2 Stand der Forschung
2.2 Modelle zur Beschreibung von NMR-Experimenten in Lösung
2.2.2 Produkt-Operator-Formalismus
Tritt hingegen während der Dichte-Matrizen-Rechnungen der Fall auf, dass ein Zustand nicht Eigenvektor zu dem Operator ist, kann auf den sogenannten Projektions-Operator-Trick zurückgegriffen werden. Hier-bei wird zwischen den Exponential-Operator und den Zustand (der nicht Eigenvektor ist) ein kompletter Satz an Eigenvektoren zu dem Operator im Exponenten eingeschoben. Das soll hier am Beispiel fürHAB′ und den Zustand⟨b|gezeigt werden:
⟨︁b⃓⃓exp(︁
−iHAB′ τ)︁
[. . .]⃓⃓++⟩︁
= [︂
⟨︁b⃓⃓a′⟩︁
⟨a′|exp(︁
−iHAB′ τ)︁
[. . .]|++⟩ + ⟨︁
b⃓⃓b′⟩︁
⟨b′|exp(︁
−iHAB′ τ)︁
[. . .]|++⟩ + ⟨︁
b⃓⃓c′⟩︁
⟨c′|exp(︁
−iHAB′ τ)︁
[. . .]|++⟩ + ⟨︁
b⃓⃓d′⟩︁
⟨d′|exp(︁
−iHAB′ τ)︁
[. . .]|++⟩ ]︂
(2.2.21)
Der Ausdruck für den Projektions-Operator vereinfacht sich durch die Orthogonalitätsbeziehungen der Produkt-Spin-Zustände, wodurch in Gleichung 2.2.21 der erste und der letzte Ausdruck verschwinden. In Kapitel 11.1 erfolgt eine Beispielrechnung für eine Spin-Echo-Sequenz.
Operatoren der Kernspin-DrehimpulseIx,Iy undIz und lassen sich allgemein wie folgt beschreiben:
Bs = 2q−1
∏︂N k=1
(Ikν)aks (2.2.23)
In Gleichung 2.2.23 istN die Anzahl aller unterschiedlicher Spin-12-Kerne im Spin-System,kist der Index eines Kernes undνentspricht entwederx,yoderz. Die Größeqgibt die Anzahl der Einzelspin-Operatoren im Produkt an, wobeiaks = 1für alleq Einzelspin-Operatoren im Produkt undaks = 0für dieN −q verbleibenden Operatoren gilt. Für ein Ensemble isolierter Spin-12-Kerne lässt sich beispielsweise nach dieser Konstruktionsregel der Dichte-Operatorρ(t)in die folgende Summe von Basis-Operatoren und den Einheits-OperatorE zerlegen:
ρ(t) = ax(t)Ix + ay(t)Iy + az(t)Iz + a0(t)E (2.2.24) Die zeitabhängigen Koeffizientenax(t),ay(t)undaz(t)kodieren hierbei für die Ensemble-Magnetisierungen Mx(t),My(t)und Mz(t)entlang den entsprechenden Achsen im kartesischen Koordinatensystem. In einem Ensemble von zwei gekoppelten Spin-12-Kernen ergibt sich für die Zerlegung des Dichte-Operators ein Basissatz von 16 Operatorprodukten. In Tabelle 2.2.1 werden die Produkt-Operatoren für dieses System mit den beiden schwach gekoppelten Spin-12-KernenIundSinklusive ihrer Bedeutung aufgeführt.
Diese lassen sich nach der Konstruktionsregel aus den kartesischen EinzeloperatorenIx,Iy,Iz,Sx,Sy undSzsowie dem Einheits-OperatorEableiten. Der Einheits-Operator wird jedoch üblicherweise in den Operatorprodukten nicht aufgeführt.
Tabelle 2.2.1: Produkt-Operatoren für ein schwach gekoppeltes Zwei-Spin-12-System.
Operator Bedeutung
Iz,Sz (IzE,SzE) z−Magnetisierung vonI bzw.S
Ix,Sx (IxE,SxE) x−In-Phasen-Magnetisierung vonI bzw.S Iy,Sy (IyE,SyE) y−In-Phasen-Magnetisierung vonI bzw.S 2IxSz x−Anti-Phasen-Kohärenz vonI
2IzSx x−Anti-Phasen-Kohärenz vonS 2IySz y−Anti-Phasen-Kohärenz vonI 2IzSy y−Anti-Phasen-Kohärenz vonS
2IySy,2IxSx,2IxSy,2IySx Multi-Quanten-Kohärenzen vonI undS
2IzSz Nicht-Gleichgewichts-z-Magnetisierung vonI undS
Der Begriff “Anti-Phasen-Kohärenz“ für die Operatorprodukte der Form2Ix,ySz folgt aus ihrer Erschei-nung im resultierenden Spektrum, wobei die beiden Äste der Kopplungsaufspaltung entgegengesetzte Vorzeichen besitzen. Multi-Quanten-Kohärenzen vonI und S können sowohl Doppel- als auch Null-Quanten-Kohärenzen darstellen, beziehungsweise sind in der Regel als Summe der beiden zu verstehen.
Die zeitliche Entwicklung eines Operatorproduktes beispielsweise während einer Pulssequenz leitet sich aus der Entwicklung des Dichte-Operators ab, wobei wieder angenommen wird, dass der Hamilton-OperatorHˆ während des betrachteten Zeitabschnitts konstant ist:
ρ(t) = exp(︂
−iHˆt)︂
ρ(0) exp(︂
iHˆt)︂
(2.2.25) Die zeitliche Entwicklung der Operatorprodukte in ρ wird nun nicht durch explizites Lösen des Ex-ponentialmatrixausdrucks ermittelt. Stattdessen wird im Produkt-Formalismus auf Operator-Transformationen zurückgegriffen. Werden sowohl der Ausgangs-Dichte-Operatorρ(0) = Bs1als auch der Hamilton-OperatorHˆ = ΘBs2 durch Produkt-OperatorenBsausgedrückt, gilt folgende allgemeine Formulierung der Operator-Transformation:
ρ(0) −−−−−−−−→Hˆt= ΘBs2t ρ(t) = Bs1 cos (Θt) − i[Bs1, Bs2] sin (Θt) (2.2.26)
In diesem allgemeinen Schema beschreibt[Bs1, Bs2]den Kommutator der beiden OperatorenBs1 und Bs2 jeweils in ihrer Matrixform. Für Radiofrequenz-Pulse mitx−Phase ergeben sich dabei beispielsweise folgende Operator-Transformationen, ausgehend von den kartesischen OperatorenIx,Iy undIz:
Iz −−−−−−→γB1τpIx cos (γB1τp) Iz − sin (γB1τp) Iy Iy −−−−−−→γB1τpIx cos (γB1τp) Iy + sin (γB1τp) Iz Ix
γB1τpIx
−−−−−−→ Ix
(2.2.27)
Analoge Transformationen lassen sich für Pulse mity−Phase ableiten. Die Auswirkung von 90◦- oder 180◦-Pulsen lässt sich betrachten, wenn das ArgumentγB1τpim trigonometrischen Ausdruck gleich π2 beziehungsweiseπgesetzt wird. Am Beispiel dery−Anti-Phasen-Kohärenz2IySzvonIsoll die Auswirkung von 90◦-Pulsen zunächst aufI und danach aufS gezeigt werden. Dabei findet ein Kohärenztransfer von I nachSstatt, sodass diey−Anti-Phasen-Kohärenz−2IzSy vonSerhalten wird:
2IySz
π 2Ix
−−−→ 2IzSz
π 2Sx
−−−−→ −2IzSy (2.2.28)
Die zeitliche Entwicklung unter dem Einfluss der chemischen VerschiebungΩund der skalarenJ−Kopplung kann im Grenzfall schwach gekoppelter Systeme unabhängig voneinander betrachtet werden. Werden die entsprechenden Hamilton-Operatoren für die chemische VerschiebungHˆ = ΩIIz und der skalaren J−KopplungHˆ = πJIS2IzSz verwendet, ergeben sich die folgenden Operator-Tranformationen:
Ix −−−−→ΩIt Iz cos (ΩIt) Ix + sin (ΩIt) Iy Iy −−−−→ΩIt Iz cos (ΩIt) Iy − sin (ΩIt) Ix Iz −−−−→ΩIt Iz Iz
(2.2.29)
Ix −−−−−−−−→πJISt2IzSz cos (πJISt)Ix + sin (πJISt) 2IySz Iy −−−−−−−−→πJISt2IzSz cos (πJISt)Iy − sin (πJISt) 2IxSz 2IySz −−−−−−−−→πJISt2IzSz cos (πJISt) 2IySz − sin (πJISt) Ix 2IxSz −−−−−−−−→πJISt2IzSz cos (πJISt) 2IxSz + sin (πJISt)Iy
(2.2.30)
Es zeigt sich an Gleichung 2.2.30, dass sich durch den Einfluss der skalarenJ−Kopplung je nach Dauer vontIn-Phasen-Kohärenzen in Anti-Phasen-Kohärenzen und wieder zurück entwickeln.
Mit Hilfe dieser Operator-Tranformationen lassen sich nun im Grenzfall der schwachen Kopplung die Entwicklung eines Spin-12-Systems während einer Pulssequenz abschnittsweise analysieren sowie das zu erwartende detektierte Signal und resultierende Spektrum berechnen. In Kapitel 11.2 im Anhang befindet sich für diePerfect-EchoSequenz[43], welche zentraler Untersuchungsgegenstand in Projekt A ist, eine Beispielrechnung. Das detektierte SignalS(t)bestimmt sich schließlich während der Akquisition aus den zeitabhängigen Koeffizientenai(t), wobei jedoch nur die Koeffizienten der In-Phasen-Magnetisierung Ix und Iy zum detektierbaren Signal beitragen. Die diskutierten Anti-Phasen-Kohärenzen selbst sind nicht detektierbar, allerdings tragen sie zum detektierten Signal bei, indem sie sich während der Akquisi-tionszeit unter dem Einfluss der skalaren Kopplung in detektierbare In-Phasen-MagnetisierungIx undIy umwandeln. Das Spektrum ergibt sich anschließend durch Fouriertransformation entlang der Zeitt.
S(t) = ax(t) + i ay(t) (2.2.31) Zusätzlich zu den Operatorprodukten, basierend auf den kartesischen Einzeloperatoren Ix, Iy und Iz, sollen hier noch die Leiter- und Polarisations-OperatorenI+,I−,Iαund Iβ sowie deren Operator-transformationen diskutiert werden. Diese werden für die Diskussion des anti-z−COSY[44] und des PSYCHE-Experiments[45] in Kapitel 2.4 benötigt. Die LeiteroperatorenI+undI−sind in Gleichung 2.2.9
definiert worden. Die Polarisations-OperatorenIαundIβsind wie folgt überIzund den Einheits-Operator Edefiniert:
Iz = 1
2(Iα − Iβ) E =Iα + Iβ
(2.2.32)
Produkte aus Polarisations- und Leiter-Operatoren haben im Gegensatz zu denen der kartesischen Operatoren den Vorteil, dass sich die Kohärenzordnungphier direkt klassifizieren lässt. Während sich die Kohärenzordnung bei Produkten aus Leiter-Operatoren aus der Summe der Indices bestimmt, ist das beispielsweise für das Operator-Produkt IxSy nicht direkt möglich. Erst durch die Zerlegung in Leiter-Operatoren ergibt sich eine Mischung aus Doppel- und Null-Quanten-Kohärenzen:
IxSy = 1
4i(I+S+−I−S−+I−S+−I+S−) (2.2.33) Für Produkte aus Polarisations- und Leiter-Operatoren lassen sich entsprechende Transformationen durch Radiofrequenz-Pulse mit dem PulswinkelΘoder unter dem Einfluss der chemischen Verschiebung sowie der skalarenJ−Kopplung ableiten:
I+ ΘIx
−−−→ cos2 (︃Θ
2 )︃
I+ + sin2 (︃Θ
2 )︃
I− + i
2sin (Θ) (Iα − Iβ) I− −−−→ΘIx cos2
(︃Θ 2
)︃
I− + sin2 (︃Θ
2 )︃
I+ − i
2sin (Θ) (Iα − Iβ) Iα −−−→ΘIx cos2
(︃Θ 2
)︃
Iα + sin2 (︃Θ
2 )︃
Iβ + i
2sin (Θ) (I+ − I−) Iβ −−−→ΘIx cos2
(︃Θ 2
)︃
Iβ + sin2 (︃Θ
2 )︃
Iα − i
2sin (Θ) (I+ − I−)
(2.2.34)
I−Sα ΩIt Iz+πJISt2IzSz
−−−−−−−−−−−−−→ I−Sαexp [it(ΩI − πJIS)]
I−Sβ −−−−−−−−−−−−−→ΩIt Iz+πJISt2IzSz I−Sαexp [it(ΩI + πJIS)]
I+Sα −−−−−−−−−−−−−→ΩIt Iz+πJISt2IzSz I−Sαexp [−it(ΩI − πJIS)]
I+Sβ −−−−−−−−−−−−−→ΩIt Iz+πJISt2IzSz I−Sαexp [−it(ΩI + πJIS)]
(2.2.35)