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und deines Erbarmens.« 63

63 Siehe Dubnow, Buch des Lebens, Bd. 1, 411; 413: »Im Auftrag des Komitees [der Nationalisierung] begab sich unser Dichter Bialik nach Kischinjow, um an Ort und Stelle Informationen zu sammeln, und kehrte später mit erschütternden Bil-dern für sein berühmtes Poem aus der ›Stadt des Schlachtens‹ zurück.« Die Wie-dergabe des Gedicht-Zitats in einer deutschen Fassung erweist sich als überaus schwierig, denn Chaim Nachman Bialiks Poem, im Sommer 1904 entstanden, er-schien zunächst unter dem TitelBe-‘ir ha-haregah in einer hebräischen Fassung.

Unter dem TitelIn shkhite-shtot schrieb er außerdem eine Fassung in jiddischer Sprache für jene, die des Hebräischen nicht oder nur ungenügend mächtig waren.

Dubnov zitiert hier aus der Übersetzung des Werks ins Russische durch Vladimir (Zeev) Evgen’eviˇc Zˇabotinskij (Jabotinsky) (1880–1940), Skazanije o pogrome [Die Kunde vom Pogrom], Odessa 1906. Das vorliegende Zitat in deutscher Spra-che ist der zeitgenössisSpra-chen Übersetzung von Abraham Schwadron entnommen Chaim Nachman Bialik, Nach dem Pogrom, Wien/Berlin 1919, 22ff.), der sich dabei auf Ernst Müllers Übertragung (Chaim Nachman Bialik, Gedichte, Köln 1911) stützte.

In der Übertragung der Bialik’schen jiddischen FassungIn shkhite-shtot ins Deut-sche durch Richard Chaim Schneider, In der Stadt des Schlachtens, Wien 1990, 23ff., heißt es an dieser Stelle: »Stürz hinein zu ihnen ins Bethaus und stürz / Dich in ihr brennendes Meer von Tränen … / Du hörst? Klagerufe, wilde, schreckliche 5

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Die Organisation einer Selbstwehr gegen die Pogrome wurde meine vor-dringlichste und wichtigste Aufgabe. Ich bereiste verschiedene Städte, aus denen Pogromprovokationen von Seiten der Gendarmenarmee von Ple-ves zu erwarten waren und richtete, von meinen Genossen unterstützt, jü-dische Selbstwehrgruppen ein. Gegen Ende des Sommers erfuhr ich, dass eine dieser Gruppen während des Pogroms von Gomel

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wahre Wunder an Tapferkeit vollbracht hatte. Ich beweinte die gefallenen Kameraden, war aber vom stolzen Gefühl durchdrungen, Mitstreiter einer kämpfen-den Armee zu sein, die ihre Ehre im Kampf gegen die »feindliche Über-macht«

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verteidigt hatte.

Klagerufe / Durch Münder, offene, durch Zähne, gepresste, / zerreißen sich in tausend lebendige Stücke, / vermischen sich und gießen sich zusammen / in ein verzweifeltes und furchtbares Jammern, / das sich, wie ein Kranker, wirft in die Luft, / auf Köpfe, verzerrt zum feuchten Balken, / auf Gesichter, schmerzver-krümmte … – / Ein Greuel, ein Greuel! Frost jagt durch deinen Leib! / So klagt nur ein Volk, das verloren ist, / dem seine Seele Asche und Rauch ist, und Wüste, / öde Wüste ist sein Herz geworden; / kein einzig Gräslein Haß, kein Körnchen Ra-che! / […] / Du sollst das Unglück nicht wie sie schwächen, / verbleiben soll es un-beklagt für die Geschlechter … / Und deine ungeweinte Träne begrab in dir / Tief im Herzen, mauere sie ein, baue dort / Aus Hass, aus Grimmzorn und Galle ihr eine Festung / Und lass sie wachsen dort, eine Schlange im Nest, / und saugen sollt ihr einer von dem andern / und immer bleiben hungrig und durstig; / Und wenn ein böser Richttag kommen wird – / Zerbrich dein Herz, befrei die böse Schlange! / Und lass sie los wie einen vergifteten Pfeil, / todhungrig mit brennen-dem Gift, / mitten ins Herz deines eigenen Volkes …«

64 Vom 29. August bis zum 1. September 1903 kam es in Gomel’ (russ./weißruss.

Gomelц, Gómel’, poln. Homel, lit. Gomelis oder Homelis, jidd.limXah (Homel) im Gouvernement Mohilev/Mogilev, heute in Weißrussland) zu einem Pogrom, bei dem es »auf Seiten der Angegriffenen 12 Tote und Schwerverletzte, viele Miß-handelte und Leichtverletzte sowie etwa 250 ausgeplünderte Wohnungen und Läden, auf Seiten der Angreifer 8 Tote und Verwundete« gab. Die jüdische Selbst-wehr hatte sich den Angreifern widersetzt. In der Folge kam es zu einem Gerichts-prozess, bei dem nicht nur die Pogromverursacher, sondern auch 36 Juden ange-klagt waren, die im Rahmen der Selbstwehr Widerstand geleistet hatten; siehe Dubnow, Weltgeschichte, Bd. 10, 376f., 382f., Zitat dort 377; siehe auch Dubnow, History, Bd. 3, 87–90, 101ff.

65 Möglicherweise Anspielung auf einen Rapport des russischen Generals Michail Bogdanoviˇc (Michael Andreas) Barclay de Tolly (1761–1818) vom August 1812 über die Lage an der Front im »Vaterländischen Krieg« gegen Napoleon, in dem er diese Formulierung gebraucht: »Die Truppen Eurer Majestät haben sich tapfer

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Kurz darauf brach der Japanische Krieg

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aus. Ich war unter den ers-ten, die mobilisiert und vom Süden in die eisigen Weiten Sibiriens und von dort in die Mandschurei gebracht wurden. In Harbin

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traf ich auf eine Gruppe von Juden, die kurz vor dem Krieg von den russischen Behör-den aus Port Arthur

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ausgesiedelt worden waren. »Und ich bin unter-wegs, Port Arthur zu verteidigen, um es für Russland zu erhalten«, sagte ich mit einem bitteren Lachen. Ich war bereit, als einfacher Soldat mein Blut für Russland zu vergießen und meinte, meine Kameraden würden die Bedeutung dieses Opfers wenigstens teilweise würdigen. Doch ich hatte mich getäuscht: Militärführung wie Soldaten – wenn auch nicht alle – brachten mir die gleiche Verachtung entgegen wie früher in Friedenszei-ten. Unter diesen Bedingungen wurde der Dienst zur Qual. Eine bei Mukden

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erlittene Verwundung setzte mich außer Gefecht. Ich wurde

geschlagen und ungeachtet der feindlichen Übermacht die für uns so wichtige Position gehalten«, siehe Severnaja Poˇcta, Nr. 69, vom 28. August 1812.

66 Er begann am 9. Februar 1904 und endete nach der Niederlage der russischen Armee, die fast ihre gesamte Flotte verloren hatte, mit dem »Vertrag von Ports-mouth« vom 5. September 1905; siehe dazu Dubnow, History, Bd. 3, 84–97; Dub-now, Weltgeschichte, Bd. 10, 379–384; Heinz-Dietrich Löwe/Wolfgang Seifert/

Maik Hendrik Sprotte (Hg.), Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05, Wiesbaden 2008.

67 Chinesisch H¯a’ˇerb¯ın, dt. Harbin. Seit ihrer Gründung 1898 war Harbin nicht nur eine Art russischer Stadt auf chinesischem Boden mit Anschluss an die Transsibi-rische Eisenbahn, sondern zugleich von einer starken jüdischen Immigration aus Russland geprägt. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs galt Harbin mit rund zehn-tausend Juden als größte jüdische Gemeinde im Fernen Osten; siehe dazu Boris Bresler, Harbin’s Jewish Community, 1898–1958. Politics, Prosperity, and Adver-sity, in: Jonathan Goldstein (Hg.), The Jews of China, 2 Bde., Armonk, N. Y./Lon-don 1999, Bd. 1: Historical and Comparative Perspectives, 200–215.

68 Port Arthur – chinesische Hafenstadt Lüshunkou/Lushùn qu am Gelben Meer, 1894 von Japan erobert, später unter dem Druck des Westens an China zurück-gegeben, wurde 1898 von China an Russland verpachtet, das auf diese Weise ei-nen eisfreien Zugang zum Pazifik gewann. Mit dem japanischen Angriff auf den Hafen und damit auf die russische Kriegsflotte begann Japan am 9. Februar 1904 den Krieg gegen Russland.

69 In der Schlacht bei Mukden im Nordosten Chinas (heute Shenyang) vom 20. Fe-bruar bis 10. März 1905, der größten Feldschlacht des russisch-japanischen Krie-ges in der Mandschurei, waren auf beiden Seiten je 300.000 Mann beteiligt, die russische Seite hatte an die 26.000 Tote und ebenso viele Verwundete sowie 40.000 in japanische Gefangenschaft Geratene zu beklagen; siehe dazu den zeit-5

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von Lazarett zu Lazarett transportiert und kehrte zu einer Zeit in den