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2.3 Besonderheiten im Serienanlauf der Flugzeugindustrie

2.3.1 Produktentstehungsprozess in der Flugzeugindustrie

Die generelle Vorgehensweise im Produktentstehungsprozess ist denen anderer Industrien ähnlich. Die verschiedenen Phasen werden dabei durch Meilensteine voneinander getrennt (vgl. Bild 2.10). Hier wird geprüft, ob alle erforderlichen Leistungen und Komponenten ver-fügbar sind und ob diese den gewünschten Reifegrad des jeweiligen Meilensteins erreicht haben. Ein Großteil der Entwicklungsarbeit erfolgt nach dem Concurrent Engineering Prinzip und erfordert im Flugzeugbau einen enormen Koordinationsaufwand sowie eine gemeinsa-me Datenbasis [Fra07]. Trotz des Einsatzes zahlreicher Planungs- und Koordinierungsgemeinsa-metho-

Koordinierungsmetho-Lieferantenmanagement Logistikmanagement Produktionsmanagement Produktentwicklung Kostenmanagement Qualitätsmanagement Vertrieb und Marketing

Entscheidungsfähigkeit

Entscheidungsgrundlage

Einheitliches Zielsystem

Organisationsentscheidung

Sachentscheidung

Strukturentscheidung

den kommt es zu zahlreichen Iterationen. Änderungen im Entwicklungsprozess lassen sich unter anderem auf das Nichterreichen von Entwicklungszielen, z.B. Gewichtsziele, Qualitäts-anforderungen, abweichende Kundenwünsche oder Zulassungskriterien, zurückführen [Alt10].

Bevor die eigentliche Produktentwicklung, wie in Bild 2.10 dargestellt, eines neuen Flug-zeugprogrammes startet, findet in der Regel eine Vorentwicklungsphase statt. Diese kann bis zu zehn Jahren andauern. Dabei wird vor allem die Erforschung und Entwicklung verschiede-ner neuer Technologien vorangetrieben, um den Reifegrad für den Einsatz im Produkt zu erhöhen [Fra03]. So können bereits im Vorfeld Risiken für die eigentliche Entwicklung redu-ziert und Aussagen über die Leistungsfähigkeit bestimmter Technologien getroffen werden [Fra03]. Mit dem Start der Entwicklung eines neuen Flugzeugprogrammes beginnt die Kon-zeptphase. Innerhalb dieser werden verschiedene Flugzeugkonzepte erarbeitet und zu ei-nem gewissen Grad ausdefiniert. Einer der ersten entscheidenden Meilensteine ist die an-schließende Freigabe des Kundenangebots (Authorisation to Offer – ATO). Zu diesem Zeit-punkt ist der Hersteller in der Lage aufgrund des Reifegrades seinen potentiellen Kunden Aussagen über die Leistungsfähigkeit (z.B. Gewicht, Reichweite, Geschwindigkeit, Kapazität, Betriebskosten) des neuen Produkts zu liefern [Alt10], [Spi01]. Weiterhin erfolgt eine inten-sive Einbeziehung des Kunden durch das Marketing. Erst nach der Interessensbekundung durch den Kunden und einer ausreichenden Marktperspektive wird mit der Entwicklung fortgefahren oder gegebenenfalls das Konzept angepasst. In der anschließenden Phase er-folgt die finale Definition und Ausarbeitung des neuen Flugzeugkonzeptes. Hierbei werden die Spezifikationen von der Flugzeugebene (TLR - Top Level Requirements) auf die einzelnen Subsysteme, wie beispielsweise Struktur, Kabine und Fahrwerk, heruntergebrochen (Work Breakdown Structure – WBS) [Alt10]. In dieser Phase erfolgen die Erstellung der Lasten- und Pflichtenhefte sowie die Auswahl von Entwicklungslieferanten. Gleichzeitig werden die ge-troffenen Konzeptentscheidungen eingefroren, damit diese als verbindliche Vorgaben für weitere Entwicklungsaktivitäten angenommen werden können. Die Ausgestaltung der ein-zelnen Systeme erfolgt mit Hilfe des V-Modells [Joc11]. Bereits vor Beendigung der gesam-ten Entwicklungstätigkeigesam-ten beginnen die Produktion einzelner Komponengesam-ten und der Auf-bau des Produktionssystems („Pre“-Produktion). Die eigentliche Endmontage des Flugzeuges findet, ähnlich wie in anderen Industrien, erst nach zahlreichen Tests (z.B. statische Tests, Ermüdungstests) statt. Der Beginn der Endmontage (Final Assembly Line – FAL) kann mit dem Phasenabschnitt des Produktionshochlaufs im Bild 2.7 gleichgesetzt werden. Nach ab-geschlossenen Flugtests erhält das Flugzeug von den zuständigen Behörden (FAA und EASA) seine Musterzulassung [Alt10]. Im Gegensatz zu anderen Industrien erfolgt kein Einsatz zahl-reicher Prototypen im Rahmen einer Vor- und Nullserie. Die ersten Flugzeuge dienen ver-schiedenen zulassungsrelevanten Tests. In der Regel verbleibt nur das erste Flugzeug zu Testzwecken beim Hersteller.

Die nächsten Flugzeuge werden nicht unmittelbar an den Kunden ausgeliefert, sondern ebenfalls zu Testzwecken (z.B. Kabinentests) verwendet. Nach Abschluss der Tests erfolgt das Erreichen des Meilensteins „Markteintritt“ bzw. „erstes kundenfähiges Produkt“ (Entry-into-Service – EIS). Dabei wird das Flugzeug an den sogenannten Erstkunden (Launching Customer) ausgeliefert. Mit dem erfolgreichen Markteintritt erfolgen die Optimierung der

Produktionsprozesse, die Bearbeitung möglicher Änderungen im Produkt und die Erhöhung der Produktionsrate [Hin10] [Alt10].

Bild 2.10: Serienanlaufphase in der Flugzeugindustrie in Anlehnung an [Alt10]

Innerhalb der Produktion werden die Fertigungsprinzipien der Baustellenfertigung (Dockfer-tigung) und der Fließfertigung angewendet [Sch97b], [Fra07]. Dominierendes Fertigungs-prinzip in der Flugzeugindustrie ist die Baustellenfertigung [Hin10]. Aufgrund der Größe der Komponenten gibt es feststehende Bauplätze, in denen die Struktur-, Ausrüstungs- und Aus-stattungsmontage erfolgen kann. Sind alle Tätigkeiten an einem Bauplatz abgeschlossen, erfolgt der Transport zum nächsten Bauplatz bis zur Fertigstellung des Produkts. Dieses Fer-tigungsprinzip hat den Nachteil, dass im Zuge des aufwendigen Transports zum nächsten Bauplatz Transportschäden entstehen können. Es bestehen zusätzlich ein hoher Flächenbe-darf und Koordinationsaufwände für die Materialbereitstellung [Hin10]. Charakteristisch für dieses Fertigungsprinzip sind geringe Losgrößen und lange Durchlaufzeiten [Löd08]. Um den gestiegenen Anforderungen an die Durchlaufzeiten gerecht zu werden und die Wettbe-werbsfähigkeit langfristig zu erhöhen, kommt vermehrt auch die Fließfertigung in der Flug-zeugindustrie zum Einsatz [Fra07], [Hin10]. Dabei werden die Arbeitssysteme nicht an einem festen Bauplatz angeordnet, sondern entlang des Materialflusses und der entsprechenden Fertigungsreihenfolge [Löd08]. Mit Hilfe von schienengeführten Fördersystemen werden so beispielsweise die Rumpftonnen zeitlich getaktet an die jeweiligen Arbeitsstationen trans-portiert. Die wesentlichen Vorteile sind geringere Durchlaufzeiten (Verkürzung der Rüst- und Transportzeiten), erhöhte Stückzahlen, verbesserte Materialbereitstellung sowie ein trans-parenterer Fertigungsfortschritt [Hin10]. Allerdings kann meist nur eine begrenzte Varian-tenanzahl des Produktes auf einer Fertigungslinie produziert werden. Weiterhin führt ein stringente Taktung und Reihenfolge sowie eine geringe Kapazitätsflexibilität zu großen Aus-wirkungen bei Störungen auf nachfolgende und vorgelagerte Arbeitsschritte [Löd08], [Wün09].

Produktentwicklung

Serienanlaufphase

Serienproduktion

Flugtests Integration und

Tests

Produktionshochlauf

Start Endmontage SOP - Start of

Production

Erstflug Freigabe

Kundenangebot Konzeptentwicklung

Definition und Design

Time-to-market

Fertigung und Montage

„Pre“-Produktion

Markteintritt/Entry-into-Service