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6. Studienverzögerung und/oder -abbruch – Differenzierung und Perspektiven

6.2 Sprachkenntnisse allochthoner Studenten aus ihrer eigenen Perspektive

6.2.1 Kommunikative Kompetenz in der Pflege

Zusammenfassung

Die meisten Kollegen sind sich über das vorauszusetzende Sprachniveau aller Studenten an der Fachhochschule im Grundsatz einig. Was es allerdings genau beinhaltet, ist nicht geklärt.

Undeutlich ist ebenfalls, in welcher Form Studenten in ihrer sprachlichen Entwicklung unterstützt werden sollten und von wem. Solange diese Undeutlichkeiten nicht eindeutig geklärt sind, kann es gerade für die allochthonen Studenten zu einem Glücksspiel werden, ob sie nun ein ausreichend für ihre Hausarbeit erhalten oder nicht.

Im folgenden Teil wird die Sichtweise der Studenten über ihre Erfahrungen am Institut hinsichtlich ihrer Sprachfähigkeiten in Bezug auf ihr Studium eingehender analysiert.

In der Regel erhalten die Studenten nach fünf Wochen eine Zwischen- und nach 10 Wochen eine Endbeurteilung. Trotz seiner Anfangsschwierigkeiten, vor allem wegen seiner Widerstände, Patienten zu waschen (Siehe Kapitel 3) ist Hassan insgesamt mit sich selbst zufrieden. Er hat viel gelernt und positives Feedback von den Patienten bekommen.

„Ich habe dann mit meinem Praxisanleiter die Abschlussevaluation gehabt. Er sagte zu mir, dass man mit mir sehr zufrieden gewesen sei, ich in den vergangenen 10 Wochen viel gelernt habe und man hoffe, dass ich mich so weiter entwickeln würde. Aber meine Sprache! Um meine Sprache, vor allem das Schriftliche, müsste ich mich kümmern. Das fand ich nicht gut.

Da ist man eigentlich zufrieden mit mir, Inhaltlich gab es keine Probleme, und dann bekommt man wieder so einen Kommentar wegen der Sprache.“

Ich denke kurz darüber nach – Hassan ist in den Niederlanden geboren – und frage ihn dann:

„Du bist doch in den Niederlanden geboren, zu Hause sprecht ihr Türkisch. Deine Schulausbildung hast Du in Amsterdam gemacht. Warum wirst Du auf ein Sprachdefizit hingewiesen?“

Hassan erwidert nach einigem Nachdenken. „Das musst Du Dir so vorstellen. Ich bin in Amsterdam zur Schule gegangen, ich bin auch ab meinem vierten Jahr in die Grundschule gegangen. Später dann havo. Und das war eine der so genannten ‚zwarte scholen’ [schwarzen Schulen, Anteil der allochthonen Schüler bei 50% und mehr]. Im Unterricht mussten wir Niederländisch sprechen, aber in den Pausen haben wir immer in unseren eigenen Gruppen zusammengehangen. Die Türken mit den Türken, die Marokkaner mit den Marokkanern. Da hat jeder seine eigene Sprache gesprochen, dann mussten wir kein Niederländisch sprechen, nur wenn sich die Gruppen vermischt haben, was aber nicht so oft vorkam. Na ja und zu Hause sprechen wir sowieso Marokkanisch. Dann kennt man doch nicht alle Feinheiten der niederländischen Sprache und macht Fehler, oft nur kleine, aber die reichen, um zu sagen, dass man ein Sprachdefizit hat.“

Gisem von den niederländischen Antillen erzählt etwas Vergleichbares. Zwar ist Niederländisch in der Schule die offizielle Sprache, aber außerhalb der Klassenräume wurde die eigene Sprache gesprochen.159

Das, was die Studenten über ihr Sprachdefizit erzählt haben, steht meistens in einem engen Zusammenhang mit Beurteilungen durch Dozenten oder Praxisanleiter. Ich frage mich, ob die Studenten auch durch ihre autochthonen Kommilitonen auf dieses Sprachdefizit angesprochen

159 Siehe auch ihr biographisches Interview.

würden. Im Frühjahr 2005 betreue ich eine Projektgruppe160, der auch Sonja angehört. An einem Morgen entzündet sich an der Tatsache, dass Sonja ihre Arbeitsaufträge zu spät oder nicht wie vereinbart, bei der Vorsitzenden der Projektgruppe einreicht, eine lebhafte Diskussion. Die Projektmitglieder weisen darauf hin, dass wenn sie etwas Schriftliches von Sonja bekämen, es in der Regel nicht den Erwartungen entspräche.

Ich frage nach: „Welche Erwartungen?“

Zögernd kommt aus der Gruppe. „So einfach hingeschrieben.“ „Man muss es immer überarbeiten.“ Ich frage noch einmal nach: „Was muss man überarbeiten?“

„Stilistisch ist es kein gutes Niederländisch.“ „Und Rechtschreibefehler sind da drin und ich habe ihr schon einmal gesagt, dass, wenn sie etwas geschrieben hat, sie es durch das Rechtschreibeprogramm laufen lassen soll. Sonst ist es für mich doppelt und dreifache Arbeit.“ „Wir wollen etwas Gutes abgeben, und wenn eine dann so etwas zuschickt, bedeutet das für denjenigen, der für die Zusammenstellung des Textes zuständig ist, immer die doppelte Arbeit. Die Zeit haben wir nicht.“ Ich frage Sonja nach ihrer Meinung. Sie sagt, dass sie immer die Rechtschreibekontrolle benützen würde. Und in der Schule habe sie gelernt, Texte auf diese Weise zu schreiben. Die anderen Studenten sind mit dieser Aussage nicht zufrieden.

Ich frage, da sich die Diskussion mittlerweile im Kreis dreht, nach Lösungsmöglichkeiten, um Sonja, und damit auch der gesamten Gruppe zu helfen. Eine Kommilitonin meldet sich zu Wort und schlägt vor, mit Sonja gemeinsam nach dem letzten Text zu schauen und ihr zu erklären, was man stilistisch besser machen könnte und welche Rechtschreibefehler noch verbessert werden müssten.

Mit dieser Lösung scheinen alle zunächst zufrieden, und ich nehme mir vor, in der nächsten Stunde nachzufragen, ob es für Sonja nun hinreichend klar sei, was die Gruppe von ihr erwarte, und die Gruppe, ob der neue Text von Sonja schon besser geworden sei. Dies wird von allen Beteiligten bestätigt.

Auch Ebru hat in der Zusammenarbeit mit Kommilitonen innerhalb eines Projektes ähnliche

160 Die Projektarbeit beinhaltet das Erstellen einer Pflegeplanung, Protokollen oder Richtlinien zu einer im Vorfeld konkret formulierten Aufgabe. Von den Studenten, die in Gruppen von durchschnittlich sechs zusammenarbeiten, wird eine fundierte Literaturanalyse zu dem Themenkomplex, unter Umständen die Anwendung qualitativer oder quantitativer Forschungsmethoden und das Erstellen einer schriftlichen Arbeitet erwartet. Bei Probleme innerhalb der Gruppe müssen selbständig Lösungen gefunden werden. Nur in bestimmten Fällen wird vom Dozenten ein Eingreifen verlangt. Mit sechs Studienpunkten liegt die Arbeitsbelastung innerhalb eines Blockes bei rund 17 Stunden pro Woche. In den begleitenden Fächern können sich Studenten dann weiteres Wissen zur Realisierung ihres Projektes aneignen.

Erfahrungen gemacht161. Allerdings war er für sie mit ganz anderen Konsequenzen verbunden als für Sonja. „Im ersten Studienjahr hatte ich Sprachschwierigkeiten, ich hatte Angst, meine Hausarbeiten abzugeben, weil ich sie oft aufgrund von Rechtschreibefehlern und Satzbau mit

‚nicht ausreichend’ zurückbekommen habe. Die Dozenten meinten, dass ich den Fachhochschulanforderungen nicht genügen würde. Aber ich war motiviert, trotz aller Schwierigkeiten. Meine Eltern wussten nicht, was ich während des Propädeutikum tat. Ich habe nur von den schönen Sachen erzählt, und nicht, dass ich in meinem Praxiseinsatz auch Männer waschen musste. Ich fand das auch sehr unheimlich, einen Mann zu waschen.“

Enthusiastisch fährt sie weiter fort: „Aber ich wollte weitermachen. Andere haben deswegen aufgehört, aber ich bin die einzige in unserer Familie, die höher ausgebildet ist. Und ich wollte so gerne diesen Beruf ausüben. Ich habe viel gelernt und bis zum vierten Studienjahr keine Probleme mehr gehabt.

Im ersten Block des vierten Studienjahres gehörte ich zu einer Projektgruppe. Meine Kommilitonen fanden die Zusammenarbeit mit mir wegen meines Sprachdefizits schwierig.

Es hieß, dass ich zwar gute Ideen hätte, aber ich könnte es nicht zu Papier bringen. Der Dozent, der die Projektgruppe damals begleitete, schloss sich dieser Meinung an und empfahl mir, auf Niveau vier weiterzustudieren. Das kam für mich nicht in Frage. Ich habe zunächst aufgehört und Privatstunden genommen, die ich selbst bezahlen musste, danach noch einmal einen Sprachkurs gemacht, der von der Fachhochschule angeboten wurde. Dann habe ich nach einem Jahr noch einmal angefangen und mache nun meine Abschlussarbeit mit einer autochthonen Kommilitonin. Sie korrigiert meine Fehler und ist glücklich, dass wir zusammenarbeiten. Sie sagt, dass ich die guten Ideen habe und sie mir bei der sprachlichen Formulierung helfen würde.“

Ich frage mich, ob Ebru auch dann ihr Studium für die Dauer eines Jahres hätte unterbrechen müssen, wenn in ihrer Projektgruppe damals jemand gewesen wäre, die ähnlich reagiert hätte wie die Studentin, mit der sie jetzt gemeinsam die Abschlussarbeit macht. Auf meine Frage hin antwortet sie mit nein. „Aber wenn alle Studenten aus der Projektgruppe und der Dozent dieser Meinung sind, was soll ich dann tun?“

Studenten sind sich über die Bedeutung der niederländischen Sprachkompetenz durchaus bewusst. Eine Hausarbeit ohne Rechtschreibefehler zu korrigieren oder einzelne qualitativ gut geschrieben Teilprodukte innerhalb einer Projektarbeit zusammenzufügen, ist natürlich für

161 Ebru ist die Tochter türkischer „Gastarbeiter“ und mit 12 Jahren in die Niederlande gekommen. Nachdem sie die mbo-Ausbildung zur Apothekenhelferin absolviert hat, konnte sie sich nach einigen Extrakursen sich an der Fachhochschule für den Bachelor-Studiengang Pflege einschreiben.

den jeweiligen Dozenten oder Kommilitonen immer viel einfacher, als ein Stück zu lesen, das hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen nicht genügt.

In den Praxiseinsätzen in den Gesundheitseinrichtungen geht es demgegenüber hauptsächlich um die mündliche Kommunikation. Hier konnten die interviewten Studenten keine Beispiele nennen, die auf ein sprachliches Missverständnis hinwiesen162. Die meisten berichteten von einem überwiegend positiven Feedback der Patienten hinsichtlich ihrer niederländischen Sprachkompetenz.