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Institutionelle und personelle Ausgangssituation

1 Der Lehrkörper – eine kollegiale Gemeinschaft

1.1 Institutionelle und personelle Ausgangssituation

Die Neuordnung der Physikinstitute und -lehrstühle geschah in den Jahren 1920/21 mit der Neubesetzung des Extraordinariats für angewandte Elektrizität und der beiden Ordinariate für Experimentalphysik und mathematische Physik. Mit Wirkung vom 1. April 1921 wurden auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik James Franck und auf jenen für mathematische Physik Max Born berufen. Die außerordentliche Professur für angewandte Elektrizität erhielt im Oktober 1920 Max Reich, der bei dieser Gelegenheit zum persönlichen Ordinarius ernannt wurde. Gleichzeitig wurde die außerordentliche Professur für Experimentalphysik, die seit 1916 mit Robert Wichard Pohl besetzt war, zu einem planmäßigen Ordinariat aufgewertet.69 Diese vier Abteilungen der Göttinger Physik bekamen 1922 neue Institutsnamen:70

abzulesen sind (S. 95). Nicht nur für Gießen, sondern auch für Göttingen dürfte zutreffen, dass über einem stabilen Sockel der Ordinarien sich ein in den zwanziger Jahren stetig wachsender Überbau von Nichtordinarien ausbreitete, der als Folge der NS-Wissenschaftspolitik wieder zusammenschrumpfte.

69 Diese hier verkürzt und vereinfacht dargestellten Verhältnisse in der Abfolge der Lehrstuhlinhaber waren in Wirklichkeit etwas verwickelter. Dies fürhte dazu, dass sie in der Literatur teilweise so dargestellt sind, als wurde um 1920 mit Tricks ein neuer Lehrstuhl geschaffen. Am ausgeschmücktesten findet sich diese Darstellung bei Jungk [1956/90] S. 37. Den Ursprung dieses Mythos lieferte Born in dem kommentierten

 Erstes Physikalisches Institut (Pohl)

 Zweites Physikalisches Institut (Franck)

 Institut für theoretische Physik (Born)

 Institut für angewandte Elektrizität (Reich)

Dieser Zustand blieb auch personell bis 1933 erhalten. Mit den Neubesetzungen von 1920/21 wurde der Grundstein für eine ungemein fruchtbare Atmosphäre der physikalischen Forschung in Göttingen gelegt. Viele spätere Nobelpreisträger erhielten hier ihre Ausbildung.

Die Weiterentwicklung der modernen Physik bekam entscheidende Impulse aus Göttingen, besonders in der Quantenmechanik. Der Höhepunkt dieser fruchtbaren Zeit war mit Beginn der dreißiger Jahre bereits überschritten.71

Neben den bereits genannten Instituten existierte räumlich getrennt noch das von Ludwig Prandtl geleitete Institut für angewandte Mechanik.72 Auch Prandtls Stellung wurde 1920 angehoben, als er in Abwehr eines Rufs nach München vom persönlichen zum planmäßigen Ordinarius ernannt wurde. Allein die Betrachtung der Professuren zeigt, dass der Status der Göttinger Physik ab 1920 ein höherer war. Das etatmäßige Verhältnis von Ordinarien zu Extraordinarien war vor 1920 eins zu vier und danach vier zu eins. – Von den der Physik fachlich nahestehenden Instituten und Professoren sei noch das Institut für physikalische Chemie mit Arnold Eucken erwähnt. 1930 kam Eucken als Nachfolger Tammanns nach Göttingen und gewann großen Einfluss innerhalb der Fakultät, besonders nach 1945. Er arbeitet mit manchen Göttinger Physikern auch auf der inhaltlichen Ebene eng zusammen.

Briefwechsel mit Einstein, Born [1969] S. 47-50, und in seiner Autobiografie, Born [1975] S. 274ff. Born zufolge ging das Ministerium davon aus, ein Ordinariat nicht nachbesetzen zu müssen. Born wies den Ministerialbeamten Wende nach Einsicht in die Etatplanungen des Ministeriums auf diesen Irrtum hin und konnte so die Nachbesetzung dieses Lehrstuhls erreichen und außerdem durchsetzen, dass diesen sein Freund James Franck erhielt Lemmerich [1982] S. 51 folgt dieser Darstellung. Bei Rosenow [1987/98] S. 552 ist allerdings von einem „Buchungsfehler“ und der Einrichtung eines neuen Lehrstuhls die Rede. Hund [1987]

S. 56-64 geht auf die Datails der Lehrstuhlfolge nicht näher ein. Dies holte kürzlich Dahms [2002] nach, der Borns aus der Erinnerung geschriebene Darstellung mit der Quellenlage abglich. Im Jahr 1914 wurde für einen jungen Theoretiker ein neues Extraordinariat geschaffen, das mit Debye besetzt wurde. Nach dem Tod des einzigen planmäßigen Physikordinarius Riecke bekam Debye dieses Ordinariat, und als Nachfolger von Riecke wurde Pohl berufen, der Debyes Extraordinariat bekam. Nach dem Weggang Debyes nach Zürich 1920 und dem Tod Voigts 1919, mussten diese beiden Lehrstühle neu besetzt werden. Dahms erwähnt nicht, dass Voigt ein persönliches Ordinariat besaß, das im Etat wie ein Extraordinariat behandelt wurde. Born erreichte nun in den Verhandlungen mit dem Ministerium, dass Voigts Lehrstuhl in ein planmäßiges Ordinariat umgewandelt und mit Franck besetzt wurde und außerdem, dass Pohl zunächst am 17. Juli 1920 zum persönlichen ordentlichen Professor ernannt und schließlich am 23. Dezember 1920 sein Extraordinariat ebenfalls auf ein planmäßiges Ordinariat höhergestuft wurde. UAG, Kur. PA Pohl. – Max Reich wurde am 18. Mai 1920 zum

außerordentlichen Professor ernannt. Am 1. Oktober 1920 wurde er Simons Nachfolger als Direktor des Instituts für angewandte Elektrizität, bekam dessen Extraordinariat und wurde zum persönlichen ordentlichen Professor ernannt. UAG, Kur. PA Reich.

70 Der Minister genehmigte im Mai 1922 die Neubenennung. UAG, Sek. 335.58.

71 Aus der Vielzahl an Literatur zur Göttinger Physik der Weimarer Zeit sei genannt: Hund [1969], [1982] und [1987]; Born [1975] bes. S. 288-325; Jordan [1975]; Meyenn & Hermann [1976]; Lemmerich [1982].

72 Auf die Geschichte dieses Instituts wird im letzten Kapitel ausführlich eingegangen.

Seine Schüler berichten, dass er sich selbst in erster Linie als Physiker fühlte.73 Diese Nähe zur Physik ist auch dadurch gekennzeichnet, dass er seinen Grundriß der physikalischen Chemie ab der dritten Auflage Lehrbuch der chemischen Physik nannte.74

Das folgende Diagramm 1 liefert eine bequeme Übersicht über die Besetzungsverhältnisse der Institutsstellen und soll die Zuordnung der zahlreichen Namen von Göttinger Physikern, erleichtern die in dieser Arbeit besprochen werden. Zusätzlich zeigt es nicht nur die unterschiedlich große Ausstattung der einzelnen Institute mit Assistentenstellen, sondern auch die verschieden lange Verweildauer der Assistenten auf ihren Stellen. Dies hing auch mit eventuellen Wechseln in der Institutsleitung zusammen. Auch wenn die meisten der im Diagramm aufgeführten Assistenten später zu Professoren aufstiegen, so waren sie in Göttingen nicht unbedingt Mitglieder des Lehrkörpers. Einen Überblick über die an der Lehre beteiligten Physiker und die Dauer ihrer Lehrtätigkeit in Göttingen geben Diagramm 2 und Diagramm 3.

73 Wicke [1984] S. 26.

74 Eucken [1922] und [1932].

Zeitskala 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Dir F Georg Joos Hans Kopfermann

Oberass Sponer Wilhelm Hanle Hellw. Walcher Wolfgang Paul

pl Ass Günther Cario Eugen Saur Walcher Fritz G. Houtermans Friedb.

apl Ass Kroebel Hellw. Ko Friedrich Spitzer

Dir B Richard Becker

Elektrizität pl Ass Herbert Ruprecht ? Hans Severin

Dir Erwin Meyer

III.

Physikalisches

Institut Oberass Hans König Ta

pl Ass Ho Fü Hahnk. Karl Stellmacher A. Schoch Ta Es

pl Ass Heinrich Gockel Karl Werner Exner

Institut für angewandte

Mechanik Dir P Max Schuler

Zeitskala 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Diagramm 1 Besetzung der Stellen an den Göttinger Physikinstituten 1933–1952.

Stellenbezeichnungen: Dir: Direktor, Oberass: Oberassistent, pl Ass: planmäßiger Assistent, apl Ass:

außerplanmäßiger Assistent. Die nähere Spezifizierung der Assistentenstellen gilt nur für die dreißiger Jahre.

Unbesetzte Stellen sind durch einen diagonalen Balken gekennzeichnet, im Etat nicht eingerichtete Stellen durch gekreuzte Balken. Namensabkürzungen: : Max Born, F: James Franck, P: Ludwig Prandtl, Aß: Fritz Aßmus, Ba: Gerhard Bauer, Dö: Werner Döring, Es: Rolf Esche, Fl: Rudolf Fleischmann, Friedb.: Helmut Friedburg, Fü: Wilhelm Flügge, Hahnk.: Erich Hahnkamm, He: Walter Heitler, Hellw.: Karl-Heinz Hellwege, Hi: Arthur von Hippel, Ho: Kurt Hohenemser, Ht: Karl Hecht, Ko: R. Koops, Kr: Hans Kraft, Ku: Heinrich Kuhn, No:

Lothar Nordheim, Sa: Eugen Saur, Sd: Heinz Schild, St: Helmut Steinwedel, Sti: Ulrich Stille, Ta: Konrad Tamm, Te: Joachim Teltow. Quelle: Vorlesungsverzeichnis der Universität Göttingen und Institutsakten im UAG.

32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Born (oP)  Cambridge  Indien  Edinburgh / Schottland

Heitler (D) Bristol / England  Dublin / Irland  Zürich / Schweiz

Diagramm 2 Übersicht über die an der Lehre der experimentellen und theoretischen Physik beteiligten Dozenten 1932–1954. Abkürzungen: Dän.:

Dänemark, emer.: emeritiert, H.: Heidelberg, Nachf.: Nachfolger, NL: Niederlande, M.: München, Tü.: Türkei, (aoP): außerordentlicher Professor, (apP): außerplanmäßiger Professor, (D): Dozent, (HP): Honorarprofessor, (HvV): mit dem Halten von Vorlesungen beauftragt, (oP): ordentlicher Professor, (V): mit der Vertretung eines Lehrstuhls beauftragt. *: Döring beteiligte sich ab WS 1938/39 an der Vorlesungstätigkeit seines Lehrers Becker, durfte aber im Vorlesungsverzeichnis nicht namentlich genannt werden.

32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Reich (oP) Tod

Prandtl (oP) emer. (Nachf. Tollmien)

Schuler (aoP) (apP) (aoP) emer.

Betz (aoP) (oPiR) (apP)

Prager (D)  oP Istanbul / Türkei  Providence / U.S.A.

Kyropoulos (D)  Pasadena / U.S.A.

Hoh.  Fieseler  Flettner / Berlin Antr. Ass-Stelle  McDonnell Aircraft, St. Louis / U.S.A.

W. Flügge (D)  DVL / Berlin  Wasserburg  Paris  Stanford / U.S.A.

Gerdien (HvV)  Siemens

Toll.  oP TH Dresden  RAE Tollmien (oP)

Glaser (HvV)

Schultz -Grunow (D)  oP TH Aachen

Görtler (D)  aoP Freiburg oP Freiburg

Zahn (aoP) emer.

Oswatitsch (D)  RAE  D Freiburg  D Stockholm / Schweden

Wieghardt (D)  Teddington / England  D Hamburg (apP) Meyer (oP)

Schoch  D Heidelberg  Genf / CH

König (D) (apP)  oP TH Darmstadt

Schäfer (D) Severin* (D)

Tamm (D)

Diagramm 3 Übersicht über die an der Lehre der angewandten Physik beteiligten Dozenten 1932–1954. Abkürzungen: Hoh.: Hohenemser, CH: Schweiz, DVL.: Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, emer.: emeritiert, Nachf.: Nachfolger, RAE: Royal Aircraft Establishment, Farnborough, (aoP): außerordentlicher Professor, (apP):

außerplanmäßiger Professor, (D): Dozent, (HP): Honorarprofessor, (HvV): mit dem Halten von Vorlesungen beauftragt, (oP): ordentlicher Professor, (oPiR): ordentlicher Professor im Reichsdienst, *: Severin hielt unter Meyers Namen Spezialvorlesungen zur Höchstfrequenztechnik.

Wie Diagramm 2 zeigt, gab es 1933 in der experimentellen und theoretischen Physik einen radikalen Austausch des Lehrpersonals.75 Auf der Ordinarienebene blieb nur Pohl der Göttinger Physik erhalten. Er übernahm anfangs auch vertretungsweise die Leitung der beiden verwaisten Institute und sicherte somit ein Mindestmaß an Kontinuität. Dabei gewann er auch an lokaler Entscheidungsbefugnis, welche er unter anderem dazu ausnutzte, sich gegen den weiteren Verbleib der „arischen“ Oberassistentin am II. Physikalischen Institut, Hertha Sponer, auszusprechen. Der Kurator notierte im Dezember 1933: „Pohl ist dagegen, daß Frauen in die akademische Laufbahn eintreten, und glaubt daher, den jetzigen Zeitpunkt benutzen zu müssen.“76 Sponer verließ noch 1933 Deutschland.

1.1.1 Die Allmacht Pohls

Pohl besaß nicht nur in Göttingen großen Einfluss auf die Personalentscheidungen, sondern in der gesamten deutschen akademischen Welt der Physiker. Gegen Ende seines Lebens waren von den über 60 bei ihm promovierten Physikern 11 in Deutschland Ordinarien, weitere 6 erhielten Professuren im Ausland.77 Der Pohl-Schüler Heinz Pick formulierte es im Rückblick überspitzt: Es gab den Pohl‘schen Verein, der einen gewissen Bereich in Deutschland mit Nachwuchs versorgte, und es gab den Münchner Verein, der den anderen Teil übernahm. Das war den Physikern damals „ganz klar“.78 In Pohls Institut war die aktuelle Politik kein Diskussionsthema; auch in den Umbruchszeiten 1933 und 1945 nicht. Die in seinem Institut forschende Gastwissenschaftlerin aus Wien, Marietta Blau, schrieb im Februar 1933: „Von den politischen Verhältnissen merkt man hier gar nichts, da im Institut prinzipiell nicht über Politik gesprochen werden darf.“79 Pohl war auch bekannt für seinen betont autoritären Stil in der Institutsleitung, der aber gegen Ende seiner Professorenzeit milder wurde. Sein Auftreten war nicht frei von Eitelkeit. Beispielsweise konnte in der Nachkriegszeit das physikalische Kolloquium, das durch die daran teilnehmenden Größen des Faches eine große Anziehungskraft hatte, nicht in Pohls großem Hörsaal stattfinden, da dieser für seine nächste Vorlesung vorbereitet werden musste. So fand das Kolloquium in Kopfermanns kleinem Hörsaal statt, wo es manchmal schwer war, noch einen Platz als Zuhörer zu finden. Wenn jedoch Pohls eigene Schüler vortrugen, stellte er seinen Hörsaal zur Verfügung. Von seinen

75 Dieser wird eingehend behandelt von Rosenow [1987/98]. Dort werden auch die Emigrationswege der einzelnen Vertriebenen beschrieben.

76 Notiz des Kurators vom 18. Dezember 1933, zitiert nach Rosenow [1987/98] S. 561f.

77 Minnigerode [1976] S. 142.

78 Interview mit Pick, 2. Oktober 1981. NBL.

Schülern wurde er hoch verehrt: Sie nannten ihn „den lieben Gott“.80 Von Maier-Leibnitz wurde er „ein Patriarch der Physik“ genannt.81 Seine Macht äußerte sich nicht nur in den erfolgreichen Karrieren seiner Schüler, sondern zum Beispiel auch darin, dass er über ein Radfahrverbot am Institutsgelände und ein Rauchverbot in den Fakultätssitzungen bestimmen konnte.82 Seine Kollegen wussten um seinen Einfluss und nutzten ihn auch aus, sofern sie ein gutes Verhältnis zu Pohl hatten. „Hatte einer Ambitionen auf eine Hochschullaufbahn, war es notwendig, sich Pohls wohlwollender Unterstützung zu versichern.“83 Neben der wissenschaftlichen Befähigung benötigte man auch einen Förderer in einflussreicher Position, der unter der Hand bei Berufungsvorgängen die Fäden spann. Es ist jedoch eher ein Zufall, wenn derartige verdeckte Handlungen in der Personalpolitik aktenkundig geworden sind. Ein solches Beispiel aus dem Jahre 1933 soll illustrieren, auf welche Weise Pohl agierte.

Im Februar 1933 versuchte Pohl die Interessen zweier seiner engeren Kollegen gleichzeitig zu bedienen, da sie sich gut zu ergänzen schienen. Er schrieb an seinen ehemaligen Assistenten und Freund, Bernhard Gudden, der bereits selbst zum Ordinarius an der Universität Erlangen aufgestiegen war, um ihm eine Personalrocharde vorzuschlagen. Gudden erbat sich nämlich von Pohl Unterstützung, seine Assistenten irgendwo unterzubringen, und nun bot sich eine Chance. Pohls Göttinger Kollege Max Reich hatte für seine Assistentenstelle zwei jüngere Wissenschaftler, die er abwechselnd benutzte.84 Einer von ihnen, Stierstadt, suchte nun eine andere Stelle und hatte sogar zwei Angebote; das eine war eine Oberassistentenstelle an einer technischen Hochschule und das andere eine wissenschaftliche Hilfsarbeiterstelle beim Reichspostzentralamt. Die erste wollte er nicht annehmen, da er lieber an eine Universität statt an eine TH ginge, und die zweite nicht, weil dies zu sehr nach Protektion aussähe, da sein Schwiegervater der Präsident des Reichspostzentralamtes war. In dieser Situation bot

79 Blau an Stefan Meyer, 8. Februar 1933, zitiert nach Rosner & Strohmaier (Hrsg.) [2003] S. 37.

80 Siehe die Interviews mit Heinz Pick, 2. Oktober 1981 und mit Fritz Lüty, 4. April 1982. NBL. Bestätigung erbrachte auch mein Interview mit Hans König. Eine Physikstudentin der Nachkriegszeit, die hier anonym bleiben möchte, nannte in einem Gespräch Pohl einen „Despot“. Joos meinte, Pohl besaß eine „fast angeborene menschliche Autorität.“ Joos [1954] S. 339.

81 Siehe Maier-Leibnitz [1974].

82 Über das Radfahrverbot berichtete Hans König in einem Interview vom 10. Februar 2001. Tollmien brach das Rauchverbot in den Fakultätssitzungen nach Pohls Emeritierung und wurde von seinen Kollegen zurecht gewiesen. Er verteidigte sich: „Der Vorgang war vielmehr der, daß vor einiger Zeit das damalige Mitglied unserer Fakultät, Professor Pohl, in brüsker Manier das Verlangen auf Einstellung des Rauchens vorbrachte.

Dabei verbat er sich ausdrücklich jede Diskussion über sein Anliegen. Die Raucher unter den

Fakultätsmitgliedern unterließen daraufhin die beanstandete Betätigung.“ Tollmien an Dekan Bartels, 3. August 1953. GPAMNFG, Lehrkörper (ausgeschieden), Tollmien.

83 Achilles [1977] S. 159.

84 Vom 1. April 1929 an war Otto Stierstadt planmäßiger Assistent am Institut für angewandte Elektrizität. Von Oktober 1931 bis September 1932 war er Research Fellow der Rockefeller-Foundation in Pasadena, Californien.

sich also ein Tausch an. Pohl schlug vor, dass Gudden seinen eigenen Assistenten ins Reichspostzentralamt gebe und dafür Stierstadt als Assistenten übernehme. Für die Qualitäten Stierstadts könne Pohl allerdings keine Verantwortung übernehmen, da dieser „nicht aus meinem Laden hervorgegangen ist“ und er ihn persönlich nicht genau kenne. „Ich bin ja in der ganzen Angelegenheit vollständig desinteressiert. Betrachten Sie mich nur als Makler, dem Sie evtl. ganz kurz auf einer Postkarte ein Nein schreiben können.“85

Dieser letzte Satz zeigt ganz eindrucksvoll, wie die Verbindungen innerhalb des kollegialen Netzes wirkten. Selbst wenn Reich und Gudden keine direkte engere Berührung hatten, so wurden sie über den Makler Pohl in die Lage versetzt, ihren Nachwuchs zu protegieren.86 Dass Pohl bei jenen Nachwuchswissenschaftlern, die aus seinem eigenen „Laden“

hervorgingen, effektiver vorgehen konnte, legt der geschilderte Vorgang nahe; ein paar Beispiele sind bei Eckert und Schubert nachzulesen.87 Dass diese geplante Rochade gerade in der politisch heißen Zeit Anfang 1933 zur Debatte stand, ist bloß ein Zufall und hat in diesem Fall nichts mit dem politischen Machtwechsel und den neuen Gesetzen zu tun. Wie der nächste Abschnitt zeigt, wirkten sich die neue Gesetzeslage in Göttingen gerade in der Physik besonders stark aus. In einzelnen Fällen hätte aber der Weggang eines Dozenten auch ohne die gesetzlich legitimierte Vertreibung erfolgen können.