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Qualität der kommunikativen Kompetenz allochthoner Studenten

6. Studienverzögerung und/oder -abbruch – Differenzierung und Perspektiven

6.1 Sprachkenntnisse allochthoner Studenten aus der Perspektive der Dozenten

6.1.2 Qualität der kommunikativen Kompetenz allochthoner Studenten

konkreten Fall der Studentin hätte weiterhelfen können. Hätte Helena mehr Wissen über den Umgang von Chinesen mit Emotionen gehabt, wäre es wahrscheinlich dennoch zu einem Studienabbruch gekommen. Insgesamt verdeutlicht das Beispiel die Komplexität des Falles und verweist auf die verschiedenen Ebenen, auf denen Probleme und Missverständnisse entstehen können.

Pflege und Kommunikation sind nach Ansicht der Dozenten nicht voneinander zu trennen.

Monique und Helena sind nicht die einzigen, die bei den Sprachfähigkeiten allochthoner Studenten zunächst an etwaige Probleme in den Gesundheitseinrichtungen denken und dabei schon einschlägige Erfahrungen gemacht haben.

Ein großer Teil der interviewten Dozenten sieht das perfekte Beherrschen der niederländischen Sprache als eine der Grundvoraussetzungen für das Ausüben des pflegerischen Berufes an. Perfekt bezieht sich dabei auf alle vier Bereiche der Kommunikation: Sprechen, Schreiben, Verstehen und Lesen.

Neben dem Stellenwert, den Dozenten der kommunikativen Kompetenz von Studenten beimessen, ist ein weiterer nicht zu vernachlässigender Bereich die Qualität dieser Kompetenz.

erfolgreich bestanden haben. Und dann fehlt ihnen immer noch die Fähigkeit, über gewisse Dinge zu kommunizieren.“

Nach einer Pause lehnt er sich ein Stück nach vorne und fährt fort.

„Es geht oft um persönliche Dinge oder sensible Themen. Man möchte, dass die Begriffe, [die im Unterricht verwendet werden] für den anderen [die Studenten] deutlich werden, aber manche verstehen das nicht. Das geht manchmal aufgrund der Sprache nicht. Und das merkt man dann als Dozent. Und manche Studenten, das ist vielleicht auch ein Vorurteil, manche Studenten gehen dann auch wirklich darin mit. Ich habe ebenfalls die Studenten gefragt:

‚Verstehst Du das, stimmst Du dem zu?’ Und jedes Mal sagten sie ja. Dann habe ich sie mal gefragt: ‚Meinst Du ja oder meinst Du nein. Darauf hin haben sie mich nur angeschaut. Ich habe ihnen dann erklärt, dass mir bekannt sei, dass sie aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes einem Dozenten nicht widersprechen dürften, aber dass ich es natürlich erwartete, dass sie in dem Moment nein sagen, wenn sie auch nein meinten. Sie stimmten dem zu. Dann entstand das Paradoxe. Sie sagten ja. Und haben sie ja gesagt, da sie mit mir darin übereinstimmten oder haben sie ja gesagt, weil sie es doch nicht begriffen hatten?“

Wie aus dem Beispiel deutlich wird, können aus einer fehlgeschlagener Kommunikation Missverständnisse (bedeutet ja nun, dass sie es wirklich verstanden haben), Unsicherheiten (verstehen mich die Studenten überhaupt) Resignation und Handlungsverzicht (das Gespräch wird nicht weiter fortgesetzt) auf beiden Seiten entstehen. Diese Erfahrungen können wiederum als Grundlage für eine neue Kommunikation dienen, die weitere Verständigungsprozesse erschwert. Zu einem bestimmten Zeitpunkt können dann Kommunikation und Verständigung nicht mehr stattfinden. Für Justin bot das Missverständnis offensichtlich keine Chance, nun doch noch erfolgreich mit den Studenten zu kommunizieren, sondern es mündete in einen Teufelskreis, der dazu führte, dass keine Kommunikation mehr stattfand.

In der Regel machen die Dozenten keinen Unterschied zwischen dem Herkunftsland oder der Aufenthaltsdauer der Studenten in den Niederlanden. Sie erwarten von allen gleichermaßen das Niederländische in Theorie und Praxis so zu beherrschen, um später den Patienten optimal und individuell pflegen zu können. Mit einem etwas strengen Ton sagte eine Kollegin in einem Gespräch über Chinua und seine ihrer Ansicht nach schlechten schriftlichen Fähigkeiten zu mir:

„Andrea! Die allochthonen Studenten wollen alle den Bachelor-Abschluss Pflege haben.

Dann müssen sie sich in Bezug auf die Sprache auch mit den autochthonen Studenten messen lassen. Da werden auch keine Ausnahmen gemacht!“

Nach einigem Zögern fragte ich sie: „Kennst Du denn die Biographie von Chinua? Lange lebt er noch nicht in den Niederlanden.“ Sie antwortete etwas abweisend: „Natürlich kenne ich seine Biographie, ich bin seine Mentorin gewesen und er hat mir alles über seine Flucht aus Somalia zu Beginn der 90er Jahre erzählt. Wegen bestimmter Umstände musste er damals fliehen. Aber nichtsdestotrotz will er seinen Abschluss an unserer Fachhochschule machen, dann muss er auch alle an ihn gestellten Forderungen erfüllen (…) Natürlich weiß ich, dass es viele Möglichkeiten für die allochthonen Studenten gibt, ihre Sprachfähigkeiten zu verbessern. Aber es ist nicht meine Aufgabe, sie darauf hinzuweisen. Das liegt in der Eigenverantwortung der Studenten. Wir als Dozenten können ihnen das nicht abnehmen, das müssen sie schon selbst herausfinden. Schließlich entspricht das auch dem Leitbild dieses Instituts, dem ‚Lernen zu lernen’. Der Dozent sagt nicht dem Studenten, was er zu lernen hat, sondern der Studenten lernt selbst, Zusammenhänge zu erfassen und zu lernen.“

Bernhard hält es nicht für erforderlich, das die Fachhochschule innerhalb des Studienganges Pflege einen Sprachkurs anbietet. „Wir müssen nicht mehr über die Grammatik sprechen. Und das würde wohl passieren, wenn man einen zusätzlichen Sprachkursus einrichtet. Sie müssen es in der Praxis lernen.“ Und schmunzelnd fügt er hinzu. „Mir Dir mache ich das doch übrigens auch. Wenn ich all die Metaphern gebrauche, dann denkst Du darüber nach, was sie bedeuten, wie man sie gebrauchen kann. Gestern hatten wir doch noch so eins. ‚De kat uit de boom kijken’.“ Lachend erinnere ich mich daran. Wenn man es direkt ins Deutsche übersetzt, würde es so viel bedeuten wie „Die Katze aus dem Baum schauen“. Gemeint ist aber, dass man in manchen Situationen eine abwartende Position einnimmt. Und Bernhard fügt noch hinzu: „Und das tue ich mit den Studenten auch. In dem sie darüber reden, lernen sie es auch.“

Die Meinungen darüber, ob und in welcher Form es eine Unterstützung geben soll, variieren von Dozent zu Dozent. Dabei gäbe es durchaus Angebote, die von Seiten der Fachhochschule an die Studenten mit einem Sprachdefizit gemacht werden, aber von denen die wenigsten etwas wissen. So können Studenten eine Verlängerung der Klausurzeit von 30 Minuten beantragen, wie sie auch den legasthenischen Studenten gewährt wird. Auch wird der Gebrauch eines zweisprachigen Wörterbuchs innerhalb der Klausuren zugestanden. Diese beiden Möglichkeiten geben den Nicht-Muttersprachlern die Möglichkeit, über manche Klausurfragen, die im ersten Moment unklar erscheinen, länger nachzudenken und unbekannte Wörter nachzuschlagen. Diese zusätzlichen Optionen müssen jedoch gegenüber

den allochthonen Studenten kommuniziert werden.152

Ähnlich verhält es sich auch mit einem Sprachkurs, der auf den schriftlichen Teil der Kommunikation ausgerichtet ist. Dieser ist nicht im Studienhandbuch zurückzufinden und wird darüber hinaus an einer fachhochschulexternen Institution angeboten. Studenten des Instituts für Pflege können dennoch an diesem Intensivkurs von vier Tagen teilnehmen, um ihre schriftlichen Kompetenzen zu verbessern. Bei erfolgreichem Absolvieren des Kurses wird dieser auch durch die Fachhochschule bezahlt.

Die Forderung nach einer optimalen Beherrschung der niederländischen Sprache von Seiten der Fachhochschule impliziert nicht unbedingt eine Unterstützung durch dieselbige. Wer dafür letztendlich zuständig ist, ob der Studienbetreuer, die verantwortlichen Dozenten innerhalb der Studieneinführung oder eine andere Einrichtung ist nicht geregelt.153 So lange hier keine eindeutigen und transparenten Absprachen zwischen den verschiedenen Institutionen bestehen ist es für den Studenten fast unmöglich, von diesem Angebot auch tatsächlich Gebrauch zu machen. So obliegt es ihm, dieses Angebot herauszufinden und es entsprechend zu nutzen.

Diese Beispiele zeigen die Komplexität einer Organisation und machen deutlich, dass viele Strukturen selbst für seit langem am Institut arbeitende Kollegen nicht immer unbedingt deutlich sind. Wie soll dann ein Student in der Lage sein, dieses Angebot zu nutzen?

6.1.3 Beurteilungsstandards der kommunikativen Kompetenz allochthoner Studenten