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Persönliche Merkmale: Gemeinsamkeiten & Unterschiede zwischen den Studenten

5. Biographien – Achmet & Abhas stellvertretend für die allochthonen Studenten

5.1 Persönliche Merkmale: Gemeinsamkeiten & Unterschiede zwischen den Studenten

Altersklassen

0 1 2 3 4 5 6 7

20-22 23-25 Alter26-28 28 und älter

Anzahl

Interviewte Studenten

0 1 2 3 4 5 6 7

Jahr 1 Jahr 2 Jahr 3 Jahr 4 Jahr 4+

Studienjahr

Anzahl

Bild 9: Verteilung der interviewten Studenten nach Alter und Studienjahr

Insgesamt haben 16 allochthone Studenten an den narrativen Interviews teilgenommen. Bei der Auswahl der Studenten wurde eine proportionale Verteilung über die Studienjahre berücksichtigt. Da im vierten Studienjahr jedoch keine allochthonen Studenten vertreten waren, wurden zwei Studenten aus 4+136 interviewt (siehe Bild 9).

Die elf Frauen und fünf Männer konnten vier Alterskategorien zugeteilt werden. Jeweils 37%

(4 Studenten) waren zwischen 20 und 22 Jahren und zwischen 23 und 25 Jahren alt, jeweils 12% (2 Studenten) zwischen 26 und 28 Jahren und älter als 29 Jahre. Das Durchschnittsalter war 25. Diese Altersstruktur lies sich auch bei den eingeschriebenen Studenten an der Fachhochschule, Institut Krankenpflege zurückfinden.

In Bezug auf ihre Herkunft gab es bei den Studenten einige Übereinstimmungen, die sich auch in der Amsterdamer Bevölkerung beobachten lassen. Vier Studenten kamen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien137 (jeweils ein Student aus Sint Maarten und Surinam, zwei aus Curacao), jeweils drei Studenten aus Afghanistan und Marokko, zwei aus der Türkei. Der Rest verteilte sich auf China, Somalia, Bosnien, und den Irak.

Vier der sechzehn Studenten sind in den Niederlanden geboren, alle anderen kamen zu einem deutlich späteren Zeitpunkt in die Niederlande (Tabelle 8).

136 Mit 4+ werden am Institut die Studenten gekennzeichnet, die ihr Studium nicht innerhalb der vorgeschriebenen 4 Jahre beenden können. Ihr Studium verlängert sich entsprechend ihres Lernrückstandes.

Diese Studenten werden dann von einer Mentorin betreut.

137 Ehemalige niederländische Kolonien: Niederländische Antillen (Bonaire, Curacao, Saba, Eustatius, St.-Martin, Aruba) und Surinam.

Tabelle 8: Migrationhintergründe der allochthonen Studenten

Ehemalige Kolonien Kinder von so

genannten„Gastarbeitern“

Anzahl

Studen-ten Geboren in NL

Geboren im Ausland

Anzahl

Flücht-linge Geboren in NL

Geboren auf den nl.

Antillen oder Surinam

Sonstige

Afghanistan 3 - - 3 - - -

Bosnien 1 - - 1 - - -

China 1 - - - - - 1

Irak 1 - - 1 - - -

Marokko 3 3 - - - - -

2 - - - - 3 -

Nl. Antillen oder

Surinam 2 - - - 1 - -

Somalia 1 - - 1 - - -

Türkei 2 - 2 - - - -

3 2 1 3

Gesamt 16 5 6 4 1

Drei der fünf Studenten sind Kinder von „Gastarbeitern“ und gehören der so genannten

„zweiten Generation“ an. Sie haben ihre gesamte Schulausbildung in den Niederlanden absolviert. Die chinesische Studentin, deren Eltern aus Hongkong kommen, ist ebenfalls in Amsterdam geboren. Ihr Vater wohnt seit seinem 16 Lebensjahr, mit einer Unterbrechung – der Hochzeit mit seiner Frau in China – aus beruflichen Gründen in den Niederlanden.

Eine Studentin, deren Eltern aus Curacao kamen, ist ebenfalls in Amsterdam geboren und kann sich zum heutigen Zeitpunkt nicht vorstellen, jemals in Curacao zu leben. Sie lebt im Jordaan138, spricht Jordaans und empfindet es als irritierend, wenn Menschen aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe glauben, dass sie nicht gut Niederländisch spräche. Vier der sechs Flüchtlinge hatten bereits ganz oder zumindest teilweise eine berufliche Ausbildung in ihrem Heimatland absolviert, die beiden anderen kamen im Alter von 13 und 14 nach Amsterdam und wurden dem schulischen Zweig der havo zugewiesen, welchen sie erfolgreich beendeten.

Eine Studentin aus der Türkei hat ihre gesamte Grundschulzeit in der Türkei absolviert und ist im Alter von 12 Jahren zusammen mit ihrer Familie dem Vater nach Amsterdam gefolgt, der dort schon vier Jahre länger lebte. Sie konnte in eine havo Klasse eingeteilt werden. Die andere hatte ebenfalls eine Grundschule in der Türkei besucht und wurde in den Niederlanden in das letzte Grundschuljahr eingestuft und begann danach die Realschulausbildung.

Von den vier Studenten aus den ehemaligen niederländischen Kolonien kamen drei wegen ihres Studienwunsches in die Niederlande. Sie schätzten ihre Situation in ihrem Heimatland

138 Jordaan ist eines der ältesten Stadtviertel in Amsterdam und zeichnet sich durch einen eigenen Dialekt aus.

als wenig Erfolg versprechend ein, um ihren jeweiligen Berufswunsch realisieren zu können.

Während die Studenten aus Afghanistan, Somalia und drei Studenten von den niederländischen Antillen ihre gesamte Schulausbildung im Herkunfts- oder einem Überbrückungsland absolviert haben, haben die Studenten aus der Türkei, dem Irak, Marokko, Bosnien und eine von den niederländischen Antillen nur bzw. gar nicht ihre Grundschulzeit im Herkunftsland verbracht.

Die Studenten, die nach ihrer Schulzeit in die Niederlande kamen, haben in der Regel einen mehrmonatigen oder –jährigen Sprachkurs belegt und am nationalen niederländischen Sprachexamen (NTII) teilgenommen, der sie für ein Studium an einer Fachhochschule oder Universität qualifizierte. Der somalische Student hat an dem fachhochschuleigenen Examen 21+ teilgenommen. Dieses Examen bereitet die Studenten spezifischer auf ein Studium an der Fachhochschule vor. In der Regel ist der Nachweis über ein erfolgreiches Absolvieren von NTII oder 21+ Voraussetzung, um an der Fachhochschule studieren zu können. Eine Ausnahme bilden die so genannten Dualstudenten. Hier entscheidet der Arbeitgeber während des Bewerbungsgespräches über die sprachlichen Qualitäten des Bewerbers und ob sie für eine Ausbildung in seiner Einrichtung ausreichend sind.

Bei den allochthonen Studenten fiel auch auf, dass knapp zwei Drittel139 von ihnen noch zu Hause bei den Eltern (oder Pflegeeltern oder einem Elternteil) lebten und dort zum Studium ermuntert und, so weit möglich, dabei betreut wurden. Nur zwei Studenten wohnten zum Zeitpunkt der Interviews alleine. Gerade wenn die Studenten noch bei ihren Eltern leben, fanden diese es wichtig, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen, auch wenn es – wie bei Naamah – kein Medizinstudium ist. Aber auch mit einem Fachhochschulstudium sind sie sehr zufrieden. Für die Eltern von Ebru ist es wichtig, dass sie ihre Ausbildung erfolgreich abschließt, auch wenn sie nicht genau wissen, was der berufliche Alltag ihrer Tochter eigentlich beinhaltet. Nicht anders verhalten sich auch Hassan´s Eltern, und lachend erzählt er dazu folgende Geschichte:

„Am ersten Studientag kam ich mittags nach Hause, und mein Vater bat mich, mich zu ihm an den Tisch zu setzen. Er fragte mich, was für Hausaufgaben ich auf hätte. Ich sagte, keine. Und das konnte er nicht verstehen. Er meinte, im Studium müsste man immer Aufgaben haben, auch wenn man keine gestellt bekäme, ich sollte mich nun hinsetzen und lernen. Und wenn mein Vater das in einem entsprechenden Tonfall sagt, muss ich es auch tun.“

Dem kann Fadilah nur zustimmen und meint: „Meine Mutter unterstützt mich auch. Wenn ich

139 47% der autochthonen Studenten, die in Amsterdam an einer Fachhochschule oder Universität studieren, wohnen noch bei ihren Eltern (Statistikbüro Amsterdam 2006).

denke, ich schaffe es nicht, sagt sie zu mir, dass es schon klappt und hilft mir.“

Diese Offenheit in den Familien wird auch durch die Schilderungen von Hamide bestätigt:

„Meine Eltern haben uns immer gesagt, dass alles in unserer Familie zu besprechen sei. Die Diplome meiner Eltern wurden in den Niederlanden nicht anerkannt. Sie haben sehr hart dafür gearbeitet, um das zu werden, was sie jetzt sind. Das motiviert mich. Der Kontakt mit der Familie ist sehr wichtig.“

Saadet, die zusammen mit ihrer Mutter wohnt und diese während ihrer Ausbildung unterstützt hat, fühlt sich nun durch die Mutter motiviert, ihrerseits die Ausbildung erfolgreich zu beenden.

Nur Abhas und Ahmet bilden mit ihren Familien hier eine Ausnahme. Verheiratet sein und die Sorge für sowohl die Kinder als auch ihre Ehefrauen, die nicht berufstätig sind, bildet einen wichtigen Bestandteil in ihrem Leben. Beide Studenten arbeiten vier Tage pro Woche in der ambulanten Pflege als Pflegeaushilfe, um die Dinge des täglichen Lebens zu finanzieren und studieren einen Tag am Institut für Krankenpflege. Ihre Gefühle wechseln zwischen Resignation und Motivation. Einerseits möchten sie in ihrem erlernten Beruf als Arzt arbeiten, was aber in Amsterdam nicht ohne Weiteres möglich ist, andererseits benötigt die Familie ein Einkommen und beide Studenten geben an, nicht untätig zu Hause herumsitzen zu wollen. Sie sehen sich schon einer großen Belastung ausgesetzt, sagen jedoch, dass die Familie für sie immer oberste Priorität hat. Das wurde letztendlich auch dadurch deutlich, als Abhas vor einem Jahr wegen Familienproblemen in Afghanistan sein Studium in den Niederlanden unterbrechen musste. Das Unterstützen der Kinder während ihre Ausbildung wird auch durch die Studie von Crul (2000) bestätigt, der auf das erfolgreiche Studieren gerade von Türken und Marokkanern hinwies. Ohne die Begleitung durch die Eltern (wie bei Hassan) und Geschwistern (wie bei Kader) wäre dieser Erfolg kaum möglich.

5.2 „Meine Eltern wissen nicht, dass ich Krankenpflege studiere.“

Die folgenden Auszüge aus den biographischen Interviews ermöglichen dem Leser, sich in die Situation des Studenten hineinzuversetzen und aus seiner Perspektive die Wahl des Bachelor-Studiengang Pflege, das Studieren am Institut für Krankenpflege, das Arbeiten in den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen und die damit manchmal verbundenen positiven wie negativen Erfahrungen nach zu vollziehen und zu verstehen. Die Strukturierung der Interviews richtet sich lediglich nach dem Vornamen140. Ich habe darauf verzichtet, die

140 Alle Namen und teilweise Herkunftsländer sind nicht mit den Originalnamen und –ländern identisch.

Studenten in Gruppen gemäß ihrem ethnischen Hintergrund zusammen zu fassen. Darauf habe ich auch bei der Terminierung keine Rücksicht genommen. Jede Biographie ist individuell, spricht für sich und muss als solche auch wahrgenommen werden. Ziel ist es dem Leser im Verlauf der Arbeit die Möglichkeit der Einsortierung der ein oder anderen Aussage in den Kontext des Studenten zu geben. Wenn Pekay, die in den Niederlanden geboren und aufgewachsen ist, von Sprachschwierigkeiten berichtet, ist dies sicherlich anders einzuordnen, als bei Ahmet der als afghanischer Flüchtling im Alter von 30 Jahren in die Niederlande kam, oder als Fabienne, die auf den niederländischen Antillen ihren Schulabschluss gemacht hat.

Die hier vorgestellten Fallstudien erheben daher auch keinen Anspruch auf Repräsentativität.

Es ist nicht möglich, generalisierte Aussagen zu formulieren. Wohl können die hier vorgestellten Biographien einen Anstoß für weitere Forschungen sein und gewinnen dadurch einen heuristischen Charakter.

Folgende Interviews wurden geführt (zu den Herkunftsländern vergleiche auch Bild 10):

1. Ahmet und Abhas aus Afghanistan 2. Chinua aus Somalia

3. Fabienne aus Curacao 4. Fatih aus Afghanistan 5. Gisem aus Sint Maarten 6. Kader aus Marokko 7. Naamah aus Marokko

8. Rabea aus der Türkei und Pekay (Eltern aus Hongkong) 9. Saadet aus Curacao

Bild 10: Herkunftsländer der interviewten Studenten (Bildquelle: Magellan Geographics, 1994)