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2.8 Abgrenzung inadäquat aggressiven Verhaltens gegenüber „echten“, Verhaltensstörungen - Ethopathien

2.10.1 Rassedefinition- Rasseunterschiede

Nach HERRE (1958) handelt es sich bei Rassen um „von Menschen in sexueller Isolation gehaltene, verbreitete Unterarten einer Art, welche sich in mehreren Merkmalen und Erbeinheiten voneinander stärker unterscheiden. Es sind Kollektiveinheiten, deren Besonderheiten nur durch statistische Methoden wiedergegeben werden können (HERRE u.

RÖHRS 1990). Dem subjektiven Ermessen bei der Umgrenzung und Merkmalauswahl ist ein weites Feld gelassen“. Die Zuordnung eines Hundes zu einer Rasse geschieht ausschließlich anhand des Phänotyps, im Rahmen einer Phänotypisierung, nicht anhand genetischer Analysen (MITTMANN 2002). Nach EICHELBERG (2000) handelt es sich bei Rassen um Teilpopulationen einer Art, die in der Haustierzucht durch künstliche Selektion mit unterschiedlichen zugrundeliegenden Zuchtzielen entstanden. Dabei beziehen sich die Rasseunterschiede heute zumeist auf morphologische Merkmale, da diese leichter zu selektieren sind als Verhaltensmerkmale. SPADY und OSTRANDER (2008) sowie KING et al. (2012) betonen, dass die früheren Hunde auf bestimmte Verhaltensmerkmale und Temperament im gleichem Maße wie auf physische Merkmale, wie Fellfarbe, Felllänge, Größe und mimischen Ausdruck, hin selektiert wurden. Die morphologische Vielfalt der früheren Hunderassen beruhte auf der Zucht auf verschiedene Verwendungszwecke (SERPELL u. JAGOE 1995, SPADY u. OSTRANDER 2008, OVERALL 2011). Obwohl der Hund heute hauptsächlich Begleiter des Menschen ist, bestehen aufgrund der Selektion für deren ursprünglichen Verwendungszweck aus wissenschaftlicher Sicht innerhalb der einzelnen Rassen relativ stabile Veranlagungen für bestimmte Verhaltensmerkmale, die mit einer hohen Heritabilität einhergehen (PEREZ-GUISADO et al. 2006; SPADY u.

OSTRANDER 2008; VAN DER WAAIJ et al. 2008, JENSEN 2007, KING et al. 2012).

KING et al. (2012) schlagen daher vor, in unserer modernen Gesellschaft erwünschte Verhaltenszüge bei unseren Hunden in objektiver Form zu identifizieren, um diese dann für die Zuchtauswahl zu nutzen. Hinsichtlich der Vererbung bestimmter rassetypischer Verhaltensmerkmale bestehen kontroverse Ansichten unter den Wissenschaftlern.

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Nach MACKENZIE et al. (1986) sowie SCOTT u. FULLER (1965) lassen sich wenig bis gar keine positiven Korrelationen zwischen dem Aussehen und bestimmten Verhaltensmustern feststellen. SCOTT und FULLER (1965) fanden in ihren Studien enorme Unterschiede innerhalb einer Rasse, so dass von typischen vererbbaren Verhaltensmustern aufgrund der Rassezugehörigkeit eines Hundes nicht ausgegangen werden kann. Die reine Verwendung vieler heutiger Hunde als „Begleithund“ führte zu einem Fokus auf das äußere Erscheinungsbild statt auf Verhaltensmerkmale (KING et al. 2012). Nach LINDSAY (2000) fiel die Zucht auf äußere Merkmale zusammen mit dem Verbot der Hundekämpfe in England um 1850. Rassestandards wurden niedergeschrieben, in denen Richtwerte für die äußere Erscheinung sowie das Verhalten der Hunde festgelegt waren. Die Züchter waren und sind angehalten, sich bei ihrer Zucht eng an diese oftmals eher schwammigen Richtlinien zu halten. Es entstanden die ersten Hundeshows, bei denen das Richten meist auf Grundlage des Exterieurs erfolgte und erfolgt (KING et al. 2012).

Nach SVARTBERG (2006) hingegen weisen die existierenden Rassen trotz der häufig reinen Verwendung als Begleiter des Menschen immer noch typische Charakterzüge entsprechend dem damaligen Verwendungszweck auf. Aber nicht nur zwischen den Rassen bestehen große Verhaltensunterschiede, sondern ebenso zwischen Individuen der gleichen Rasse (SVARTBERG 2006, SPADY u. OSTRANDER 2008). Der genetische Einfluss auf das Verhalten des Hundes zeigt sich im „Temperament“ und der „Persönlichkeit“ eines Hundes, in der Literatur oft synonym verwendet. Mit „Temperament“ sollen relativ konstante Grundveranlagungen ausgedrückt werden, die in einem Individuum bereits in jungen Jahren vorhanden sind, und die Ausprägung der Aktivität, der Reaktivität, der Emotionalität sowie der Sozialverträglichkeit bestimmen (GOLDSMITH et al. 1987). Die Bestimmung des Temperaments eines Hundes erfolgt experimentell durch Unterschiede auf Verhaltensebene zwischen Individuen, die gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt sind (KING et al. 2012).

Nach WILSSON und SUNDGREN (1997) weist die Kooperativität der Labradore eine moderat bis hohe Heritabilität auf, während die Umgänglichkeit und der Beutetrieb des Deutschen Schäferhundes eine hohe Heritabilität aufweisen. Auch SPADY und OSTRANDER (2008) gehen zumindest zum Teil von einer genetischen Komponente für die Ausprägung von Verhalten aus. Aufgrund individueller Temperamente zeigt jeder Hund auf

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Konfrontation mit verschiedenen Stimuli unterschiedliche Verhaltensantworten (KING et al.

2012). Der Ausdruck „Persönlichkeit“ wird in der Humanpsychologie verwendet, um charakteristische Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen einer Person zu charakterisieren, die diese von anderen unterscheidet (KING et al. 2012). Für die Entwicklung der Persönlichkeit spielen das Temperament und die Erfahrung eine Rolle, über die das individuelle Verhalten als Reaktion auf die umgebende Umwelt, beeinflusst wird (LEY u.

BENNETT 2007, KING et al. 2012). Mittlerweile ist wissenschaftlich anerkannt, dass auch Hunde verschiedene Persönlichkeitsmerkmale haben (SVARTBERG u. FORKMANN 2002, LEY et al. 2008), wie beispielsweise „Verspieltheit“, „Neugier/Furcht“ oder

„Umgänglichkeit“ (SVARTBERG 2006). KING et al. (2012) kommen daher ebenfalls zu dem Schluss, dass das von unseren Hunden gezeigte Verhalten eine Kombination des angeborenen Temperamentes, der Umwelt, in der das Individuum lebt und den bisherigen Erfahrungen darstellt. Hunde einer Rasse weisen aus diesem Grund ähnliche Temperamentmerkmale auf, auch wenn deren Ausprägung zwischen den einzelnen Individuen unterschiedlich sein mag und jeder Hund einen individuellen Charakter besitzt.

Kombiniert mit Erfahrungen resultieren verschiedene Persönlichkeitsmerkmale, welche die Tendenz eines jeden Hundes beeinflussen, in einer bestimmten Situation in einer spezifischen, aber dennoch einheitlichen Art und Weise auf zukünftige Stimuli zu reagieren (KING et al.

2012).

Nach EICHELBERG (2000) bestehen weniger Unterschiede im Verhalten zwischen den Rassen, als es von ihrem Exterieur her zu erwarten wäre. Das Verhaltensspektrum einer bestimmten Rasse ist nicht nur auf ihren ursprünglichen Verwendungszweck beschränkt, es ist erheblich mehr Verwendungspotenz vorhanden. So kam es bei vielen Rassen zu einem Wechsel im Verwendungszweck, wie beispielsweise beim Deutschen Schäferhund, der vom reinen Hütehund etwa ab dem Jahre 1901 zum Polizeihund avancierte (EICHELBERG 2000).

Bezüglich der Verhaltensvariabilität bei den Haushunden spricht MIKLOSI (2011) von der enormen verhaltensbezogenen (phänotypischen) Plastizität auf Populationsebene. Hunde weisen über verschiedene Lebensräume hinweg ein variableres Verhaltensmuster als Wölfe auf, sind somit „formbarer“. Erreicht wurde diese erhöhte Plastizität durch einen größeren Einfluss der Umwelt auf das genetisch bestimmte Verhaltensprogramm. Das Merkmal ist in

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der Folge stärker umweltabhängig und der Einfluss der Erfahrung und des Lernens im Falle von Verhalten ist verstärkt. Der Nachteil dieser Umweltabhängigkeit ist allerdings deren Fehleranfälligkeit bei fehlender bzw. falscher Stimulation durch Umweltreize, so dass zu wenig angemessene Stimulation in der menschlichen Umwelt zu großen Verhaltensunterschieden führen. Die Verhaltensentwicklung von Hunden ist somit in erheblich größerem Maße als bei Wölfen von dem sozialen Umfeld abhängig (MIKLOSI 2011).

Nach COPPINGER und COPPINGER (2001) ist eine morphologische Einheit, wie in der Hundezucht angestrebt, nicht vereinbar mit der Erhaltung der rassespezifischen Verhaltensmerkmale. Es existieren keine „alten“ Hunderassen in der Form, dass die vorhandene Population einer Rasse die Genfrequenz der ursprünglichen Rasse repräsentiert.

Eine Konstanz der Genfrequenz über einen längeren Zeitraum gibt es nicht. Aus diesem Grund ist es laut COPPINGER und COPPINGER (2001) unmöglich, spezielle Pitbull-, Golden Retriever- oder andere Rassen-Gene zu ermitteln. COPPINGER und COPPINGER (2001) verweisen in diesem Zusammenhang ebenfalls auf die entscheidende Rolle der Umwelt, in der sich das Individuum entwickelt und mithilfe derer die Gehirnzellen für ein adäquates Wachstum und Entwicklung stimuliert werden. Aufgrund der Abhängigkeit der Verhaltensentwicklung von der Umweltstimulation können sich laut COPPINGER und COPPINGER (2001) keine zwei Individuen mit identischer genetischer Ausstattung gleich verhalten. Die Frage „Umwelt oder Gene“ stellt sich somit nicht, da die Ausprägung der genetischen Anlagen nur aufgrund der Umweltstimulation erfolgen kann (COPPINGER u.

COPPINGER 2001). Rasseunterschiede bestehen allerdings darin, dass sich die Fähigkeiten, bestimmte Verhaltensweisen auszuführen, unterscheiden. Daher können schon aufgrund des Körperbaus nicht alle Rassen gleichermaßen dieselben Aufgaben bewältigen. Theoretisch ist es aber möglich, jeden Hund einer jeden Rasse für bestimmte Aufgaben bzw. Zwecke auszubilden (COPPINGER u. COPPINGER 2001, EICHELBERG 2000). Bedacht werden muss hierbei allerdings, dass erhebliche Rasseunterschiede in der Verhaltensontogenese bestehen. So unterscheidet sich der Zeitpunkt des ersten Auftretens von Verhaltensweisen verschiedener Funktionskreise (FEDDERSEN-PETERSEN 1990, COPPINGER u.

COPPINGER 2001). Der Border-Collie zeigt bereits mit 10 Wochen Verhaltensweisen des

„eye“, dem Fixieren von Jagdobjekten mit den Augen, eine Verhaltensweise des Jagens,

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während Vertreter der Herdenschutzhunde Elemente aus dem Jagdverhalten erst mit ungefähr fünf Monaten zeigen, wenn das Fenster der Sozialisation bereits geschlossen ist. Aus diesem Grund werden Sequenzen aus dem Jagdverhalten bei Border-Collies im Gegensatz zu Herdenschutzhunden in das Spiel mit Artgenossen integriert. Nicht nur der Beginn der Verhaltensweisen, auch deren weitere Entwicklungsgeschwindigkeit, unterscheidet sich innerhalb der Rassen (COPPINGER und COPPINGER 2001). Beim Siberian Husky, einem Hund mit ausgeprägten Laufeigenschaften, bezieht sich die relative Entwicklungsbeschleunigung vor allem auf den Funktionskreis der Positionen und Lokomotion, so dass diese Rasse früher als andere eine vergleichbare körperliche Beweglichkeit und eine entsprechende Bewegungskoordination entwickelt (FEDDERSEN-PETERSEN 1990). Ebenso treten bei den meisten Jagdhunderassen am frühesten in der Ontogenese Verhaltensweisen der olfaktorischen Orientierung auf. Die beschriebenen Unterschiede beruhen auf der Neurotransmitterzusammensetzung, Dopamin beeinflusst beispielsweise die Erregungslage eines Hundes, so dass sich Rassen vor allem in ihrer Erregungslage unterscheiden (COPPINGER u. COPPINGER 2001). Das Dilemma der modernen Hundezucht liegt laut COPPINGER und COPPINGER (2001) darin, dass Veränderungen im Aussehen auch immer Verhaltensänderungen nach sich ziehen, so dass eine reine Zucht auf äußerliche Merkmale nicht isoliert möglich ist, ohne dass sich das Wesen der Hunde verändert. Der Wunsch der Käufer von Hunden liegt aber darin, einen Begleithund („Familienhund“) mit einem bestimmten Aussehen zu erwerben. Die Zucht der Rassehunde mit dem Ziel bestimmte äußere Merkmale zu erhalten, die möglichst unveränderlich sind, führt so in eine Sackgasse der Inzucht mit der Folge der Produktion von „freaks of nature“

(COPPINGER u. COPPINGER 2001). MIKLOSI (2011) beschreibt die heutige Hundezucht als ein „gefährliches Spiel“, ein „unverantwortliches Experimentieren“ mit nur einem sehr kleinen Aspekt des Phänotyps, dem Körperbau. Dieses führt gezwungenermaßen zu Inzucht und zum Verschwinden der rassetypischen Merkmale, sowie zu einer Verringerung der genetischen Vielfalt (MIKLOSI 2011).

2.10.2 „gefährliche“ Rassen(?)

KING et al. (2012) weisen auf die Rolle der Medien hin, die zu einer Brandmarkung bestimmter Rassen als gefährlicher als andere verleiten und in einigen Ländern zu einer

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rassespezifischen Reglementierung führten, auch wenn wissenschaftliche Beweise dafür nicht vorhanden sind (SCHALKE et al. 2008).

Vielfach ist bei bestimmten Rassen die Rede von einer Hypertrophie im Bereich des Aggressionsverhaltens. Darunter versteht FEDDERSEN-PETERSEN (2000) ein allgemein übersteigertes Angriffs- und Kampfverhalten, bei dem eine aggressive Kommunikation (beispielsweise Drohverhalten) überwiegend ausgeschlossen ist und welches schnell eskaliert und ungehemmt gegenüber Artgenossen und Menschen auftritt. „Allgemein übersteigert“

definiert FEDDERSEN-PETERSEN (2000) anhand folgender Kriterien: der Situation nicht angemessenes, qualitativ wie quantitativ ausgeprägtes und verändertes Aggressionsverhalten, welches gepaart ist mit anderen Verhaltensausfällen und –einschränkungen in anderen Funktionskreisen. Ein übersteigertes Aggressionsverhalten ist zudem weder vom Ziel, noch von seiner Funktion her biologisch einzuordnen, leicht auszulösen und außerdem durch Besonderheiten gekennzeichnet, denen angeborene, organische Defekte zugrunde liegen.

(FEDDERSEN-PETERSEN 2000). Solche Hunde entstehen durch Negativauslese bei der Zucht kombiniert mit einer gestörten Jugendentwicklung und einer „speziellen Ausbildung“.

Hierbei handelt es sich rein um von bestimmten „Züchtern“ missbrauchte Hunde, deren

„Zucht“ eine erhebliche Tierschutzrelevanz aufweist (FEDDERSEN-PETERSEN 2000).

Nicht von bestimmten Rassen geht eine Gefahr aus, sondern von einzelnen Hundeindividuen.

Eine Beurteilung bestimmter Rassen als übersteigert aggressiv ist wissenschaftlich unhaltbar.

Wie unter 2.10.1 bereits ausgeführt, resultiert Hundeverhalten immer aus dem Wechselspiel zwischen Umwelt und Erbgut. Beide unterliegen erheblichen Variationen, so unterscheiden sich selbst innerhalb einer Rasse die genetisch fixierten Verhaltensbereitschaften und ebenso unterliegt jeder Hund einer individuellen Haltungsumwelt (FEDDERSEN-PETERSEN 2000).

Für die Tendenz, Konfliktsituationen durch aggressives Verhalten („Kampf“) auszutragen, ist die Individualgeschichte eines Hundes stets bedeutsam; es kommt hier zu einer Überlagerung genetischer Dispositionen, so dass Eigenschaften, wie das Temperament, die Sicherheit und Eigenarten im Umgang mit Sozialpartnern stark sozialisationsbedingt sind (FEDDERSEN-PETERSEN 2001a, 2001b). Reizarm aufgezogene Hunde zeigen häufig ein der Situation unangemessenes, übersteigertes Angriffs- und Abwehrverhalten, wodurch es zu erheblichen Gefahrenmomenten kommt (FEDDERSEN-PETERSEN 2001a, 2001b). Die Gefährlichkeit

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eines Hundes ist somit an individuellen Merkmalen, wie situativ unangemessenem Aggressionsverhalten und ungehemmtem Beißen von Sozialpartnern festzumachen (FEDDERSEN-PETERSEN 2000, FEDDERSEN-PETERSEN 2001a, 2001b). Eine erhebliche Gefahr sieht FEDDERSEN-PETERSEN (1990) in der Problematik des ahnungslosen Hundehalters, das „Fehlverhalten [von Menschen] erzeugt Gefahrenmomente“

und individuelle Störungen der Mensch-Hund-Beziehung, die einen jeden Hund formen, stellen die „Hauptursache möglicher Gefährdung“ dar. Einziges rassespezifisches Problem, welches sich möglicherweise ergibt, stellen die rassespezifischen Haltungsansprüche bzw.

Umweltansprüche dar (FEDDERSEN-PETERSEN 1990). UNSHELM (2000) spricht außerdem von einer indirekten Beeinflussung der Rasse bezüglich der Gefährlichkeit eines Hundes in der Form, dass große und kräftige Hunde bei einem Biss in der Regel schwerwiegendere Verletzungen setzen. Ein weiterer indirekter Einfluss besteht in der selektiven Auswahl bestimmter Rassen durch bestimmte, besonders aggressive und überdurchschnittlich ängstliche Hundehalter. Hier ist die Möglichkeit der Stimmungsübertragung zwischen Halter und Hund zusätzlich zu berücksichtigen (UNSHELM 2000, UNSHELM et al. 1993). Als rassespezifisch ist ebenfalls eine bestimmte Reizschwelle („Erregungslage“) anzusehen. Durch gelenkte Züchtung kam es zu einer Senkung oder auch Erhöhung der Reizschwelle zur Auslösung bestimmter Verhaltensweisen (FEDDERSEN-PETERSEN 1990). Laut FEDDERSEN-(FEDDERSEN-PETERSEN (1990) existieren zunehmend Rassen mit einer ständigen Bereitschaft zur sofortigen Reaktion mit einem andauernd höheren Aktionsniveau und ständiger Unruhe sowie stets hoher Fluchtbereitschaft. Diese Hunde passen sich schwer an ihre Umwelt an und normale Reize wirken bereits in normaler Intensität als psychogene Stressoren. Beobachtet wurde dies bei verschiedenen Jagdhunderassen sowie Windhunden, vor allem wenn diese nicht rassegerechten gehalten wurden und nur begrenzte Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit einer adäquaten Umwelt hatten, wie das der Fall bei ausschließlich in der Stadt gehaltenen Jagdleistungsrassen oder Laufhunderassen sein kann (FEDDERSEN-PETERSEN 1990).

COPPINGER und COPPINGER (2001) regen außerdem den Gedanken an, dass der Anblick bestimmter vorverurteilter Rassen bei vielen Menschen Unbehagen oder sogar Angst auslöst.

Das Verhalten der Menschen gegenüber diesen Hunden ist dadurch im Vergleich zu anderen

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Rassen verändert. Die Hunde wiederum realisieren ein solch verändertes Verhalten und reagieren ihrerseits darauf, eventuell auch mit vermehrt aggressivem Verhalten. So lehren die angstbesetzten Verhaltensänderungen von Menschen Hunde bestimmter Rassen, sich aggressiver zu verhalten (COPPINGER u. COPPINGER 2001). Die Zusammenstellung der gelisteten Rassen in den meisten Bundesländern erweist sich als willkürlich, es gibt keine durchgängige Gemeinsamkeit bezüglich des ursprünglichen Zuchtziels. Einige Rassen, Nachbildungen der antiken Kriegshunde (Vorfahren der großen molossoiden Typen wie Bullmastiff, Bordeuxdogge, Mastino Napolitano) weisen sogar charakteristisch eine sehr hohe Reizschwelle auf, so dass ein eher träges Temperament resultiert (EICHELBERG 2000). Um rassegebundene Ethopathien oder beginnende Fehlentwicklungen mit genetischer Disposition zu erkennen und zu belegen, bedürfte es nach FEDDERSEN-PETERSEN (1990) ethologischer Erkenntnisse über die verschiedenen Hunderassen, die bisher nur spärlich vorliegen. Rassespezifische, domestikationsbedingte oder durch Zucht variierte Änderungen im Sozialverhalten sind nach wie vor nicht genügend erforscht und untersucht. Vor allem im Bereich der Funktion hundlichen Ausdrucksverhaltens für die Kommunikation mit dem Menschen liegen bisher kaum wissenschaftliche Untersuchen vor (MIKLOSI 2011, FEDDERSEN-PETERSEN 2004, FEDDERSEN-PETERSEN 2008). Kritisch zu sehen ist diese Tatsache vor allem vor dem Hintergrund, dass die Ursachen für eine Vielzahl von Verhaltensabweichungen in einer nicht adäquaten Mensch-Hund-Kommunikation liegen (FEDDERSEN-PETERSEN 1991b). Als Kampfhunde bezeichnet FEDDERSEN-PETERSEN (2001a, 2004, 2008) durch starke Negativauslese einiger Rassen „gezüchtete“ Hunde, die von bestimmten Bevölkerungskreisen als besonders „kampftriebstark“ und

„schmerzunempfindlich“ selektiert worden sind. Diese Pitbull-Terrier oder Ban-Dogs zeigen schwere Ausfallerscheinungen im Sozialverhalten, deren genetische Grundlage aufgrund der ebenfalls gestört verlaufenden Jugendentwicklung dieser Hunde nicht zu ermitteln ist. Hunde dieser „Zuchten“ stellen Qualzuchten im Sinne des Tierschutzgesetzes dar (FEDDERSEN-PETERSEN 1991b, 1997a).