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Primäre Sozialisationsbedingungen und Höhe der sozialen Kompetenzen

Im Dokument Eine für alle? (Seite 192-197)

11. Diskussion der Ergebnisse

11.1. Primäre Sozialisationsbedingungen und Höhe der sozialen Kompetenzen

Sie verfügen anscheinend über Sozialisationsbedingungen, die den Erwerb von sozialen Kompetenzen ermöglichen, obwohl die Beziehungen zu den elterli-chen oder gleichaltrigen Modellen negativ gestaltet sind.

Dieser Befund könnte auf das insbesondere bei Elternpaaren mit hohem Status verbreitete Erziehungsziel einer frühen Verselbständigung ihrer Kinder zurück-zuführen sein. Die Umsetzung dieses Erziehungsziels könnte auf Seiten der Kinder zu der Wahrnehmung von geringer sozialer Unterstützung im Eltern-haus führen. Je geringer die Wahrnehmung von sozialer Unterstützung von Modellen ist, desto geringer ist in der Regel auch das Ausmaß an Kompeten-zen, das bei diesen Modellen erworben wird (Röhrle & Sommer 1994). Ver-anlassen die Eltern eine Betreuung des Kindes in Kontexten mit fortgeschritte-nem Standard, dann sorgen die Eltern dafür, daß die Kinder mit Modellen interagieren, die Verhalten mit fortgeschrittenem Standard zeigen. Solche Modelle können z.B. die Kinderfrau oder institutionelle Betreuer in Krippe, Kindergarten, Grundschule und Hort sein sowie Personen, die in der Freizeit die Kinder betreuen und in diesen Kontexten eine starke Vorbildfunktion einnehmen wie Trainer in Sportvereinen oder Musik- und Kunstlehrer (vgl.

hierzu Marfeka & Nauck 1993; Geulen 1994; du Bois-Reymond et al. 1995).

Die negative Wirkung einer problematischen Beziehung zu elterlichen Model-len kann auf diese Weise durch sekundäre Sozialisationskontexte abgefedert oder ausgeglichen werden. Diese Form von Kompetenzerwerb in alternativen Kontexten steht eher Kindern zur Verfügung, deren Eltern sowohl über die entsprechende Einstellung als auch über die notwendigen finanziellen Ressour-cen verfügen. Das Risiko, auf die Eltern als Modelle für kompetentes Verhal-ten angewiesen zu sein, steigt also mit abnehmendem sozioökonomischen Status.

Die Mehrzahl der Schüler verfügt, nach ihrer Einschätzung, über eine gute bis sehr gute Beziehung zu ihren elterlichen Modellen (vgl. 8.1.2.). Die Gruppe der Schüler mit hohem Status, die wegen fehlender elterlicher Modelle weder soziale Kompetenzen mit fortgeschrittenem noch mit veraltetem Standard erwirbt, ist also eher klein. Wahrscheinlicher ist es, daß gerade Schüler mit geringem sozioökonomischen Status ein geringes Ausmaß an sozialen Kompe-tenzen mit fortgeschrittenem Standard erwerben, da sie in ihren primären Kontexten durch eine gute Beziehung zu den Modellen Kompetenzen mit veraltetem Standard erwerben.

Eine negative Beziehung zu den elterlichen Modellen hängt in allen drei Sta-tusgruppen mit einer negativen Beziehung zu den gleichaltrigen Modellen zusammen. Wiederum scheint jedoch ein hoher sozioökonomischer Status ein protektiver Faktor in diesem Zusammenhang zu sein. Eltern mit hohem Status vermitteln ihr Kind anscheinend eher in soziale Kontexte (Sportvereine, kirch-liche Gruppen, Freunde usw.), in denen sie eine gute Beziehung zu gleich-altrigen Modellen aufbauen können und somit in der Lage sind, soziale Kom-petenzen zu erwerben. Achten die Eltern darauf, daß in diesen Kontexten Kompetenzen mit fortgeschrittenem Standard vermittelt werden, dann unter-stützen sie einen unproblematischen Kompetenzerwerb im Kontext der Gleich-altrigen, obwohl sie selbst nur wenig als Modelle an diesem Kompetenzerwerb beteiligt sind.

Mit zunehmender sozialer Benachteiligung werden die Möglichkeiten der Eltern für solche Unterstützungsleistungen geringer. Dadurch sind die Kinder stärker auf die sozialen Kontexte verwiesen, die sie mit ihren Ressourcen erreichen können. Diese Kontexte sind vor allem die Nachbarschaftsgruppe, die Mitschüler und wohnortnahe, preiswerte Freizeitangebote.

Je nachdem wie diese Kontexte gestaltet sind und welcher Standard dort überwiegt, können positive oder negative soziale Beziehungen entstehen, die den Kompetenzerwerb fördern oder behindern.

Die Gestaltung der sozialen Beziehungen von Kindern untereinander wird ebenfalls durch den sozioökonomischen Status beeinflußt. Kinder mit hohem Status bewegen sich häufiger in verinselten Beziehungen als Kinder anderer Statusgruppen, die eher auf “traditionelle” Beziehungsformen verwiesen sind.

Die relative Oberflächlichkeit von verinselten Beziehungen kann dazu führen, daß die Kinder ihr soziales Netzwerk von Gleichaltrigen als störungsanfällig und wenig unterstützend erleben. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sie in kein Netzwerk integriert sind, sondern daß eine andere Form von sozialen Bezie-hungen entstanden ist (siehe Abschnitt 3.1.). Werden in diesem Kontext soziale Kompetenzen mit fortgeschrittenem Standard praktiziert, vermitteln sehr wahrscheinlich Gleichaltrige, die als “Funktionsträger” angesehen werden, ähnlich gut soziale Kompetenzen wie Modelle, zu denen eine enge Bindung besteht. Auf diese Weise kann ein Kind trotz eines geringen Ausmaßes an positiver Beziehung zu den gleichaltrigen Modellen zumindest über ein akzep-tables Maß an sozialen Kompetenzen verfügen. Möglicherweise wird in diesen Beziehungen, die Intensität der Beziehung durch Quantität von Kontakten ersetzt, da ein Funktionsträger in der Regel schnell durch einen anderen ersetzt bzw. der Kontext gewechselt werden kann.

Kinder mit geringem oder mittlerem sozioökonomischen Status haben hin-gegen weniger Zugang zu einem stark modernisierten Lebensstil, da ihre Familien über weniger finanzielle Ressourcen verfügen als Familien mit hohem Status. Hinzu kommt, daß diese Eltern häufig durch einen autoritär-restrikti-ven Erziehungsstil eher einen traditionellen Lebensstil ihrer Kinder fördern, so daß diese seltener mit Kompetenzen mit fortgeschrittenem Standard in

Berüh-rung kommen als Kinder mit hohem Status. Dieser elterliche Einfluß führt dazu, daß vor allem Kinder mit geringem sozioökonomischen Status vornehm-lich Peerbeziehungen aufnehmen und unterhalten, in denen Kompetenzen mit veraltetem Standard verbreitet sind. Dieser Trend wird dadurch unterstützt, daß Kinder bevorzugt Kinder mit gleichem Kompetenzstandard als ihre Freun-de auswählen. Je besser die Beziehungen zwischen Freun-den KinFreun-dern gestaltet sind, desto eher entwickeln Kinder in diesen Beziehungen ein hohes Ausmaß an sozialen Kompetenzen mit veraltetem Standard. Sind die Beziehungen negativ gestaltet, dann erwerben die Kinder in ihren Peerbeziehungen nur ein geringes Ausmaß an sozialen Kompetenzen, so daß sie in diesem Kontext weder Kom-petenzen mit veraltetem noch mit fortgeschrittenem Standard erwerben.

Problematisch gestaltete Beziehungen zu den Modellen des Peerkontextes wirken sich daher mit abnehmendem sozialem Status immer gravierender auf die Höhe sozialer Kompetenzen aus, da die Kinder kaum in der Lage sind selbständig alternative Kontexte mit fortgeschrittenem Standard aufzusuchen.

Die subgruppenspezifisch unterschiedlichen Auswirkungen riskanter Sozialisa-tionsbedingungen auf die Höhe der sozialen Kompetenzen vor der Kompe-tenzförderung sind ein Hinweis darauf, daß der soziale Wandel der Kindheits-und Jugendphase in zunehmendem Maße eine Rolle bei der Gestaltung von riskanten Sozialisationsbedingungen spielt. Je höher der soziale Status der Kinder, desto größer sind die Chancen, daß sie in anderen sozialen Kontexten als dem Elternhaus bzw. den Gleichaltrigenbeziehungen Kompetenzen mit fortgeschrittenem Standard erwerben können, auch wenn in den primären Kontexten negative Beziehungen zu den Modellen bestehen.

Zusammenfassend läßt sich aus der Untersuchung der Wirkung des sozio-ökonomischen Status auf die sozialen Beziehungen in den primären Sozialisa-tionskontexten schließen, daß Kinder mit hohem sozioökonomischen Status häufiger positive Beziehungen zu den Modellen in beiden Kontexten entwik-keln. Sind die Beziehungen in den primären Kontexten negativ, dann verfügen sie eher über alternative Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs, die das Risiko minimieren, ein geringes Ausmaß an sozialen Kompetenzen zu erwerben. Sie gehören daher seltener zur Zielgruppe von Kompetenzförderung als Kinder anderer Statusgruppen. Dieses Ergebnis stützt die Annahme bezüglich der Verteilung der Zielgruppen in den drei Statusgruppen (vgl. Abbildung 5.2.).

Eine Untersuchung des genauen Zusammenspiels des Standards der sozialen Kompetenzen in den primären Kontexten, des Erziehungsstils der Eltern bzw.

alternativer sekundärer Kontexte sowie anderer, hier nicht berücksichtigter individueller riskanter Sozialisationsbedingungen steht bislang aber noch aus.

11.2. Sozioökonomischer Status und differentielle Wirkung

Im Dokument Eine für alle? (Seite 192-197)