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Personalpolitik an den Physikinstituten im Nationalsozialismus

1 Der Lehrkörper – eine kollegiale Gemeinschaft

1.2 Personalpolitik an den Physikinstituten im Nationalsozialismus

Der Verlust von Franck und Born für Göttingen 1933 wird meist als Folge der NS-Gesetzgebung dargestellt. Nun ist es unstrittig, dass die Emigration beider ins Ausland eine Folge der neuen Gesetze war, doch wenn man den Blickwinkel nicht nur auf Göttingen richtet, so sieht die Lage etwas anders aus. Es ist nämlich möglich, dass Franck Göttingen auch dann verlassen hätte, wenn es zu keiner rassistischen Gesetzgebung gekommen wäre. Er stand seit 1931 in Berufungsverhandlungen mit dem Ministerium wegen der anstehenden Besetzung des Nernst‘schen Lehrstuhls in Berlin. Ende 1932 stand er an erster Stelle der Berufungsliste und fuhr im Januar 1933 zu Verhandlungen ins Ministerium. Neben der

In dieser Zeit bekleidete Herbert Ruprecht die Assistentenstelle. Anschließend bekam sie wieder Stierstadt, der dann mit 31. März 1933 endgültig ausschied. Sein Nachfolger wurde wieder Ruprecht. UAG, Sek. 335.60.

85 Brief Pohl an Gudden, 6. Februar 1933. UAG, Rek. 5250 / 7A.

86 Letztendlich fand kein Tausch mit Guddens Assistent statt, sondern Stierstadt übernahm die Oberassistentenstelle an der TH Hannover bei Professor Precht. 1934 wurde er Dozent und

wehrwissenschaftlicher Mitarbeiter für das Reichskriegsministerium und das Reichsluftfahrtministerium am I. Physikalischen Institut der Universität Berlin.

87 Zu Pohls Einfluss in der akademischen Personalpolitik siehe Eckert & Schubert [1986] S. 119-121, 125f.

Professur an der Berliner Universität wurden ihm auch die Übernahme der Direktorstelle am dortigen KWI für Physik oder nach Habers 1936 geplantem Ausscheiden jene des KWI für physikalische Chemie als mögliche Optionen eröffnet.88 Das Berliner Angebot war sehr verlockend. In einem Brief an Bonhoeffer schrieb Franck im Februar 1932, dass er sich nicht sicher sei, auf immer in Göttingen zu bleiben. Der Anlass des Schreibens waren Francks Schwierigkeiten, seine Schüler zur Habilitation zu bringen, im konkreten Fall Eugene Rabinowitch. Pohl würde Franck Schwierigkeiten machen, da Pohl selbst jemanden habilitieren wollte und Franck schon vier Habilitierte hatte. Franck wollte außerdem seinem eventuellen Nachfolger „kein Haus voll von Habilitierten hinterlassen“. Eine Alternative wäre gewesen, dass Rabinowitch in die physikalische Chemie wechselte, doch Eucken als Professor der physikalischen Chemie in Göttingen hatte seine eigenen Leute und „nebenbei paßt ihm auch die Konfession von Rabinowitsch [sic] nicht“.89 Hier deutet Franck antisemitische Vorurteile in seiner Kollegenschaft nur vorsichtig an.90 Doch die Stimmung in Göttingen mag auch ein Beweggrund gewesen sein, das Berliner Angebot, das ein Leben in einer liberaleren Stadt bedeutete, näher in Betracht zu ziehen. Der heftige Protest von 42 Göttinger Hochschullehrern nach Francks freiwilligem Verzicht auf seine Professur im April 1933 mit dem Vorwurf der „Sabotage“ der „nationalen Regierung“ machte nur öffentlich und offensichtlich, was vorher an unterschwelligen antisemitischen und nationalistischen Überzeugungen schon vorhanden war.91

Ein weiteres Indiz für den Antisemitismus an der Göttinger naturwissenschaftlichen Fakultät finden wir in einem Brief Ladenburgs an Haber vom Februar 1932. Pohl hatte einen Ruf nach Heidelberg bekommen, und als seinen Nachfolger wünschten sich Born und Franck Rudolf Ladenburg. Dieser machte sich aber wenig Hoffnung, denn die Schwierigkeiten, ihn „nach Göttingen zu berufen, seien sehr groß, da dann alle 3 Physiker jüdischer Abstammung

88 Beyerchen [1980/82] S. 40f.

89 Brief Franck an Bonhoeffer, 29. Februar 1932. MPG-Archiv, III, 23, 20,9. In einem Brief an Gerlach vom 23. Juni 1922 macht Eucken Zugeständnisse an den vorherrschenden Antisemitismus. Eucken fragt wegen einer geplanten Berufung von Professor Fraenkel nach Breslau an. „Es ist uns bekannt, dass er semitischer

Abstammung ist, was bei den stark antisemitischen Tendenzen gerade der Technischen Hochschüler immerhin etwas bedenklich ist. Falls aber seine Abstammung in seinem ganzen Wesen nicht sehr hervortritt, würden wir vielleicht doch in Erwägung ziehen, ihn mit auf die Liste zu setzen.“ SHQP 19,2, W. Gerlach, Corr. 1916–37.

90 Das Verhältnis zwischen Franck und Eucken ist aber als ein enges kollegiales zu beschreiben, das von fachlicher und menschlicher Wertschätzung geprägt war. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit der beiden zeigt sich zum Beispiel in zwei Vorträgen, die sie im Februar 1932 hielten. Franck referierte „Allgemeine Bemerkungen über den Übergang von Translationsenergie in Schwingungsenergie beim Zusammenstoß von Molekülen“, woran sich Euckens Referat „Der Übergang von Translationsenergie in Schwingungsenergie beim Zusammenstoß verschiedenartiger Moleküle auf Grund von Schalldispersionsmessungen“ anschloss. DPG-Archiv, 40019. Zur menschlichen Wertschätzung siehe den Briefwechsel in Papers of James Franck, Special Collections Research Center, University of Chicago Library.

wären.“ Dieses ’Problem‘ blieb der Fakultät erspart, denn Pohl lehnte den Ruf ab und Bothe ging statt ihm nach Heidelberg.92

Etwas verwirrend ist ein ministerieller Erlass vom August 1934: „Das Extraordinariat für Experimentalphysik (zuletzt besetzt mit Professor Franck) in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ist in ein Ordinariat umgewandelt worden. Die Mittel für die Umwandlung des Extraordinariats in ein Ordinariat sind durch den Staatshaushalt 1934 bereitgestellt worden.“93 Würde es stimmen, dass Franck ’nur‘ ein Extraordinariat inne hatte, wäre das Berliner Angebot noch eine Stufe attraktiver gewesen. Tatsächlich war aber Franck von Anfang an seit 1. April 1921 in Göttingen planmäßiger Ordinarius und Nachfolger von Woldemar Voigt.94

Die Entlassung von James Franck und Max Born wurden nicht sofort nach dem Inkrafttreten des Berufsbeamtengesetzes ausgesprochen. Beide wurden zuerst ’nur‘ beurlaubt, Franck bis Anfang 1934, Born bis Mitte 1935; Erst die Entlassungen ermöglichten der Fakultät die Wiederbesetzung der Lehrstühle. Die Neubesetzungen fielen in die Formierungsphase der NS-Herrschaft, in der ideologische Kämpfe und damit politische Kriterien bei der Vergabe von Universitätsstellen eine große Rolle spielten. Angegriffen war auch das Selbstrekrutierungsrecht der Universität, was zu einer Konfliktsituation zwischen dem neuen nationalsozialistischen Ministerium, das eine politische Veränderung in die Universität bringen wollte, und einer sich auf akademische Traditionen berufenden Fakultät führte. Die genaue Betrachtung der Auseinandersetzung um die Nachfolge Franck und Born erlaubt es, die wichtigen Kriterien der akademischen Tradition dieser Zeit zu erfassen. Die auf Göttinger Seite entscheidenden Akteure waren der Ordinarius der Experimentalphysik Robert Pohl, der damalige Dekan und Professor der angewandten Elektrizität, Max Reich,95 der Rektor Friedrich Neumann96, der Führer des NS-Dozentenbundes Werner Blume und der Kurator Justus Valentiner. Die These vom kollegialen Netz97 soll einen neuen Blick auf Besetzungsfragen eröffnen. Da anzunehmen ist, dass vor allem Robert Pohl die hier

91 Zu Francks Rücktritt und der folgenden „Kundgebung Göttinger Dozenten“ siehe Dahms [1987/98] S. 41f.

92 Brief von Ladenburg an Haber, 17. Februar 1932, zitiert nach Schlüpmann [http]. Auf der Heidelberger Berufungsliste standen hinter Pohl noch Bothe und Ladenburg. Als Quelle gibt Schlüpmann den Nachlass Haber im MPG-Archiv an.

93 Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (gez. Vahlen) an den Universitätskurator in Göttingen, 30. August 1934. UAG, Kur. PA Franck.

94 Siehe dazu das Ernennungsschreiben des Ministers an Franck, 15. November 1920. UAG, Kur. PA Franck.

95 Max Reich war vom WS 1932/33 bis zum WS 1936/37 Dekan der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. UAG, Rek. 2101a.

96 Friedrich Neumann war vom SS 1933 bis zum S 1937/38 Rektor der Universität Göttingen. UAG, Rek.

2101a.

diskutierten universitären Anträge in ihrem Inhalt geprägt hat, geben die Vorschläge der Fakultät auch Auskunft über das kollegiale Ordinariennetz des Göttinger Physikers Pohl. Auf der anderen Seite geben die Vorschläge des Ministeriums einen Hinweis auf das politische Kapital der von dort genannten Physiker. Die Verhandlungen wurden im Ministerium von dem Professor für organische Chemie, Franz Bachér,98 geführt. Für die Durchsetzung einer Erneuerung der Universität im nationalsozialistischen Sinn war vor allem die im Oktober 1933 ins Leben gerufene „Dozentenschaft“ beziehungsweise der im Juli 1935 gegründete NSDDB und der vom Ministerium eingesetzte und nicht mehr vom Senat gewählte Rektor zuständig. Es soll aber nicht übersehen werden, dass auch ein ’gleichgeschalteter‘ Rektor Teil eines kollegialen Netzes und daher nicht nur dem Ministerium verpflichtet war. Diese Vorannahmen sind vor allem ein heuristisches Hilfsmittel zum besseren Verständnis der Vorgänge.99

1.2.1 Die Besetzung des zweiten Lehrstuhls für Experimentalphysik

In der Bemühung, einen geeigneten Nachfolger für Franck zu finden, dachte die Fakultät zuerst an folgende drei Wissenschaftler: Walter Bothe, Helmuth Kulenkampff und Paul Scherrer. Der eindeutige Wunschkandidat war Walter Bothe aus Heidelberg.100 Großen Eindruck in Göttingen – und speziell bei Pohl – machten Bothes Versuche aus dem Jahr 1926, in denen er den elementaren Emissionsakt von einzelnen Lichtkorpuskeln nachweisen und somit die Grenzen des Wellenbildes aufzeigen konnte.101 Die Fakultät war so sehr auf ihn fixiert, dass sie im Fall seiner Ablehnung das Ordinariat gar nicht nachbesetzen und stattdessen zwei Extraordinariate schaffen wollte, die mit jüngeren Spezialisten für Kernphysik und Spektroskopie zu besetzen gewesen wären. Die Oberassistentenstelle wäre dann weggefallen.102 Die in diesem ersten Fakultätsvorschlag vom November 1934 angekündigten Konsequenzen für den Fall, dass Bothe nicht gewonnen werden konnte, waren wohl nicht ganz ernst gemeint. Bothe war im April 1934 Direktor des Instituts für Physik im

97 Siehe Abschnitt 0.3.

98 Franz Bachér war Schüler von Richard Stoermer, ab 1920 Assistent, 1925 Oberassistent, 1928 Privatdozent und 1933 außerordentlicher Professor in Rostock, von 1934–1945 ordentlicher Professor an der TH Berlin.

99 Eine kurze Diskussion der Nachfolge Born und Franck findet sich bei Rosenow [1987/98] S. 564ff., jedoch unter etwas anderem Blickwinkel. Dort sind leider einzelne Angaben fehlerhaft; auch die Quellenbelege sind nicht immer nachvollziehbar, z.B. gibt es keine Akte R, III, A, 1, 299e, auf der die Angaben zur Nachfolge Borns angeblich beruhen, und in der vorhandenen Akte Sek. III, A, 1, 299e befindet sich nicht das bei Rosenow Zitierte. Die Darstellung leidet auch darunter, dass Rosenow 1986/87 viele wichtige Personalakten auf Grund von Sperrfristen noch nicht zugänglich waren.

100 Zu Bothe siehe Maier-Leibnitz [1991]a.

101 Siehe die anerkennende Darstellung des Versuchs in Pohl [1940]a 2. u. 3. Aufl. 1941, S. 289.

Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg geworden. Obwohl Heidelberg mit Philipp Lenard am Physikinstitut ein politisch aufgeladener Ort war und Bothe die 1932 angetretene Nachfolge Lenards 1934 an den Lenard Schüler August Becker abgab, sagte Bothe Göttingen im November 1934 ab.103 Daraufhin schlug die Göttinger Fakultät entgegen ihrer ersten Ankündigung den vorher zweitgereihten Kulenkampff aus München vor. Hervorgehoben wurden seine Arbeiten zur Röntgen-Optik und zur Höhenstrahlung, außerdem sei „Kulenkampff auf atomphysikalischen Gebiet mit an erster Stelle marschiert.“104

Zwei weitere wesentliche Kriterien wurden vom Dekan hervorgehoben, die Kulenkampff erfüllen würde: Der zu berufende Physiker müsse unbedingt eine andere Arbeitsrichtung als Pohl haben und außerdem mit Pohl „die Gewähr guter persönlicher Zusammenarbeit“ bieten.

Es kam der Fakultät also nicht nur auf wissenschaftliche, sondern auch auf persönliche Qualifikationen der Bewerber an. Der von der Fakultät zuerst drittgenannte Scherrer hätte beide Forderungen vermutlich ebenfalls erfüllt, jedoch bekam er für sein Züricher Institut einen Erweiterungsbau bewilligt und stand damit Göttingen nicht mehr zur Verfügung. Es blieb also nur Kulenkampff übrig.

Eine weitere Qualifikation, die zwar nicht von der Fakultät, dafür aber vom Ministerium vom Bewerber eingefordert wurde, betraf dessen politische Haltung. Die Fakultät machte in ihren Berufungsvorschlägen kein Hehl daraus, dass sie von einer rein politischen Berufung wenig hielt. Falls das Ministerium nämlich einen in der Partei aktiven „Herrn“ berufen wolle, so solle trotzdem Kulenkampff das Ordinariat bekommen und nur die Oberassistentenstelle dem Parteitreuen übertragen werden.105 Dass hier von einem „Herrn“ statt von einem Fachvertreter gesprochen wurde, ist auch ein Hinweis auf die distanzierte Haltung der Fakultät gegenüber einer solchen Besetzung.

Der favorisierte Kulenkampff erfuhr von der NS-Dozentenschaft eine klare Abfuhr aus politischen Gründen. Kulenkampff sei untragbar. Er galt selbst Ende 1934 noch als eine

„demokratisch eingestellte Natur“. Hinzu kam noch, dass er in München als engster Mitarbeiter Zennecks in ein ’ungünstiges‘ Netz eingebunden war, denn „das ganze Institut Zenneck scheint sich auch heute noch einer geschlossenen Ablehnung dem

102 Dekan Reich an Rektor Neumann, 1. November 1934. UAG, Rek. 3206b.

103 Breger [1985/86] S. 43; Beyerchen [1980] S. 141. Laut Brix & Putlitz [1986] S. 67 machte man Bothe nach 1933 das Leben an der Universität unerträglich.

104 Schreiben Dekan Reich an Ministerium, 10. November 1934. Zwei Tage davor hatte Bothe abgesagt. UAG, Rek. 3206b.

Nationalsozialismus gegenüber zu befleißigen.“106 Von der Dozentenschaft ins Spiel gebracht wurden Walther Kossel (Danzig) und Georg Joos (Jena), über die das Ministerium ein Fakultätsurteil wünschte.107 Die Nennung dieser beiden Kandidaten erscheint in politischer Hinsicht ein wenig widersprüchlich, denn beide arbeiteten früher wie Kulenkampff in Zennecks Institut. Man begibt sich auf die falsche Fährte, wenn man der politischen Klassifizierung der Dozentenschaft zu viel Glauben schenkt. Das pauschale Urteil über das Zenneck‘sche Institut erscheint unangebracht. Der dort bis 1924 tätige Assistent Georg Joos war schon 1922/23 NSDAP Mitglied geworden. Joos änderte seine politische Haltung in der Zeit der Weimarer Republik und trat 1929 der Deutschen Volkspartei bei, deren Mitglied er bis 1932 blieb.108 Nach dem Machtwechsel 1933 trat er bis 1935 folgenden angeschlossenen Verbänden und Gliederungen der NSDAP bei: NSFB (Frontkämpferbund), Luftsportverband Fliegerortsgruppe Jena, NSV (Volkswohlfahrt), Reichsbund der Kinderreichen, Reichsverband deutscher Offiziere, NSLB (Lehrerbund).109 Am 1. April 1933 trat er dem Stahlhelm bei, der ein republikfeindlicher Veteranenverband der Frontkämpfer war und in Konkurrenz zur SA stand. Dieser Beitritt wurde ihm in politischen Gutachten negativ angelastet.110 In dieser Hinsicht ist die Unterstützung, die er durch die Dozentenschaft genoss, seltsam. Die politischen Koordinaten, die sich aus Joos’ Mitgliedschaften ergeben, weisen ihn als Nationalkonservativen aus, der nicht alle Aspekte des Nationalsozialismus unterstützte. In einer neueren Arbeit von Rüdiger Stutz und Oliver Lemuth wird Joos sehr überzeugend als staatstreuer und besonders pflichtbewusster Physiker mit militärischer Sozialisation beschrieben, der sich vor allem für berufsständische Interessen einsetzte.111

Bei Kossel erweist sich das politisches Kapital ähnlich. Positiv im Sinne der Dozentenschaft wog, dass er Doktorand von Lenard war und somit aus einer Schule kam, die später das Etikett „Deutsche Physik“ bekam. Kossel war zwar kein Vertreter der „Deutschen Physik“,

105 Schreiben des Dekans Reich ans Ministerium, 30. November 1934. UAG, Rek. 3206b.

106 Schreiben Blume vom NS-Dozentenbund an Rektor, 5. Dezember 1934. UAG, Rek. 3206b.

107 Laut Aktennotiz war dies der Inhalt eines Telefongesprächs von 10. Dezember 1934 zwischen dem Rektor Neumann und Prof. Bachér aus dem Ministerium. UAG, Rek. 3206b.

108 Siehe zur NSDAP Mitgliedschaft den von Joos handschriftlich ausgefüllten Fragebogen aus dem Jahr 1935 in UAG, Kur. PA Joos. Zur Mitgliedschaft in der Deutschen Volkspartei siehe BAB, R 21/10009.

109 Aus Personalblatt, etwa 1935. UAJ, D, 1319, PA Joos. In einem Schreiben an den Kurator, 14. November 1938, gab Joos an, seit 1933 im NSFK (Fliegerkorps) Mitglied gewesen zu sein. UAG, Kur. PA Joos. Jedoch wurde das NSFK erst am 17. April 1937 gegründet. Krammer & Bartsch [1992/99] S. 171f.; Overesch & Saal [1982/91] S. 352.

110 In einer politischen Beurteilung durch die NSDAP Ortsgruppe Göttingen vom 31. Juli 1940 heißt es: Die politische Zuverlässigkeit werde zwar bejaht, aber „daß der Vg. ausgerechnet am 1.4.1933 noch dem Stahlhelm beitrat, ist bei einem Mann von dem Bildungsgrad doch recht beachtlich!“ BAB, Akte Ingenieure, Joos.

leugnete aber nicht seine wissenschaftliche Herkunft. In einer Würdigung von Lenards Verdiensten anlässlich des 80. Geburtstags, publiziert im Mai 1942, bezeichnete es Kossel als Glück, in Lenards Institut gearbeitet zu haben. Er würdigte Lenards Arbeiten aus der Zeit um die Jahrhundertwende, ging aber mit keinem Wort auf Lenards Nähe zum Nationalsozialismus oder die Entwicklung der „Deutschen Physik“ ein.112 Kossel hielt auf diese Weise politische Distanz und sicherte sich durch die alleinige Würdigung der in der Fachwelt anerkannten Leistungen Lenards seine eigene wissenschaftliche Anerkennung innerhalb des Kollegenkreises. Er schaffte es, zu so gegensätzlichen Physikern wie Lenard und Laue gute Beziehungen zu behalten. Es lässt sich also schließen, dass sowohl Kossel wie auch Joos 1933/34 nicht als eindeutige Nationalsozialisten gelten konnten, ungeachtet der Unmöglichkeit, den Begriff „eindeutiger Nationalsozialist“ klar zu definieren.

Da die Fakultät das geforderte Urteil über Joos und Kossel verweigerte und sich über die politische Haltung der Kandidaten verschlossen hielt, wurde nun der Göttinger Rektor aktiv und erkundigte sich persönlich bei seinem Danziger Amtsgenossen über Kossel. Das Urteil des Rektors der TH Danzig, Pohlhausen, fiel ambivalent aus. Er äußerte sich kritisch zu Kossels Qualitäten als Wissenschaftler. Kossel trüge zwar einen guten Namen, ob er allerdings auch an einem großen Experimentalphysik Institut ganz am Platze wäre, stand für Pohlhausen nicht fest. Die Seminarteilnehmer klagten über Kossel, dass er über die neuesten Fortschritte in der Physik nicht auf dem Laufenden sei. Pohlhausen bekam von Kollegen auch die Auskunft, dass eine „nochmalige Berufung etwas unverdient sei“. Positiv bewertete er, dass Kossel sich als Rektor in Kiel „sehr brav gegen links geschlagen“ habe.

„Deutschnational im guten Sinne, nie Soldat gewesen, kein Pg., aber durchaus Verständnis für die nat.soz. Auffassungen.“ In politischer und kollegialer Hinsicht erschien Kossel dem Danziger Rektor nicht hundertprozentig verlässlich. Die Frage, ob es eine gedeihliche Zusammenarbeit mit anderen Kollegen geben könne, quittierte er mit: „ja?“113 Also auch Kossels politisches Kapital war mit Makel versehen. Als Deutschnationaler genoss er nur eingeschränktes Vertrauen bei den Nationalsozialisten.

Eine Woche nach der ministeriellen Anfrage zu Kossel und Joos berichtete der Göttinger Dekan dem Rektor über eine Unterredung mit Pohl. Die Namen Kossel und Joos werden

111 Siehe Lemuth & Stutz [2003]. Zu Joos Haltung siehe auch die geglättete Nachkriegsdarstellung seines Kollegen Meißner [1954]. Allgemeine Überlegungen zu Klassifizierungen von Naturwissenschaftlern in der Zeit von 1900 bis 1933 liefert Harwood [1993].

112 Kossel [1942].

113 Rektor der TH Danzig, Pohlhausen, an den Göttinger Rektor Neumann, 14. Dezember 1934. UAG, Rek. 3206b.

darin gar nicht erwähnt, stattdessen betont, dass sich die Unterrichtspflichten bis dahin beide Direktoren der I. und II. Physik geteilt haben. „Eine erfolgreiche Zusammenarbeit erfordert, daß sich die beiden Direktoren harmonisch ergänzen.“ Tatsächlich empfanden manche Physiker damals die Göttinger Zweiteilung der Experimentalphysiklehrstühle als eine problematische Struktur. Im Rückblick schrieb Joos hierüber aus eigener Erfahrung: „Ich muss gestehen, dass die Göttinger Einrichtung sehr viel Takt und diplomatisches Geschick erfordert, da es auf Schritt und Tritt Reibungsflächen gibt.“114 Pohl nannte es das

„zweischläfrige Bett der beiden […] in einem Haus vereinigten Göttinger Institute“.115 Daher ist es nur verständlich, dass sich Pohl seinen neuen Kollegen im Hinblick auf ein harmonisches Arbeitsklima aussuchen wollte. Bei anders vorgenommener Besetzung müsste laut Pohl auf einen Zustand von vor 1920 zurückgegriffen werden, der beiden Direktoren die Möglichkeit geschaffen hätte, „ihren Schülerkreis getrennt nach ihren Methoden heranzubilden“. Pohl wollte sich also bei einer drohenden ’politischen‘ Berufung seine Unabhängigkeit und Freiräume sichern.116

Mit dieser Stellungnahme der Fakultät ausgestattet wendete sich der Rektor ans Ministerium und äußerte darin eine eigenständige, vom Dekan abweichende Auffassung. Bei einer hypothetischen Berufung von Bothe hätte man den bisherigen Zustand beibehalten können.

Man hätte von einem einzigen Institut sprechen können, deren zwei Direktoren ihre Tätigkeit derart aufeinander abgestimmt hätten, dass ihre Arbeitsweisen die Einheit des Instituts gewahrt hätten. Selbstverständlich hätten die beiden Institute wieder verselbstständigt werden können. „Ich darf selbst in Übereinstimmung mit dem Herrn Dekan dabei hervorheben, daß bei einer stärkeren Trennung der Institute Hochschullehrer für diese Professur erwünscht sein können, die eine Brücke zur theoretischen Physik hinschlagen, wie dies bei den Professoren Kossel und Joos der Fall ist.“ Während sich Pohl zu den beiden gar nicht äußern wollte – sie erschienen ihm „aus verschiedenen Gründen für Göttingen nicht tragbar“117 –, gab der Rektor mit Rückendeckung des Dekans eine positive Stellungnahme zu ihnen ab. Trotzdem erbat der Rektor vom Ministerium, es solle noch weitere Namen zur Begutachtung in Vorschlag bringen. Die Fronten verliefen nicht nur zwischen Ministerium und Universität, sondern auch

114 Joos an den Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg, Niemeier, 3. Juli 1941.

BACZ, 22768.

115 Zitiert nach Joos [1954] S. 339.

116 Dekan Reich an Rektor, 18. Dezember 1934. UAG, Rek. 3206b.

117 So berichtete Rektor Neumann an den Minister, 8. Februar 1935. UAG, Rek. 3206b.

innerhalb der Universität und, wie es scheint, sogar zwischen den ’dagebliebenen‘

innerhalb der Universität und, wie es scheint, sogar zwischen den ’dagebliebenen‘