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Die Objektivität ästhetischer Urteile

Im Dokument Franz von Kutschera (Seite 118-152)

2 Ästhetische Erfahrungen und Urteile 2.1 Ästhetische Erfahrung

2.3 Die Objektivität ästhetischer Urteile

Ästhetische Urteile sind solche, die den Gehalt ästhetischer Erfahrung beschreiben.1 Wie wir schon oben bei der Diskussion ästhetischer Begriffe gesagt haben, gehören dazu auch Urteile über Farben, For-men, Bewegungen etc. von Dingen, die deren physikalische Eigen-schaften angeben. Spezifisch ästhetische Urteile sind solche über expressive Qualitäten der Dinge und wertende Urteile mit Prädikaten, wie sie im letzten Abschnitt als Beispiele ästhetischer Begriffe unter (1) bis (3) aufgeführt wurden. In diesem und dem folgenden Ab-schnitt geht es um spezifisch ästhetische Urteile. Im Sinn der Bemer-kungen in 2,2 ist zu betonen, daß nicht alle solche Urteile Werturteile sind und daß ästhetische Werturteile häufig auch deskriptive Kompo-nenten haben.

Im Zusammenhang mit ästhetischen Urteilen sind nun vor allem folgende beiden Fragen von zentraler Bedeutung, die ihren epistemo-logischen Status betreffen:

1. Kann man, und wenn ja: in welchem Sinn kann man ästhetische Urteile als „objektiv" bezeichnen?

2. Lassen sie sich, und wenn ja: wie lassen sie sich rechtfertigen?

In der Literatur findet sich, wie bereits erwähnt wurde, häufig die Erklärung, (spezifisch) ästhetische Urteile seien solche, die auf dem Geschmack beruhen (vgl. z.B. Sibley (1965)). Unter Geschmack versteht man aber häufig das Vermögen ästhetischer Beurteilung und dann ist diese Bestimmung ebenso zirkulär wie die in 2.1 erwähnte Charakterisierung ästhetischer Erfahrung als Erfahrung mit dem „ästhetischen Sinn" (als Vermögen ästhetischer Erfah-rung).

Beide Fragen sind in der Literatur heftig umstritten. Wir wollen in diesem Abschnitt die erste diskutieren, deren Beantwortung Voraus-setzung für die Klärung der zweiten ist, wie wir gleich sehen werden.

Man kann ästhetische Urteile nur dann als „objektiv" bezeichnen, wenn sie Behauptungen sind, also wahr oder falsch. Wie im Fall der Ethik stehen sich auch in der Ästhetik bzgl. dieser Frage zwei Typen von Theorien gegenüber:2 Kognitivistische Theorien behaupten, ästhetische Urteile seien Behauptungen, nichtkognitivistische Theorien, das sei nicht der Fall. Der Nichtkognitivismus hat radikale Konse-quenzen: Sind ästhetische Aussagen weder wahr noch falsch, so lassen sie sich nicht rechtfertigen — jedenfalls nicht im normalen Sinn einer Rechtfertigung ihres Wahrheitsanspruchs. Die Theorie des Ästhetischen beschränkt sich dann auf den Nachweis, daß ästhetische Aussagen keine Behauptungen sind, und damit ist sie auch schon am Ende; mehr gibt es für sie nicht zu sagen. Darüber hinaus kann es nur psychologische Theorien ästhetischen Empfindens geben.

Nichtkognitivistische Theorien gehen von der Tatsache aus, daß nicht alle Sätze mit der grammatikalischen Gestalt von Aussagesätzen auch Behauptungssätze sind, daß die Funktion einer Äußerung sich nicht immer aus ihrer sprachlichen Form ablesen läßt. Insbesondere können Sätze, die primär der Kundgabe oder einem Appell dienen, als Behauptungssätze formuliert sein.3 Die zentrale Behauptung nichtkognitivistischer Theorien ist es nun, daß das auch bei ästheti-schen Aussagen der Fall ist: Sage ich: „Dies ist schön", so behaupte ich nichts über die Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern ich bringe nur meine gefühlsmäßige Einstellung zu ihm zum Ausdruck oder appelliere an den Hörer, sich diese Einstellung zu eigen zu machen oder suche in ihm ähnliche Gefühle zu evozieren.

Den ersten Schritt zu dieser Deutung haben C.K.Ogden und I.A.Richards in (1923) getan. Sie gehen dabei von einer behavioristi-schen Semiotik aus, die aber in unserem Zusammenhang ohne Inter-esse ist, und unterscheiden nicht zwischen emotiver (expressiver) und evokativer Bedeutung. Richards meint nun, im poetischen Sprachge-brauch sei die kognitive (d.h. die deskriptive) Funktion der Sprache ganz ihrer emotiven (bzw. evokativen) Funktion untergeordnet und

2 Vgl. dazu Kutschera (1982), Kap.2.

3 Z u Kundgabe und Appell im Sinne K.Bühlers vgl. den Abschnitt 1.2.

Entsprechendes gelte auch für nicht verbale Sprachen, wie die der bildenden Kunst und der Musik.4 Die semiotische Hauptfunktion von Äußerungen wird so bestimmt, daß solche, die einen Wahrheits-wert haben (also wahr oder falsch sind) und bei denen es auf diesen Wahrheitswert ankommt, eine kognitive Funktion haben, während andere Äußerungen, die entweder von vornherein keinen Wahrheits-wert haben, weil sie nicht die Form von Behauptungssätzen haben (wie Ausrufe oder Aufforderungen), oder die zwar von dieser Form sind, bei denen aber der Wahrheitswert keine Rolle spielt, die also nicht als Behauptungen gemeint sind, nichtkognitive Funktionen haben.5 Poetische Aussagen sind nun aber keine ästhetischen Urteile.

Die kommen vor allem in der Kunstkritik vor, und Kritik wie auch Ästhetik im allgemeinen, ist nach Richards — in der von ihm projektierten Form — eine exakte Wissenschaft. Der Wert eines Kunstwerks bemißt sich nach ihm daran, ob es wertvolle (gefühlsmä-ßige) Erfahrungen ausdrückt. Jede Erfahrung besteht aus emotiven Impulsen, und den höchsten Wert sollen jene Erfahrungen haben, in denen möglichst viele verschiedene Impulse im Gleichgewicht miteinander stehen.6 Die Theorie des Ästhetischen ist demnach Teil der Psychologie, denn die verschiedenen emotiven Impulse sind psychologisch zu beschreibende und zu messende Phänomene, und ebenso ist ihr Gleichgewicht ein mit psychologischen Begriffen zu definierender seelischer Zustand.

Die Theorie von Richards ist noch keine nichtkognitivistische Theorie des Ästhetischen im Sinne unserer Bestimmung. Sie besagt nicht, daß ästhetische Urteile nichtkognitiv sind, sondern nur, daß das für die Aussagen der Kunst, also z.B. für poetische Texte gilt.

Er sagt: „A poem tells us, or should tell us, nothing".7 Auch das ist jedoch kaum haltbar. Es gibt Gedichte wie z.B. Goethes Das Göttliche („Edel sei der Mensch,...") oder Schillers Worte des Glaubens („Drei Worte nenn ich euch, inhaltsschwer,..."), in denen durchaus etwas behauptet wird, die einen Wahrheitsanspruch erheben. Dichtung ist natürlich oft Erdichtung, d.h. sie beansprucht nicht, wahre

Begeben-4 Vgl. Ogden und Richards (1923), S.236 und Richards (1924), S.216.

5 Daneben gibt es für Ogden und Richards wie für Bühier auch Mischformen, also Äußerungen, die sowohl kognitive wie nichtkognitive Funktion haben.

6 Vgl. Richards (1924), S.197.

7 Ogden und Richards (1923), S.158.

heiten darzustellen. Aber auch eine Erzählung fiktiver Begebenheiten wie Raabes Stopfkuchen läßt sich nicht bloß als Ausdruck der Gefühle des Autors verstehen, als Appell an den Leser, sich gewisse Einstel-lungen zu eigen zu machen oder als Versuch, Gefühle im Leser zu evozieren. Es ging Raabe vielmehr darum, am Beispiel der Personen und Vorgänge, von denen er erzählt, Aussagen über das menschliche Leben zu machen, dessen Verfaßtheit darin deutlich werden zu lassen, und unter diesem Aspekt kann man durchaus von Wahrheit auch im Bereich der Erdichtung reden. Im übrigen liefert Richards keine diskutablen Argumente für seine These vom ausschließlich nichtko-gnitiven Sinn poetischer Texte. Für ästhetische Aussagen schlägt er hingegen eine naturalistische, psychologische Deutung vor.8

Eine nichtkognitivistische Theorie des Ästhetischen in unserem Sinn ergibt sich erst dort, wo ästhetische Aussagen nicht als Behaup-tungen aufgefaßt werden. Das ist bei A.J.Ayer in (1936), Kap.VI der Fall, der darin Gedanken aus R.Carnaps Philosophy and Logical Syntax (1935) aufgenommen hat. Er geht auf ästhetische Aussagen freilich nur sehr kurz ein und sagt im Grunde lediglich, sie seien entsprechend zu analysieren wie ethische 9: „As we have already said, our conclusions about the nature of ethics apply to aesthetics also.

Aesthetic terms are used in exactly the same way as ethical terms.

Such aesthetic words as „beautiful" and „hideous" are employed, as ethical words are employed, not to make statements of fact, but simply to express certain feelings and evoke a certain response. It follows, as in ethics, that there is no sense in attributing objective validity to aesthetic judgements, and no possibility of arguing about questions of value in aesthetics, but only about questions of fact. A scientific treatment of aesthetics would show us what in general were the causes of aesthetic feeling, why various societies produced and admired the works of art they did, why taste varies as it does within a given society, and so forth. And these are ordinary psychological or sociological questions. They have, of course, little or nothing to do with aesthetic criticism as we understand it. But that is because the purpose of aesthetic criticism is not so much to give knowledge as to communicate emotion. The critic, by calling attention to certain

8 Richards unterscheidet freilich nicht konsequent zwischen ästhetischen und poetischen Aussagen. Vgl. z.B. (1923), S.147.

9 Vgl. dazu auch die Darstellung in Kutschera (1982), S.94f.

features of the work under review, and expressing his own feelings about them, endeavours to make us share his attitude towards the work as a whole. The only relevant propositions that he formulates are propositions describing the nature of the work. And these are plain records of fact. We conclude, therefore, that there is nothing in aesthetics, any more than there is in ethics, to justify the view that it embodies a unique type of knowledge".10

Eine nichtkognitivistische Deutung ästhetischer Aussagen hat auch Ch.L.Stevenson, einer der Hauptvertreter des ethischen Nicht-kognitivismus, in (1950) vorgeschlagen. Er meint dort, eine Aussage der Gestalt (a): „Das Kunstwerk X hat die ästhetische Qualität J2"

sei zu deuten im Sinn von (b): "AT erscheint als wenn X richtig betrachtet wird". Dabei soll „richtig betrachtet werden" soviel besa-gen wie „in jener Art betrachtet werden, die kultiviert und aufrechter-halten werden soll von jenen, die den Gegenstand sorgfältig und in ästhetischer Einstellung betrachten wollen".11 Stevenson behauptet, diese Deutung sei nicht zirkulär, da das Prädikat >XQ" l n (b), im Kontext von „erscheinen als" in anderem Sinn verwendet werde als in (a). Er sieht eine Analogie zwischen seiner Deutung und der Erklärung (c): "X ist rot genau dann, wenn X bei richtiger Betrach-tung als rot erscheint (empfunden wird)". Der Unterschied zwischen (b) und (c) liege allein darin, daß „richtig" sich in (c) durch Bezug-nahme auf Normalbedingungen definieren läßt, also deskriptiv, wäh-rend das für (b) nicht der Fall sei; hier habe „richtig" den Charakter eines empfehlenden Ausdrucks: X wird richtig betrachtet, wenn es so betrachtet wird, wie es (unter ästhetischem Aspekt) nach Auffas-sung des Sprechers betrachtet werden soll. Daher sei (a) keine Be-hauptung, sondern eine Empfehlung, so daß eine explizit performa-tive Paraphrase (im Sinn der Sprechakttheorie) von (a) etwa so lauten würde (d): „Ich empfehle dir hiermit, X so zu betrachten, daß es dir als Q erscheint".

Stevenson hat keine brauchbare Begründung für seine Deutung von (a) im Sinn von (b) angegeben. Er sagt nur, dasselbe Kunstwerk lasse sich ästhetisch immer auf verschiedene Arten betrachten — er

1 0 Ayer (1936), Kap.VI, S.103f.

1 1 Vgl. Stevenson (1950), S.373.

meint wohl interpretieren 1 2 —, und der Kritiker müsse sich für eine entscheiden, nicht willkürlich zwar, denn er könne oft Gründe für seine Betrachtung (Deutung) angeben, aber nie hinreichende, so daß immer ein Element der Dezision oder der subjektiven Präferenz bliebe. Da die ästhetische Betrachtungsweise (Deutung) aus einer Wahl hervorgehe, seien ästhetische Aussagen als Aussagen über Aspekte des Kunstwerkes, die sich aus dieser Betrachtung ergeben, Empfehlungen.

All das ist nun aber wenig überzeugend. Erstens determiniert weder die Betrachtungsweise noch die Deutung eines Kunstwerks dessen ästhetische Qualitäten, die sich dabei ergeben, und die Qualitä-ten hängen auch nicht immer und insbesondere nicht alle von der Deutung bzw. Betrachtung ab. Ästhetische Eigenschaften eines Ge-mäldes, wie die Harmonie seiner Farben, sind weitgehend invariant gegenüber seiner Interpretation. Auch in Fällen, in denen eine ästhetische Qualität von der Deutung abhängt, folgt sie nicht aus ihr, sondern wir stellen fest, daß sie sich bei dieser Deutung zeigt.

Das ist aber eine Behauptung, keine Empfehlung. Zweitens ergibt der Satz (d) keinen vernünftigen Sinn. Man kann sagen: „Ich empfehle dir hiermit, X aus so großer Nähe zu betrachten, daß du alle Details erkennen kannst" aber nicht: „Ich empfehle dir hiermit, X so zu betrachten, daß es dir als schön erscheint". Das Kunstwerk ist (bei einer gewissen Deutung) schön oder es ist nicht schön. Man kann also nur sagen: „Deute es so, und du wirst die Schönheit bemerken".

Das ist aber keine bloße Empfehlung, sondern eine Empfehlung, verbunden mit einer Behauptung, die impliziert, daß das Werk (bei dieser Deutung) tatsächlich schön ist.13 Drittens setzt das Verständnis des Ausdrucks „als Q erscheinen" das Verständnis des Prädikats „Q"

voraus.14 Wer nicht weiß, was „rot" bedeutet, weiß auch nicht, was

„als rot erscheinen" besagt, und wer nicht weiß, was „schön" bedeu-tet, weiß auch nicht, was „als schön erscheinen" besagt. Man kann also (a) nicht zirkelfrei durch (b) erklären. Stevenson sucht das dadurch zu verschleiern, daß er für „Q" in (a) „Q" setzt und in (b) ußs", aber er sagt doch, daß es („in der Regel") dasselbe Prädikat

1 2 Diese Vermutung legt jedenfalls das einzige Beispiel nahe, das er diskutiert.

Vgl. a.a.O., S.358.

1 3 Zur Deutung ästhetischer Aussagen als Empfehlungen vgl.a. B.Hey] (1943).

1 4 Vgl. dazu Kutschera (1981), 5.3 (S.234Í).

sei und unternimmt nichts, um den behaupteten Sinnunterschied zu verdeutlichen.

Nach Margaret Macdonald ist ein ästhetisches Urteil- sie versteht darunter wertende Urteile der Kunstkritik — ein Verdikt, ähnlich wie der Spruch eines Richters.15 Wie dieser sei es nicht wahr oder falsch, beweisbar und widerlegbar, sondern nur gerechtfertigt oder ungerechtfertigt, gerecht oder ungerecht. Sie sagt aber nicht, wann ein solches Verdikt gerechtfertigt oder gerecht ist. Der Vergleich ist zudem unbrauchbar: Der Schuldspruch eines Richters ist eine sog.

Tatsachenentscheidung, also eine Feststellung, die im Verfahren nicht mehr angezweifelt werden kann. Ein solches Verfahren, das be-stimmte Feststellungen gewisser Personen als unanfechtbar auszeich-net, fehlt in der Kunstkritik jedoch. Ferner ist ein Urteil des Richters gerechtfertigt, wenn es richtig ist oder jedenfalls durch die Tatsachen ausreichend gestützt ist, die sich in der Beweisaufnahme ergeben haben. Ein richterlicher Schuldspruch hat also durchaus einen kogni-tiven Sinn, und daher wären ästhetische Urteile nur bei einer kogniti-vistischen Deutung damit vergleichbar. Gerecht ist endlich nur die Strafe, die der Richter verhängt, aber von Strafzumessungen kann in der Kunstkritik nicht die Rede sein.

Die Suche nach Argumenten für den ästhetischen Nichtkogniti-vismus bringt nicht viel zutage, insbesondere nichts, was gegenüber der nichtkognitivistischen Ethik neu wäre.1 6 Ayer hat ein Argument für die nichtkognitive Deutung von Wertaussagen angegeben, das zumindest ästhetische Werturteile betrifft und sich auf eine Version des empiristischen Sinnkriteriums stützt. Danach haben nichtanalyti-sche Sätze nur dann einen kognitiven Sinn, wenn sie sich durch Beobachtungen entscheiden oder zumindest positiv oder negativ bestätigen lassen.17 In allen solchen Kriterien wird nun aber die Sprache, in der Beobachtungen formuliert werden, als eine nichtnor-mative Sprache bestimmt, d.h. als Sprache ohne wertende (oder präskriptive) Vokabeln. Daher werden nach den Kriterien auch nur nichtnormative Sätze als kognitiv sinnvoll ausgezeichnet, denn nur solche Sätze folgen im Sinne des Humeschen Gesetzes logisch aus nichtnormativen Sätzen bzw. lassen sich im Sinn der verwendeten

1 5 Vgl. Macdonald (1954).

1 6 Vgl. Kutschera (1982), Kap.3.

1 7 Vgl. a.a.O. S.99f.

Bestätigungsbegriffe durch nichtnormative Aussagen bestätigen. Der Nichtkognitivismus ist danach aber lediglich eine triviale Folgerung aus einer unbegründeten Vorentscheidung. Empiristische Sinnkrite-rien allein liefern kein vernünftiges Argument dafür, daß normative Sätze nichtkognitiv sind. Es müßte vielmehr gezeigt werden, daß sich einfache normative Sätze nicht als Beobachtungssätze auffassen lassen. Aber selbst dann wäre das Argument noch nicht stichhaltig, da sich die empiristischen Sinnkriterien selbst im Bereich nichtnorma-tiver Sätze als unbrauchbar erwiesen haben.

Zwei der Argumente für den ethischen Nichtkognitivismus las-sen sich wie folgt auf die Ästhetik übertragen:

Normative Aussagen haben im Gegensatz zu kognitiven wesent-lich einen expressiven oder evokativen Gehalt. Mit ästhetischen Wertaussagen bringt man auch seinen Gefallen und seine positive Einstellung zum Ausdruck. Das ist richtig, aber ebenso bringt man mit dem eindeutig deskriptiven Urteil „Dies ist rot" auch seine Überzeugung zum Ausdruck, daß es sich tatsächlich so verhält. Aus dem Vorhandensein expressiver Bedeutungskomponenten in Sätzen folgt nicht, daß sie keine kognitive Bedeutung haben und keinen Wahrheitswert. Die Aussage „Dieser Köter ist bissig" hat — im Gegensatz zu „Der Hund ist bissig" — eine klare expressive, wer-tende Bedeutung, sie hat daneben aber auch einen kognitiven Sinn und einen Wahrheitswert.

Ferner hat man darauf hingewiesen, daß das Wort „schön" in verschiedenen Kontexten ganz verschiedenes beinhaltet: Eine schöne Vase zeichnet sich durch andere Qualitäten aus als eine schöne Sonate, ein schöner Tanz oder ein schönes Gedicht. Der allen Verwendungs-weisen gemeinsame Sinn des Wortes, sagt man, kann daher kein deskriptiver, sondern nur ein expressiver oder evokativer sein.18 Dieses Argument beruht jedoch auf einer Äquivokation im Wort

„deskriptiv": Aus dem Fehlen eines deskriptiven als eines nichtwer-tenden Sinns, wird auf das Fehlen eines deskriptiven als eines kogniti-ven Sinns geschlossen. Daß Kognitiv mit Nichtwertend zusammen-fallt, war aber gerade zu zeigen! Zudem teilt das Wort „schön" die

1 8 Schon R.Knight meint in seinem Buch An Analytical Inquiry into the Principles of Taste (1805), das Wort „schön" sei ein allgemeines Prädikat der Zustimmung mit einer höchst vagen und weiten Bedeutung, das unterschiedslos auf fast alles angewandt werde, was gefallt.

Kontextabhängigkeit mit vielen anderen Wörtern wie „groß" (eine große Maus ist von anderen Dimensionen als eine große Stadt) oder

„schwer" (ein schweres Motorrad ist leichter als ein schwerer Panzer), denen man den kognitiven Sinn nicht abspricht. Kontextunabhängige Prädikate sind in-der normalen Sprache eher selten. Endlich wählt das Argument mit dem Wort „schön" gerade das allgemeinste ästhetische Wertprädikat, das, wie wir sahen, entsprechend inhaltsarm ist. Prädi-kate wie „zierlich" oder „plump" haben hingegen auch deutliche kognitive Komponenten.

Eine Kritik der Argumente für die These des Nichtkognitivismus ist nun noch keine Kritik dieser These selbst. Dazu wollen wir nun übergehen und uns der Kürze wegen auf expressive Deutungen ästhetischer Urteile beschränken.1 9 Eine Aussage (a): „Dies ist schön"

bringt danach das Gefallen des Sprechers am Gegenstand zum Aus-druck. Eine explizit performative Paraphrase von (a) wäre also (b):

„Hiermit bringe ich mein Gefallen an diesem Gegenstand zum Aus-druck". Die Synonymität von (a) und (b) ist ein Test dafür, ob (a) tatsächlich den behaupteten expressiven Sinn hat. Von einer Synonymität der beiden Sätze kann aber keine Rede sein, denn erstens gefallen uns auch Dinge, die wir selbst nicht als „schön" bezeichnen würden. Man kann z.B. durchaus Gefallen an einer gewissen Form der Unterhaltungsmusik haben, ohne sie deshalb als schön anzusehen.

Wenn man zum Ausdruck bringt, daß einem ein Musikstück gefallt, so beansprucht man damit nicht, daß es strengeren Maßstäben der Schönheit oder der Kunstkritik standhält. Umgekehrt kann man die ästhetische Qualität eines Kunstwerks durchaus erkennen, ohne daß es einem gefällt. „Schön" bedeutet eben nicht dasselbe wie „gefäl-lig".2 0 Noch deutlicher wird der Sinnunterschied bei anderen

ästheti-Die folgenden Argumente entsprechen wieder jenen gegen den ethischen Nichtkognitivismus, vgl. (1982), 3.4.

Das betont auch I.A.Richards in (1924), S.176. Er sagt: „A critic should often be in a position to say, 'I don't like this but I know it is good'." Das paßt freilich schlecht zur Theorie, die er in (1923) vertritt, wie auch zu der subjektivistischen, die er — anscheinend ohne den Unterschied zu bemerken — in (1924) entwickelt. Dort heißt es, „X ist schön" bedeute soviel wie „X bewirkt eine Erfahrung in uns, die in gewisser Weise wertvoll ist" (S.13); es sei falsche Projektion unserer Empfindungen, das Wort „schön" auf Dinge anzuwenden, es charakterisiere nur Erfahrungsweisen. Die Grammatik täusche

sehen Prädikaten. So hat die Aussage (c): „Dieses Mädchen hat eine zierliche Gestalt" einen kognitiven Sinn, der durch (d): „Hiermit bringe ich mein Gefallen an der Gestalt dieses Mädchens zum Aus-druck" nicht wiedergegeben wird, (c) und (d) sind offenbar nicht synonym, denn die Aussage, das Mädchen sei groß und üppig wider-spricht (c), aber nicht (d). Man müßte hier den nichtästhetischen (genauer: den nicht spezifisch ästhetischen) Inhalt von „zierlich" (in Anwendung auf Mädchengestalten) als eine Qualität N vom (spezi-fisch) ästhetischen Sinn des Wortes trennen können, so daß man statt

sehen Prädikaten. So hat die Aussage (c): „Dieses Mädchen hat eine zierliche Gestalt" einen kognitiven Sinn, der durch (d): „Hiermit bringe ich mein Gefallen an der Gestalt dieses Mädchens zum Aus-druck" nicht wiedergegeben wird, (c) und (d) sind offenbar nicht synonym, denn die Aussage, das Mädchen sei groß und üppig wider-spricht (c), aber nicht (d). Man müßte hier den nichtästhetischen (genauer: den nicht spezifisch ästhetischen) Inhalt von „zierlich" (in Anwendung auf Mädchengestalten) als eine Qualität N vom (spezi-fisch) ästhetischen Sinn des Wortes trennen können, so daß man statt

Im Dokument Franz von Kutschera (Seite 118-152)