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6. Studienverzögerung und/oder -abbruch – Differenzierung und Perspektiven

6.1 Sprachkenntnisse allochthoner Studenten aus der Perspektive der Dozenten

6.1.1 Kommunikative Kompetenz in der Pflege

Die kommunikative Kompetenz, die Fähigkeit der Studenten sich Anderen in Sprache und Schrift mitteilen zu können, wird von den Dozenten als eine der Grundvoraussetzungen innerhalb des pflegerischen Prozess angesehen. Dabei liegt die Betonung in der Regel auf dem sprachlichen, dem verbalen und nonverbalen Anteil der Kommunikation. Ohne die Fähigkeit, sich optimal in der niederländischen Sprache auszudrücken und Informationen sowohl zu erfassen als auch abzurufen, ist es nicht möglich als Pflegende auf diesem Niveau für den Patienten zu sorgen.

Monique, die in ihrer Eigenschaft als Mentorin im Studienjahr 4+ sehr viele allochthone Studenten149 betreut, zeigt an einem Beispiel, wie wichtig ihrer Einschätzung nach eine störungsfreie Kommunikation in der Pflege ist. „Ich kopple die Sprache an die Funktion der Krankenschwester entsprechend ihres Ausbildungsniveaus. Hier also Niveau V. Man muss delegieren, Pflegeplanungen anfertigen, ein Anamnesegespräch mit dem Patienten führen.“

Sie erhebt ein wenig ihre Stimme:

„Und durch das Aufnahmegespräch wird deutlich, ob eine Pflegekraft bemerkt, welche Pflege der Patient eigentlich wünscht. Und ich sehe oft, dass Pflegende für den Patienten bestimmen, welche Pflege notwendig ist anstatt dass der Patient es selbst bestimmt. (…) Und ein erstes Instrument, um hier alle relevanten Informationen zu erhalten, ist die Sprache. Und ein Patient, der mit jemandem spricht, der nur lückenhaft Niederländisch spricht soll schnell geneigt sein zu denken: ‚Die wird schon wissen, was sie tut.’“

„Ich will Dir das an einem Beispiel erklären!“ Monique nimmt einen Stadtplan von Amsterdam, der zufällig auf ihrem Schreibtisch liegt. „In unserem Fach ist der eindeutige

149 Im Durchschnitt sind 50% der gesamten Studenten, die länger als 4 Jahre studieren, allochthon.

Gebrauch der Sprache unentbehrlich.“ Sie nimmt den Stadtplan und zeigt auf die großen Hauptverkehrsstraßen. „Ich kenne mich in Amsterdam nicht gut aus. Ich nehme daher immer die gleichen Straßen,“ sie zeigt auf einige, auch mir bekannte Straßen. „Die sind mir vertraut.

Damit komme ich einigermaßen zurecht. Und all die kleinen Wege und Seitenstraßen,“ sie verweist auf dem Stadtplan nach den kleineren Straßen und Gässchen, „die in diesem Fall die Sprache so schön machen, die kann ich nicht gebrauchen, weil ich sie nicht kenne.“

Die Kommunikationsfähigkeit kann aufgrund bereits bestehender kognitiver Prozesse, Emotionen wie Stimmungsschwankungen, Verlust usw. oder aber auch aufgrund von Krankheit auf der Seite des Patienten beeinträchtigt sein, wie das folgende Beispiel zeigt.

Dann ist eine fehlerfreie sprachliche Kommunikation von Seiten der Pflegenden eine Grundvoraussetzung für einen optimalen Pflegeprozess.

Helena erzählt von folgender Begebenheit: „Im letzten Studienjahr hat eine chinesische Studentin ihr Studium ohne Abschluss im dritten Studienjahr beendet. Im ersten Studienjahr ist ihr Bruder mit dem Motorrad tödlich verunglückt. Chinesen haben große Schwierigkeiten, ihre Emotionen nach außen hin zu zeigen, darum war es sehr schwierig. Es war der älteste Sohn. Über Chinesen weiß ich sehr wenig, auch nicht, wie die Interaktion zwischen Eltern und Kindern ist. Die Mutter sprach auch kaum Niederländisch und konnte das Geschehene nicht verarbeiten. Die Studentin ist darum eine zeitlang zu Hause geblieben.

Im zweiten Studienjahr ging es ziemlich gut, danach hat sie ihr Studium wieder für sechs Monate unterbrochen, da es mit der Mutter nicht gut ging. Im darauf folgenden Studienjahr hatte sie alle theoretischen Fächer mit Erfolg bestanden. Dann musste sie während ihres Praktikumseinsatzes auf einer neurologischen Station arbeiten und die Pflege für einen Schlaganfallpatienten150 übernehmen. Die Kommunikation zwischen Studentin und Patient verlief nach Aussagen von Kollegen sehr schlecht. Die Abteilung fand, dass sie nicht ausreichend Niederländisch spreche, um mit dem Patienten adäquat zu kommunizieren. Dann hat die Studentin ihr Studium abgebrochen.“

Es entstand eine längere Pause.

150 Bei Schlaganfallpatienten kann es in Abhängigkeit von dem betroffenen Gehirnareal zu verschiedenen Störungen kommen: am häufigsten sind die Hemiparese (Halbseitenlähmung), Sensibilitätsstörungen und eine Aphasie zu beobachten. Die Aphasie kennzeichnet sich durch die Schädigung der Sprachregion und kann in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten und verschiedene Komponenten des Sprachsystems (Phonologie, Syntax, Lexikon, Semantik) betreffen (Pschyrembel 1998). Der Patient kann plötzlich von seiner sprechenden Umwelt isoliert sein. Er möchte z.B. seinen Besuch begrüßen, kann aber seinen Namen nicht sagen. Er versucht eine Postkarte zu lesen, die er bekommt, und kann es nicht. Er begreift nicht, was er gefragt wird und kann Antworten, die er geben möchte, nicht formulieren. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Unterstützung des Patienten bei der Kommunikation durch Pflegepersonal. Eine einfache, klare Sprache mit kurzen Sätzen ist für den Patienten genauso hilfreich wie das Stellen von kurzen Fragen (Juchli 2000).

Resigniert fügt Helena hinzu: „Ich weiß nicht, was sie heute macht. Ich habe keine Telefonnummer, sonst hätte ich sie längst mal angerufen“

Trotz der theoretischen Fähigkeiten der Studentin und ihrer Motivation, allen Widrigkeiten und Problemen zum Trotz das Studium zu beenden, wurde sie aufgrund ihrer kommunikativen Kompetenz, dem nicht ausreichenden Beherrschen der sprachlichen Kommunikation von den Mitarbeitern der zuständigen Krankenhausabteilung mit ‚nicht ausreichend’ beurteilt. In dem vorliegenden Fall ist allerdings nicht bekannt, inwiefern sich die verantwortlichen Praxisanleiter der Abteilung der Sache angenommen haben und die Gründe für die beeinträchtigte Kommunikation zwischen Patient und Pflegestudentin analysiert haben. Auch gibt es keine weiteren Informationen über die Einschätzung der Studentin hinsichtlich ihrer sprachlichen kommunikativen Kompetenz.

Es stellt sich jedoch die Frage, warum es im dritten Studienjahr zu diesem Zwischenfall kam und inwiefern dies im Vorfeld schon vorhersehbar war (oder nicht). Nach Aussage von Helena handelte es sich um eine gute Studentin, die trotz aller Schwierigkeiten in der Lage gewesen ist, ihre theoretischen Fächer mit Erfolg abzuschließen. Welchen Anteil tragen an einer solchen Entwicklung dann der betreuende Dozent aus dem Institut und die Mitarbeiter der Abteilung, auf der die Studentin ihr Praktikum absolviert hat? Und inwiefern können die nonverbalen Aspekte innerhalb der Kommunikation für Missverständnissen auf Seiten von Patient und Abteilung eine Rolle gespielt haben?

Diese sind in Studien über die Zusammenarbeit zwischen allochthonen Patienten und autochthonen Pflegenden umfassend analysiert worden (Leininger 1991, Bureau Voorlichting Gezondheidszorg 1997, Kellnhauser & Schewior-Popp 1999, Domenig 2001, Visser & de Jong 2004). Die Lösungsansätze in diesem Kontext sind vielfältig und reichen von Fortbildungen im Bereich der transkulturellen Pflege (Alban et al 2001) über die interkulturelle Kommunikation (Hofstede 1993, Pinto 1994, Hoffman & Arts 1994) bis hin zu zahlreichen kritischen Reflektionen über die genannten Lösungsansätze (van Asperen 2003, van Dijk 1998, Kuckert 2002, Shadid 1998).

Würde dies im Umkehrschluss, um es überspitzt zu formulieren, eine Fortbildung der Patienten in der jeweiligen Kultur der sie betreuenden Pflegekraft bedeuten, um genau diesen kommunikative Missverständnissen vorzubeugen? Oder ist Adressat das Mitarbeiterteam einer jeweiligen Abteilung, auf der auch allochthone Pflegende, seien es nun Examinierte oder Studenten tätig sind? Helena zumindest fühlte sich aufgrund ihres Defizit in der chinesischen Kultur unzureichend auf die Betreuung dieser Studentin vorbereitet. Es bleibt die Frage unbeantwortet, inwiefern ein breites Wissen über die chinesische Kultur in diesem

konkreten Fall der Studentin hätte weiterhelfen können. Hätte Helena mehr Wissen über den Umgang von Chinesen mit Emotionen gehabt, wäre es wahrscheinlich dennoch zu einem Studienabbruch gekommen. Insgesamt verdeutlicht das Beispiel die Komplexität des Falles und verweist auf die verschiedenen Ebenen, auf denen Probleme und Missverständnisse entstehen können.

Pflege und Kommunikation sind nach Ansicht der Dozenten nicht voneinander zu trennen.

Monique und Helena sind nicht die einzigen, die bei den Sprachfähigkeiten allochthoner Studenten zunächst an etwaige Probleme in den Gesundheitseinrichtungen denken und dabei schon einschlägige Erfahrungen gemacht haben.

Ein großer Teil der interviewten Dozenten sieht das perfekte Beherrschen der niederländischen Sprache als eine der Grundvoraussetzungen für das Ausüben des pflegerischen Berufes an. Perfekt bezieht sich dabei auf alle vier Bereiche der Kommunikation: Sprechen, Schreiben, Verstehen und Lesen.

Neben dem Stellenwert, den Dozenten der kommunikativen Kompetenz von Studenten beimessen, ist ein weiterer nicht zu vernachlässigender Bereich die Qualität dieser Kompetenz.