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Aufnahme von Kontakten

Im Dokument Eine für alle? (Seite 42-47)

3. Inhaltliche Spezifikation sozialer Kompetenz

3.1. Aufnahme von Kontakten

Kinder müssen sich heute aktiv um soziale Kontakte bemühen, um zu einem funktionierenden sozialen Netzwerk zu gelangen. Den Kindern steht nur noch selten eine feste, ortsgebundene, altersgemischte Gruppe, die z.B. aus allen Kindern einer Straße besteht, als Freundeskreis zur Verfügung (Büchner 1990;

Witjes et al. 1994; Zeiher 1994). Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde die altersgemischte Nachbarschaftsgruppe durch sogenannte “verinselte Beziehun-gen” verdrängt. Verinselte Beziehungen sind an bestimmte Aktivitäten oder Orte gebunden, wo die Kinder Gleichaltrige treffen, die sie als Freunde für ihr soziales Netzwerk gewinnen können. Im Gegensatz zur Nachbarschaftsgrup-pe, in der sich eine Anzahl von Kindern zu festen Zeiten und Orten zusammen-findet, dort alle Facetten der Person erleben und ihr Spiel selbst organisieren können, erfordern verinselte Beziehungen ein mittleres bis großes Ausmaß an

kindlichen Ressourcen und Eigenleistungen im Vorfeld der eigentlichen Inter-aktion, die häufig durch Erwachsene initiiert und moderiert wird (Zeiher 1994).

Die aktive Eigenleistung des Kindes fängt bei der Entscheidung für ein be-stimmtes Angebot an. Die Organisation des Transportes und die Erfüllung weiterer Voraussetzungen, wie die Beschaffung von spezieller Kleidung und Hilfsmitteln usw., stellt eine weitere Hürde auf dem Weg zur Teilnahme an solchen Aktivitäten dar. Der Initiative eines Kindes sind allerdings dann Gren-zen gesetzt, wenn die finanziellen Ressourcen oder die Unterstützung der Eltern bei der Aufnahme solcher Aktivitäten gering ist.

Sind anfängliche Hürden überwunden, muß sich das Kind in eine sich bildende oder bestehende Gruppe aus fremden Gleichaltrigen integrieren. Während die ersten Schritte der Aufnahme von Kontakten noch von den Eltern unterstützt werden können, sind im persönlichen Kontakt soziale Kompetenzen notwen-dig. Zunächst einmal muß das Kind in der Lage sein, einen Kontakt zu einem anderen Kind herzustellen. So gilt ein Kind beispielsweise als kompetent, wenn es mit einer bereits bestehende Gruppe zunächst einmal so in einen ersten Kontakt tritt, daß die Gruppe bereit ist, die Annäherung zu tolerieren. Solch kompetentes Verhalten ist z.B. den Namen der anderen erfragen, Informatio-nen über sich geben oder Fragen beantworten. In einem weiteren Schritt kann die Interaktion durch Aushandlungsprozesse zwischen den Interaktionspart-nern von einer eher formellen Basis zu einer eher freundschaftlichen Situation wechseln, in dem z.B. ein Spielverlauf ausgehandelt wird. Der dritte Schritt dient der Erhaltung der Situation, in dem möglichst konsistentes Verhalten gezeigt wird, irritierende oder unerwünschte Verhaltensweisen unterlassen, Konflikte und Unterbrechungen vermieden werden. Das verbale Verhalten kann nonverbal durch ruhiges Agieren unterstützt werden. Das Kind signali-siert damit dem Gegenüber Stabilität und Konzentration (Dodge et al. 1986).

9 Welche Form und welcher Grad an Verbindlichkeit in den sozialen Beziehungen von Kindern vorherrscht, ist noch umstritten (zur Diskussion vgl. Büchner 1990 und Witjes et al. 1994).

Die gelungene Kontaktaufnahme muß dann intensiviert werden, bevor eine stabile Freundschaft entstehen kann.

Verinselte Beziehungen stellen durch ihre differenzierte Struktur von Zeit, Ort und Aktivität eine besondere Herausforderung an die Kompetenzen der Kinder dar. Die Aktivitäten bringen es häufig mit sich, daß sich die Kinder stärker als Funktionsträger innerhalb einer Aktivität (z.B. als Mittelstürmer), denn als Personen mit Stärken und Schwächen kennenlernen. Gerade zu Funktions-trägern entsteht oft nur eine oberflächliche Beziehung, die vielfach den Cha-rakter des Austauschbaren trägt. In solchen Fällen muß eine Freundschaft mit anderen häufig explizit angestrebt werden. Weit auseinanderliegende Örtlich-keiten, z.B. zwischen den Elternhäusern und der Aktivität, führen dazu, daß das andere Kind oft schwer erreichbar ist. Eine Intensivierung des Kontaktes muß daher von beiden Kindern gewollt, geplant und mit den anderen Familien-mitgliedern abgestimmt werden.

Je nach dem Ausmaß der sozialen Kompetenzen, der sozialen Unterstützung und der finanziellen Ressourcen der Familie differiert die Qualität der sozialen Beziehungen, die ein Kind zu anderen Kindern aufnehmen kann. Hierbei schwankt der Verbindlichkeitsgrad dieser Freundschaften zwischen oberfläch-lichen Kontakten, die eindeutig nur während der Aktivitäten entstehen und nach Beendigung der Aktivität wieder abbrechen, und festen Freundschaften9. Funktionierende Freund- oder Bekanntschaften bieten dem Kind soziale Unterstützung, indem sie u.a. Interpretationshilfen für belastende oder schöne Ereignisse geben, in schwierigen Gruppensituationen Beistand leisten und dann einen emotionalen Rückhalt zur Verfügung stellen, wenn z.B. die Eltern als Ansprechpartner nicht zur Verfügung stehen. Sei es, weil der Konflikt mit

den Eltern ausgetragen wird oder das Kind das Thema nicht mit den Eltern erörtern möchte. Der Vorteil der heutigen Möglichkeiten, Beziehungen auf-zunehmen, besteht darin, daß sie planvoll aufgrund von eigener Wahl und nach persönlichen Vorlieben angeknüpft werden können. Nachteilig ist jedoch, daß die lockeren Beziehungen und oberflächlichen Kontakte kaum emotionalen Halt bieten und im Konfliktfall schnell beendet werden (können) (Büchner 1990; Zeiher 1994). Kinder, die nicht in der Lage sind, Kontakte zu Gleich-altrigen aufzunehmen oder die sozialen Beziehungen zu vertiefen, können in soziale Isolation geraten. Dies ist vor allem dann problematisch, wenn sie zur Bewältigung von streßreichen Situationen auf die Hilfe von Peers angewiesen sind.

Die Wahlfreiheit der sozialen Beziehungen gilt jedoch nicht für den schu-lischen Kontext. In ihm sind kompetente Kontaktaufnahmestrategien im Hinblick auf eine Integration in die Klassengemeinschaft notwendig. Die Klassengemeinschaft stellt eine Zweckgemeinschaft dar, die man nur unter erschwerten Umständen verlassen kann. Sozial kompetente Kinder erlangen in der Klassengemeinschaft leichter einen hohen soziometrischen Status als wenig kompetente Kinder, da sie in der Lage sind, durch eigene Initiative positive Beziehungen zu den anderen Kindern aufzubauen. Kinder, die nicht über solche Kompetenzen verfügen, werden leicht zu Außenseitern und sind trotz Cliquen und Freundschaften, die sich in der Klasse bilden, auf sich selbst gestellt (Hatch 1987; Volling et al. 1993). Eine Außenseiterposition kann in erheblichem Maße zum Schulstreß beitragen und fördert damit das Auftreten von Risikoverhalten zur Bewältigung dieses Stresses.

Wirksames Kontaktaufnahmeverhalten in unterschiedlichen Interaktions-situationen ist die Voraussetzung dafür, daß ein Kind selbständig Beziehungen anknüpfen kann. Das Wissen, neue Kontakte aufnehmen zu können, bietet einem Kind aber auch die Chance, sich aus bereits bestehenden Beziehungen zu lösen, wenn in diesen beispielsweise Problemverhaltensweisen praktiziert werden oder Gruppennormen herrschen, die das Kind ablehnt. Selbiges gilt, wenn die Gruppe das Kind ausschließt oder ein anderes Kind die Freundschaft beendet. Wenn Kinder nicht über Kontaktaufnahmefertigkeiten verfügen, sind sie von der Initiative anderer, z.B. der Eltern oder anderer Gleichaltriger, abhängig. Diese Abhängigkeit kann dazu führen, daß sie mit Personen Bezie-hungen eingehen, die sie selbst (bei entsprechenden Kompetenzen) nicht gewählt hätten. Aus diesen vom Kind wenig erwünschten Kontakten kann ein

“Zwecknetzwerk” entstehen, welches nur geringe soziale Unterstützung bereitstellt, weil Vertrauen, Sympathie und gegenseitige Verpflichtung fehlen.

Eine weitere Konsequenz kann Einsamkeit oder soziale Isolation sein, die entsteht, wenn wenig kompetente Kontaktaufnahmestrategien dazu führen, daß die Partner die Interaktion beenden oder keine weiteren Versuche mehr unternehmen, das Kind in eine Beziehung zu integrieren. Für die Aufnahme von tragfähigen sozialen Beziehungen benötigen die Kinder kompetente Strategien, die sie im Laufe des Sozialisationsprozesses erwerben müssen (Witjes et al. 1994).

In dieser Arbeit werden unter kompetenten Kontaktaufnahmestrategien drei Fähigkeiten verstanden:

& Ansprechen von fremden Gleichaltrigen,

& Strategien zur Integration in eine Gruppe und

& sicheres Auftreten vor einer größeren Gruppe.

Nach einer erfolgreichen Kontaktaufnahme sind verschiedene Verhaltens-strategien für die Pflege der Beziehung wichtig. Davon sind für die Prävention von Problemverhalten Assertivität und prosoziales Verhalten substantiell, weil diese Interaktionsfertigkeiten einer Person helfen, auch in schwierigen Inter-aktionssituationen kompetent zu kommunizieren. Assertives Verhalten ist in für das Individuum streßreichen Situationen hilfreich; prosoziales Verhalten hingegen bezieht sich eher auf Situationen, die für andere streßreich sind und in denen das Kind soziale Unterstützung anbietet.

Im Dokument Eine für alle? (Seite 42-47)