• Keine Ergebnisse gefunden

3 MATERIAL UND METHODEN

4.5 Verhalten der Hunde in den einzelnen Situationen

5.1.1 Rassezugehörigkeit der Hunde

Die Zuordnung der Hunde zu einer bestimmten Rasse beruhte auf den Angaben im Besitzerfragebogen und konnten nur selten durch eine vorhandene Abstammungsurkunde verifiziert werden. Vor allem bei Hunden aus dem Tierheim oder solchen, von denen die Elterntiere nicht bekannt waren, wurde oft nur aufgrund äußerlicher Merkmale auf deren Rasse geschlossen.

5.1.2 Wesenstestdurchführung

Trotz einheitlicher Vorgaben im „Wesenstest für Hunde“ „Niedersächsischer Wesenstest“

(ML 2003), zeigte sich nach Sichtung des Materials durch die Verfasserin, dass die Durchführung nicht immer einheitlich war. Nach SCHALKE (2012) hat das Testdesign einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis des Tests, so dass von einem solchen Einfluss auch in den der Arbeit zugrundeliegenden Wesenstests ausgegangen werden muss. Indirekt bestand außerdem ein weiterer Einfluss auf das Verhalten des Hundes durch den Hundeführer, der durch den jeweiligen Tester angewiesen wurde und ggf. auch verunsichert wurde. Weiterhin ist bekannt, dass die Aneinanderreihung vieler stressauslösender Situationen zur Auslösung aggressiven Verhaltens führen kann, indem die Schwelle für dessen Auslösung herabgesetzt

117

wird. Die Art der Durchführung des Testes hat somit über die Höhe des Stresslevels ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die Auslösung aggressiven Verhaltens.

5.1.3 Begutachtung

Der Durchführung des Wesenstests folgt in jedem Fall die Erstellung eines Gutachtens, um zu beurteilen, ob bei dem getesteten Hund Hinweise auf inadäquat bzw. gestört aggressives Verhalten festgestellt werden konnten. Aus dem „Wesenstest für Hunde“ (ML 2003) geht keine eindeutige Definition des Begriffes „inadäquat“ aggressives Verhalten hervor.

HIRSCHFELD (2005), BOETTJER (2003), BRUNS (2003) und MITTMANN (2002) stützen sich in der Definition für inadäquates aggressives Verhalten auf den „Wesenstest für Hunde“

nach der Gefahrtierverordnung (GefTVO) aus dem Jahre 2000 (NMELF 2000a, NMELF 2000b). In dieser existierten drei verschiedene Multiplikatoren, „1“ stand hierbei für Bedrohungssituationen“, „2“ für ungewöhnliche Situationen und „3“ für „Alltagssituationen“.

Inadäquat war definiert als Verhalten der Skalierung „5“ oder höher in den Alltagssituationen (Multiplikator 3). Der Test galt dann als „nicht bestanden“. Nach dem Wegfall der Multiplikatoren im neuen „Wesenstest für Hunde“ aus dem Jahre 2003 (ML 2003) fehlt dort die Definition für „inadäquat“ aggressives Verhalten. Trotz dessen wurde und wird obige Definition weiterhin von allen Gutachtern am Institut für Tierschutz und Verhalten der Tierärztlichen Hochschule angewandt. Damit galt auch für alle Wesenstests seit Oktober 2003 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover folgendes: Verhalten der Skalierung „5“ in den Alltagssituationen galt als nicht der Situation angemessen und somit als situationsinadäquates Verhalten. Verhalten der Skalierung „6“ wurde unabhängig von der Situation als „gestört aggressives Verhalten“ bezeichnet, da hier jegliches Drohverhalten fehlte. Fraglich ist, ob diese Definitionen von allen abnehmenden Stellen des Wesenstests so gehandhabt werden, da sie, wie oben erläutert, im aktuellen „Wesenstest für Hunde“ (ML 2003) fehlen. Die Folgen einer Beurteilung eines Hundes als „inadäquat oder gestört aggressiv“, welches häufig als

„Nichtbestehen“ des Wesenstestes bezeichnet wird, bestehen darin, dass ein Hund nach Nichtbestehen des Wesenstests bei bestehender Gefährlichkeitsfeststellung nicht mehr von seinem Halter gehalten werden darf. Über das weitere „Schicksal“ eines solchen Hundes

118

finden sich im Gesetz bzw. den Durchführungshinweisen auch im NHundG vom 26.05.2011 bisher keine Maßnahmen oder sonstige Vorgehensweisen. Auch SCHÖNING (2012 a,b) betont die enorme Diskrepanz zwischen der juristischen und ethologischen Fragestellung an dieser Stelle sowie die Schwierigkeiten, die sich aus den nicht hinreichend ethologisch, sondern ausschließlich nach menschlichen Moralvorstellungen definierten Begriffen

„inadäquat“ oder „gestört aggressives Verhalten“ ergeben.

Die Ursachen für ein gestört aggressives Verhalten können ganz unterschiedlicher Natur sein.

So kann Jagdverhalten ebenfalls ein Verfolgen und Packen sowie Beißen (der „Beute“) nach sich ziehen und gleicht so einem aggressiven Angriff ohne jegliche Kommunikation mit der

„Beute“. Ethologisch betrachtet handelt es sich demnach nicht um „gestörtes“, im Sinne eines von der Norm abweichenden Verhaltens. Das gezeigte Jagdverhalten ist inadäquat, da es sich bei Menschen oder anderen Hunden nicht um adäquate Beuteobjekte handelt und das unangemessene Jagdverhalten auf einer unzureichenden Sozialisation des Hundes gegenüber Menschen und/oder anderen Hunden beruht. Bei fehlendem Drohverhalten handelt es sich selten um eine echte Verhaltensstörung im Sinne eines von der Norm abweichenden Verhaltens, sondern vielmehr häufiger um erlerntes Verhalten. Ziehen aggressive Signale wie Knurren oder Bellen oder auch das Fixieren häufig positive Strafe nach sich, wird der Hund dieses in der Folge weniger häufig zeigen und ohne Drohverhalten zur nächsten Stufe übergehen. Häufig liegt dem aggressiven Verhalten hier Unsicherheit zugrunde. Bei einigen Rassen ist es schließlich schwierig, optisches Drohverhalten als solches zu erkennen, vor allem wenn es nur über einen kurzen Zeitraum gezeigt wird. Erschwert wird die Beurteilung des optischen Ausdrucks noch durch das eventuelle Tragen eines Maulkorbes und/oder einer ungünstigen Videoaufnahme. Somit ist nicht auszuschließen, dass Drohverhalten, vor allem wenn von kurzer Dauer, vom Gutachter übersehen wurde.

Hinsichtlich der Aussagekraft des Wesenstests für das Vorliegen eines gestört oder inadäquat aggressiven Verhaltens müssen zum einen die Subjektivität des Testers bei der Durchführung und die des Gutachters bei der Bewertung und zum anderen die Darstellung einer reinen Momentaufnahme eines jeden Wesenstests als kritisch gesehen werden. Es werden zudem keine Situationen mit Kindern abgeprüft und der Test findet aus Sicherheitsgründen in der

119

Regel in einem umzäunten Areal statt. Viele Hunde können diesen Kontext von ihrem

„normalen“ Alltag unterscheiden und zeigen eventuell ein anderes Verhalten. Weiterhin darf der Faktor des Lernverhaltens während des Testes nicht vernachlässigt werden. So lernt der Hund anhand der Gleichförmigkeit vieler Situationen, dass keine reale Bedrohung existiert.

Mussten Situationen wiederholt durchgeführt werden um nachzutesten, ob der Hund aufgrund des Leinenendes gestoppt wurde oder sich ohne Leine vollständig angenähert hätte, kam es aufgrund der Lernerfahrung häufig nicht erneut zur Auslösung aggressiven Verhaltens. Zeigt ein Hund in einer „Alltagssituation“ Beißen bzw. Beißversuche (Stoßen durch den Maulkorb), liegen bei diesem Hund Hinweise auf inadäquat aggressives Verhalten vor und der Test gilt als „nicht bestanden“. Problematisch ist diesbezüglich die Aneinanderreihung vieler

„bedrohlicher“ und „ungewöhnlicher“ Situationen, bevor der Hund in eine „Alltagssituation“

kommt, so dass der Stresslevel zu diesem Zeitpunkt bereits sehr hoch ist. Im ungünstigen Falle hat der Hund bis dahin schon die Erfahrung gemacht, dass er immer wieder in bedrohliche Situationen kommt und ihm Meideverhalten, welches er vielleicht in den Situationen anfangs zeigte, nicht weiterhilft. Der Hund hat dann gelernt, dass Meideverhalten im Konflikt keinen Erfolg bringt, da die Situationen immer andauern. Der Hund reagiert aus diesem Grund mit „fight“. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit von einem Wesenstest auf das tatsächliche Sozialverhalten eines Hundes geschlossen werden kann. Möglicherweise besteht auch eine Rasseabhängigkeit hinsichtlich der Stressanfälligkeit und demzufolge dem vermehrten Auftreten von inadäquat aggressivem Verhalten. SCHALKE (2012) beurteilt aufgrund eigener langjähriger Erfahrungen mit dem Niedersächsischen Wesenstest diesen hinsichtlich seiner Validität und Reliabilität als nur bedingt geeignet, da ein Schluss auf das zukünftige Verhalten anhand der Ergebnisse nicht bzw. nur eingeschränkt möglich ist und zum anderen die Reliabilität von einer ausreichende Schulung des Gutachters abhängt.

Die Methodik der vorliegenden Arbeit bestand ebenfalls in einer Analyse der Rassen aller Hunde, die seit Oktober 2003 überhaupt für einen Wesenstest an der Tierärztlichen Hochschule aufgrund einer vorausgegangen Auffälligkeit, meistens auch nach bereits erfolgter Gefährlichkeitsfeststellung vorgestellt worden sind. Auch hier kann jedoch nicht von einem einheitlichen Vorgehen ausgegangen werden. Die Zuständigkeit für die Beurteilung eines Hundes auf dessen eventuelle Gefährlichkeit im Sinne des NHundG ist je nach Kreis

120

bzw. kreisfreien Städten unterschiedlich geregelt, so dass in einigen Landkreisen bzw.

kreisfreien Städten Ordnungsbeamte Hunde beurteilen, oftmals ohne ausreichende Qualifikation im Bereich Hundeverhalten. In anderen Landkreisen oder kreisfreien Städten ist ein Tierarzt für die Begutachtung der Hunde zuständig. Eine ausreichende Fachkompetenz ist jedoch nicht zwangsläufig gegeben, da innerhalb des Studiums der Veterinärmedizin Inhalte dieser Art nicht verpflichtend gelehrt werden und häufig die entsprechende Praxis fehlt. Die Durchführungshinweise zum Niedersächsischen Gesetz über das Halten von Hunden geben nur Anhaltspunkte und die grobe Vorgehensweise vor, so dass hier eine weitere Ursache für die höchst unterschiedlichen Beurteilungen von „auffälligen“ Hunden liegt.

5.1.4 Auswertung der Daten

Die Anzahl der insgesamt untersuchten Hunde ist mit 127 Hunden und jeweils nur einem bis maximal drei Vertretern einzelner Rassen gering und für eine statistisch aussagekräftige Auswertung nicht ausreichend. Aus diesem Grund wurden die einzelnen Rassen in Anlehnung an RÄBER (1995) in Kategorien zusammengefasst. In die Kategorie „Bauern-, Hirten- und Treibhunde“ nach RÄBER (1995) wurden aufgrund vieler Gemeinsamkeiten in der ursprünglichen Verwendung die Schäferhunde (Deutscher und Belgischer) ebenfalls zugeordnet. Die Kategorie der „Terrier“ wurde aufgetrennt in „bullartige“ Terrier sowie die übrigen Terrier, um die sogenannten „Kampfhunderassen“ gesondert betrachten zu können.

Weitere „Listenhunde“, die in einigen Bundesländern auf der Liste der „gefährlichen Hunderassen“ genannt sind, finden sich in der Kategorie „Doggenartige“. Diese Zusammenlegung verschiedener Rassen folgt keinem einheitlichen und standardisierten Verfahren und ist damit zwangsläufig fehleranfällig. Sie beruhte hauptsächlich auf der ursprünglichen Verwendung der Hunde und den sich daraus ergebenden ähnlichen typischen Verhaltensmustern inklusive der Reaktions- und Reizschwelle.

121 5.2 Diskussion der Ergebnisse