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Petrograd, im Mai 1917. 19

16 Zwischen 1881 und 1883 war es vor allem im Süden und Südosten der Ukraine zu einer Welle von Pogromen ungeahnten und bisher ungekannten Ausmaßes ge-kommen; siehe dazu Anm. 20.

17 Das hat Dubnov vor allem in Bd. 2 und 3 seiner History of the Jews in Poland and Russia ausführlich getan (siehe Anm. 12), nachfolgend zitiert als History, so-wie in seinem Werk Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (1789–1914), 3 Bde., Berlin 1920–1923, hier besonders Bd. 3: Die Epoche der zweiten Reak-tion (1881–1914) = Weltgeschichte des jüdischen Volkes, 10 Bde., Berlin 1926–

1929, Bd. 10, besonders §§ 12–22, 38–44 und 47, nachfolgend zitiert als Welt-geschichte.

18 Der Wortlaut der zensierten Fassung findet sich unter II.1 Textvarianten, S.155 ff.).

19 Welche Bedeutung dieser verhältnismäßig kurze Text für Simon Dubnov besaß, ist aus den zahlreichen Erwähnungen in seinem Buch des Lebens, Bd. 2, ersicht-lich (siehe die Seiten 190, 194f., 198, 218, 223f., 226, 232). So heißt es dort u.a.:

»Dann schrieb ich, ›den Kriegsgreueln lauschend‹, im erregten Stil rhythmischer Prosa eine SkizzeDie Geschichte eines jüdischen Soldaten, die Beichte eines Welt-kriegssoldaten vor seinem Tod, der schon ein Märtyrer des dreißigjährigen Kriegs gegen die Juden in Russland gewesen war. Gleich nach den ersten Kapiteln brach 5

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* Post scriptum: Tarnopol und Kałusz im Juni und Juli 1917 haben diese Hoffnung bereits stark erschüttert – der Autor.

die Zensur den Druck ab, und erst die Februarrevolution ein Jahr später rettete ihn.«

»29. Februar [1916]. […] Ich beginne, wie schon lange beabsichtigt, Die Ge-schichte eines jüdischen Soldaten […] für dieJewrejskaja nedelja (denNowy Wo-schod) zu schreiben. Der Herausgeber Sew lässt mir keine Ruhe, drängt, und ich bin äußerst erschöpft.«

»6. März. […] ich setzte dieGeschichte eines Soldaten fort, deren Anfang ich be-reits in dieJewrejskaja nedelja gegeben habe.«

»23. März (abends) Zutiefst erregt schrieb ich dieGeschichte eines Soldaten zu Ende. Der Anfang ist ohne Einleitung in derJewrejskaja nedelja erschienen, das zweite Kapitel wird mit Kürzungen durch die Zensur erscheinen, und die weite-ren Kapitel kommen überhaupt nicht durch. Für Russland ist diese Arbeit vorläu-fig verloren, sie ist doch aber für einen breiteren Leserkreis berechnet. Wie wird dieseBeichte die Leser erreichen?«

»5. April (der erste Pessach-Tag 5676, abends). GesternSejder bei uns im Familien-kreise mit einigen Gästen. Ich las statt der Haggada ein Kapitel aus derGeschichte eines Soldaten.« Siehe auch Anm. 50 und 94 und den Brief S. Dubnovs an Chaim Nachman Bialik, datiert: »Pessachvorabend 1916«; siehe III. Dokumente, S. 221.

»11. Juni. […] meineGeschichte eines Soldaten, von M. Gorki [eigentlich: Aleksej Maksimoviˇc Peˇskov; 1868–1936] für die Zeitschrift Letopis und von W[asilij]

I[vanoviˇc] Semewski [Semevskij] [1848–1916] für denGolos minuwschego vorge-sehen (beide schrieben, dieGeschichte hinterlasse einen starken Eindruck), wird natürlich die gegenwärtige Zensur dort nicht passieren.«

[Februar 1917] »Die Revolution befreite […] meine lyrischeGeschichte eines jü-dischen Soldaten.«

»28. März […] Meine zensurwidrigen Schriften vom vergangenen Jahr –Die Ju-den unter der Regierung Nikolaj’ II. (für die amerikanische Ausgabe) und die Ge-schichte eines jüdischen Soldaten– sind jetzt Tagesthemen geworden. Ich habe die schon aufgegebeneGeschichte eines jüdischen Soldaten noch einmal für die jüdi-sche Übersetzung [gemeint ist die Übersetzung ins Hebräijüdi-sche] durchgesehen, die bald in der neuen Zeitschrift [Ha-Tekufah] erscheinen soll [siehe Einführung, S. 24]. Gleichzeitig gedenke ich das Original in der ZeitschriftLetopis von Gorki unterzubringen (der sie vor einem Jahr wegen der Zensur nicht drucken konnte).«

»9. Mai. […] Ich habe in derJewrejskaja nedelja jeneGeschichte eines jüdischen Soldaten in Druck gegeben, die vor einem Jahr von der Zensur verboten und ge-stoppt wurde. Ich habe das Vorwort dem aktuellen Augenblick angepasst, den Text aber unberührt gelassen. Mit welchem Schmerz ich das kleine Werk im Frühjahr 1916 geschrieben habe!«

I.

Ich wurde 1881 geboren. Später erfasste ich die symbolische Bedeutung dieses schicksalhaften Datums in meinem Leben: war es doch jenes Jahr, in dem die Zeit der Pogrome

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begann – und Pogrome unterschiedlichster

»22. Juli. Jetzt wird eine grauenvolle Tatsache aufgedeckt: Bei ihrer ›glänzenden Offensive‹ im Juni (in Galizien) haben die russischen Truppen, vor allem die Ko-saken, in der galizischen Stadt Kałusz die ganze jüdische Bevölkerung niederge-metzelt und ausgeplündert, haben die Frauen vergewaltigt und so weiter, ganz nach dem Ritual derselben Truppen unter dem Zarismus. Neulich wurde in der Jewrejskaja nedelja meineGeschichte eines jüdischen Soldaten abgedruckt und er-scheint jetzt als Einzelbroschüre – und jetzt wiederholen sich dieselben Szenen.«

20 Das Jahr 1881 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der russischen Ju-den: Die Zeit der Reformen war endgültig vorbei. Das Attentat auf Zar Alek-sandr II. (1818/1855–1881) am 1. (13.) März 1881 veranlasste nicht nur revolu-tionäre Gruppierungen wie dieNarodnaja Volja [Volkswille] und andere, das Volk zur offenen Rebellion aufzurufen, sondern löste »auf der Suche nach dem Schul-digen« zugleich eine Welle von Pogromen aus, die zwischen 1881 und 1884, vom Gouvernement Cherson ausgehend, zahlreiche Städte vor allem im Süden Russ-lands erfasste, 1881 Elisavetgrad und Kiew, 1882 Balta, 1883 Ekaterinoslav, Krivoj Rog, Novomoskovsk etc., und 1884 schließlich Niˇznij Novgorod erreichte; siehe dazu Dubnow, History, Bd. 2, 265–304; Dubnow, Weltgeschichte, Bd. 10, 119–164;

ferner: Klier/Lambroza (Hg.), Pogroms, 39–134. In seiner Weltgeschichte, Bd. 10, 123–124, schreibt Dubnov darüber: »Die Schreckenstat des 1. März [d.i. die Er-mordung Zar Aleksandrs II.] hatte aber nicht nur in den Regierungskreisen, son-dern auch in einem beträchtlichen Teil der durch das Gespenst des Anarchismus eingeschüchterten russischen Öffentlichkeit einen reaktionären Umschwung her-beigeführt. Es ertönte der in Zeiten der Verwirrung unausbleibliche Ruf: ›Suchet den Juden!‹ Die verbreitetsten, in die Intentionen der Regierung eingeweihten russischen Presseorgane schlugen den Juden gegenüber einen immer gehässigeren Ton an. Schon gleich nach dem Ereignis vom 1. März brachte die Petersburger Zeitung Nowoje Wremja Anspielungen auf die jüdische Mittäterschaft, und bald waren namentlich die in Südrußland erscheinenden Zeitungen voll von Nach-richten über zu erwartende antijüdische Ausschreitungen. In den Tiefen des rus-sischen Volkes wurde in der Tat eine unheilverkündende Gärung merkbar, wäh-rend gleichzeitig von oben her unsichtbare Hände die Volksmassen auf den Weg eines ungeheuerlichen Verbrechens stießen. In den größeren Städten Südruß-lands (in Odessa, Kiew, Jelisawetgrad) waren schon im März Geheimagenten aus Petersburg eingetroffen, die in vertraulichen Unterredungen mit den Spitzen der Ortsbehörden auf die Möglichkeit eines ›Ausbruches des Volkszornes gegen die Juden‹ hinwiesen und zu verstehen gaben, dass polizeiliche Gegenmaßnahmen

Art begleiteten mich von der Wiege bis zum Grab, an dessen Rande ich