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2 Literaturübersicht

2.3 Polymorphkernige neutrophile Granulozyten

2.3.1 Morphologische und phänotypische Eigenschaften von neutrophilen Granulozyten

Die Granulozyten erhielten ihre Bezeichnung auf Grund der deutlichen Granula im Zytoplasma; wegen ihres unregelmäßig geformten Zellkerns nennt man sie auch polymorphkernige Granulozyten (PMN). Neben dem mehrfach gelappten Kern zählen die lichtmikroskopisch neutralen (azurophilen, primären) Granula zu den charakteristischen morphologischen Merkmalen ausgereifter neutrophiler Granulozyten.

Ihre primären Granula sind reich an mikrobiziden Enzymen wie Hydrolasen, Lysozym, Myeloperoxidasen, Proteinasen, sauren Hydrolasen, Histaminase und kationischen Proteinen. Sekundäre Granula enthalten zudem noch Lactoferrin und Kollagenasen (GEMSA et al. 1991, KLEIN 1991).

Neutrophile Granulozyten repräsentieren den Hauptanteil der zirkulierenden Granu-lozyten (GEMSA et al. 1991). Mit einem Durchmesser von ca. 10-14 µm bilden sie bei Pferd, Hund und Katze mit 55-70% den größten Anteil der Leukozyten, während bei anderen Tierarten Lymphozyten vorherrschen. Im bovinen Differentialblutbild stellen die neutrophilen Granulozyten mit 25-45%, neben den Lymphozyten mit 45-65%, die zweitstärkste Leukozytenfraktion dar. Der Anteil eosinophiler Granulozyten an den Blutleukozyten liegt bei gesunden Rindern bei 1-10%, die Anteile basophiler Granulo-zyten bei 0-2% und die der stabkernigen neutrophilen GranuloGranulo-zyten bei 0-3%

(HOFMANN 1992).

Bovine neutrophile Granulozyten zeigen einige Besonderheiten. Bemerkenswert ist das Vorhandensein einer dritten Art von Granula im Zytoplasma. Diese Granula sind größer als die anderen Granula und enthalten kationische antibakterielle Proteine, wie z.B. Bactenecin (ROMEO et al. 1988), Indolicin und β-Defensin (SELSTED et al.

1992, 1993). Die kationischen bakteriziden Proteine in den Granula unterscheiden sich von denen, die für andere Spezies beschrieben werden. Sie sind bakterizid nur für bestimmte Bakterien. Für die von SELSTED et al. (1992, 1993) beschriebenen kationischen bakteriziden Proteine wird eine antimikrobielle Wirkung gegenüber S. aureus und E. coli genannt. In den azurophilen und den spezifischen Granula sind viele der Enzyme enthalten, die auch bei humanen Neutrophilen oder denen anderer Spezies gefunden werden. Bemerkenswerterweise fehlt den bovinen Granulozyten das Lysozym, welches eine Hauptkomponente der humanen azurophilen Granula ist (PASTORET et al. 1998).

Im Knochenmark entwickeln sich aus Stammzellen unter der koordinierten Wirkung hämatopoetischer Wachstumsfaktoren (wie Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor, GM-CSF, Interleukin-3, IL-3 und Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor, G-CSF) über mehrere Entwicklungsstufen (Myeloblasten, Promyelozyten, Myelozyten und Metamyelozyten) die jugendliche Zellform der stabkernigen neutrophilen Granulozyten. Ihr länglicher Kern ist noch nicht segmentiert.

Erst mit zunehmender Alterung der Zelle zerfällt er in mehrere, über Chromatinstege verbundene, Segmente (LIEBICH 1993).

Nach der Freisetzung aus dem Knochenmark zirkulieren die PMN im Blutstrom, wobei sie besonders im Kapillargebiet engen Kontakt zum Endothel haben. Dieser Kontakt zu Endothelzellen wird über Adhäsionsmoleküle vermittelt.

2.3.2 Aufgaben der Granulozyten im Rahmen der Infektionsabwehr

Granulozyten gehören mit zu den Immunzellen, die als erste am Ort eines Infektionsgeschehens erscheinen. Entzündungsmediatoren (u.a. Interleukin-8, Leuko-trien B4, C5a) wirken zum einen chemotaktisch auf neutrophile Granulozyten und induzieren zum anderen auf Endothelzellen die Expression von Adhäsionsmolekülen.

Innerhalb weniger Minuten wird das adhäsive P-Selektin exprimiert, ein zweites Selektin, das E-Selektin, erscheint erst einige Stunden nach Aktivierung. Diese Selektine erkennen Kohlenhydratepitope verschiedener Glykoproteine auf Leukozyten.

Das auf der Seite der Leukozyten exprimierte L-Selektin unterstützt das „Rollen“ der Zellen entlang der Gefäßwand. Diese Wechselwirkungen führen zu einer reversiblen Anheftung der Neutrophilen an die Gefäßwand. Im Wirkungsgebiet von Entzündungs-mediatoren wird somit die Geschwindigkeit der PMN im Blutstrom bei der Annäherung an aktiviertes Endothel abgebremst (Margination). Diese Form der Adhäsion ermöglicht die folgenden, stärkeren Interaktionen, welche letztlich zur Extravasation der Granulozyten führen. Der Prozeß der Extravasation setzt eine hochkoordinierte und dynamische Interaktion zwischen verschiedenen Adhäsionsmolekülen von PMN und den Zellen des Gefäßendothels voraus (SMITH & ANDERSON 1991). Dieser Schritt ist abhängig von Wechselwirkungen zwischen den Leukozyten-Integrinen LFA-1 (Leukozyten-Funktions-assoziiertes-Antigen-1, CD11a/ CD18) und CR3 (Complement-rezeptor-3, CD11b/CD18, auch MAC-1 genannt) und interzellulären Zelladhäsions-molekülen (intercellular cell adhesion molecule, ICAM-1) auf Endothelzellen. Die Verbindung von LFA-1 und CR3 mit ihren Liganden ist physiologischerweise nur schwach. Das von Endothelzellen und Immunzellen im Entzündungsbereich sezernierte IL-8 bewirkt jedoch auf Leukozyten eine Konformationsänderung des LFA-1 und des CR3, was die Affinität dieser Moleküle für ihre Liganden deutlich erhöht. Als Folge davon werden die Zellen an dieser Stelle des Endothels immobilisiert. Weitere adhäsive Wechselwirkungen werden über das immunglobulinähnliche Molekül CD31 (auch PECAM: platelet endothelial cell adhesion molecule) vermittelt, das sowohl auf Leukozyten als auch an den Verbindungsstellen zwischen den Endothelzellen exprimiert wird (JANEWAY & TRAVERS 1997). Die folgende Transmigration findet bevorzugt zwischen den Kontaktstellen von drei Endothelzellen („tricellular corners“) statt. Tight junctions (zona occludens) scheinen hierbei eine geringere Rolle zu spielen (BURNS et al. 1997). Die PMN durchstoßen die Basalmembran mit Hilfe proteolytischer Enzyme, transmigrieren und gelangen entlang eines Konzentrations-gradienten von Entzündungsmediatoren in das betroffene Gewebe.

Granulozyten phagozytieren Erreger und Zelldetritus abgestorbener Gewebezellen.

Inaktiviert werden Pathogene mit Hilfe reaktiver Sauerstoffmetabolite und bakterizider lysosomaler Enzyme / Polypeptide nach Verschmelzung der Phagosomen mit den Lysosomen zu Phagolysosomen (DJEU & BLANCHARD 1987, JACKSON et al. 1995, CASSATELLA 1996, BELAAOUAJ et al. 1998). Ein namhafter Teil der von Granulozyten gebildeten Metaboliten / Enzyme gelangt durch Exozytose auch in das umliegende Gewebe, wodurch es zur Schädigung der dort gelegenen Zellen kommt.

Abgestorbene Granulozyten werden aus dem Gewebe durch die Phagozytose von residenten Makrophagen entfernt (COX et al. 1995).

Während einer Infektion steigt die tägliche Produktion der Granulozyten im Knochenmark etwa um das zehnfache. Für Granulozyten ist beim Mensch (ZINK 1990) und bei der Ratte (ROITT et al. 1991) nur eine Lebensdauer von 2-3 Tagen beschrieben.

Durch die Wirkung lokal produzierter Zytokine im Entzündungsgebiet verlängert sich die Lebenszeit dieser relativ kurzlebigen Zellen (BLISS et al. 1999). WATSON et al.

(1997) fanden eine verzögerte spontane Apoptose bei Neutrophilen, die durch eine Transmigration in ein Entzündungsgebiet aktiviert wurden.

PMN erweisen sich nicht nur als reine „Entsorger“ von Fremdorganismen. Nach LLOYD & OPPENHEIM (1992) werden PMN durch verschiedene Mediatoren (Lipo-polysaccharide (LPS), IL-1, IL-2, Tumornekrosefaktor (TNF) oder GM-CSF) zur Produktion und Freisetzung von Zytokinen stimuliert. In der Vergangenheit wurde gezeigt, daß Granulozyten eine Vielzahl an Zytokinen und Chemokinen nach Stimu-lation mit mikrobiellen Produkten, wie z.B. dem bakteriellen LPS, produzieren können (CASSATELLA 1995, DUBRAVEC et al. 1990, HAZIOT et al. 1993). Über diese Fähigkeit, aktivierungsabhängig Zytokine und Chemokine zu sezernieren, beeinflussen PMN unmittelbar auch Mechanismen der adaptiven Immunantwort (CASSATELLA 1999).

Interaktion von Superantigenen mit neutrophilen Granulozyten

Berichte über direkte Interaktionen von Superantigenen mit Neutrophilen sind selten.

BERGER et al. (1988) fanden, daß zwar Toxic shock syndrome toxin-1 (TSST-1), aber nicht SEA und SEB zu einer Abnahme der bakteriziden Aktivität von humanen Neutrophilen in vitro führen. TSST-1 konnte ebenfalls heat shock proteins (hsp70, hsp72) in isolierten humanen Granulozyten induzieren (HENSLER et al. 1991) und die

FMLP-induzierte LTB4-Bildung von humanen Granulozyten steigern (HENSLER et al.

1993). Zumindest TSST-1 kann die Signaltransduktionswege humaner Granulozyten deutlich beeinflussen. Vor kurzem wurde berichtet, daß SEA, SEB und TSST-1 keinen direkten Effekt auf die Apoptose von humanen Neutrophilen haben (MOULDING et al.

1999).

Beweise für Effekte von Superantigenen auf die Eigenschaften neutrophiler Granulozyten sind meist indirekt. Für TSST-1 wurde ein migrationshemmender Effekt gezeigt, der durch stimulierte mononukleäre Zellen vermittelt wurde (FAST et al.

1988). Auf der anderen Seite wirkte intravenös verabreichtes SEA migrationsfördernd (MILLER et al. 1996). Andere berichten von einer gestiegenen Sensitivität von Granulozyten gegenüber TNF-α-vermittelten Signalen nach systemischen T-Zell-abhängigen Antworten auf SEB oder phasische Veränderungen in der Expression von CD11a und CD11b auf Neutrophilen nach Induktion von letaler Sepsis mit Enterotoxin-produzierenden Staphylokokken (NEUMANN et al. 1997).

Es ist bekannt, daß Neutrophile und Eosinophile MHC-Klasse-II-Moleküle exprimieren können, besonders nach Aktivierung durch IFN-γ, GM-CSF, IL-3 und IL-5 (GOSSELIN et al. 1993, WELLER et al. 1993, GUIDA et al. 1994). Obwohl die Expressionsdichte der MHC-Klasse-II-Moleküle niedrig war, konnte gezeigt werden, daß die Granulozyten in der Lage waren, den T-Zellen Superantigene zu präsentieren, und daß dies zu einer Aktivierung und Proliferation der T-Zellen führt (GASCOIGNE 1993). Die Expression von MHC-Klasse-II-Molekülen auf Granulozyten kann also einen Mechanismus darstellen, durch den Granulozyten und T-Zellen in engen Kontakt treten. Eine Konsequenz dieser Interaktion könnte das beschleunigte Absterben der Granulozyten sein, ein Phänomen, das als SDCC (superantigen-dependent cellular cytotoxicity) bekannt ist und für die Elimination von autologen B-Zellen, Monozyten und aktivierten, MHC-Klasse-II-positiven T-Zellen beschrieben wird (HEDLUND et al.

1990).