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Wie auch die Euro-Barometer-Meinungsforschung schon seit mehreren Jahren immer wieder bestätigt, sind nicht nur in Bulgarien, sondern in ganz Mittel- und Südosteuropa feste und dauerhafte Tendenzen festzustellen in der Einstellung der Bevölkerung zu EU und NATO. Die letzten Monate, die die Perspektiven einer zukünftigen Mitgliedschaft der assoziierten Mitglieder der EU etwas deutlicher enthüllten, haben daran nichts wesentliches geändert. Zunächst sollten einige allgemeine Tendenzen und Gesetzmäßigkeiten erwähnt werden, um dann die lokalen Erscheinungen auf dem Balkan zu erörtern.

Die Einstellung zu EU und NATO bleibt überall überwiegend positiv, doch das Po- sitive nimmt kontinuierlich ab. Bei einer Umfrage nach dem Image von EU und NATO, also sozusagen nach einer wertneutralen und distanzierten Schätzung, fallen die Ergebnisse schlechter aus, als bei der Frage nach der Bereitschaft zu EU- und NATO-Beitritt, die die Befragten in die Situation einer pragmatischen Wahl versetzt.

Es ist wie in einer langen Ehe: wenn mit den Jahren Ernüchterung und bessere Kenntnis über den anderen (auch über seine Schwächen) kommt, bedeutet dies nicht unbedingt, daß die Ehe selbst in Frage gestellt wird. Die osteuropäischen Länder treten aus der Phase der ersten - unglücklichen? ungeteilten? - Liebe heraus. Der Beitritt in die NATO schneidet dabei prinzipiell etwas schlechter als der Beitritt in die EU ab. Wahrscheinlich wird Ersteres eher als notwendige Etappe zum eigentli- chen Ziel, dem EU-Beitritt, betrachtet. Die Einstellungen zur NATO differieren auch von einer Region zur anderen mehr - sie sind offensichtlich geopolitisch stärker ge- bunden. Der Hauptunterschied zwischen den Einstellungen in den jeweiligen Län- dem kann durch ein Paradoxon ausgedrückt werden: Je höher die Chance, in die EU und NATO aufgenommen zu werden, desto niedriger die Bereitschaft dazu. Das Verhältnis ist also umgekehrt proportional. Die höchsten Werte zeigt hier Rumänien, die niedrigsten Tschechien, die Slowakei, und Ungarn. Zwei Staaten, Polen und Ru- mänien, bilden die Ausnahmen dieser Gesetzmäßigkeit, und bedürfen somit einer zusätzlicher Erklärung: Die Bevölkerung in diesen beiden Ländern bleibt, trotz einer hohen Beitrittswahrscheinlichkeit, eindeutig Spitzenreiter im Hinblick auf ihre posi- tiven Einstellung zu Europa. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, daß diese Der Prozeß der Demokratisierung in Südosteuropa - Neuigkeiten aus Bulgarien 75

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beiden Länder an der Grenze zur ehemaligen Sowjetunion liegen. Und dies ist wohl schon eine besondere Erfahrung gewesen. Aber warum dann nicht auch die Slowa- kei? Ich möchte hier nur Denkanstöße geben, da ich mich nicht in der Lage sehe, eine ausreichend fundierte Erklärung liefern zu können.

Auf jeden Fall ist es falsch, wenn angenommen wird, daß in den

"pessimistischeren" Ländern keine hinreichende Öffentlichkeitsarbeit für EU und NATO geleistet wird, oder daß die Bevölkerung nicht richtig und umfassend genug über die Integrationsprozesse informiert wird. Die Enttäuschung ist natürlich überall da. Sie mag eine Folge von falschen Erwartungen sein, in Bezug auf die von den einheimischen Politikern ursprünglich anders ־ leichter, problemloser, glorreicher - dargestellten Perspektiven des Beitritts in die EU und NATO. Doch die größte Ent- täuschung basiert ohne Zweifel auf einer zunehmenden Erfahrung im Hinblick auf die Möglichkeiten und Grenzen der EU und NATO selbst, d. h. mit der Problematik, Asymmetrie, ja Einseitigkeit der realen Beziehungen auf diesem Gebiet. Sie baut also nicht auf weniger, sondern eben auf mehr Information auf. (Die Schengener Visums-Restriktionen werden beispielsweise von Bulgaren und Rumänen - und kein Populismus ist dafür verantwortlich ־ als politische Ghettoisierung dieser Länder empfunden. Die Bewegungsfreiheit dieser Menschen wird heute nicht weniger als früher behindert. Die Mauer wurde lediglich politisch von innen nach außen verlegt.

Dies treibt die etwas von sich und Europa mehr erhoffenden Bulgaren und Rumänen - unter ihnen die gebildetsten und kompetentesten - nicht nur aus Europa, sondern auch aus ihren eigenen Ländern weg, da die von außen auferlegte Bewertung ihres Standortes kaum mit ihrer Vorstellung von Würde und Freiheit übereinstimmt.)

In der Haltung zur NATO stellt Rumänien, in unserem südöstlichen Kontext betrachtet, ebenfalls eine Ausnahme dar. Je südlicher sich die Länder in Osteuropa befinden, desto mehr ist man bereit (z. B. in Bulgarien, Makedonien) die Interessen von Amerika und Rußland in der Außenpolitik des jeweiligen Landes wahrzunehmen. Im Großen und Ganzen kann man sagen, daß die Einstellung zur EU und NATO nicht (negativ) überbewertet werden soll. Sie bleibt überall in Osteuropa, den Umständen entsprechend, positiv genug. Wir haben übrigens ein aktuelles Beispiel dafür, wie wenig in diesem Zusammenhang die Differenzen zwischen den Ländern eine Rolle für ihre Positionierung spielen. In der öffentlichen Meinung bleibt Rumänien weiterhin an der Spitze der Integrationsbereitschaft, Bulgarien - ziemlich, aber nicht ganz unten (vor der Tschechien, der Slowakei und Slowenien).

Die objektiven militärisch-strukturellen Daten von Rumänien in Bezug auf die Aufnahmebedingungen für die NATO sind die besten in Osteuropa, die von Bulgarien die schlechtesten. Trotzdem weiß man schon seit Juli 1997, daß beide Länder weder zu den drei in die NATO aufgenommenen Staaten, noch zu den fünf Ländern (denselben drei, sowie zwei weiteren) gehören, mit denen die Verhandlungen für den ersten EU-Beitritt beginnen werden.

"Rechtsruck? "

Nach den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen (in Rumänien und in Bui- garien - mit einer Verschiebung von einem halben Jahr) haben wir 1997 in beiden Ländern eine neue Situation. An der Macht sind politische Kräfte mit rechten Pro- grammén. Wie ist dies zu bewerten? Südosteuropa bewegt sich nach Rechts, Westeu- ropa (Großbritannien, Frankreich) dagegen nach Links?

Zunächst einmal stellen "Rechts" und "Links" innerhalb Südosteuropa (noch?

schon?) keine plausiblen politischen Richtungen dar. Die "klassischen" Bedeutungen gelten hier nicht. Gemäß der herkömmlichen Begriffsdefinition liegen die neuen er- folgreichen "rechten" Parteien Südosteuropas ökonomisch "rechts" (Privatisierung, Marktwirtschaft, Individualismus), aber im Hinblick auf ihre politischen Ziele (Emanzipation von unten, Anti-Elitarismus, Philosophie des kleinen Mannes) sind sie doch eher "links" einzuordnen. Und "linke Parteien" liegen ökonomisch links (Etatismus, Kollektivismus, Anti-Markt-Werte), doch politisch rechts (Oligarchie, Paternalismus des Groß-, hier Staatseigentümers). Für Bulgarien und Rumänien ist bezeichnend, daß sich vor der Wende keine Ersatzeliten - keine "zweite Öffentlich- keit", wie das so schön für Polen heißt - herausgebildet haben. In der Tradition des staatlichen Korporativismus differieren neuerdings die "ehemaligen Kommunisten"

und die "zukünftigen Demokraten". Sie unterscheiden sich nicht so sehr ihren politi- sehen Inhalten nach, sondern eher standesgemäß. Auch dieser neue letzte Um- schwung ist nicht isoliert von der Linie der Grundtransformation zu verstehen. Und das ist die Transformation von politischem in ökonomisches Kapital.

Die aktuellen politischen Ereignisse in Bulgarien und Rumänien zeigen, daß dieser fundamentale Wandel weitgehend abgeschlossen ist. Die alte, politisch legitimierte Elite hat sich prinzipiell in eine neue ökonomische Elite umgewandelt. Es handelt sich hierbei nur zum geringen Teil um funktionelle Eliten, die sich aus der modernen Herausdifferenzierung der Wirtschaft von der Politik ableiten lassen und deren Macht nur biographisch gebunden, über Generationenwechsel nicht gesichert ist.

Dieser Moment ist zwar schon da, aber er ist noch nicht bestimmend. Überwiegend handelt es sich noch um das Bewahren der alten Standesgesellschaft, um einen

"polit-ökonomischen" Zusammenschluß von "alt-neuen" Eliten. Für Nichtangehörige bleibt der Zugang zu diesen Eliten weiterhin verschlossen, zumindest aber äußerst schwer. Ihre ökonomischen Vorteile bleiben politisch rückversichert, die strenge funktionelle Grenze zwischen Wirtschaft und Staat steht noch aus.

Die Macht der "ehemaligen Kommunisten", d. h. ihrer Nachfolgeparteien, wurde gebraucht, um diese Transformation in Gang zu bringen und realisieren zu können.

Nun braucht man die Macht der neuen demokratischen Parteien, um die Transfor- mation abzuschließen, sie sozusagen zu besiegeln. Und das ist das Neue im Alten.

Der Unterschied ist nicht unerheblich: Das neue ökonomische Kapital hat mächtige Legalitäts- und Legitimationsprobleme. Verwachsen mit wirtschaftlicher Kriminalität und politischer Klientel, genießt es ein schlechtes Ansehen in der Gesellschaft. Die Nachfolgeparteien waren unbedingt notwendig für die "ursprüngliche Akkumulati- on". Die ehemaligen Kommunisten konnten auf die politische Expansion der "neuen Demokraten" kaum anders reagieren als sich in den ökonomischen Nischen zu

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schanzen und sie auszubauen. Durch marktwirtschaftliche Ideologie versuchten sie, dieses "nationale Kapital" zu legitimieren, obwohl es größtenteils illegal angehäuft worden war.

Nun kommt die Phase der "Normalisierung". Hierfiir eignen sich die ehemaligen Kommunisten nicht mehr. Die "neuen Demokraten" - viele von ihnen ganz ehrlich - haben jetzt der "Mafia" den Krieg erklärt: man will ihre politischen und kriminellen Fühler abschneiden. Da das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden kann, wagt es niemand die ganze Wirtschaft als solche in Frage zu stellen. Genetisch- theoretisch wäre dies sicherlich richtig, doch praktisch-politisch entspräche es einer Dummheit. So wird nun eine Tür für eine "Depolitisierung" und "Entkriminali- sierung" des Kapitals offen gelassen. Die Vergangenheit mancher wird somit gem vergessen, wenn sie nunmehr nach heutigen allgemeinen Normen handeln. Die

"neuen Demokraten" - ohne es immer gezielt beabsichtigt zu haben, und ganz im Gegenteil zu den Sozialisten * legalisieren das bereits transformierte Kapital, indem sie seine Legitimität anzweifeln.

Das ist eine Tendenz, nicht ohne Ironie, doch mit Gewinnen für alle. Die Zeit der gewaltsamen Aufteilung wirtschaftlicher Räume, der Kriminalität als Produktivkraft geht vorbei. Erpressung und physische Gewalt sind nicht mehr so gewinnbringend und -sichernd wie Wechsel, Anleihen und Zinsen. Deshalb werden die "neuen De- mokraten" von den neuen Reichen gegen die Kriminalität, die sie früher selber ge- schaffen haben, heute nicht nur mittels bloßer Lippenbekenntnisse unterstützt. Die Prioritäten ihrer Interessen befinden sich in einer wichtigen neuen Runde auf der

"zivilisatorischen Schraube". Das mag ein eigener südosteuropäische Weg sem.

Doch ist er sicherlich nicht so viel anders als jene Wege, die in der europäischen Geschichte eingeschlagen wurden. Und manchmal sollte es schon ein Anlaß zur Freude sein, daß es Wege auf dem Balkan - jenseits von der gezielt groben Masche der "Balkanisierung" - durchaus gibt und schon immer gab.

DANIEL CHIROT

Romania's 1996 Election: a Positive Sign for the Future o f