selbst begann, sich in die beiden unterschiedlichen Felder „Politik“ und „Ethik“ auszudifferenzieren. Als zwei Gebiete begann ihre jeweilige „Vergesellschaftung“, sie verloren ihre frühere

„vollständige“, alles umfassende „Totalität“ und wurden zu zwei begrenzten Feldern der modernen Gesellschaft.

2. Aufgrund der Vergesellschaftung des politischen Systems nahm auch die Funktion der Überwachung und Kontrolle der Politik gegenüber allen möglichen Gebieten der Gesellschaft allmählich ab. Politische W eisungen und politische Mobilisierungen hatten nicht mehr die gleiche Kraft wie früher. Die verschiedenen gesellschaftlichen Gebiete begründeten nach und nach rationale Beziehungen mit der Politik (mit dem Rechtssystem als ihrem Vermittler).

Dieser Prozeß bedeutete, daß alle möglichen Felder der chinesischen Gesellschaft begonnen hatten, sich aus der früheren, politisch zentralisierten Verwaltung und Kontrolle „zu befreien“ und sich die Freiheit einer eigenen, unabhängigen Entwicklung zu nehmen.

3. Genau unter diesen Umständen traten „gesellschaftliche“ Organisationen in großer Zahl zutage. Zuvor gab es von Person zu Person nur „vertikale Beziehungen“ (Beziehungen zwischen oberen und unteren Rängen) und

„Beziehungen der Art“ (gänzlich ohne Individualität, als Teil einer Klasse oder einer Schicht, in der jeweiligen gesellschaftlichen Funktion, vollständig gegeneinander austauschbar) , aber während der Reform begannen die Menschen, zu unterschiedlichen „einzelnen“ zu werden und Kontakte untereinander zu entfalten, „horizontale Beziehungen“ zwischen den Menschen nahmen Gestalt an. In der chinesischen Gesellschaft traten zahlreiche wissenschaftlichen Vereinigungen, Bildungsvereine, Branchenvereinigungen, lokale Kooperativgesellschaften, verwandtschaftliche Verbände, Kulturvereine, Kunstvereine, Sportvereine, religiöse Vereinigungen, Nationalitätenverbände usw. auf, die von den „Massen“ „spontan“ organisiert worden waren. Alle möglichen Arten von „Gesellschaften“, „Studiengesellschaften“, „Vereinen“,

„Massenorganisationen“ und „Bündnisorganisationen“ schossen in China wie Pilze aus dem Boden.

4. Als Folge der Ausdifferenzierung der traditionellen politisch-ethischen Totalität entstand in der chinesischen Gesellschaft allmählich eine neue Schichtung nach gesellschaftlichen Interessen und eine neue Verteilung von gesellschaftlicher Autorität. Dieser Prozeß förderte die Entwicklung der

Demokratisierung in der chinesischen Gesellschaft. W enn man sagt, daß Interessensstrukturen und Autoritätszugehörigkeiten innerhalb der früheren

„politisch-ethischen Totalität“ ebenso wie die politische Struktur ein hierarchisches Stufenmodell verkörperten, dann begannen Interessensstrukturen und Autoritätszugehörigkeiten in der chinesischen Gesellschaft nach 1978 sich in Richtung auf eine größere Vielfalt hin zu entwickeln. Ein solcher Trend einer neuen Ausdifferenzierung von Interessen und Autorität hat bereits das im traditionellen China verfolgte Gesellschaftsideal zerstört, und er zerstörte auch das von Mao Zedong in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts in die Wege geleitete, die Regionen der Zentrale unterordnende, zentralistische und egalitäre Gesellschaftsideal. Unter den neuen Bedingungen der Vergesellschaftung kann daher die soziale Entwicklung aus diesem Prozeß der Ausdifferenzierung von Interessen und Autorität heraus ein neues System finden und neue Triebkräfte schaffen. Aber der Konsolidierung dieser neuen, modernisierten Sozialstruktur werden die Reformer Beachtung schenken und sich darum bemühen müssen, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen.

5. Im Gefolge der Aufweichung der politischen Kontrolle menschlicher Handlungen und der Erweiterung der Möglichkeiten freier gesellschaftlicher Betätigung haben die gesellschaftlichen Kontakte der Chinesen stark zugenommen. Obwohl die ursprünglichen vertikalen sozialen Beziehungen notwendigerweise immer noch existieren und ihre Rolle sogar noch entfalten - so sind sie z.B. für die Effektivität auf dem Gebiet der Politik weiterhin unvermeidlich und notwendig -, gewinnen gleichzeitig die horizontalen Beziehungen zwischen sozialen Organisationen und zwischen Individuen immer mehr an Bedeutung. Außerdem weisen die Kontakte zwischen den Menschen, ungeachtet, ob vom Inhalt oder von der Form her betrachtet, eine Entwicklungstendenz zunehmender Vielfalt auf. Drückte sich früher der soziale Status eines Chinesen hauptsächlich in seiner Berufs- und Klassenzugehörigkeit aus, so führt die größere Mannigfaltigkeit der sozialen Beziehungen unter den heutigen Bedingungen dazu, daß die Bestimmung des sozialen Status eines Menschen komplizierter geworden ist. Auch die Beurteilung der Gesamtkonstitution aus Individualität und allen möglichen kulturellen Faktoren, d.h. die Beurteilung der Fähigkeiten und des Charakters eines Menschen, ist ebenfalls komplizierter geworden. A uf Grund der sozialen W echselwirkungen verschiedener Orte und verschiedener Zeiten und ganz unterschiedlicher Inhalte ihrer Kontakte bringen die Menschen ganz unterschiedliche „unmittelbare“ Reaktionen hervor. Aber die Entwicklung der Verschiedenartigkeit menschlicher Kontakte schafft immer größere Möglichkeiten für die Entfaltung der latenten Fähigkeiten der Menschen.

Gleichzeitig, unter Bedingungen, wo die zwischenmenschlichen Kontakte

Gleichzeitig, unter Bedingungen, wo die zwischenmenschlichen Kontakte