I. BERICHT DER REGIERUNG
4. Herausforderungen der künftigen Agrarpolitik
4.1 Produktionsbedingungen
Die Produktionsbedingungen der Landwirtschaft in Liechtenstein sind aufgrund der klimatischen Verhältnisse und der Bodenbeschaffenheit als vergleichsweise sehr gut einzustufen. Die Landwirtschaft Liechtensteins ist aber vor allem im Berg‐
gebiet mit erschwerten Produktionsbedingungen konfrontiert, die teils von topo‐
grafischer und klimatischer Natur sind. Dazu hat die Landwirtschaft im Wirt‐
schaftsraum Schweiz‐Liechtenstein eine Reihe von ökologischen und das Tierwohl betreffenden Auflagen zu erfüllen, welche die Produktion verteuern. Ein Teil die‐
ses zusätzlichen Aufwandes wird vom Staat oder vom Markt abgegolten. Allge‐
mein herrscht im gemeinsamen Wirtschaftsraum ein hohes Preisniveau.
Maschinen‐, Dünge‐ und Futtermittelkosten, aber auch Gebäudekosten sind ver‐
glichen mit dem umliegenden Ausland deutlich höher. Die Gründe für diese Preis‐
unterschiede sind vielfältig und lassen sich teilweise mit dem höheren Kostenni‐
veau im gemeinsamen Wirtschaftsraum mit der Schweiz erklären, liegen aber auch in tarifären und nicht‐tarifären Handelshemmnissen.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Produktionsbedingungen aufgrund der Aus‐
wirkungen des Klimawandels verändern. Das Ausmass und den Zeithorizont dieser Auswirkungen zu prognostizieren, ist ausserordentlich schwierig. Nach heutigen Erkenntnissen erhöht sich die Durchschnittstemperatur merklich und Wetterext‐
reme dürften zunehmen. In Vorbereitung darauf werden Konzepte zur Bewässe‐
rung von Kulturen ausgearbeitet und vom Amt für Umwelt laufend weiterentwi‐
ckelt.
4.1.1 Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbskraft
Die Wirtschaftlichkeit eines Betriebs ist das Verhältnis zwischen Ertrag und Auf‐
wand. Sie erhöht sich, wenn der Ertrag sich erhöht oder der Aufwand sinkt. Am sinnvollsten wird die Wirtschaftlichkeit von Betrieben im Vergleich zueinander ge‐
messen oder diejenige eines einzelnen Betriebs über mehrere Jahre, um ihren Ver‐
lauf beurteilen zu können. Mit der verstärkten Marktausrichtung gewinnt die Wirt‐
schaftlichkeit der Betriebe analog zu anderen Wirtschaftszweigen immer mehr an Bedeutung.
Inländische Produkte stehen im Wettbewerb mit Importprodukten. Der Markt ver‐
langt zunehmend eine Preisparität zwischen Inlandsprodukten und Importproduk‐
ten, obwohl letztere nicht denselben hohen Produktionsstandards und somit tie‐
feren Produktionskosten unterliegen.
Mit der Förderung von Infrastrukturen in der Landwirtschaft werden Anpassungen an sich ändernde Rahmenbedingungen unterstützt. Mit diesem Instrument wird
das Ziel verfolgt, die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaftsbetriebe zu stär‐
ken (Art. 24 LWG). Die Wirtschaftlichkeitsprüfung spielt dabei eine wichtige Rolle.
Im agrarpolitischen Bericht 2016 legte die Regierung einen Schwerpunkt auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Zieht man wie die OECD das Pro‐
ducer Support Estimate (PSE) als Indikator zur statischen Wettbewerbsfähigkeit heran, wird diejenige der Liechtensteiner Landwirtschaft ähnlich wie diejenige der Schweizer Landwirtschaft als vergleichsweise tief eingeschätzt.65 Das PSE ist ein Mass für den Anteil Agrarstützung gemessen am Produzentenerlös. Es zeigt, wie stark die Landwirtschaft eines Landes durch staatliche Massnahmen wie beispiels‐
weise Grenzschutz, Direktzahlungen und Markstützung gestützt wird. Die Unter‐
schiede im PSE zwischen einzelnen Ländern zeigen, dass die Schweizer Landwirt‐
schaft nur gegenüber Ländern wie Norwegen, Island, Südkorea oder Japan wett‐
bewerbsfähig wäre. Im EU‐Raum wäre die Schweizer Landwirtschaft kaum wett‐
bewerbsfähig.66 Die OECD stellt allgemein fest, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Branchen in geschützten Märkten geringer ist als in Branchen mit weniger Schutz.
4.1.2 Klimawandel
Der Klimawandel stellt eine grosse Herausforderung für die Landwirtschaft dar.
Die Landwirtschaft trägt durch Emissionen aus der Tierhaltung, dem Pflanzenbau und dem Verbrauch von fossilen Energieträgern zum Klimawandel bei und ist gleichzeitig sehr stark von seinen Folgen betroffen. Damit ist die Landwirtschaft in diesem Bereich doppelt gefordert: Auf der einen Seite muss die Landwirtschaft einen effektiven Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen leisten und auf der an‐
deren Seite muss sie sich auf die sich verändernden Produktionsbedingungen vor‐
bereiten und die notwendigen Massnahmen ergreifen.
65 OECD (2018): Agricultural Policy Monitoring and Evaluation 2018, OECD Publishing, Paris.
66 Botschaft AP 22+, https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/politik/agrarpolitik/ap22plus.html
Der Anteil der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft beträgt gemäss Treibhausgasinventar für das Jahr 2018 11.6 % oder 23.7 kt CO2eq gemessen an den Gesamtemissionen von 203 kt CO2eq für Liechtenstein desselben Jahres.
Nachgelagert fallen durch Verarbeitung, Transport, Lagerung, Konsum und Entsor‐
gung weitere Treibhausgasemissionen aus der Land‐ und Ernährungswirtschaft an.
Die wichtigsten Gase aus der Landwirtschaft sind Methan (CH4), Lachgas (N2O) und Kohlendioxid (CO2). Methan fällt hauptsächlich bei der Verdauung durch den Wiederkäuer an. Lachgas entsteht aus stickstoffhaltigen Düngern und Kohlendi‐
oxid durch die Verbrennung fossiler Treib‐ und Brennstoffe. Die Landnutzung und Landnutzungsänderungen von landwirtschaftlichen Böden beeinflusst zudem, ob diese Kohlendioxid aufnehmen oder freisetzen.67, 68
Für Liechtenstein wurde ein Klimafaktenblatt, basierend auf den Messmethoden vom Bundesamt für Meteorologie Schweiz (MeteoSchweiz), erstellt. Darin sind die allgemeinen klimatischen Auswirkungen des Klimawandels in Liechtenstein be‐
schrieben und es wurden mögliche Szenarien für das zukünftige Klima in Liechten‐
stein entworfen.69 Es wird allgemein davon ausgegangen, dass Wetterextreme wie Dürren und Überschwemmungen zunehmen könnten. Die Klimalangzeitstrategie ist in Ausarbeitung und enthält auch ein ausführliches Kapitel betreffend die Land‐
wirtschaft. In der Klimaanpassungsstrategie von 2018 ist der Themenbereich Land‐
wirtschaft bereits enthalten und wird zu gegebener Zeit aktualisiert.
Liechtenstein ist Vertragsstaat der Klimakonvention und dadurch verpflichtet, jährlich ein Treibhausgasinventar an das Klimasekretariat zu übermitteln. Darin sind Daten der Landwirtschaft enthalten, wie zum Beispiel die durchschnittliche
67 https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/nachhaltige‐produktion/umwelt/klima.html 68 https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/aktuell/dossiers/tieremissionen1.html 69 https://www.llv.li/files/au/klimafaktenblatt‐li‐2016.pdf
Milchleistung und anderes mehr.70 Der Landtag hat dem Übereinkommen von Pa‐
ris vom 12. Dezember 2015 zugestimmt.71 Im Rahmen dieses Übereinkommens hat sich Liechtenstein verpflichtet, eine Langzeitstrategie an das Klimasekretariat bis 2020 zu übermitteln. Zudem ist jeder Vertragsstaat verpflichtet, alle 5 Jahre ein strengeres Ziel (einen ambitionierteren Beitrag zum Klimaschutz) an die UN zu übermitteln.
Ein erster Fokus liegt derzeit in einer erneuerbaren Energieversorgung. Langfristig muss Liechtenstein auch Reduktionen in den anderen Sektoren angehen. Darunter fallen die Sektoren Landwirtschaft, Landnutzungsänderung, industrielle Prozesse und Abfall. Für diese Sektoren gilt es Reduktionsziele (auch durch Effizienzsteige‐
rungen, neue Technologien) festzulegen.
4.1.3 Kulturland
„Unsere Nahrungsmittelversorgung ist nicht selbstverständlich, der Boden ist ein beschränkt vorhandenes und nicht vermehrbares Gut“. So steht es im Liechten‐
steiner Umweltkalender 2020. Zu diesem Thema wurden auf Initiative der Verei‐
nigung Bäuerlicher Organisationen (VBO) in Mauren und Vaduz zwei sogenannte Weltäcker angelegt.72
Der Erhalt des Kulturlandes ist eine grosse Herausforderung für die Landwirtschaft in Liechtenstein. Der Boden ist die wichtigste Produktionsgrundlage der Bauern und lässt sich nicht vermehren. Die Arealstatistik zeigt, dass der Verlust an land‐
wirtschaftlichen genutzten Flächen in Liechtenstein höher ist als jener in der
70 https://www.llv.li/inhalt/12052/amtsstellen/klimainventare 71 BuA 2017 Nr. 29.
72 http://www.vbo.li/Home/Newsdetail.aspx?shmid=493&shact=‐1047928981&shmiid=jAGYVnU‐
bygI__eql__
Schweiz.73 Zwischen 1984 und 2014 hat sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche um 591 ha verringert, während die Siedlungsfläche um 503 ha gewachsen ist. Das Siedlungswachstum erfolgte grossmehrheitlich auf landwirtschaftlich genutzten Standorten, die sich allerdings zum allergrössten Teil in der Bauzone befunden ha‐
ben und der Flächenverlust somit absehbar war.
Das Gesetz über die Erhaltung und Sicherung des landwirtschaftlich nutzbaren Bo‐
dens wurde für den Schutz des landwirtschaftlichen Bodens vor Zweckentfrem‐
dung, zur ausreichenden Eigenversorgung im Gesamtinteresse und zur Bewahrung ländlicher Strukturen geschaffen (LGBl. 1992 Nr. 41). In dessen Art. 4 mit dem Titel Bestandessicherung wird ausgeführt, dass das der Landwirtschaftszone zugeord‐
nete der landwirtschaftlichen Nutzung zu erhalten ist und weder zweckentfrem‐
det noch vermindert werden darf. Eine Auszonierung ist nur zulässig, wenn gleich‐
zeitig eine in Eignung und Grösse gleichwertige Fläche in die Landwirtschaftszone einzoniert wird (Art. 4 Abs. 1). Das Gesetz sieht in Art. 4 Abs. 2 Abweichungen vor, die von der Regierung bewilligt werden müssen. Die Regierung hat ver‐
schiedentlich Abweichungen im Gesamtinteresse der Bevölkerung genehmigt.
4.1.4 Pachtsituation
Wie oben angedeutet (siehe Kap. 2.4.4), ist die Situation für Pachtende von Land‐
wirtschaftsboden oft unbefriedigend. Um die Situation für die Landwirte zu ver‐
bessern, wurde deshalb über ein Pachtgesetz schweizerischer Prägung diskutiert.
Die politischen Voraussetzungen dafür sind derzeit in Liechtenstein jedoch nicht gegeben, dies insbesondere vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie.
Dennoch muss eine Lösung für diese Herausforderung gefunden werden. Derzeit können Pachtverhältnisse mit einer Frist von sechs Monaten auf Ende eines
73 https://www.llv.li/files/abi/pdf‐llv‐abi‐arealstatistik‐resultate.pdf
Monats gekündigt werden, sofern durch Vereinbarung nichts anderes bestimmt und nach Art des Pachtgegenstandes kein anderer Parteiwille anzunehmen ist. Das Gesetz kennt keine Mindestpachtdauer und nennt keine Grundlagen für die Be‐
rechnung bzw. Höhe des Pachtzinses.
Leider ist vereinzelt eine Tendenz zu überhöhten Pachtzinsen feststellbar. Auf‐
grund der Parzellierung der Landwirtschaftsflächen sind Pächter teilweise gezwun‐
gen, für eine innerhalb einer arrondierten Nutzungseinheit gelegenen Fläche ei‐
nen Pachtzins zu zahlen, der weit über dem Ertragswert liegt.
Um die Pachtsicherheit für die Landwirte zu erhöhen und eine effizientere Bear‐
beitung der Landwirtschaftsflächen zu ermöglichen, sollten weitere Pachtarron‐
dierungen in Betracht gezogen werden (Beispiel: Pachtgemeinschaft Schaan). Der Umstand, dass die Gemeinden und Bürgergenossenschaften oft Eigentümer gros‐
ser Landwirtschaftsflächen sind, sollte entsprechende Bemühungen erleichtern, wobei die Umsetzung solcher Projekte dem Grundeigentümer obliegt und das Land nur unterstützend tätig werden kann.
4.1.5 Neophyten
Als "Neophyten" werden gebietsfremde Pflanzen bezeichnet, welche nach dem Jahr 1500 aus ihren ursprünglichen Verbreitungsgebieten eingeschleppt wurden und die Fähigkeit erlangt haben, sich in unserem Natur‐ und Kulturland wildlebend fortzupflanzen.
Viele Neophyten sind konkurrenzstärker als einheimische Kulturpflanzen. Die Fol‐
gen sind ein schrittweises Ausbreiten und damit Ertragseinbussen. Aktuell fehlen funktionierende Bekämpfungskonzepte (auch keine Herbizide). Eine Bekämpfung dieser Neophyten ist in den meisten Fällen nur mechanisch (Ausreissen) und in einzelnen Fällen thermisch möglich, was erhebliche Kosten zur Folge hat. Die wohl grösste Herausforderung besteht darin, die weitere Ausbreitung der
problematischen Neophyten wie z.B. das Erdmandelgras oder das einjährige Berufkraut zu verhindern.
4.1.6 Zunehmende Regelungsdichte
Wie bereits erwähnt, sind die Landwirtinnen und Landwirte heute mit einer zu‐
nehmenden Regelungsdichte konfrontiert, die nicht einfach zu bewältigen ist. Ei‐
nen beträchtlichen Anteil ihrer Arbeit stellt heute die administrative Tätigkeit dar.
Die Regelungsdichte stammt einerseits aus rechtlichen Vorgaben des Staates und andererseits aus normativen Vorgaben des Absatzmarktes. Auf der einen Seite sind sich die Landwirtinnen und Landwirte bewusst, dass sie nicht umhinkommen, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Anforderungen der Gesellschaft zu entsprechen. Auf der anderen Seite liegt es an letzterer, die Herausforderungen für die Landwirtinnen und Landwirte zu erkennen.
Einen Beitrag, um diese Herausforderungen zu bewältigen, können die fortschrei‐
tende Automatisierung und die Digitalisierung leisten.
4.1.7 Automatisierung und Digitalisierung
Der technische Fortschritt ist eine grosse Herausforderung für die Landwirtschaft.
Die Einführung von neuen Produktionsverfahren erlaubt einerseits eine effizien‐
tere Produktion und andererseits können Produkte mit höherer Qualität herge‐
stellt werden. Die Digitalisierung ist ein Teil dieses technischen Fortschritts und verbreitet sich rasch in vielen Bereichen. Die Themen Digitalisierung, Precision Far‐
ming oder Smart Farming haben in der Landwirtschaft Einzug gehalten und eine grosse Dynamik entwickelt. Es ist für viele Landwirtinnen und Landwirte eine Her‐
ausforderung, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. Gleichzeitig er‐
öffnet der technische Fortschritt neue Möglichkeiten und Chancen. Er führt zu
Effizienzgewinnen in den Bereichen Produktivität und Ressourceneinsatz, redu‐
ziert die Umweltbelastung und führt zu administrativer Vereinfachung.
Erwähnt sei beispielsweise der mittlerweile in vielen Ställen eingesetzte Melkro‐
boter, welcher die abgegebene Milch erfasst und dokumentiert und somit gleich‐
zeitig mehrere Vorteile zur Arbeitsentlastung mit sich bringen kann.