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Rechtfertigung ästhetischer Urteile

Im Dokument Franz von Kutschera (Seite 152-170)

2 Ästhetische Erfahrungen und Urteile 2.1 Ästhetische Erfahrung

2.4 Rechtfertigung ästhetischer Urteile

Die Antwort auf die Frage nach den Grundlagen ästhetischer Urteile hängt von deren Deutung ab. Bei einer individuell subjektivistischen Deutung läßt sich die Frage einfach beantworten: Schön ist das, was gefallt, und ob jemand etwas gefallt oder nicht, ist ihm unmittelbar gewiß. Wie subjektive Präferenzen im allgemeinen folgen auch ästhetische freilich nicht direkt dem momentanen Wohlgefallen. Sol-len sie kohärent sein, so müssen sie eine Systematisierung dessen darstellen, was uns in der Empfindung gefallt; Grundlage ästhetischer Urteile bleibt aber auch dann das Gefallen, das jemand an den Dingen findet und das für ihn selbst unzweifelhaft ist.1 Schwieriger ist die Antwort, wenn wir von der oben skizzierten objektiven Deutung ästhetischer Phänomene ausgehen. Man könnte zunächst zwei Typen von Rechtfertigungstheorien unterscheiden, von denen die ersten synthetisch-apriorische ästhetische Erkenntnisse annehmen, während die zweiten alle synthetischen Urteile (d.h. alle Aussagen, die nicht analytisch gelten wie z.B. „Was schön ist, ist nicht häßlich") als empirisch ansehen. Es gibt aber keine Theorien, die eindeutig be-haupten, es gebe synthetisch-apriorische ästhetische Erkenntnisse.

Kant meint zwar, ästhetische Urteile hätten eine apriorische Grund-lage — in der apriorisch erkennbaren Struktur der menschlichen Gemütskräfte —, aber nicht, sie ließen sich apriorisch beweisen. Wir gehen darauf gleich noch etwas näher ein. Alle ästhetischen Theorien, die sich überhaupt näher zur Erkenntnis ästhetischer Sachverhalte äußern, sind also empirische Theorien. Relevanter ist daher die Unterscheidung der Theorien in intuitionistische und nichtintuitioni-stische. Wir wollen eine Theorie ästhetischer Erkenntnis tntuitioni-stisch nennen, wenn sie behauptet, ästhetische Erkenntnis sei eine intuitive, nicht begründbare Erkenntnis.2 Eine Theorie, die neben intuitiven Feststellungen auch Kriterien für das Vorliegen ästhetischer Tatsachen annimmt, also eine Kritisierbarkeit und

Be-1 Vgl. dazu Kutschera (1982), Kap.6, insbesondere S.233f.

2 Wir verwenden also die Bezeichnung „intuitionistisch" anders als in der Ethik, wo man nichtnaturalistische Theorien als „intuitionistisch" bezeichnet. Ein ästhetischer Naturalismus verträgt sich freilich auch nach der hier angegebenen Bestimmung schlecht mit einem Intuitionismus, da es für das Vorliegen nichtästhetischer Attribute immer Kriterien gibt.

gründbarkeit ästhetischer Urteile, bezeichnen wir als nichtintuitioni-stisch. Man unterscheidet oft Theorien, nach denen ästhetische Urteile

„Sinnesurteile" sind, von solchen, nach denen sie „Verstandesurteile"

sind.3 Diese Redeweise ist aber schief, denn alles Urteilen ist eine Sache auch des Verstandes — es gibt keine „begriffslosen" Urteile

—, und ein Rationalismus des Inhalts, ästhetische Urteile seien reine Verstandesurteile, ist nie ernsthaft vertreten worden; er würde ja auch eine apriorische Theorie aller ästhetischen Erkenntnis implizie-ren. Der „Rationalismus" z.B. von Gottsched besteht lediglich darin, daß er allgemeine Kriterien für Schönheit in der Dichtung annimmt.

Ästhetische Intuition kann als Leistung eines speziellen ästheti-schen Sinns aufgefaßt werden, wie ihn z.B. Hutcheson annahm.4 Da wir die Annahme eines solchen Sinns aber schon oben verworfen haben, beschränken wir uns hier auf Theorien, die eine intuitive Erkenntnis ästhetischer Tatsachen durch die äußeren Sinne und den

„inneren Sinn" annehmen.5 So spricht G.F.Meier vom Geschmack-surteil als „sinnlichem Urteil" und Leibniz und Hume reden von einem „Urteil der Empfindung". Oft verbindet sich der Intuitionis-mus mit einem SubjektivisIntuitionis-mus, wie z.B. bei Hume und Kant, aber der Intuitionismus impliziert keinen Subjektivismus, ist also auch in Verbindung mit einer objektiven Deutung ästhetischer Urteile von Interesse, wie wir sie hier betrachten.

Wie vor ihm schon J.Addison hat Edmund Burke in (1757) die Ansicht vertreten, die (äußeren) Sinne selbst seien die Quelle ästhetischer Empfindungen, mit den Wahrnehmungen verbänden sich unmittelbar jene Gefühle, auf denen ästhetische Urteile beruhen. Er sagt, Schönheit wirke durch die Sinne auf unseren Geist ebenso unmittelbar und „mechanisch" wie Hitze und Kälte.6 Daneben seien auch anschaulich-sinnenhafte Vorstellungen wie die entsprechenden Wahrnehmungen mit ästhetischen Gefühlen verbunden. Anders als etwa der Abbé du Bos, der in seinen Reflexions Critiques sur la Poesie et sur la Peinture (1719) sagte, Geschmacksurteile seien ebenso unmittelbar wie die des Geschmackssinns und wir beurteilten ein Gemälde wie ein Ragout, betont Burke jedoch den Anteil des

Ver-3 Vgl. dazu die Anmerkung 22 in 2.3.

4 Vgl. dazu 2,1.

5 Zum „inneren Sinn" vgl. 1.1.

6 Vgl. Burke (1757), S.92, 112.

standes an ästhetischen Urteilen. Diesen Anteil sieht er freilich nur im Vergleich von Gegenständen und ästhetischen Empfindungen sowie in der Ausbildung kohärenter und klarer ästhetischer Präferen-zen. Er sagt: „Taste ... is not a simple idea, but is partly made up of a perception of the primary pleasures of sense, of the secondary pleasures of imagination, and of the conclusions of the reasoning faculty, concerning the various relations of these, and concerning the human passions, manners and actions".7 (Die letzte Bemerkung bezieht sich allerdings weniger auf den Geschmack selbst, als auf die Theorie des Geschmacks. Burke sah die Aufgabe der Ästhetik vor allem in der Aufklärung der psychologischen Mechanismen, die ästhetichen Empfindungen zugrunde liegen.) Der Verstand spielt also für ästhetische Urteile nur eine regulative, keine konstitutive Rolle.

Die Ästhetik von Burke hat sogar deutlich antirationalistische Züge.

Verstand, sagt er, behindere Phantasie und Gefühl — „judgment is for the greater part employed in throwing stumbling blocks in the way of imagination, in dissipating scenes of its enchantment, and in tying us down to the disagreeable yoke of our reason".8 Wie Baum-garten betont er, daß „verworrene" Vorstellungen ästhetisch wert-voller seien als distinkte. In Anlehnung an die Terminologie von Descartes unterscheidet Baumgarten erstens zwischen verworrenen (confusaé) und distinkten (distinctae) und zweitens zwischen klaren (c/arae) und dunklen {pbscurae) Vorstellungen. Verworren sind sinnlich konkrete Vorstellungen, deren Gehalt begrifflich nicht vollständig erfaßt werden kann. Auch sie können aber klar sein, und ästhetisch wertvolle Vorstellungen sind immer klar. Distinkte Vorstellungen sind solche mit einem begrifflich wohlbestimmten Inhalt. Burke macht hingegen keinen Unterschied zwischen klaren und distinkten Vorstellungen, und sagt so: „Clear ideas are little ideas".9 Ihm kommt es auf „starke" Ideen an, auf Vorstellungen oder Wahrnehmungen, die starke Gefühle erregen, und die sind für ihn immer verworren.

Ebenso unterscheidet er klaren und starken Ausdruck: Während der erstere eine Sache so beschreibt, wie sie objektiv ist, und damit Kenntnisse vermittelt, beschreibt der letztere, wie sie empfunden wird, und vermittelt so Gefühle. In der Kunst kommt es nun

7 A.a.O., S.23.

8 A.a.O., S.25.

9 A.a.O., S.60f, 63.

auf Gefühle, also auf starke Vorstellungen und Darstellungen an.1 0 Dagegen hat sich J.Warton gewandt. Er schreibt: „The use, the force and the excellence of language, certainly consists in raising clear, complete, and circumstantial images, and in turning readers into spectators".11 Dieser Einwand beruht aber nur auf der fehlenden Unterscheidung zwischen klaren und distinkten Vorstellungen: Es kommt in der Dichtung sicher darauf an, dem Leser klare, konkrete {circumstantial) und anschauliche Vorstellungen zu vermitteln, aber Burke wollte nicht klaren, sondern nur distinkten Vorstellungen den ästhetischen Wert absprechen — so jedenfalls muß man ihn wohl verstehen. Er hat sich auch gegen Verstandes mäßige Kriterien für Schönheit gewandt: Erstens gegen die Auffassung, schön sei allein die Form der Dinge, wie sie Plotin vertrat. So hat Burke als erster ausdrücklich auf den ästhetischen Wert der Farben hingewiesen.

Während A.Gerard deren ästhetischen Wert durch Assoziation er-klärte — Grün ist z.B. die Farbe der Fruchtbarkeit, da wir diese schätzen, empfinden wir also auch Grün als angenehm —, betonte Burke ihren ästhetischen Eigenwert.12 Zweitens gegen Schönheit als Proportion: Burke betonte, daß perfekt geometrische Proportionen, wie sie sich z.B. bei Quadraten, Kreisen oder gleichseitigen Dreiecken finden, ästhetisch neutral sind, daß gerade Linien ausdrucksärmer sind als geschwungene. Er weist auf die unendliche Vielfalt der Proportionen bei schönen Pflanzen, Tieren und Menschen hin, die sich nicht unter eine Regel bringen lassen. Mit ähnlichen Gründen wendet er sich gegen die Bestimmung von Schönheit als Perfektion.13 Drittens gegen Schönheit als Entsprechung von Form und Zweck eines Gegenstandes: Es gibt perfekt angepaßte Formen, sagt Burke, wie z.B. die eines Schweinskopfes, die wir trotzdem als häßlich empfinden.14 Viertens gegen die Verbindung des Schönen mit dem Guten: Tugenden haben für Burke nichts Liebenswertes, sondern etwas Strenges 1 5 und Schönheit besteht für ihn in jenen Qualitäten, die in uns eine interesselose Zuneigung erwecken: „By beauty 1

1 0 A.a.O., S.163ff.

11 Essays on the Genius and Writings of Pope, 41782, II, 165.

1 2 Vgl. Burke (1757), S.79ff, 116f, 159f.

1 3 A.a.O., S.92ff und 110.

1 4 A.a.O., S.104ff.

1 5 A.a.O., S.llOf.

mean, that quality or those qualities in bodies by which they cause love, or some passions similar to it. ... I .. distinguish love, by which I mean that satisfaction which arises to the mind upon contemplating any thing beautiful .. from desire or lust; which is an energy of the mind, that hurries us on the possession of certain objects ,.".1 6

Burke betont also den sinnlichen Charakter und die Autonomie des Ästhetischen gegenüber dem Intellektuellen. Sein Einfluß auf die englische und die deutsche Ästhetik war groß — zumal der auf Kant

—, aber sein Inquiry ist eine Jugendschrift, die sich nicht durch begriffliche Klarheit auszeichnet und insbesondere unter einem primi-tiven Psychologismus leidet; psychologische Überlegungen machen den Hauptteil des Werkes aus.

Besonders stark hat Kant den intuitiven Charakter ästhetischer Erfahrung betont. Für ihn ist es für das Schöne charakteristisch, daß es „ohne Begriffe gefällt". Auch das Angenehme gefällt durch die Sinne in der Empfindung, und dazu ist kein Urteil über die Natur des Gegenstandes erforderlich. Das Gute gefallt durch Vernunft, durch den „bloßen Begriff*.17 Das soll heißen: Das Urteil über die moralische Qualität einer Handlungsweise (im Rahmen von Kants Pflichtethik sind Handlungsweisen die primären Objekte moralischer Bewertung) hängt nicht vom Erleben ab. Wenn mir jemand eine Handlung beschreibt, kann ich sie ebenso beurteilen, als wenn ich sie selbst beobachte. Das Schöne gefallt hingegen „ohne Begriffe".

Ästhetische Urteile beziehen sich allein auf die Erscheinungsweise eines Objekts, so daß die begriffliche Bestimmung seiner Natur dafür unerheblich ist. Für die ästhetischen Qualitäten der Gegenstände gibt es auch keine allgemeinen objektiven Kriterien, also keine Eigen-schaften der Gegenstände selbst (wie z.B. Form- oder Farbeigenschaf-ten), die für ihre Schönheit hinreichend oder notwendig sind. Kant sagt: „Wenn man Objekte bloß nach Begriffen beurteilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren. Also kann es auch keine Regel

1 6 A.a.O., S.91. Diese Liebe beruht auf einer im weitesten Sinn des Wortes sozialen Einstellung des Menschen, einer Benevoienz zu uns Verwandtem.

Man könnte dabei wieder an die stoische Oikeiösis denken, ein Gefühl der Verwandtschaft, das sich auf alle Dinge erstreckt, aber Burke leitet sie nicht aus der Verbindung des menschlichen Geistes mit dem Weltlogos ab, sondern aus dem Geschlechtstrieb. Vgl. dazu a.a.O. S.40ff.

1 7 Vgl. K U , S.42f.

geben, nach der jemand genötigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen. Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume schön sei, dazu läßt man sich sein Urteil durch keine Gründe oder Grundsätze aufschwatzen".18 Über Schönheit entscheidet allein die eigene An-schauung: "Man kann apriori nicht bestimmen, welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß sein werde oder nicht, man muß ihn versu-chen".19 Für Kant gibt es aber auch keine empirischen Kriterien für Schönheit: „Unter einem Prinzip des Geschmacks würde man einen Grundsatz verstehen, unter dessen Bedingung man den Begriff eines Gegenstandes subsumieren und alsdann durch einen Schluß heraus-bringen könnte, daß er schön sei. Das ist aber schlechterdings unmög-lich. Denn ich muß unmittelbar an der Vorstellung desselben die Lust empfinden, und sie kann mir durch keine Beweisgründe angeschwatzt werden".20 Ästhetische Urteile sind daher nicht beweisbar: „Obgleich alle Kritiker, wie Hume sagt, scheinbarer vernünfteln können als Köche, so haben sie doch mit diesen einerlei Schicksal. Den Bestim-mungsgrund ihres Urteils können sie nicht von der Kraft der Beweis-gründe, sondern nur von der Reflexion des Subjekts über seinen eigenen Zustand (der Lust oder Unlust), mit Abweisung aller Vor-schriften und Regeln, erwarten".21

Ein so radikaler ästhetischer Intuitionismus, wie ihn Kant ver-tritt, ist aber nicht haltbar, denn danach besagt „schön sein" soviel wie „mir jetzt als schön erscheinen", und Entsprechendes gilt für andere (spezifisch) ästhetische Prädikate. Diese Gleichsetzung haben wir aber schon oben kritisiert. Kants Intuitionismus ist eine Folge seiner indi viduell-subjekti vis tischen Deutung ästhetischer Aussagen, die nur aufgrund der fragwürdigen These vom prinzipiell gleichen ästhetischen Erleben aller Menschen zu allen Zeiten dem Widersinn entgeht, daß Schönheit zeit- und sprecherabhängig ist. Burkes Kon-zeption ist demgegenüber plausibler, denn nach ihm ist zwar das ästhetische Erleben und Empfinden Grundlage ästhetischer Urteile, aber es wird doch ein Unterschied gemacht zwischen „mir jetzt als schön erscheinen" und „schön sein": Ästhetische Urteile folgen nicht allein dem momentanen Eindruck, sondern kohärenten Präferenzen

1 8 A.a.O., S.53f.

1 9 A.a.O., S.29.

2 0 A.a.O., S.135.

2» A.a.O., S.135.

und Ansichten, welche die Summe unserer ästhetischen Erfahrungen bilden.

Wie stellt sich nun das Problem der Rechtfertigung ästhetischer Urteile bei derjenigen Deutung dar, die im letzten Abschnitt skizziert wurde? Das Problem hat eine praktische und eine theoretische Seite:

Die praktische besteht darin, wie man ein bestimmtes ästhetisches Urteil rechtfertigen kann, und dazu läßt sich nur unter Bezugnahme auf seinen besonderen Inhalt und die verfügbaren Daten etwas sagen.

Hier geht es allein um die theoretische Seite, die Rechtfertigungsfa-higkeit ästhetischer Urteile im allgemeinen. Dazu sind zunächst drei Punkte zu beachten:

1. „Rechtfertigen" heißt nicht immer Begründen. Wie schon Piaton betont hat, läßt sich nicht alles begründen, weil jede Begründung eines Satzes begründende Sätze erfordert. Die Forderung, alles zu begründen, liefe also auf einen unendlichen Regreß hinaus. Eine Behauptung ist auch durch ihre Evidenz gerechtfertigt.22 Ohne evi-dente, d.h. einer Begründung nicht bedürftige Sätze gäbe es keine Begründungen, da deren erste Prämissen ja unbegründet bleiben.

Wie Überzeugung ist auch Evidenz ein subjektives Wahrheitskrite-rium: Ein Sachverhalt ist nicht als solcher evident, sondern er ist jemand (zu einer gewissen Zeit) evident. Evidenz garantiert auch keine Wahrheit. Es war wohl schon jedem einmal etwas evident, was er später als falsch erkannte. Wenn mir jedoch ein Sachverhalt evident ist, berechtigt mich das zur Behauptung, daß er tatsächlich besteht.

Diese Behauptung kann sich wie gesagt als falsch erweisen, aber einen besseren subjektiven Grund als Evidenz haben wir für unsere Behauptungen nicht — auch nicht in Begründungen, bei denen uns ja auch sowohl ihre Schlüssigkeit wie die Wahrheit ihrer ersten Prämissen einleuchten muß. Die Behauptung, Herr X Y sei zierlich, läßt sich ebenso wie jene, er sei dünn, auf Befragen, woher man das wisse, einfach dadurch rechtfertigen, daß man sagt, man habe ihn gesehen. Einer Begründung der Behauptung durch Angabe der Kör-permaße bedarf es in beiden Fällen nicht. In der Literatur zum Problem der Rechtfertigung ästhetischer Aussagen wird freilich Evi-denz, sofern sie überhaupt erwähnt wird und man Rechtfertigung

2 2 Zum Begriff der Evidenz vgl. Kutschera (1981), 1.5.

nicht ohne weiteres als Begründung auffaßt, meist mit dem Hinweis auf den Mangel intersubjektiver Übereinstimmung als unzuverlässig angesehen. Darauf sind wir aber schon oben eingegangen und im übrigen verbindet sich mit Evidenz immer die Überzeugung vom Bestehen des evidenten Sachverhalts.

2. „Ästhetische Urteile rechtfertigen" heißt nicht immer, sie mithilfe von nichtästhetischen Urteilen rechtfertigen. Man kann ja auch nicht sagen, moralische Urteile rechtfertigen, hieße sie mit nichtmorali-schen begründen, oder Urteile über optische Eigenschaften eines Gegenstands rechtfertigen hieße, sie mit Aussagen über seine nicht-optischen Eigenschaften begründen. Das wäre eine illegitime Be-schränkung der Rechtfertigungsmöglichkeiten. Unter Hinweis auf die mangelnde Übereinstimmung in ästhetischen Urteilen werden in der Literatur freilich vielfach ästhetische Kriterien für ästhetische Urteile als unbrauchbar angesehen, so daß sich die Diskussion auf die Frage konzentriert, ob es nichtästhetische Kriterien für ästhetische Urteile gibt.

3. Kriterien sind nicht nur notwendige oder hinreichende Bedingun-gen. Gilt der Satz (a): „Für alle Dinge x gilt: Hat x die Eigenschaft G, so hat x auch die Eigenschaft F'\ so bezeichnet man den Sachver-halt, daß ein bestimmter Gegenstand a die Eigenschaft G hat, als hinreichendes Kriterium dafür, daß a die Eigenschaft F hat.23 Daß sich ein Lackmuspapier, das man in eine Flüssigkeit taucht, rot färbt, ist z.B. ein hinreichendes Kriterium dafür, daß die Flüssigkeit eine Säure ist. Gilt der Satz (b): „Für alle Dinge x gilt: Hat x die Eigenschaft F, so hat x auch die Eigenschaft G(\ so nennt man den Sachverhalt, daß a die Eigenschaft G hat, ein notwendiges Kriterium dafür, daß a die Eigenschaft F hat. Hat a nicht die Eigenschaft G, so kann a nach (b) auch nicht die Eigenschaft F haben. Ein Kriterium soll dabei in der Regel ein leichter oder zuverlässiger feststellbarer Sach-verhalt sein als jener, für den es ein Kriterium ist. Kriterien für einen Sachverhalt p sind aber nicht nur hinreichende und notwendige Bedingungen für das Bestehen von p, sondern auch Bedingungen, die in einem recht weiten Sinn des Wortes für das Bestehen von p sprechen, bzw. solche, deren Nichterfülltsein gegen das Bestehen von

Man nennt auch den generellen Sachverhalt, den der Satz (a) ausdrückt, ein Kriterium, oder bezeichnet aufgrund von (a) die Eigenschaft G als Kriterium für die Eigenschaft F.

p spricht. Solche Kriterien wollen wir Indizien nennen. Das Bestehen von q spricht z.B. für jenes von p, wenn es p ceteris paribus wahrschein-licher macht. Daß man das Wort „Kriterium" im Alltag meist in diesem weiteren Sinn verwendet und es zweckmäßig ist, das auch im Bereich der Ästhetik zu tun, hat H.Knight in (1949) betont.24 Indizien für gute Fußballspieler sind z.B. Einsatzbereitschaft, Schnel-ligkeit, Dribbel- und Schußstärke, Übersicht, die Fähigkeit, ein Spiel zu gestalten, Konstanz der Leistung etc. Keines dieser Indizien ist für sich allein hinreichend oder notwendig dafür, daß jemand ein guter Fußballspieler ist. Es gibt gute Verteidiger, die keine Spielma-cher sind, gute Mittelfeldspieler, die nicht schußstark sind und schuß-und dribbelstarke Spieler, die wegen mangelnder Konstanz ihrer Leistungen oder fehlender Übersicht keine guten Spieler sind. Solche Indizien machen also die Behauptung, jemand sei ein guter Spieler, zwar plausibel, aber sie reichen nicht hin, ihn definitiv als guten Spieler auszuweisen, denn man kann immer entgegnen, daß der Spieler zwar die genannten Qualitäten hat, andere ihm jedoch fehlen.

Tatsächlich stützen sich Begründungen im Alltag meist auf Indizien, und solche Begründungen funktionieren praktisch recht gut. Es gibt auch keine vollständige Liste von Kriterien, die jemand definitiv als guten Fußballspieler auszeichnen oder die er erfüllen muß, um ein guter Fußballspieler zu sein. Man kann also nicht behaupten, Argu-mente mit Indizien seien in dem Sinn elliptisch, daß sie nur auf das Erfülltsein einer Bedingung hinweisen und die anderen als erfüllt voraussetzen, sie ließen sich aber prinzipiell in die Form eines logisch gültigen deduktiven Arguments bringen, in dem aus einem generellen Kriterium und Aussagen, daß all seine Bedingungen im Fall des fraglichen Gegenstands erfüllt sind, auf die Eigenschaft dieses Gegen-stands geschlossen wird, um die es geht. Endlich ist zu betonen, daß hinreichende Kriterien dafür, daß ein Gegenstand a die Eigenschaft F hat, nicht immer die Gestalt (a) haben müssen. Sie können, falls a die Eigenschaft H hat, auch die speziellere Form haben (a*): „Für alle Dinge x mit der Eigenschaft H gilt: Hat x die Eigenschaft G, so auch die Eigenschaft F". Gerade für Eigenschaften F mit einem sehr weiten Anwendungsbereich wie z.B. ,schön' ist nicht zu erwar-ten, daß sich ganz allgemeine Kriterien für Schönheit finden lassen,

2 4 Vgl. dazu auch Beardsley (1962).

denn schöne Gesichter zeichnen sich durch andere Eigenschaften aus

denn schöne Gesichter zeichnen sich durch andere Eigenschaften aus

Im Dokument Franz von Kutschera (Seite 152-170)