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R um änien: Systemwandel, Regime Wechsel, Elitentausch?

Es ist noch nicht so lange her, da hatte der amerikanische Politologe und M itarbeiter des State Department, Francis Fukuyama, das ״ Ende der Geschichte“ in greifbarer Nähe gesehen. Das Gegenteil ist wahr: Für die V ölker und Menschen in den ehe- mals kommunistischen Staaten Ost-, Südost- und Mitteleuropas hat im Jahre 1989 ein Prozeß eingesetzt, der - bei ihnen, aber auch bei uns - die Hoffnung weckte, daß sie nach fünfzig Jahren kommunistischer und sowjetimperialer Fremdbestim- mung wieder als Subjekte der Historie agieren können. Der Wegfall der ideologi- sehen und institutioneilen Klammern, die den Bestand des ״ äußeren Imperiums“ der Sowjetunion unter Mißachtung der Souveränität dieser Staaten und des Selbstbe- stimmungsrechts der betreffenden Völker über 40 Jahre lang zusammengehalten hatten, führte - wie nicht anders zu erwarten war - dazu, daß diese Staaten sich auf die Suche nach eigenen Wegen aus der Krise machten. Jahrzehntelang unter- drückte historische Traditionen, gewachsene Institutionen, spezifische Mentalitäts- formen rückten wieder ins öffentliche Bewußtsein. Wieder einmal, so scheint es, spielt Rumänien in diesem geschichtlichen Prozeß eine Sonderrolle.

Was, so ist zu fragen, macht den Sonderfall Rumänien aus? Welches sind die Ursachen, die Erscheinungsformen dieser Krise? Zeichnen sich dennoch Wege aus der Krise ab?

Am 22. Dezember 1989 hat ein Volksaufstand stattgefunden, dessen Ziel es war, das - unerträglich gewordene Bisherige abzuschütteln und Lösungen für jahrzehn- telang aufgestaute Probleme zu finden. Der Aufstand war gewaltsam und traf auf Gegengewalt: 1066 Menschen fanden dabei den Tod. Für die Menschen in Rumä- nien sind die Fragen im Zusammenhang mit dem Umsturz immer noch aktuell, denn immer noch gibt es keine offiziellen Verlautbarungen über das, was damals gesche- hen ist. Zu Fragen wie ״ Wer hat im Dezember auf die Demonstranten geschossen“ ,

״ Wer hat geschossen, nachdem am M ittag des 22.12. 1989 Ceauçescu ausgeschaltet worden war?“ kommen neue hinzu: ״ Was geschah im März 1990 in Tîrgu-Mureç?“

״ Wer holte im Juni 1990 die Bergleute nach Bukarest?“ Aber auch: ״ Wer ist schuld an der Wirtschaftsmisere?“ ״ Wie kommt es, daß uns der Westen, insbesondere die U S A , die kalte Schulter zeigen?“ Und nicht zuletzt: ״ Wie ist es zu erklären, daß Rumänien als einziger ehemaliger Warschauer-Pakt-Staat einen bilateralen Vertrag m it der Sowjetunion unterzeichnet hat, den die anderen als Einschränkung ihrer Souveränität und außenpolitischen Bewegungsfreiheit erachten?“ Fragen über Fra- gen, die in der Bevölkerung eine Atmosphäre permanenter Gespanntheit und der Aggressionen erzeugt, um so eher, als ja einzig beim Umsturz in Rumänien die

״ metaphysische Schwelle der Gewalt“ überschritten wurde.

Der strikten Weigerung der Ceauçescu-Führung gegen die von Moskau ausgehen- den Reformen ist es zuzuschreiben, daß es in Rumänien weder einen graduellen, von inneren Reformkräften herbeigeführten Machtübergang wie in Polen und Un- garn gegeben hat noch gewaltfreie, ״ samtene“ Staatsstreiche wie in der ehemaligen

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D D R , der Tschechoslowakei und in Bulgarien. So war es nur folgerichtig, daß in Rumänien ein gewaltsamer, blutiger Volksaufstand stattfinden mußte, der Opfer unter der Zivilbevölkerung und den Angehörigen der Armee gekostet hat.

A lle in in Rumänien wurde der kommunistische Staats- und Parteichef hingerich- tet. Dies war nicht primär die als Strafe für den - aus der Sicht Gorbatschows -

״ Zuspätgekommenen“ gedacht, es geschah wohl vielmehr aus Furcht vor Enthüllun- gen, die Ceauçescu im Falle eines regulären Gerichtsverfahrens gegen die ״ Verrä- ter“ aus dem eigenen Land und über Personen und Fakten aus der Sowjetunion hätte machen können. Ausschlaggebend für die Abhaltung eines stalinistischen Schauprozesses und der summarischen Exekution Ceauçescus und seiner Frau Elena war jedoch die Notwendigkeit gewesen, letzte Widerstände in der Arm ee, deren oberster Befehlshaber Nicolae Ceauçcscu gewesen war, um das Machtvakuum zu erzeugen, von dem die am 22. angetretenen neuen Machthaber gesprochen hatten und das sie auszufüllen trachteten.

Die grundlegende Frage lautet: War es das Ziel der neu angetretenen Führung in Rumänien, einen Systemwandel herbeizuführen oder nur einen Wechsel des Re- gimes? Welche Eliten waren an welchem Wandel interessiert, welche beteiligt? - Und schließlich - und letztlich entscheidend: Hat es als Folge der oben angeführten möglichen Veränderungen einen Wandel gegeben in den Beziehungen des Landes zur Sowjetunion als der regionalen Hegemonialmacht?

In Rumänien hat ein Volksaufstand stattgefunden - ob er sich spontan entzündet hat oder wie auch immer provoziert wurde, ist unter diesem Aspekt unerheblich - , dessen Ziel es war, eine endgültige Abkehr vom kommunistischen System herbeizu- führen. Die an diesen Volkserhebungen Beteiligten wünschten auch einen grundle- genden Elitenwechsel und eine Befreiung vom Einflußdiktat der Sowjetunion.

Die Macht errang hingegen eine Gruppe ehemaliger Funktionsträger aus dem Bereich der Kommunistischen Partei, der Armee und des Sicherheitsdienstes, die sich diesen Volksaufstand zunutze machte - sofern sie ihn nicht provoziert hatte - , um einen Wechsel des zentralistisch-reformfeindlichen, nationalkommunistischen Regimes von Nicolae Ceausescu zu einem reformistisch-liberalen kommunistischen Regime ״ à la Perestrojka“ herbeizuführen.1 Ein weiteres Ziel der neuen Machtha- ber - und zugleich auch ein M ittel zur Herbeiführung des Regimewechsels - war ein Elitenwechsel an der Spitze, genauer gesagt die Ersetzung der alten, national- kommunistischen, infolge negativer Auslese, Klientelwesen, Personenkult ״ inkom- petenten“ Eliten durch kompetente, prosowjetisch-internationalistische Kommuni- sten. Möglich wurde dieser Regime- plus Elitenwechsel durch die passive und aktive Unterstützung der Sowjetunion, in deren Interesse denn auch der grundlegende Wandel der Ausrichtung der rumänischen Außenpolitik lag, der von der Front der Nationalen Rettung vollzogen wurde: von einer - im Rahmen des geopolitisch Möglichen betriebenen autonomen Außenpolitik zu einer Außenpolitik des voraus- eilenden Interessenopportunismus gegenüber der Sowjetunion. Der am 5.4.1991

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1 Belege: Scinteia Poporului vom 23. 12. 1990: Anghel Paraschiv, ehemaliger Chefredakteur, he- zeichnete es als das Ziel, die ״ Verzerrungen des Sozialismus zu korrigieren, nicht jedoch die bestehende Ordnung durch eine andere zu ersetzen״ . Siehe dazu: Rom ánia Literára Nr. 22, 30.5. 1991.

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paraphierte rumänisch-sowjetische Vertrag über Zusammenarbeit, gutnachbarliche Beziehungen und Freundschaft beweist, wie ich meine, nicht nur den außenpoliti- sehen Umschwung, sondern im plizit die gesamte hier dargestellte Kausalkette.

Es gelang der Front der Nationalen Rettung, ihre zu Weihnachten 1989 ergriffene Macht nicht nur zu sichern, sondern diese Macht auch durch einen überragenden Wahlsieg legitimieren zu lassen. Die RKP wurde mit dem D ikta to r Ceauçescu, sei- ner Frau und seines engsten Clans für identisch erklärt und m it dessen Exekution und der lebenslangen Verurteilung seiner vier engsten M itarbeiter für tot erklärt.

Von der Bevölkerung auf der ersten, gegen die neue Führung gerichteten Demon- stration vom 12.1.1990 gedrängt versprach Ion Iliescu, die RKP für ungesetzlich zu erklären, nahm diese Erklärung unter dem Druck Moskaus jedoch wieder zurück.

Die neue Führung verabschiedete eine Reihe von Gesetzen, die - wie die Zulas- sung einer freien Presse, von Parteien und Massenorganisationen sowie die Abhai- tung freier Wahlen - als Merkmale eines Systemwandels angesehen werden könn- ten. In der Praxis jedoch sorgte das Parteiengesetz dafür, daß die große Zahl neu entstandener Phantom- und Strohparteien einer Diskreditierung der parlamentari- sehen Demokratie Vorschub leisteten. Angesichts des durch die Tele-Revolution gesicherten Popularitätsvorsprungs der Front und der ungleichen Startbedingungen der Parteien war der Wahlkampf zwar frei, nicht aber fair zu nennen. Den Ausschlag gab auch weiterhin das Fernsehen, dessen Monopol sich die Front bis heute vorbe- halten hat, während die noch freie Printpresse an der Freigabe der Papierpreise zu ersticken droht. Die seit Januar 1990 eskalierende Gewalt gegen oppositionelle Intellektuelle, Parteien und Medien gipfelte M itte Juni in Bukarest in den gesteuer- ten Gewaltakten, die von Bergarbeitern inszeniert wurden.

Die beiden auch sich äußerlich unterscheidenden Dioskuren der Front — Präsi- dent Ion Iliescu, der ״ Technokrat der Macht“ und Ministerpräsident Petre Roman als A nführer der sich regimekritisch gebärdenden ״ Jungtürken“ - hatten bereits im Wahlkampf eine arbeitsteilig-doppelgleisige Strategie angewandt, die wesentlich zum Wahlerfolg beitrug. Während sich Iliescu, gestützt auf die keineswegs system- sprengenden Wirtschaftsgesetze der Zeit zwischen Januar und Mai 1990, der alten und neuen Nomenklatura und der Staatsbürokratie als Vertreter ihrer Interessen präsentiert, setzt Roman auf jüngere, reformwillige Technokraten. Die infolge jahr- zehntelanger kommunistischer Herrschaft politische entmündigte Bevölkerung und durch den medial inszenierten Sturz des verhaßten Diktators reagierte nicht ratio- nal, sondern emotional, nicht zukunfts-, sondern vergangenheitsorientiert. Im Zuge der selbstinszenierten ״ Tele-Revolution“ konnte sich die ״ Front der Nationalen Rettung“ einen Popularitätsvorsprung sichern, der von den anderen Parteien nicht mehr aufzuholen war. Populistische Wahlgeschenke und eine auf Zukunftsangst und Sozialneid der Bevölkerung zielende Wahlpropaganda wiegten die Bevölkerung in dem Glauben, daß eine wirtschaftliche Gesundung und die Verbesserung ihrer Le- bensbedingungen durch einen schmerzlosen ״ Umbau“ des real existierenden Sy- stems möglich sei.

Der persönliche Revolutionsbonus, der vor allem dem zum direkten Gegenspieler des gestürzten Ceauçescu hochstilisierten Führer der Front Ion Iliescu zugute kam, trübte in der rumänischen Öffentlichkeit den Blick dafür, daß die als ״ Bewegung“

konstituierte, am 6. Februar 1990 zur Partei gewandelte ״ Front der Nationalen Rumänien: Systemwandel, Regimewechsel, Elitentausch? 139

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Rettung“ bis zu den Wahlen weder ihre organisatorische Struktur noch ihre perso- nelle Besetzung publik gemacht hatte. Die Zusammensetzung des nach dem Sturz und der Hinrichtung Ceauçescus konstituierten Rates der FNR2 blieb ebenso im dunkeln wie die Mitgliederliste der 71 M itglieder des Leitungsrates, der sich auf der Nationalkonferenz der FSN im A p ril 1990 formierte. Bewußt vermied es die Füh- rung der Front, im Wahlkampf die ehemaligen Parteimitglieder und Staatsbe- diensteten zu verschrecken und auszugrenzen. Die von der neuen Führung gewähr- ten demokratischen Freiheiten - Parteienpluralismus, Presse- und Versammlungs- freiheit, Reisefreiheit, die Lockerung der Bestimmungen zur Gründung von Klein- gewerbebetrieben - sollten darüber hinwegtäuschen, daß an den Grundfesten der kommunistischen Kommandowirtschaft nicht gerüttelt werden sollte.

Z u r Legitimitätskrise der regierenden Front gesellte sich eine Krise ihrer Identität und A u to ritä t. Was in der Vorwahlphase den Anschein einer taktischen Arbeitstei- lung - hie Perestrojka, hie M arktwirtschaft — gehabt hatte, entpuppte sich nun als handfester Dissens, der zu Flügelkämpfen und schließlich zu Abspaltungen dissiden- ter Gruppen von der M utterfront führte. Dem von Staatspräsident Iliescu angeführ- ten konservativ-prokommunistischen Flügel steht der ״ technokratisch-liberale“ 3 des Ministerpräsidenten Roman gegenüber. Nach dem im Wahlgesetz postulierten Aus- scheiden des gewählten Staatspräsidenten aus dem A m t des Frontvorsitzenden hatte sich Roman nicht ohne taktisches Geschick zum ״ Nationalen Führer“ (liderul najio- nal) seiner Organisation küren lassen. A u f dem im März abgehaltenen Partéikon- vent stimmte zwar die überwältigende M ehrheit der Delegierten fü r sein Reform- Programm, doch anschließend kam es im Parlament, wo Iliescu vorsorglich dafür gesorgt hatte, daß zwei seiner engsten Verbündeten als ״ Aufpasser“ den beiden Kammern vorsaßen, zum Eklat. Eine vom rumänischen demoskopischen Institut IRSOP M itte Mai veröffentlichte repräsentative Meinungsumfrage läßt den rasan- ten Vertrauensschwund erkennen, den der am 20. Mai 1990 mit über 86% aller Stimmen gewählte Staatspräsident Ion Iliescu seither erlitten hat: N ur noch 5% der Befragten haben Vertrauen in Iliescu.

Wer jedoch erwartet hätte, der verfallenden A u to rität der Regierungspartei stehe im Parlament eine sich verfestigende, einige Opposition entgegen, sieht sich ent- täuscht. Dem Zerfallsprozeß der Macht steht spiegelbildlich ein Prozeß der Desinte- gration der bedeutenden Oppositionsparteien entgegen.

Dies liegt nicht zuletzt an der Verfassung, in der sich diese Parteien befinden. Im W ahlkampf bildeten sie keine wirkliche Alternative zur Front. Eine gesellschaftliche Basis, auf die sich die bürgerliche Opposition stützen könnte, bestand nicht mehr.

Die in Ansätzen entwickelte rumänische ״ civic society“ der Vorkriegszeit war nach 1947 systematisch zerstört worden. Zum Unterschied zur FNR fehlte ihnen eine klar definierte gesellschaftliche Basis. Auch war es den Oppositionsparteien nicht gelungen, prominente kritische Intellektuelle und die studentische Jugend für sich zu gewinnen.

Gefahr droht nicht nur der FNR, sondern auch den Oppositionsparteien von jenen populistisch-extremistischen Parteien vom äußersten ״ linken“ wie auch vom

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2 Die Rede war am 27.12. 1989 vor 145 Mitgliedern.

3 Nicolae Manolescu in: Rom ánia Literārā 7/1991.

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äußersten ״ rechten“ Ende des Spektrums, die — und daran kann man die Untaug- lichkeit der konventionellen Positionsbestimmungen ablesen — aus demselben gifti- gen Schoß des alten Regimes erwachsen sind. Da ist zum einen die unter neuem Namen ״ Sozialistische Partei der A rb e it“ wiedererstandene Kommunistische Partei, von A lt- und Uraltfunktionären geleitet, die nach der klassischen Methode der Illegalität um die neuen Unzufriedenen mit Slogans w irbt, die M arktwirtschaft mit Arbeitslosigkeit und Inflation und Demokratie mit Anarchie gleichsetzen. A m an- deren Ende des Parteienspektrums machen sich zwei weitere Organisationen breit, in denen sich jene ehemaligen Funktionäre aus Partei, Securitate und Armee zusam- mengefunden haben, denen wegen ihrer übergroßen Nähe zum Ceauçescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen verwehrt war. Die im Januar 1990 gegründete angeblich kulturelle Vereinigung der Siebenbürger Rumänen namens

״ Vatra Româneascã“ (Rumänische Heimstatt), die bei den Maiwahlen unter der Flagge der ״ Partei der Nationalen Einheit“ segelte und in Siebenbürgen mit E rfolg ein Wiedererstarken der demokratischen, nationalgesinnten Nationalen Bauernpar- tei verhindern konnte, propagiert eine unsägliche Mischung von Chauvinismus und Westfeindlichkeit. Gemäß dem erfolgreichen Vatra-Rezept hat sich nun auch im Altreich die Partei ״ Romania Mare“ (Großrumänien) konstitutiert, benannt nach der Zeitung, die schon seit Monaten antiungarische, antisemitische und antideutsche Hetzkampagnen bestreitet. Die neue Partei ist offensichtlich als territoriale Ergän- zung zur auf Siebenbürgen zielenden Vatra-Partei der Nationalen Einheit (P U N R ) gedacht. Beide dieser ״ nationalsozialistischen“ 4 Organisationen benutzen den künstlich angeheizten Nationalismus als Vehikel für Kampagnen, die Stimmung für Iliescu und gegen König M ihai, für die Securitate und für eine stärkere Einbezie- hung der Armee in die Politik machen.5 Bemerkenswert, daß diese ansonsten natio- nal umgetriebenen Parteien, insbesondere die ״ Vatra“ , in der Bessarabienfrage ei- nen auffallend moderaten Standpunkt vertreten.

Die Anzeichen, die auf die Herausbildung einer unheiligen A llianz zwischen der - internationalistischen - Front der Nationalen Rettung und diesen populistisch- extremistischen Parteien hindeuten, sind unübersehbar. Auch und gerade die Oppo- sition - so der Vorsitzende der Nationalen Bauernpartei Corneliu Coposu - warnt vor der ״ faschistischen Gefahr“ , die dem System der parlamentarischen Demokratie aus dieser Richtung droht.

Auch die Securitate ist - immer noch - überall. Die ehedem konspirative, KG B-orientierte Gruppe hat sich im Rumänischen Sicherheitsdienst SRI konstitu- iert. Es ist unklar und letztendlich auch unwichtig, wieviele ehemalige ״ Spezialisten“

der ehemaligen Ceauçescu-Securitate SRI-Chef V irgil Magureanu in seinen Appa- rat übernommen hat. Fest steht, daß sie zahlreich sind, und daß sie nicht nur das Fußvolk stellen, sondern in den höchsten Rängen der neuen Organisation anzutref- fen sind. Fest steht auch, daß jene ״ Ehemaligen“ , die nicht in einen - großzügig vergoldeten - Ruhestand treten konnten, die Masse derer stellen, die - wie an- derswo im ehemaligen Ostblock auch - an der vordersten Front der ״ Revolutions- gewinnler“ und der neuen Geldnomenklatura stehen.

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4 R om ánia Literārā 22, 30. 5. 1991.

5 A devã ru l, 17.5. 1990.

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Trotz - oder gerade wegen - der von den neuen Machthabern behaupteten totalen Zerstörung des alten Ceauçescu-Regimes konnten sich die Strukturen des

״ ancien régime“ besser als anderswo behaupten. Die restaurativen Tendenzen ent- falten sich ungehemmter als anderswo.

Den Fragen der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsreform kommt im H inblick auf die künftigen Machtverhältnisse, auf das Verhältnis zwischen Führung, Basis und Opposition, und nicht zuletzt auf die künftige Ost- und Westpolitik Rumäniens die entscheidene Rolle zu. Zwar konnte die FNR die Wahlen auf der von dem einfluß- reichen Politologen Silrin Brucan prophezeiten ״ Welle von Zitronen, Fleisch und Gas“ spielend gewinnen6. Nach dem Wahltag stellte sich jedoch heraus, daß die von Ceauçescu gehorteten Devisenreserven in Milliardenhöhe aufgebraucht, die unter Opfern erzielte Schuldenfreiheit dahin, die Kassen leer waren. Zugleich war in der Bevölkerung die Erwartung erzeugt worden, daß mit weniger A rbeit höhere Löhne zu verdienen seien. Auch war - in Abwehr der während des Wahlkampfes von den Oppositionsparteien geforderten Wirtschaftsreform — seitens der Front die Illusion eines dritten, schmerzlosen Weges zu einer Marktwirtschaft sui generis erweckt worden, die es erlaube, den Kuchen gleichzeitig zu essen und ihn zu behalten. Nach den Wahlen schaltete die nunmehr legitimierte Regierung auf schnelle, im Stil einer Schocktherapie vorgetragenc Reform.

A n der Ernsthaftigkeit ihrer Reformabsichten ist ebensowenig Zweifel ange- bracht wie an der Tatsache, daß sich das Land - wie auch seitens der internationa- len Finanz- und Bankinstitutionen anerkennend vermerkt wird - inzwischen hin- sichtlich der rechtlichen Verankerung seiner Reform politik zur Avantgarde zählen kann. Z u r Z eit tut sich allerdings noch eine K luft auf zwischen den Gesetzestexten und ihrer praktischen Umsetzung. Nicht wenige der angekündigten Liberalisie- rungsmaßnahmen sind, wie von offizieller Seite zugegeben, vorläufig reine Kosme- tik. Das alte Befehlssystem greift nicht mehr, die Marktgesetze sind noch nicht in Kraft. Halbherzigkeiten in den gesetzlichen Bestimmungen und nicht zuletzt der erbitterte Widerstand, den die Bürokratie der Staatsbetriebe der angelaufenen Pri- vatisierung in der Landwirtschaft entgegensetzt, haben gelegentlich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt. Marktwirtschaft wird von den meisten Menschen noch vorwiegend als ״ Flohmarktwirtschaft“ erlebt, als Arbeitslosigkeit, als das Ende der gewohnten, im Elend egalitären Einkommensverhältnisse, als G riff des Staates nach ihren Einkünften, als Teuerung.

Die sich verschärfende Wirtschaftskrise und die Spannungen innerhalb des Machtapparats sowie die Vorgänge im geopolitischen Umfeld sind bestimmend für die künftige Entwicklung in Rumänien.

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6 Für eine detaillierte Analyse siehe: Anneli Ute Gabanyi, Die unvollendete Revolution. R um änien zw ischen D iktatur und Demokratie. München, Piper Verlag, 199().

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