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4. DAS TSCHECHISCH-DEUTSCHE PROBLEM: EINE ANALYTISCHE ANNÄHERUNG

4.1.2 Die rechtliche Dimension

Die Verurteilung der Vertreibungsmaßnahmen einerseits und die Anerkennung der tschechischen Un-rechtserfahrung andererseits fand in der bundesrepublikanischen Rechtsetzung und Rechtsprechung eine unterschiedlich differenzierte Entsprechung.

Die Rechtsposition in bezug auf Entschädigungsleistungen an die Tschechoslowakei läßt sich ver-gleichsweise knapp zusammenfassen: Zum einen standen der Tschechoslowakei als Siegerstaat Reparati-onszahlungen zu. In Folge des Interalliierten Reparationsabkommens vom 14. Januar 1946 war ihr aus der westlichen Vermögensmasse ein Anteil von 3% an Gebäuden, Maschinen und Verkehrsmitteln und ein Anteil von 4,3% der Umlaufmittel und des Währungsgoldes zugestanden worden.162 Die Frage der Reparationen war damit aus Sicht der Bundesrepublik erledigt. Zum anderen galt es, gegenüber den Op-fern des NS-Regimes entsprechende Entschädigungen zu leisten. Die Bundesrepublik regelte dies anfangs durch das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung der nationalsozialistischen Verfolgung (BergG)

158 Kimminich; Otto: Völkerrecht und Geschichte im Disput über die Beziehungen Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1996/B 28, 5. Juli, S. 37.

159 In: Stenographische Berichte: Deutscher Bundestag, 75. Sitzung, 14.7.1950, S. 2689.

160 Habel, Fritz Peter/Kistler, Helmut, in: Deutsche und Tschechen, Informationen zur politischen Bildung (B 6897 F), Bonn 1993, S. 25.

161 Die Aussagen des folgenden Abschnittes beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Christian Tomuschat, welches er 1996 im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Deut-schen Bundestag erstattete. Siehe Tomuschat, Christian: Die Vertreibung der SudetendeutDeut-schen. Zur Frage des Bestehens von Rechtsansprüchen nach Völkerrecht und deutschem Recht, in: Zeitschrift für ausländisches öf-fentliches Recht und Völkerrecht, Sonderabdruck des Bandes 56, Nr. 1-2.

162 Rouček (1990: 181, Fn: 42)

von 1953 und später durch das verbesserte Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von 1956. Diesen Geset-zen lag das Territorialitätsprinzip zugrunde, wonach eine Entschädigung an die deutsche Staats- oder Volkszugehörigkeit bzw. an den Wohnsitz in der Bundesrepublik geknüpft war. Während es dem Staat Israel und der Jewish Conference on Material Claims against Germany (Claims Conference) gelang, die-sen unbefriedigenden Zustand durch Pauschalentschädigungen zu mildern, blieb dieser Weg den mittel-und osteuropäischen Staaten während des Kalten Krieg verwehrt. Nach Mittel- mittel-und Osteuropa wurde bis 1990 weder individuell noch pauschal entschädigt. Eine Ausnahme stellt eine einmalige Schadensersatz-zahlung für die Opfer pseudomedizinischer Versuche dar, die zwischen 1961 und 1972 an die Regierun-gen von Jugoslawien, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn geleistet wurde. Die gezahlten Beträge waren dabei wesentlich geringer als vergleichbare Leistungen an westeuropäische Staaten. Klagen ehe-maliger Zwangsarbeiter auf Lohnnachzahlung bzw. Schadensersatz wurden vom Bundesgerichtshof (BGH) regelmäßig abgewiesen, so daß ab 1973 keine Klagen mehr eingereicht wurden. Der BGH vertrat den Standpunkt, daß es sich bei Forderungen aus Zwangsarbeit um normale Reparationsansprüche han-delt, die völkerrechtlich auf individueller Basis nicht möglich sind. Die letzte Gelegenheit, diese Forde-rungen auf einer völkerrechtlichen Ebene vorzubringen, bestand im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Gespräche; sie wurde jedoch von Präsident Gorbatschow nicht wahrgenommen.163

Gegenüber der bescheidenen Rechtsgeschichte in bezug auf die Entschädigungsleistung an die Tschecho-slowakei steht ein sehr differenziertes juristisches Argument, mit dem die Entschädigungsforderungen der vertriebenen Sudetendeutschen untermauert wurden. 1964 hatte Bundeskanzler Ehrhard territoriale Revi-sionsansprüche eindeutig ausgeschlossen.164 Die juristische Debatte konzentrierte sich mehrheitlich auf die Forderungen nach Entschädigung für das erlittene Vertreibungsunrecht und nach Restitution des Ei-gentums.

Generell ist sich die bundesdeutsche Rechtsprechung darüber einig, das die Vertreibung einer gesam-ten Volksgruppe und ihre entschädigungslose Enteignung einen Bruch des Völkerrechts darstellt. Die

„Nichtanerkennung der Früchte solcher Rechtsbrüche“ – wie Tomuschat es formulierte 165– ist nach An-sicht der Völkerrechtler ein wichtiges Mittel ihrer Bekämpfung und der Festigung der Normen für Frie-den und Menschenrechte in der internationalen Gemeinschaft. Bei der Durchsetzung der Entschädigungs-ansprüche kommt den Sudetendeutschen keine individuelle Rechtsposition zu. Vielmehr gelten die Su-detendeutschen als „mediasiert“166, d.h. sie werden von der Bundesregierung vertreten, der aus dem Völ-kerrechtsbruch ein Entschädigungsanspruch gegenüber der Tschechoslowakei bzw. ihrer Rechtsnachfol-gerin, der Tschechischen Republik, erwächst. Die Entschädigungsansprüche der bundesdeutschen Regie-rung gegenüber der tschechoslowakischen bzw. tschechischen RegieRegie-rung beruhen auf der Annahme, daß a) die Sudetendeutschen zum Zeitpunkt der Vertreibung die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, daß b) ein Völkerrechtsbruch vorliegt, und daß c) der Völkerrechtsbruch dem tschechoslowakischen Staat zure-chenbar ist.

a) Die Frage der Staatsangehörigkeit der Sudetendeutschen zum Zeitpunkt ihrer Vertreibung und Enteig-nung ist mit dem Problem der Gültigkeit des Münchner Abkommens von 1938, genauer mit dem Zeit-punkt seiner Ungültigkeit, verbunden. Ungeachtet der parteipolitischen Zusammensetzung der Bundesre-gierungen, ging die Bundesrepublik Deutschland von einer deutschen Staatsbürgerschaft der Sudeten-deutschen zum Zeitpunkt ihrer Vertreibung und Enteignung aus. Sie beruft sich hierbei auf den in Folge des Münchner Abkommens geschlossenen Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Resttschecho-slowakei über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen vom 20. November 1938. Danach erhielten alle

163 Küppers (1996: 758-762)

164 Vgl. Nittner (1967: 476)

165 Tomuschat (1996: 9)

166 Ebenda (23).

tschechoslowakischen Staatsbürger des Sudetenlandes die deutsche Staatsbürgerschaft, für nichtdeutsche Bürger waren verschiedene Optionsregelungen vorgesehen. Die Tschechoslowakei selbst hat in ihrem Ausbürgerungsdekret vom 2. August 1945 den deutschsprachigen Bürgern die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit Rückwirkung zum 20. November 1938 aberkannt.

Der Streit um den Zeitpunkt der Ungültigkeit des Münchner Abkommens hatte vor allem die Ver-handlungen zum Prager Vertrag von 1973 dominiert.167 Die Weigerung der Bundesregierung, einer An-nullierung des Münchner Abkommens von Anfang an (ex tunc) zuzustimmen, hatte neben der wahlpoliti-schen Rücksichtnahme auf sudetendeutsche Entschädigungsansprüche den Grund, bis dahin unberück-sichtigte Entschädigungsforderungen für die Zeit zwischen dem 30. September 1938 und dem 15. März 1939 auszuschließen. Radko Břach, der nach 1990, nach dem die Akten über die Verhandlungen zum Prager Vertrag geöffnet wurden, sich eingehend mit den politischen Hintergründen beschäftigte, zitiert hierzu die Erinnerung Willy Brandts:

„Wie konnten wir eine Nichtigkeitserklärung zu Papier bringen, ohne damit schädliche Rechtsfolgen für die Sudetendeutschen zu verbinden. Wir konnten sie nicht nachträglich zu Landesverrätern stempeln lassen. Wir konnten auch trotz der Jahre, die vergangen waren, nicht davon absehen, daß auch deutsche Bürger der alten Tschechoslowakei unter den Na-zis schwer zu leiden hatten – und die dann gleichwohl Opfer der rabiaten Vertreibung von 1945, 1946 wurden.“168

Damit wird deutlich, daß die Rücksicht auf sudetendeutsche Interessen keineswegs nur von CDU/CSU, sondern auch von der SPD genommen wurde.

Schließlich erlaubte die im Prager Vertrag von 1973 gefundene Formulierung der „Nichtigkeit“ des Münchner Abkommens beiden Seiten ihre Rechtspositionen zu behalten, d.h. die Bundesrepublik geht weiterhin von der deutschen Staatsbürgerschaft der Sudetendeutschen aus. Eine Entscheidung in der Ent-schädigungsfrage war hierdurch nicht zu erreichen, die vermögensrechtlichen Ansprüche der Sudeten-deutschen wurden durch Artikel 2 sogar ausgeklammert: „Dieser Vertrag berührt nicht die Rechtswirkun-gen, die sich in bezug auf natürliche Personen aus dem in der Zeit vom 30. September 1938 bis 9. Mai 1945 angewendeten Recht ergeben.“169

b) Daß die Bundesrepublik Deutschland die Vertreibungs- und Enteignungsmaßnahmen als völkerrechts-widrig betrachtet, ist bereits mehrfach hervorgehoben worden. Sie stehen im Widerspruch zur UN-Deklaration der Menschenrechte sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und deren Ersten Zusatzprotokoll für die Gewährleistung von Eigentum. Diese Dokumente sind auch von der Tschechischen Regierung unterzeichnet worden, sie haben jedoch keine rückwirkende Bindung. Für die völkerrechtliche Beurteilung zum Zeitpunkt der Vertreibung im Jahr 1945 lassen sich indes widersprüch-liche Belege finden. Während am 8. August 1945 in das Statut des Internationalen Militärgerichtshof die

„Deportation“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen wurde, stimmten die Sieger-mächte am 2. August 1945 in Potsdam den Massenaussiedlungen der Deutschen aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei zu. Tomuschat hingegen sieht in den Anklagen des Nürnberger Prozesses und zeitgenössischen UNO-Resolutionen die Mehrzahl der Zeichen dafür gegeben, daß auch damals Vertrei-bungen und entschädigungslose Enteignungen einen Völkerrechtsbruch darstellten.

Unter den Völkerrechtlern umstritten ist dagegen die Qualifizierung von Vertreibung und Enteignung als internationales Verbrechen. Positionen – wie die Felix Ermacoras170 – mit der die Vertreibung der Sudetendeutschen rechtlich einem Völkermord gleichgesetzt wird, werden durch Tomuschat mit dem

167 Für die rechtliche Argumentation vgl. auch: Blumenwitz, Dieter 1985: Der Prager Vertrag, Bonn; und die Beiträ-ge von Alfred Schickel, Erich Röper und Helga Seibert 1971 in: Aus Politik und ZeitBeiträ-geschichte, Band 26. Wei-tergehende politische Hintergründe zum Prager Vertrag in: Břach, Radko: Die Bedeutung des Prager Vertrages, S. 169-192, in: Lemberg, H./Křen, J./Kováč D. (1998), S. 169-192.

168 in: Břach (1998: 178; Fn 16).

169 BGBl. (1974II: 990)

Verweis auf die Zusätze in den Beneš-Dekreten über die nachzuweisende Staatstreue oder des Widerstan-des entkräftet. Das Vertreibungsmotiv ist nach Tomuschat nicht ein rein nationalistisches oder rassisti-sches, sondern ist die kollektive Strafe aller illoyalen Deutschen und Magyaren.171 Die Bedeutung der Qualifizierung der Vertreibung als internationales Verbrechen liegt in ihrem Potential einer individuellen Strafrechtsverfolgung bzw. der Durchsetzung individueller Entschädigungsklagen. Das Völkerrecht ist ein nur wenig kodifiziertes Recht und befindet sich gerade im Hinblick auf die strafrechtliche Verfolgung internationaler Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Bewegung.

c) Das dritte Kriterium für einen Entschädigungsanspruch der Bundesregierung gegenüber der tschecho-slowakischen bzw. tschechischen Regierung ist die Verantwortung des Völkerrechtsbruchs durch den tschechoslowakischen Nachkriegsstaat. Die Repatrisierung der sudetendeutschen Bevölkerung und die Konfiskation des sudetendeutschen Privatvermögens wurden im Jahr 1945 durch die Dekrete Nr. 5, 12, 33 und 108 des tschechoslowakischen Präsidenten Beneš erlassen und von der vorläufigen Nationalver-sammlung legitimiert. Wie unter 2.2 dargestellt, entstand der Gedanke der Aussiedlung der gesamten deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei im Londoner Exil. Die tschechoslowakische Exilregierung stimmte sich diesbezüglich während des Zweiten Weltkrieges mit den Alliierten und der Kreml-Führung ab. Im Potsdamer Abkommen haben die Siegermächte bis auf das nicht teilnehmende Frankreich den bereits laufenden Massenaussiedlungen in Artikel XIII zugestimmt und mit dem Zusatz versehen, „daß jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll.“ In der Bundesrepublik gilt diese Formulierung keinesfalls als Anweisung, sondern höch-stens als Billigung schon stattfindender Maßnahmen. Für die Bundesrepublik ist das Potsdamer Abkom-men völkerrechtlich nicht verbindlich, sondern wird als „Schlußkommuniqué einer internationalen Konfe-renz“ betrachtet.172 Völkerrechtliche Verträge gelten nur für die Vertragspartner. Die Bundesrepublik war an dieser Konferenz nicht beteiligt, und obwohl die Alliierten in Deutschland 1945 die oberste Regie-rungsgewalt inne hatten, oblag es ihnen nicht, geltendes Völkerrecht außer Kraft zu setzen. Außer Frage steht, daß der Entzug des Privatvermögens der Sudetendeutschen durch kein internationales Gremium legitimiert wurde und nur durch die Präsidialdekrete vom 21. Juni und 25. Oktober veranlaßt wurde. Aus bundesdeutscher Sicht liegt daher die Verantwortung für die Vertreibungs- und Enteignungsmaßnahmen einzig beim tschechoslowakischen Nachkriegsstaat.

Über die Zurechnung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (die Exzesse), die diese Maßnahmen vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit begleiteten, herrscht wiederum Uneinigkeit. Nach Tomu-schat können diese Verbrechen nicht dem tschechoslowakischen Nachkriegsstaat zugerechnet werden, d.h. es kann „nicht von einer gezielten Gesamtaktion des Völkermordes“ gesprochen werden, vielmehr müßten diese Vorfälle individuell geprüft werden. Diese Position wird von den Vertretern der Sudeten-deutschen nicht geteilt, da jeder Vertreibung Verbrechen gegen die Menschlichkeit immanent seien.173 Unstrittig und für die Bundesregierung maßgeblich ist, daß die Sudetendeutschen zum Zeitpunkt der Vertreibung und Enteignung die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Deshalb stellen diese Maßnahmen zumindest ein völkerrechtliches Delikt (und kein völkerrechtliches Verbrechen) dar. Die Maßnahmen der Vertreibung und Enteignung (und nicht die Exzesse) sind der tschechoslowakischen Nachkriegsregierung

170 Ermacora, Felix: Die sudetendeutschen Fragen, München 1992.

171 Tomuschat (1996: 14)

172 Vgl. Kimminich (1996: 29)

173 So z. B. Erika Steinbach, Vorsitzende der Vertriebenenverbandes: „Es offenbart sich hier auch die Ambivalenz des Begriffs des ‚Vertreibungsverbrechens‘, der ja das Vorkommen von Verbrechen in und bei der Vertreibung suggeriert, während diese doch per se das Verbrechen darstellt. Besser wäre, die vielfachen brutalen Angriffe ge-gen Leib und Leben von Zivilisten als Vertreibungsexzesse zu kennzeichnen. Es lag der Keim zu millionenfa-chem Mord und Totschlag schon in der Entscheidung zur Vertreibung, die sich überhaupt nicht‚ in

‚ordnungsge-zuzurechnen. Da den Sudetendeutschen völkerrechtlich keine individuelle Rechtsposition zusteht, er-wachsen der Bundesregierung Entschädigungsansprüche gegen die Tschechoslowakische bzw. Tschechi-sche Regierung.

Nach Tomuschat stehen dieser Rechtsposition Einwände entgegen, die neben dem Potsdamer und dem Münchner Abkommen auf das Repressalienrecht und das Reparationsrecht rekurrieren. Das Repressalien-recht, das dem Staat eine völkerrechtswidrige Handlung erlaubt, dem selbst ein solches Unrecht zugefügt wurde, um den anderen Staat zur Rücknahme seiner Handlung zu zwingen, rechtfertigt die Vertreibungs-maßnahmen nicht. Die Enteignungen und Vertreibungen wurden erst nach dem 8. Mai 1945, dem Tag des Sieges über das Deutsche Hitlerregime, durchgeführt und hatten nicht mehr den Charakter eines

„Faustpfandes“174, mit dem die Rücknahme der Okkupation durch das Deutsche Reich durchgesetzt wer-den sollte. Sie stellten eine Racheaktion dar, durch die der Kriegsverlauf nicht mehr berührt wurde.

Gleichermaßen kann der Einzug des sudetendeutschen Vermögens nicht als Reparationsleistung des besiegten Deutschlands gegenüber der Tschechoslowakei gelten. Hierfür hätte es einer detaillierten Aufli-stung der Schäden auf tschechischer Seite durch die Okkupation und einer Schätzung des Wertes des konfiszierten Eigentums bedurft sowie einer abschließenden vertraglichen Fixierung dieses Ausgleiches.

Reparationen waren im Rahmen des Interallierten Reparationsabkommens vom 14. Januar 1946 geleistet worden. Tomuschat weist in seinem Gutachten auf Artikel 6D dieses Abkommens hin, in dem die sude-tendeutschen Vermögenswerte von der Reparationsmasse ausgeschlossen wurden.175

Die Entschädigungsansprüche bleiben auch nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bestehen, da es dabei um den Beitritt der DDR zur Rechtsperson der Bundesrepublik handelt. Die Bun-desrepublik ging immer von einer Rechtsnachfolgerschaft des Dritten Reiches aus. Durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag erlangt der deutsche Staat entsprechend Art. 7 Abs. 2 die „volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“. Die Vereinbarung zwischen den drei Westmächten und der Bun-desrepublik Deutschland vom 27./28. September 1990, in der das Klage- und Einwendungsverbot des Überleitungsvertrages von 1952, mit dem das Besatzungsregime aufgehoben wurde, weiterhin als gültig erklärt wurde, schränkt diese Souveränität wiederum ein. Nach Tomuschat stellten die Alliierten hiermit ihre Reparationspolitik außer Streit, eine Regelung der sudetendeutschen Vermögensfragen ist jedoch hierin nicht explizit aufgeführt.

Aus der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik, ihre Staatsangehörigen gegen völ-kerrechtswidrige Eingriffe fremder Staaten zu schützen, leitet der Rechtswissenschaftler Dieter Blumen-witz (1972) eine Durchsetzungspflicht der Entschädigungsansprüche für die Bundesregierung ab. Die Aufgabe der Entschädigungsansprüche bzw. schon deren Offenhalten käme einer Amtspflichtverletzung gleich und würde Ersatzansprüche der Sudetendeutschen gegenüber der Bundesregierung nach sich zie-hen. Für die bundesdeutsche Rechtsprechung ist hier das Hess-Urteil des BverfG vom 16.12.1980 maß-geblich, in dem ausgeführt wurde, daß diese Verpflichtung nicht absolut, sondern auch vor dem Hinter-grund der politischen Interessen der Bundesrepublik zu gewichten sei. Die Außenpolitik der Bundesrepu-blik ist vor allem dem friedlichen Miteinander in Europa verpflichtet und kann nicht von den Interessen der Sudetendeutschen dominiert werden. Tomuschat gelangt deshalb zu dem Schluß, daß es kein Pflicht-verstoß ist, diese Rechtspositionen nicht mehr durchzusetzen.176

mäßer und humaner Weise‘, wie sie das Potsdamer Protokoll vorsah, vollstrecken läßt. Wer Massenvertreibung in Gang setzt, programmiert Terror und Exzesse mit.“, in FAZ, 7.6. 1999.

174 Tomuschat (1996: 45)

175 Der Artikel lautet wie folgt:„Bei der Anwendung der Bestimmungen des obigen Paragraphen A werden Werte, die nicht das Eigentum Deutschlands, sondern das Eigentum eines Mitgliedstaats der Vereinten Nationen oder ei-nes seiner Staatsangehörigen im Augenblick der Annexion oder der Besetzung dieses Landes durch Deutschland oder seines Kriegseintritts waren, nicht auf sein Reparationskonto angerechnet“, in: Bundesministerium der Ju-stitz (Hg.) 1951: Deutsches Vermögen im Ausland, Bd. 1/ 14 (deutsche Fassung).

176 Tomuschat (1996: 62f.)

Darüber hinaus haben sich durch die Behandlung der Konfiskationsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), neue Maßstäbe für die Behandlung der vermögensrechtlichen Fragen der Sude-tendeutschen ergeben. Aus dem Urteil des BverfG vom 23. April 1991 wurde deutlich, daß sich die Bun-desrepublik bei den Enteignungen in der SBZ am Territorialitätsprinzip orientiert und die entschädi-gungslosen Eingriffe weiterhin rechtswirksam bleiben, so daß die Rechtswissenschaftler zu dem Schluß gelangen, daß dem Ausland gegenüber keine härteren Maßstäbe angewandt werden könnten wie inner-halb des wieder vereinigten Deutschlands.

Zusammengefaßt bestehen für die Bundesrepublik auch bis in die Gegenwart Deliktsansprüche ge-genüber der Tschechischen Republik, die aber angesichts konkurrierender in der Verfassung verankerter Verpflichtungen außenpolitisch nicht mehr durchgesetzt werden.