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Der Krankheitskomplex der Hörminderung und Taubheit gewinnt in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Wie in Abbildung 4 dargestellt, lassen sich dabei Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeiten in Abhängigkeit von der Lokalisation der Störung unterscheiden. Im Falle der Schallleitungsschwerhörigkeit handelt es sich um eine konduktive Hörstörung, deren Ursache im Außen- oder Mittelohr zu finden ist. Die Ursache der Schallempfindungsschwerhörigkeit (sensorineuraler Hörverlust) ist dahingegen cochleär oder retrocochleär bedingt, wobei die Sinneszellen selbst (sensorisch), der Hörnerv (neural) oder das Zentrale Nervensystem (zentral) betroffen sein können (HOTH u. LENARZ 1994).

Abb. 4: Übersicht über die Klassifizierung von Hörminderungen

Bei einer konduktiven Hörstörung wird weniger Schallenergie über die Gehörknöchelchen-kette auf die Cochlea mit ihren Sinneszellen übertragen. Es kommt zu einer Dämpfung des wirksamen Schalldrucks und damit zu einer Verschlechterung des Hörvermögens bei intaktem Innenohr. Ursächlich kommt für die Schallleitungsschwerhörigkeit eine Versteifung, Dämpfung oder Blockierung des konduktiven Systems in Frage, so dass beispielsweise eine übermäßige Ansammlung von Cerumen, Fremdkörper oder Gewebsproliferationen im äußeren Gehörgang die Schallwellen daran hindern können, das Trommelfell zu erreichen.

Trommelfellrupturen, Mittelohrentzündungen, Tumoren, Otosklerose oder bei der Katze besonders häufig auftretende Mittelohrpolypen können ebenfalls zu einem konduktiven Hörverlust führen (VENKER-VAN HAAGEN 2006).

Hirnstamm, Cortex

Desweiteren soll auf den sensorineuralen Hörverlust genauer eingegangen werden, da sich die vorliegende Arbeit mit Nanopartikeln als Drug-Delivery-System ins Innenohr beschäftigt, was einen therapeutischen Einsatz bei Schallempfindungsschwerhörigkeit ermöglichen könnte.

3.2.2 Pathophysiologie sensorineuralen Hörverlustes

Bei den retrocochleären Schallempfindungsschwerhörigkeiten können sowohl Schädigungen am Hörnerven als auch des Zentralen Nervensystems zu Hörminderung und Taubheit führen.

Ursächlich kommen hier vor allem Tumoren in diesem Bereich wie Akustikusneurinome in Betracht, aber auch Traumata, entzündliche Veränderungen (Meningitis) oder Hydrocephalus, wie es auch für Hunde und Katzen mehrfach nachgewiesen wurde (STEISS et al. 1994).

Die häufigste Form der Schwerhörigkeit beim Menschen stellt jedoch die Innenohr-schwerhörigkeit, also der sensorische Hörverlust dar, der durch eine irreversible Schädigung der Haarzellen im Cortischen Organ gekennzeichnet ist. Die Informationsübertragung von der Cochlea zum Gehirn ist nicht mehr gegeben, wenn die mechano-elektrische Transduktion unterbleibt. Innenohrschäden können zum einen kongenital (angeboren) auftreten, wobei man zwischen hereditären (genetisch bedingt), pränatalen (vor der Geburt erworben) und perinatalen Störungen (während der Geburt erworben) unterscheidet, und zum anderen postnatal erworben sein (BOENNINGHAUS u. LENARZ 2007).

Ursachen pränatal erworbener Hörstörungen können Infektionen der Mutter während der Schwangerschaft (z. B. Röteln, Toxoplasmose), Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Hypothyreose), Medikamenteneinnahme (z. B. Contergan) oder Alkoholabusus sein.

Perinatal sind vor allem Geburtstraumen, die mit Hypoxie einhergehen, mögliche Ursachen einer Hörstörung. Bei den hereditären Hörschädigungen unterscheidet man syndromale und nicht-syndromale Ausprägungen, die sowohl rezessiv als auch dominant vererbt werden können. Syndromale Erkrankungen können mit Augensymptomen (z. B. Cogan-Syndrom, Waardenberg-Klein-Syndrom), mit Nierenerkrankungen (z. B. Alport-Syndrom) oder mit Schilddrüsensymptomen (z. B. Pendred-Syndrom) vergesellschaftet sein. Bei den nicht-syndromalen Taubheitsursachen stellt die Mutation der gap-junction-Proteine Connexin 26 und 31 (LEFEBVRE u. VAN DE WATER 2000; X. Z. LIU et al. 2009) eine zentrale Gruppe beim Menschen dar. Auch bei Hunden und Katzen, die taub geboren werden und erst ab dem

5. bis 7. Tag nach der Geburt akustische Reize aufnehmen können, wurden hereditäre Innenohrdefekte untersucht und zum Teil als Tiermodell für das Waardenburg-Syndrom des Menschen genutzt, das durch angeborene Taubheit in Assoziation mit Pigmentierungsstörungen von Haut, Haar und Iris gekennzeichnet ist (WAARDENBURG 1951). Bei Hunden ist angeborene Taubheit bei Dalmatinern sehr gut untersucht (MAIR 1976; HOLLIDAY et al. 1992), aber auch die Merle-Pigmentierung (z. B. Merle-Sheltie, Blue-Merle-Collie, Tigerdogge) und Träger des Piebald-Gens (z. B. Bullterrier, Samoyede, Greyhound) sind mit Taubheit assoziiert. Auch die Taubheit weißer Katzen ist eingehend studiert worden (MAIR 1973), wobei die primäre Degeneration der epithelialen und sensorischen Elemente in der ersten Woche nach der Geburt auftritt und sich die sekundäre Degeneration der neuronalen Strukturen danach entwickelt (BOSHER u. HALLPIKE 1965;

PUJOL et al. 1977).

Postnatal erworbener sensorischer Hörverlust geht mit einer Zerstörung zuvor intakter Haarzellen einher. Eine mechanische Schädigung kann dabei durch ein akutes oder chronisches akustisches Trauma (PLINKERT u. DE MADDALENA 1996) oder ein stumpfes Schädeltrauma entstehen, während mit zunehmendem Alter degenerative Prozesse zu Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) führen können. Einen wesentlichen Anteil an erworbenen Hörschädigungen besitzen Ototoxine, die unterschiedlichen Ursprungs sein können. Infektionskrankheiten (z. B. Mumps, Fleckfieber, Borreliose) können ototoxisches Potenzial besitzen, bzw. Exotoxine verschiedenster Bakteriengattungen, die an Mittelohrentzündungen beteiligt sind. Auch Stoffwechselprodukte, die bei Schilddrüsen-, Leber- oder Nierenfunktionsstörungen auftreten, können potenziell ototoxisch wirken.

Exogene Noxen, die neben der Lärmexposition auch in experimentellen Studien Anwendung finden (WEST et al. 1973), stellen ototoxische Medikamente wie beispielsweise Aminoglykosidantibiotika (z. B. Streptomycin, Neomycin, Kanamycin, Gentamicin), Diuretika (z. B. Furosemid, Etacrynsäure) und Zytostatika (z. B. Cisplatin, Carboplatin) dar.

Dabei ist nicht nur eine lokale Applikation der Substanzen toxisch, wenn diese beispielsweise bei Perforation des Trommelfells die semipermeable Membran des Runden Fensters durchdringen, sondern auch die systemische Verabreichung der Medikamente. Es kommt zu einer Haarzellschädigung mit anschließender -apoptose beginnend an der Basis der Cochlea

mit fortschreitendem Haarzellverlust nach apikal in Abhängigkeit von Dosis und Dauer der Applikation.

Nach initialer Schädigung der Haarsinneszellen kommt es sekundär zu einer Degeneration der nachgeschalteten Spiralganglienzellen (OTTE et al. 1978; SPOENDLIN 1984), wobei eine Apoptose großer Teile der Spiralganglienzellpopulation bereits innerhalb weniger Stunden nach intracochleärer Aminoglykosidinjektion nachzuweisen ist. Mit dem Verlust der Haarzellen fehlt zum einen die afferente Innervation der Spiralganglienzellen durch ankommende Aktionspotenziale und freigesetzte Neurotransmitter, zum anderen fehlt die Bildung neurotropher Faktoren durch die Sinneszellen, so dass dieser trophische Effekt auf die Spiralganglienzellen unterbleibt. Mit Verlust der elektrischen und neurotrophen Stimulation in Folge des Haarzelluntergangs zeigt sich so sekundär immer eine Spiralganglienzelldegeneration.

3.2.3 Das Cochlea-Implantat als Therapieoption bei sensorischer Hörstörung

Ist die Hörminderung bei einem Patienten so weit fortgeschritten, dass das Resthörvermögen für die Verwendung eines Hörgerätes nicht mehr nutzbar ist, so kann mit Hilfe einer elektronischen Innenohrprothese (Cochlea-Implantat, CI) die Wiedererlangung des Sprach-verständnisses und damit eine erhebliche Steigerung der Lebensqualität ermöglicht werden (CLARK et al. 1987; MATSCHKE u. PLATH 1988). Grundvoraussetzung für die Implantation solch einer Prothese ist eine rein sensorisch bedingte cochleäre Taubheit mit erhaltener Leitfähigkeit des Hörnerven und intakter zentraler Hörbahn, so dass das Implantat durch direkte elektrische Reizung der Spiralganglienzellen die Funktion der Haarzellen übernehmen und einen Höreindruck vermitteln kann (LENARZ 1998). Das CI setzt sich aus mehreren Einzelkomponenten zusammen: der eigentlichen Cochlea-Implantat-Elektrode, einer Sende- und Empfangsspule, einem Sprachprozessor und dem Mikrophon. Akustische Informationen werden über das Mikrophon aufgenommen und dem Sprachprozessor zugeleitet, der sie nach Filterung, Komprimierung und Entrauschung in elektrisch kodierte Impulse umwandelt. Dieses generierte Signalmuster in Form von elektromagnetischer Induktion wird von der Sendespule transkutan auf die subkutan retroauriculär implantierte Empfängerspule übertragen (LEHNHARDT et al. 1986).

Schließlich wird die Information an die intracochleär implantierte Mehrkanalelektrode weitergeleitet, die schließlich indirekten Kontakt mit dem Spiralganglion hat. Die Reizelektrode wird über das Runde Fenster oder per Cochleostomie in die Scala tympani eingeführt, wobei eine möglichst modiolusnahe Insertion einen engen Nerven-Elektroden-Kontakt sicherstellen soll (SHEPHERD et al. 1993). Die je nach Hersteller bis zu 22 Elektrodenkontakte sind schließlich unterschiedlich tief in der Cochlea positioniert und können so verschiedene Abschnitte der Basilarmembran getrennt voneinander tonotop reizen.

Die selektive Stimulation der einzelnen Fasern des Hörnervs wird schließlich analog zum physiologischen Hörvorgang über die zentrale Hörbahn zum auditorischen Cortex geleitet, wo der Höreindruck erzeugt wird (LENARZ 1997).

Da das CI also die mechano-elektrische Transduktion der Haarzellen übernimmt, ist der Erfolg der Implantation im Wesentlichen von einer guten Nerven-Elektroden-Interaktion abhängig. Neben einer möglichst modiolusnahen Insertion der Elektrode wird auch eine weitgehende Unterdrückung der Bindegewebsproliferation angestrebt, die durch postoperativ eintretende Entzündungsvorgänge hervorgerufen werden kann. Zusätzlich beeinflusst die Anzahl funktionsfähiger Spiralganglienzellen den späteren Höreindruck und das Sprachverständnis (SUTTON 1983). Die therapeutischen Maßnahmen beinhalten also die Applikation entzündungshemmender Glukokortikoide zur Reduktion des Bindegewebes, aber auch die Intervention mit neurotrophen Faktoren, Genen oder auch elektrischer Stimulation, um eine fortschreitende Spiralganglienzelldegeneration aufzuhalten (WEFSTAEDT et al.

2006). Doch um wirklich gezielt an bestimmten Zelltypen angreifen und auch einen Langzeiteffekt erzielen zu können, ist es nötig neue Drug-Delivery-Systeme zu entwickeln, die mit dem CI kombinierbar sind.