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R ückkehr der Flüchtlinge nach Bosnien-Herzegowina

Die Innenminister von Bund und Ländern haben bekanntlich am 6. Juni 1997 noch einmal über die Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge beraten. Deutschland ist derzeit das einzige Aufnahmeland, das eine Rückkehrpflicht für bosnische Flüchtlinge eingeführt hat. UNHCR wiederum hat an die Innenminister appelliert, derzeit von Abschiebungsandrohungen und Ausreiseaufforderungen für jene bosnischen Flüchtlinge abzusehen, die nicht in ihre Heimatorte zurückkehren können.

Warum vetreten w ir diese Position? Vielleicht werden unsere Beweggründe am besten illustriert durch einige Ereignisse in Bosnien aus den letzten Tagen:

Im Rahmen eines Caritas-Projektes wurde im muslimisch kontrollierten Bugojno das im Krieg zerstörte Haus eines kroatischen Eigentümers wiederaufgebaut, der in die Schweiz geflohen war. Eine Woche vor seiner geplanten Rückkehr wurde das Haus in die Luft gejagt.

Im kroatisch kontrollierten Stolac verschwanden von UNHCR gelieferte Baumate- rialien - Holz, Zement, Fenster und Türen -, mit denen die Häuser von muslimischen Flüchtlingen wiederaufgebaut werden sollten. Im ebenfalls kroatisch kontrollierten Jajce ging das Haus einer alten Bosniakin, die gerade wieder in ihren Heimatort zu- rückgekehrt war, in Flammen auf.

Im muslimisch kontrollierten Una Sana Kanton wurde ein serbischer Rückkehrer, ein alter Mann, ermordet. Im kroatisch kontrollierten Drvar brannten 25 Häuser nie- der, die serbischen Flüchtlingen gehörten, die zurückkehren wollten.

Ende Mai 1997 tra f sich der Flüchtlingsminister der Republika Srpska Vladušic mit Vertretern von 471 muslimischen Familien. Sie stammen ursprünglich aus zw ölf Dörfern in Ostbosnien, die nun auf dem Gebiet der Republika Srpska liegen. Die Familien wurden im Krieg vertrieben. Und obwohl ihre Häuser zerstört sind, wollen sie zurück. Sie besuchten deshalb mehrmals ihre Dörfer und versprachen nun dem Minister ausdrücklich, die Gesetze der Republika Srpska zu achten. Dabei waren sie sich vollkommen darüber im klaren, daß die internationale Staatengemeinschaft ih- nen keine Garantien für ihre Sicherheit in den Heimatdörfern geben kann. Minister Vladušic antwortete ihnen, die Zeit sei noch nicht re if für eine Rückkehr. Wegen der ausgesprochen negativen Gefühle der serbischen Vertriebenen würde ihre Rückkehr, so der Minister, nur die ohnehin vorhandenen Spannungen verstärken.

Diese Beispiele sind kennzeichnend für die Situation in Bosnien und Herzegowina, bald 18 Monate nach Unterzeichnung des Daytoner Friedensabkommens. In Annex 7, Artikel 1(5) dieses Vertrages fordern die Parteien UNHCR auf, einen Rückkehr- plan vorzulegen, der "eine rechtzeitige, friedliche, geordnete und abgestufte Rück- kehr der Flüchtlinge und Vertriebenen" erlaubt. Die Parteien erklären sich zudem bereit, diesen Plan umzusetzen.

Die Unterzeichnung des Friedensabkommens am 15. Dezember 1995 hat bislang an der Tatsache nichts ändern können, daß die eigentlichen Ursachen des Konfliktes

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weiterhin auf eine Lösung warten. Dies ist auch der Grund, warum der militärische Teil des Abkommens relativ reibungslos und zügig umgesetzt werden konnte, während dessen zivile Aspekte weithin unerfüllt blieben.

Das Daytoner Abkommen trennt die verfeindeten Armeen und versucht, einen Staat zu konstruieren, der aus zwei Entitäten besteht, die wiederum ausschließlich das ethnische Kriterium zur Grundlage haben. Die Verfassung von Bosnien und Herzegowina (als Annex 4 Bestandteil des Daytoner Abkommens) spricht wiederholt von den "konstituierenden Völkern" Bosnien und Herzegowinas. Genannt werden Muslime, Kroaten und Serben. "Andere" werden nur am Rande erwähnt.

Die Fixierung auf die Rechte ethnischer Gruppen kennzeichnet aus meiner Sicht nicht gerade den Übergang vom Kommunismus zur Demokratie, sondern eher einen

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gefährlichen Übergang zum Nationalismus. Die Herrschaft der Partei scheint nun jener der ethnischen Gruppe gewichen zu sein.

Vor diesem Hintergrund hat die Rückkehr aller bosnischen Flüchtlinge in ihre Heimatorte nur geringe Erfolgsaussichten. Wer den demographischen Flickenteppich vor Augen hat, aus dem Bosnien und Herzegowina vor dem Krieg bestand, muß zwangsläufig zu dieser Schlußfolgerung kommen.

Infolge des Krieges sind rund 1,2 Millionen Menschen ins Ausland geflohen. Rund eine M illion Menschen wurden zudem innerhalb des Landes vertrieben. Dies bedeutet, daß rund die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung fliehen mußte oder Opfer ethnischer Säuberungen wurde. Nach unseren Schätzungen warten immer noch 1,6 M illionen Bosnier, jeweils zur Hälfte Flüchtlinge und Binnenvertriebene, daß sich für sie eine dauerhafte Lösung aufzeigt.

Die drei Hauptaufhahmeländer der bosnischen Flüchtlinge sind Deutschland (zeitweilig bis zu 345.000, heute rechnet man mit 295.000), die Bundesrepublik Ju- goslawien (rund 260.000) und Kroatien (160.000). Die 800.000 Binnenvertriebenen verteilen sich jeweils fast zur Hälfte auf die Republika Srpska (Serben aus den ande- ren Landesteilen) und auf die Föderation (Kroaten und Muslime aus dem serbisch kontrollierten Landesteil).

In den letzten 18 Monaten haben UNHCR-Mitarbeiter in Bosnien Tausende von Stunden aufgebracht, um das notwendige Vertrauen für eine Rückkehr von Minderheiten herzustellen. In mühsamen Verhandlungen versuchten sie, Besuche von Flüchtlingen und Vertriebenen über die Grenze der beiden Entitäten in ihren ehemaligen Heimatorten zu organisieren. Die Menschen wollten sich über den Zustand ihrer Häuser oder Wohnungen informieren oder sie wollten einfach nur ihre toten Angehörigen auf dem Friedhof besuchen. Allzu oft endeten diese Besuche allerdings im Steinhagel einer wütenden (nicht unbedingt spontan handelnden) Menge, die die Besucher zur Umkehr zwang.

Seit einem Jahr hat UNHCR (obgleich w ir eigentlich kein Transportunternehmen sein sollten) ein Dutzend Buslinien in Bosnien und Herzegowina eingerichtet, um Verbindungen zwischen Städten in der Föderation und der Republika Srpska herzustellen. Denn zwischen den beiden Entitäten gibt es immer noch keinen öffentlichen Bus- oder Bahnverkehr. Seit Mai 1996 haben rund 350.000 Fahrgäste die UNHCR-Busse benutzt - ein Beweis dafür, daß trotz aller Repressionen und

Rückkehr der Flüchtlinge nach Bosnien-Herzegowina 159 Gefahren für die persönliche Sicherheit es immer noch viele Menschen gibt, die den persönlichen Kontakt zwischen den Entitäten nicht abreißen lassen wollen.

Dies ist gewiß ein Erfolg, aber gleichzeitig auch das Zeichen für ein Versagen - nämlich, daß die Menschen in Bosnien und Herzegowina keine andere Möglichkeit sehen und haben, gefahrlos über die Trennlinie zwischen den Entitäten hinweg zu reisen - und dies trotz der ihnen im Friedensabkommen zugesagten Bewegungsfrei- heit.

Seit der Unterzeichung des Daytoner Abkommens kehrten rund 270.000 Flüchtlinge und Vertriebene in ihre Heimatorte zurück ־ eine gewaltige Zahl, aber dennoch nur wenig mehr als zehn Prozent der Heimatlosen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Personen, die in ihren Heimatorten zur ethnischen Mehrheit gehören. Nach unserer Einschätzung sind hingegen nicht mehr als 10.000 Minderheitsangehörige in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Zumeist handelt es sich dabei um ältere Menschen, die ihren Lebensabend in ihrem Heimatort verbringen möchten und deshalb von den Behörden nicht als eine potentielle Bedrohung betrachtet werden.

Die gegenseitige politische Blockade der ehemaligen Kriegsgegner in Bosnien und Herzegowina kann man nicht isoliert betrachten und behandeln. Fortschritte und Fehlschläge sind unmittelbar verknüpft mit den Entwicklungen in der Bundesrepu- b lik Jugoslawien und in Kroatien. Aus diesem Grund organisiert UNHCR regelmä- ßige Treffen zwischen den Verantwortlichen für Flüchtlingsfragen aus Kroatien, Serbien, Montenegro, der Republika Srpska und der Föderation - bislang das einzige Gremium, in dem sich diese ehemaligen Bürger eines gemeinsamen Staates treffen.

Zu einer positiven Kettenreaktion bei der Frage der Rückkehr könnte es kommen, wenn Kroatien die Rückkehr der serbischen Flüchtlinge in die Krajina erlauben würde. Zur Stunde ist dies jedoch höchst unwahrscheinlich. Denn in der ganzen Region greifen die Verantwortlichen zu Maßnahmen, die mehr darauf abzielen, eine Rückkehr von Minderheitsangehörigen zu verhindern als zu unterstützen. Besonders sichtbar wird dies bei den inzwischen verabschiedeten Gesetzen über Besitz und Eigentum, die eine eindeutig diskriminierende Absicht und entsprechende Wirkung haben.

Betroffen sind in erster Linie Flüchtlinge, die nach einer Rückkehr in ihren Heimatort ihre alten Wohnungen oder Häuser beziehen wollen. Diese werden jedoch bereits als "verlassenes Eigentum" bezeichnet und anderen, der jeweiligen ethnischen Mehrheit angehörenden Vertriebenen zugesprochen. Nach dem geltenden Recht in Kroatien und Bosnien und Herzegowina haben die geflüchteten ehemaligen Bewohner inzwischen zumindest ihr Nutzungsrecht verloren.

Auch der bewußte Versuch, menschenleere Gebiete mit Angehörigen der heute dominanten Volksgruppe zu besiedeln, zielt darauf ab, die Rückkehr von Minder- heiten zu verhindern. In diesen Tagen macht in Deutschland das Gerücht die Runde, daß eine große Zahl bosnischer Flüchtlinge kroatischer Volkszugehörigkeit Briefe aus Kroatien erhält, in denen ihnen in der Krajina Häuser von Serben angeboten werden, die geflohen sind.

Die mangelhafte Anwendung oder die unzureichende Formulierung von Amnestie- gesetzen, die offensichtlich als Vorwand dienende Behauptung, Rückkehrer hätten

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Kriegsverbrecher! begangen, sowie willkürliche Verhaftungen und Internierungen unterminieren den ohnehin schwierigen Prozeß der Vertrauensbildung.

Natürlich gibt es auch andere, mehr in der öffentlichen Diskussion stehende Pro- bleme, die eine Rückkehr behindern: Während des Krieges wurden 60 Prozent des Wohnraumbestandes in Bosnien und Herzegowina entweder beschädigt oder zer- stört. M illionen von vergrabenen Minen sind noch nicht geräumt worden, ln man- chen Regionen des Landes gelten bis zu 80 Prozent der potentiell erwerbstätigen Bevölkerung als arbeitslos. Die Industrieproduktion liegt praktisch darnieder, die Landwirtschaft wird erheblich durch das Minenproblem beeinträchtigt. Die verspro- ebenen EU-Gelder für den Wiederaufbau fließen sehr langsam ab, wenn überhaupt.

Gewiß behindern diese gewaltigen Probleme eine Rückkehr. Sie können jedoch bei entsprechenden Anstrengungen überwunden werden, wenn das Vertrauen für den Friedensprozeß und der W ille auf seiten der politisch Verantwortlichen des Landes vorhanden wären, in der Zukunft zusammenzuleben. Doch solange jene unbehelligt die politische Entwicklung in Bosnien und Herzegowina maßgeblich beeinflussen können, die vom Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag angeklagt wurden, bleiben die wenigen Stimmen der Vernunft und des Ausgleichs ungehört.

Angesichts dieser Bestandsaufnahme bleibt für uns die Frage: Wie lange soll UNHCR den Versuch fortsetzen, eine Rückkehr von Minderheitsangehörigen in ihre Heimatorte zu ermöglichen? W ir sehen es als unsere Hauptaufgabe an, Flüchtlingen dabei zu helfen, daß ihnen das im Daytoner Abkommen gegebene Versprechen eingelöst wird. Dies ist notwendig, um das Unrecht der Vertreibung wieder rückgängig zu machen.

Allerdings kann dies nicht bedeuten, daß UNHCR die entsprechenden Bedingungen schafft, damit eine Rückkehr für alle Flüchtlinge in ihre Heimatorte möglich wird. Es ist unsere Aufgabe, eine Rückkehr zu erleichtern, wenn entsprechende Bedingungen vorhanden sind. Es wäre geradezu absurd, von einer humanitären Organisation wie UNHCR zu verlangen, das erklärte Kriegsziel ethnisch homogener Territorien wieder rückgängig zu machen.

Der zumindest vorgesehene Abzug der SFOR-Truppen in einem Jahr läßt es deshalb umso dringlicher erscheinen, bereits heute eine provozierende Frage zu stellen: Gibt es einen Punkt, an dem die ehemaligen Kriegsparteien und die politischen Väter des Daytoner Abkommens entscheiden müssen, die Bemühungen für die Wiederherstellung einer multiethnischen Gesellschaft einzustellen ־ und damit dem Druck nachzugeben, drei ethnische Mini-Staaten in Bosnien und Herzegowina zu schaffen?

Und daraus ergibt sich eine weitere Frage: Wie wirkt sich die Rückkehrpolitik der Bundesrepublik Deutschland vor Ort aus? Zehntausende von Flüchtlingen werden zur Ausreise aus Deutschland aufgefordert, die nicht in ihre Heimatorte zurückgehen können. Ihnen wird die Abschiebung angedroht. Wenn sie nicht darauf warten wol- len, abgeschoben zu werden, müssen sie ausreisen. Doch sie können nur in Gebiete zurückkehren, wo sie zu der ethnischen Mehrheit gehören. A uf diese Art und Weise werden die ethnischen Trennlinien des Landes verfestigt und neue Spannungen er- zeugt. Die Rückkehrer aus Deutschland werden zu Binnenvertriebenen in Bosnien und Herzegowina. Notdürftig untergebracht warten sie zu Tausenden in Gebieten.

wo sie m it bloßem Auge die Dächer ihrer Heimatdörfer sehen können. Es besteht die konkrete Gefahr, daß sie versuchen werden, ihre Rückkehr in die Heimatorte mit Gewalt zu erreichen.

Als Reaktion auf die Bemühungen von UNHCR, die Rückkehr von Minderheits- angehörigen in ihre Heimatorte zu ermöglichen, hört man oft (auch aus offiziellen Kreisen hier in Deutschland), "niemand außer UNHCR glaubt noch an Dayton". Es gibt sicherlich noch ein paar andere Gläubige, u.a. Michael Steiner, der hochgelobte, nun aus seinem Amt scheidende Stellvertretende Hohe Repräsentant für den Wieder- aufbau Bosnien-Herzegowinas.

Dennoch bleibt die Frage, ob Dayton Realität werden kann oder tatsächlich nur ei- ne Illusion war. Und wenn, wer muß aus diesem Eingeständnis heraus welche Ent- Scheidungen treffen? Und schließlich: Was würde der offizielle Abschied von Dayton für Bosnien und Herzegowina, darüber hinaus für die ganze Region bedeu- ten? Bislang hat noch niemand gewagt, hierauf eine Antwort zu geben.

׳ä :

I T Hansjörg Brey and Günther Wagenlehner - 978-3-95479-683-0

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