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2 . Rahmenbeding un gen ßr die Entstehung eines algerischen Familienrechts

2 . 1 .Historische Entwicklung

2 . 1 . 1. Versuch einer Neudefinition derRolle der Frau imunabhängigen Algerien

Der neue unabhängige Staat Algerien stand voreiner Vielzahl von Problemen.Während die Ausarbeitung einer Verfassung absolute Prioritäthatte, war eine neue Gesetzgebungzur Klärung der Rechtssituation zunächst zweitrangig.Um kein juristisches Vakuum entstehen zu

lassen, wurde noch im Dezember 1962 von der KonstituierendenNationalversammlung beschlossen,daß die bisherige Gesetzgebung bis zur Verabschiedung neuer Gesetzeweiterhin geltensollte, "mit Ausnahme der Regelungen, die der nationalenSouveränität des Landes widersprechen. "™ Bezüglich des Familienrechtsgalten somit weiterhin vier verschiedene Rechtsordnungen fürden Personenstand sowie dienoch vonden Franzosen1957und 1959 verabschiedeten Regelungen zum Ehe - und Scheidungsrecht. 138Durch diese Neuerungen herrschte eineim Vergleich zum islamischen Recht eher progressive Gesetzgebung;siewurde durch die 1963 verabschiedete Verfassung bestärkt.Art .4derVerfassung schrieb zwar den Islam als Staatsreligionfest , hinsichtlich der Stellung der Frau wurde aber eine klare Entscheidung getroffen, dennArt . 12 erklärte: "Alle Bürger beiderleiGeschlechtes haben dieselben Rechte und dieselben Pflichten. " ,w Noch deutlicher formulierte es die Nationalcharta von1964:

Jahrhundertelang wurde die algerische Frau in einem Zustand der Unterlegenheit gehalten , der dazudiente ,rückschrittliche Vorstellungen undfalsche Interpretationen des Islam zu rechtfertigen. (. . .) Die Gleichheitvon Frauund Mann muß sich inTaten

zeigen .Die algerische Frau mußdieMöglichkeithaben ,ampolitischen Lebenund dem Aufbau des Sozialismus effektiv teilzunehmen.lA0

Der Inhalt derNationalcharta deckte sich mit den Erwartungen derjenigen Algerierinnen, die durch ihre Mitwirkung im Unabhängigkeitskampfbinnen weniger Jahre ein neues

Bormuni , Documenti , S.273 .

" Vgl. S.2lf .

m Verfwiung der Demokratischen Sozialistischen Republik Algerien, veröffentlicht in AAN , 11(1963) , S .854 . '* SaUh-Bey, Droit , S. 105.

M

Selbstverständnis entwickelt hatten. Sie hofften nun auf eine Anerkennung ihrer Leistung auch auf politischer Ebene . Weite Teile der Bevölkerung standen dieser von der neuen politischen Elite angestrebten modernen Standortbestimmung derFrau jedoch skeptisch gegenüber.Aus der langen Phase der Unterdrückungdurch dieKolonialmacht Frankreich, der Benachteiligung aufgrund ihres muslimischen Status und ihrem deshalb überdie gemeinsame Zugehörigkeit zum Islam definierten Nationalgefühl zogen sie den entgegengesetzten Schluß :Die Frau

wurdefür den Mann dasSymboleinerTradition , die alsGrundlage der algerischen Persönlichkeit betrachtet wurde .Sie sollte moralisch gezwungenwerden ,an Heimund Herd zurückzukehren, um die Hüterin der wiedergefundenen Werte zuwerden . 1"

Die Konsequenz war,daß inAlgerien von Anfang an zwei sich widersprechende ideologische Tendenzen umEinfluß auf Politik und Gesetzgebung miteinander rivalisierten :Vertreter der Authentizität {al -asäla)und der Tradition(at-taqlrd) gegen die Vertreter derModernität (al

-mu 'äsira ) und der Öffnung(at-taßtuh ). Am deutlichsten trat dieser Widerstreit bei dem Bemühen um einneues Familienrecht zutage . 142DerBereich derFamiliengesetzgebung war und ist besonders sensibel für Reformvorhaben:Einerseits sind hier durch dieSart'a ziemlich genaue und umfassende Anordnungen vorgegeben , diesbezügliche Änderungen werden daher leicht als Angriffauf den Islam gewertet.Andererseits galt der IslamalsBasis einesalgerischen Nationalgefühls, die durch ihn geprägte Familie als tragendes Element des nationalen Widerstandes .Erschwerend kamhinzu ,daß die unter den Franzosen eingeführten Regelungen zum Personenstands-und Eherecht nicht vorurteilsfrei gesehen werden konnten ,sondern immer auch als ein Eingriff in diereligiös -juristische Integrität des Landes empfunden wurden.Die -meist französisch gebildeten - Mitstreiter fürein an den westlichen Zivilgesetzen orientiertes Familienrecht mußten sich so den Vorwurf gefallen lassen, sie würden freiwillig das Erbeder verhaßten Kolonialmacht übernehmen undinderen Sinn ausbauen.Der entsprechende Vorwurf

andie Vertreter derreligiös -konservativen Linie lautetedagegen ,siewürden der freigewählten politischen Linie des unabhängigen Algerien undseiner erfolgreichen Entwicklung im Wege stehen zugunsten eines Traditionalismus ,dessen Vertretersich nicht gescheut hatten, mitden Kolonialherren zusammenzuarbeiten. 143Eines der Hauptargumente derModernisten war, daß derneue Staat auf berufstätige und gut ausgebildete Frauenangewiesen sei,um das aus der Kolonialzeit resultierendepolitische, ökonomische und edukative Defizit auszugleichen. Zwischen diesen beiden Gruppierungen standendiezumeist regierungsnahen Algerier,dieeinen Mittelweg suchten ,der unter Respektierung der Tradition den Frauen möglichst weitreichende Mitwirkungsmöglichkeiten am Aufbau des Staates garantieren sollte.

141 Delcroix , Espoirs , S.66 .

141 Zu den verschiedenen Strömungen in der algerischen Gesellschaft und deren Einfluß auf die Gesetzgebung vgl . auch Dckhli , Principe , S.713IT.

141 Gemeint war die ehemalige religiöse Elite der Marabuts und Bruderschaften .

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Die ungeklärte rechtlicheSituation spiegelte sichin derRechtsprechung wider: Ein Richter konnte sich beiseinerUrteilsfindung entweder fürdaspositive ,moderne Recht entscheiden oder für das traditionelle,islamische.In den meisten Fällen wurde letzteres angewandt, auch seitens des Obersten Gerichtshofes.144

2 . 1 .2 .DieGesetzentwürfe füreinalgerisches Familienrecht( 1963 -1984)

Angesichts dieser widerstreitenden Kräfte nimmtesnichtwunder , daß bis zurVerabschiedung eines Familiengesetzes(qänün al-usra) über 20 Jahrevergingen. Die Jahre 1963bis 1984 waren denn auch geprägt von heftigen Auseinandersetzungen um den Code de la Familie. '"

Die erste Änderung brachte das von der Nationalversammlung ausgearbeitete und 1963 verabschiedete Khemisti -Stefanini -Gesetz .Esbestätigtedasbereits 1959per Dekret festgesetzte Mindestheiratsalter von18 Jahren für Männer ,gleichzeitig wurde die Altersgrenze fürFrauen von 15auf 16Jahreheraufgesetzt. Auch bezüglich derAnerkennung von Ehenwurde das erwähnte Dekret bekräftigt:Ehen waren nur rechtsgültig,wenn sie imPersonenstandsregister eingetragen waren .Die traditionelle Eheschließung durch Rezitieren der ersten Suredes Koran , ohne administrativeKontrolle, wurde nicht anerkannt, nichtsdestoweniger aber weiterhin praktiziert.Diese auf die Kolonialregierung zurückzuführenden Neuerungen warenBestandteil sämtlicher Entwürfe zu einem Code delaFamilie und sollten auchin die endgültige Fassung mitübernommen werden .

Im selben Jahr wurde auch der erste Entwurf zu einem einheitlichen Familiengesetz in Angriff genommen. Die mitderAusarbeitung beauftragte Kommission setzte sich aus Vertretern der Regierung, französischgebildeten Juristen undislamischen Gelehrtenzusammen. Während Vertreter derRegierung bemüht waren,das Programm von Tripoli 14*umzusetzen und einen Progressiven Code in Anlehnung an den Code Morand 147 auszuarbeiten, schlug eine Kommission von 'ulamä'vor , das Recht auf Polygynie auszudehnen:"Unter dem Vorwand ,

144 Borrmans belegt dies anhand von Verwaltuntrscrlässen, die in den 60er Jahren herausgegeben wurden . Ders ., Statut , S519f .

Vgl . dazu Nourcdine , Femmc , S.44ff .; Vandevelde , Probleme, S.46-50 ; Borrmans , Perspective ! , S. 140- 144; ders ., Lignes, S.69-71; Vandevelde , Code , S.53-59 und Delcroix , Eapoire, S. 107- 117.

1M Dieses Programm charakterisierte Algerien nicht nur als kolonisiertes , sondern auch als halbfeudalistisches Land , worin unter anderem die Ursache für die Verbannung der Frau aus dem öffentlichen Raum gesehen wurde . Für das unabhängige Algerien w»rd laut dem Programm von Tripoli die Befreiung der Frau angestrebt . Vgl. Borrmans , Statut, S.502 . Das vollständige Programm ist abgedruckt in AAN 1967, S .683-704 .

Vgl . S.2l .

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daß es zahlreicheWitwen von iuhadä 'gebe,"* sollten die Männer dasRecht haben , sechs Frauen zuheiraten. " "'' HeftigeWiderstände und Kritikinnerhalb der Kommission, in der Presse und seitens der Regierung ließen das Projekt scheitern.

Verfassung und Nationalchartas bekräftigten zwar weiterhinden Willen zurGleichberechtigung der Geschlechter,dennoch wurde die Diskussion über die Inhalte eines Familiengesetzes immer emotionaler und polarisierter.Während die islamische Organisation AIQiyämimJanuar 1964 ein stark besuchtes Treffen einberief,bei dem sie für einen islamischen Status für Frauen und gegen sportliche Tätigkeitenu . ä .eintrat ,demonstrierten imMärz 1965 hunderte von Frauenfür ein aufGleichberechtigung der GeschlechterbasierendesGesetz . 1966 wurde ein weiterer Entwurf ausgearbeitet, der sich zwar stark an der restriktiven Mudawwana, dem marokkanischenFamilienrecht, und damit am klassischen Rechtorientierte, aber zudem fortschrittliche Änderungenumfaßte , die über das Dekret von 1959hinausgingen. Dazu gehörte,daß Zweitehen nurin begründeten und genau definierten Fällen möglich seinsollten . Mehrehen wie aucheinseitige Verstoßung durch denEhemann sollten nurmit Zustimmung eines Richters erlaubt sein. Dieser Entwurf übernahm so einerseits die von derfranzösischen Regierung eingeführten Neuerungen , zeigte aber gleichzeitig eine starke Tendenz,sich in den übrigen Punkten auf das klassischeislamische Recht zuberufen. Obwohl versuchtwurde , diesen Vorentwurf möglichstgeheimzuhalten, '* kamen Gerüchte über einen reaktionären Entwurf für ein Familienrechtauf. Sie führten zu großenUnruhen, dieRegierung sah sich gezwungen,öffentlich zu dementieren und den Entwurf verschwinden zulassen .

Besondere Bedeutung kaminden folgenden Jahren der1966 gegründeten Union Nationaledes Femmes Algeriennes (UNFA ) zu . 15'

Sie war unterBoumedienne ins Leben gerufenworden , der in Algerien eine sozialistisch¬

progressive Politikforcierte, die mit Hilfe der hohen Erdöleinnahmenin den 70er Jahren bezahlt wurde . Mit der UNFA wollte er fürdie Fraueneinder Parteiangeschlossenes und dennoch selbständiges politisches Sprachrohr schaffen . Bis 1981 engagierte sich die Organisation füreinfrauenfreundliches Familienrecht,indemsieden Inhalt derGesetzentwürfe publik machte , Petitionen einreichte und Demonstrationen organisierte.Die UNFA war indie hierarchischenStrukturen der FLNeingebunden und vonihnen abhängig. Deshalb schlugen

141 Gemeint sind hier die Opfer des algerischen Unabhängigkeitskrieges . M ' Rabet , Algcnennes , S.237 .

130 "Queis furent les artisans de ce deuxieme projel alge'rien de Code , quclles turent les reaclions du Seminairc de jurisles qui eut ä en prendre alors connaissance , quclles rurent les interventions qui firent avorter . .. cettc deuxiemetentative ? On ne le saunt , sans doute , jamais ." Bonrmans, Perspectives . S. I41 .

111 Näheres zu Zielen und Aktivitäten der UNFA s. Dejeux , Femmes, S.313f .; At-Ittihäd al-watanl li' n-nisä' al-gazä ' iriyya , S.55-65 .

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letztendlich sämtlicheVersuche fehl , Einfluß auf denGesetzentwurf nehmen zukönnen .152 Nach 1981 schwand die Unterstützung für sie,die Frauen hatten realisiert,daß sieaußerhalb dieser unbeweglich gewordenen Organisation agierenmußten ."3

Als 1970 erneut eine Kommission zur Redaktion eines Code de la Familie ins Leben gerufen

wurde ,forderte Präsident Boumedienne,der sich sehrfür die Frauenfrage engagierte,auchdie UNFA auf,sich anderAusarbeitung zu beteiligen.Sowurde1973 der fortschrittlichste aller jemals vorgestellten Entwürfeveröffentlicht. Er sah vor , daß ein Ehevormund nur bei Minderjährigen vorgeschrieben seinsollte.Damit wäre nicht nur der für Frauen biszudiesem Zeitpunkt notwendige Ehevormund abgeschafftgewesen , sondern auch das dem Vater zustehende Recht zur Zwangsverheiratung jungfräulicher Töchter.Polygynie sollte nur nochin Ausnahmefällen,nach Einholung der Stellungnahme der bisherigen Frau( en ) und mitErlaubnis des Richters zulässig sein.Die Ehefrau sollte das Rechthaben ,durch eine Zusatzklausel im Ehevertrag weitere Ehen ihres Mannes zu verhindern.Allerdings waren keine Sanktionen für Vertragsbrüche vorgesehen , der Frau blieb nur die Möglichkeit,die Scheidung einzureichen. Desweiteren sah der Entwurf vor ,daß jede Frauauch ohne Zustimmung ihres Mannes einen Beruf ausüben durfte . Im Gegenzug fiel dem Mann nicht mehr die Rolle des Alleinernährers der Familie zu ,auchdieFrau solltezuden materiellen Bedürfnissen der Familie beitragen.Wie nach tunesischem Recht sollte beiden Ehepartnern dasselbe Recht zustehen,sich vomanderen trennen zukönnen . Unüberbrückbare Gegensätze zwischen'ulamä 'und UNFAließen aber auch diesen Gesetzentwurf scheitern, "le texte demeura mort-neV lSi

Als1975 sämtliche Gesetze ,die aus der Zeit vor der Unabhängigkeit stammten,außer Kraft gesetzt wurden, betraf dies auch und vor allem die 1959 von der französischen Kolonialverwaltung eingeführten Regelungen zur Verbesserung der Lage der Frauen. 155Hatte Präsident Boumedienne noch angekündigt,rechtzeitig zum Internationalen Jahr derFrau 1975 ein diesem Anlaß entsprechendes Familienrecht zu verabschieden,so wurde diese Hoffnung enttäuscht.Nun galt lautArt. 1des Bürgerlichen Gesetzbuches,daß

beim Fehlen einer gesetzlichen Bestimmung der Richter sein Urteil nach denPrinzipien des islamischen Gesetzes flllt und in Ermangelung selbiger, nach dem Gewohnheitsrecht.156

2 Tilmatine , Mouvements , S.37 .

Tlemcani hat sich sehr kritisch mit den Aktivitäten der UNFA auseinandergesetzt , die er teilweise mit ' Kaffeekränzchen ' vergleicht . Ders ., State, S.203ff .

Borrmans , Perspectives , S.69 . Siehe S.21 .

Nouredine , Femme , S .46 .

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Dieser Artikel markierteeinen Wendepunkt fürkünftige juristischeEntscheidungsprozesse , indem er eindeutig das islamische Recht als vorrangige Grundlage der Rechtsfindung bestimmte:

Depuis cettedate ,devantle videjuridiqueenmatiirede droit delafamille,ort a donc recours au droitmusulman ; ceci , defacon assezanarchique, les unsl'appliquant scrupuleusement, les autress 'inspirant seulement de sonesprit . 15'

Mit dieser Entscheidung, so verkündete die Regierung, werde nur die seit Jahrhunderten befolgte Rechtspraxis fortgeführt:

Depuisl'avenement de l'Islam en AlgMe, notre peuple a toujours appliqui les prescriptions de laChartaenmatiiredeStatutpersonnel. II nes'enestjamaisdeparti, mimependantles sobrespfriodesde son histoire,notammentlaperioded'occupation (trangäre.158

Die folgende Zeit bis 1976 war geprägt von Diskussionen über eine neue Nationalcharta,deren Verlauf stark von islamisch orientierten Gruppierungen bestimmt wurde .Erst1979 unter dem neuen Präsidenten Chadli Ben Djedid wurde die Ausarbeitung eines Familiengesetzes wieder in Angriff genommen . Kaum war er ander Macht, wurde ein Erlaß herausgegeben, der Frauen

verbot ,ohne männlichen Begleiter das nationale Territorium zu verlassen.Dieser Erlaß sowie Informationen über die Konzeption des neuen Familienrechtes führten zu Protesten von Seiten der Frauenorganisationen , Intellektuellen und liberalenPolitiker. Nach eineinhalb Jahren massiven Protestes wurde das Ausreiseverbot für Frauen wieder aufgehoben.

Ben Djedid hatte von Anfang an auf mehreren politischen Ebenen mit großenProblemen zu

kämpfen :Die Staatseinnahmen sankenauf Grund des rapiden Ölpreisverfalles ,die Bevölkerung wuchs raschan, die Berberproteste1980 gegen dieArabisierungspolitik warfen erneut die Identitätsfrageauf und die Frauenbewegungbegannwieder , ihreAnliegen zuartikulieren. Parallel dazu nahmen die Aktivitätenislamistischer Bewegungenzu. Ben Djedid reagierte darauf mit Repressionen gegen alle opponierenden Gruppen einerseits, machte jedoch andererseits Zugeständnisse gegenüber den Forderungen der Islamisten15''

um sie gegen linke AnhängerBoumediennes in Partei und Verwaltung und gegen andereBewegungen außerhalb der offiziellen Strukturen des politischenSystems zu

Vandevelde , Probleme , S.51 . ' " Ebd ., S.39 .

Ben Djedid hatte damit auf die richtige Karte gesetzt ; Abbassi Madani bezeichnete die Ära Boumediennes in einem Interview als "die schlimmste von allen "; in: Politique Internationale (49) 1990, S. 182.

mobilisieren (vor allem gegen die Frauen-und die kabylische Berberbewegung) .160 Die Auseinandersetzung zwischen der Frauenbewegung und islamistischen Aktivisten sollte zu einem der tiefsten Gräben innerhalb der pluralistischenGesellschaft Algerienswerden ; er verlief "zwischen dem entschiedenen Individualismus und Modernismus der Feministinnen und demPatriarchatund Populismus der Islamisten. """

Am28 .9 .1981 wurde als Gesetzentwurf das"Projet de Loi relative au Statut personnel" der Nationalversammlung vorgestellt. Es wargekennzeichnet durch eineBetonung der Familie patriarchalisch-agnatischen Typs und traditioneller gesellschaftlicher Werte .Damitverbunden war eine weitgehende Zurückweisung westlicher Einflüsse.Die Anordnungen desKhemisti

-Stefanini -Gesetzes wurden unverändertübernommen. Im Vergleich zu den vorherigen Entwürfen bedeutetedieser jedoch einendeutlichen Rückschritt. DieZustimmung zur Ehe mußte nicht mehr persönlich gegeben werden , der Mann konnte sich vertreten lassen ,fürdie Frau war der Ehevormund wiederobligatorisch. Der Vater durfte seine Tochter nicht zwangsweise verheiraten, erkonnte ihrjedochdie Eheschließung verweigern,falls er darin Nachteile für siesah .Die Frau hatte alleiniges Verfügungsrecht über ihr Vermögen undmußte nichts zum Haushalt beisteuern.Im Gegenzug wurde ihr Recht auf Berufstätigkeit beschnitten.

Sie durfte als verheiratete Frau nurarbeiten ,wenn sie dies vor der Ehe auch getanhatte,wenn sie die Erlaubnis ihresMannes erhielt oderwenn sie sich dies im Ehevertrag ausbedungen

hatte. Polygynie blieberlaubt , im Vergleich zu den anderen Entwürfen wurden die dazu berechtigenden Gründen viel vagergefaßt . Das Recht auf Verstoßung stand allein dem Ehemannzu ,nichtmehr,wieinden beiden vorigen Entwürfen,beiden Ehepartnern.Zusätzlich wurden die Gründe reduziert,bei denen eine Frau die Scheidung einreichen konnte .Sogalten

Z -B.Ehebruch , Nichtanerkennung der Vaterschaft,schwere Beleidigungen oder Verlassen der gemeinsamen Wohnung nicht mehr als Scheidungsgründe.Die zuvor mögliche Scheidungmit beiderseitigem Einverständnis fehlte, wieder aufgenommen wurde dagegen die Scheidung der Frau durch Freikauf. '62

Dieser Entwurf bedeutete einen klarenRückschritt gegenüber allen bisher ausgearbeiteten Vorentwürfen .EineErklärung für die gegenläufige Entwicklung gab die Kommission selbst, indem sie bekanntgab,auf welche Quellen sie sich beiderAusarbeitung des Textes gestützt

hatte.Einerseits galten als Grundlage die Nationalcharta und die Verfassung,beidevon1976 , die Frauenförderungbeziehungsweise die Gleichheit der Geschlechter als Ziele verankert

hatten.Andererseits wurde auf die vier Quellen des klassischen islamischen Rechts (usulal

-Dennerlein , Familiengesetz , S.81.

Cheriet , Der unaufhaltsame Niedergang des algerischen Sozialismus, Vgl . Vandevelde , Probleme , S.40-45 .

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flqh)zurückgegriffen:Koran ,Sünna(Tradition des Propheten) ,Igmä' (Konsens der Gemeinde) und Qiyds(Analogieschluß) .Sie wurden ergänzt durch drei weitere Quellen :den Igtihäd (freie Entscheidungsfindungder islamischenRechtsgelehrten), die Gesetzestexte der orthodoxen Rechtsschulen sowie die Gesetzgebung benachbarter islamischer Länder. 163Der Eklektizismus des offiziellen ideologischen Diskurses setzte sich auch auf juristischer Ebenefort, der algerische Sozialismus war und blieb starkislamisch geprägt.Bei den Diskussionen um ein Familienrecht überwog eindeutig der Einfluß religiös gesinnter Kräfte . Daseit diesemEntwurf bei allen ungelösten Fragen derRückgriff auf das klassisch islamische Recht vorgeschrieben

blieb,gab es von diesem Zeitpunkt an keinen Zweifel mehran dessen Dominanz unddamit

auch amÜbergewicht traditionalistischer Strömungen auf den maßgeblichen politischen Ebenen. Angesichts des eklatanten Widerspruches zwischen Verfassungstheorie und Rechtswirklichkeit waresnicht erstaunlich,daß sichauf diesen Gesetzentwurf hin Petitionen undDemonstrationen

häuften .Inderen Verlauf kameszu ersten Verhaftungen.Der Gesetzentwurf wurde imJanuar 1982 wieder zurückgezogen,die Abstimmung darüber vertagt.

Kurz darauf wurde erneut eine neue Vorlage ausgearbeitet unter Beteiligung von Mitgliedern des Zentralkomitees der FLN, des Corps Judiciaire sowie von Psychologen, Theologen, Soziologen undHistorikern.164Inhaltlich weist sie große Parallelen zum Entwurf von 1981

auf .ImJuli1984 wurde er als'Code de la Familie Algirienne',mit nur wenigen Änderungen versehen , quasi heimlich verabschiedet.

ZurEinschätzung, in welchem Umfang dieSart'aund diemälikitische Rechtsschule aufdie inhaltliche Orientierung des Code de la Familie eingewirkthaben , werden im folgenden zunächst die Bedeutung derSarl'a, die Entstehung und Grundzüge der Mälikiyya sowiederen wichtigste Vertreter dargestellt.

2 .2.Derreligiös-historische Hintergrund

2 . 2 . 1.DieBedeutung der SarVa

Die meisten Länder mit überwiegend muslimischer Bevölkerung haben den Islam als

Ebd ., S.40 .

Nach El Moudjahid vom 1.Mai 1982.

Staatsreligion inihrerVerfassung verankert.Im Gegensatz zu laizistischen Ländern mußsich dieses religiöse Bekenntnis auchin Politik undGesetzgebung manifestieren. Die Grundlage dafür bildet das zu erstrebende Ideal des islamischenStaates,dem die Gesamtheit derMuslime angehört; er ist, wie derjüdische, einReligionsstaat. Auch wenn dieses Ideal weit davon entfernt ist, verwirklicht zuwerden , giltbereits für die'Übergangszeit' dieEinführung der SarfaalsBasis der Rechtsprechung als Kriteriumdafür,ob eine Regierung islamischlegitimiert

ist.DieSarl'aist nach muslimischem Verständnis das kanonische Gesetz des Islam, dasdem Menschen von Gott geoffenbarte idealeRecht. Als solches ist es unveränderlich , weshalbdie Aufgabe der Rechtsgelehrten sich auf die Auslegung der Sarfa beschränkt. Von der Offenbarung des Koranals deren- unzureichende - Grundlage biszu ihrerEntwicklung als islamische Rechtsordnung verging jedoch noch einigeZeit,und erst im Zuge derAusdehnung des islamischen Machtbereiches erlangte dieSarl 'aGültigkeit füralle Muslime.Da sie aber weder ein alle Fragen abdeckendes Rechtskompendium darstellt noch alle ihre Rechtssätze so eindeutig formuliert sind, daß sie nicht auch im zeitlichen oder individuellen Kontext interpretiert werden könnten ,ist ihr angeblich statischer Charakter nurrelativ .Das zeigt sich

ist.DieSarl'aist nach muslimischem Verständnis das kanonische Gesetz des Islam, dasdem Menschen von Gott geoffenbarte idealeRecht. Als solches ist es unveränderlich , weshalbdie Aufgabe der Rechtsgelehrten sich auf die Auslegung der Sarfa beschränkt. Von der Offenbarung des Koranals deren- unzureichende - Grundlage biszu ihrerEntwicklung als islamische Rechtsordnung verging jedoch noch einigeZeit,und erst im Zuge derAusdehnung des islamischen Machtbereiches erlangte dieSarl 'aGültigkeit füralle Muslime.Da sie aber weder ein alle Fragen abdeckendes Rechtskompendium darstellt noch alle ihre Rechtssätze so eindeutig formuliert sind, daß sie nicht auch im zeitlichen oder individuellen Kontext interpretiert werden könnten ,ist ihr angeblich statischer Charakter nurrelativ .Das zeigt sich