• Keine Ergebnisse gefunden

3.1 Das auditorische System der Säugetiere

3.1.3 Audiometrische Untersuchungsmethoden

3.1.3.1 Allgemeines zu unterschiedlichen Hörprüfmethoden

Im Falle einer Hörstörung dienen audiometrische Untersuchungen der Überprüfung des Hörvermögens und der Ermittlung von Art, Ort und Ausmaß der Schädigung. Dabei kommen subjektive Tests zur Anwendung, die eine Befragung der Patienten nach der subjektiven Einschätzung der bewussten auditorischen Wahrnehmung beinhalten. Im Gegensatz zu diesen psychoakustischen Verfahren ermöglichen objektive Hörprüfmethoden eine Beurteilung des Hörvermögens durch Registrierung auditorisch korrelierter physikalisch messbarer Parameter.

Diese objektiven Testmethoden kommen bei nicht kooperativen Patienten (Kleinkinder, Menschen mit geistiger Behinderung oder psychogener Hörstörung) und bei Tieren zum Einsatz. Neben der Reflexaudiometrie, den otoakustischen Emissionen und der Impedanz-audiometrie hat sich die elektrische ReaktionsImpedanz-audiometrie (= electric response audiometry, ERA) zum wichtigsten Verfahren entwickelt und soll hier als angewandte objektive Testmethode näher erläutert werden (HOTH u. LENARZ 1994). Aufgrund einer nicht einheitlichen Nomenklatur in diesem Bereich, wird die Bezeichnung „auditory brainstem response (ABR)“ häufig synonym verwendet (LEHNHARDT u. LASZIG 2001).

Die ERA als nichtinvasive Untersuchungsmethode dient der Diagnostik von Schädigungen der gesamten Hörbahn von der Cochlea bis hin zum auditorischen Cortex. Die durch akustische Reize entlang der Hörbahn auftretenden Aktionspotenziale werden als akustisch evozierte Potenziale (AEP) abgeleitet und erlauben neben einer Aussage über Art und Ausmaß der Hörschädigung in Kombination mit der Impedanzaudiometrie auch eine genaue Lokalisation der Störung vom peripheren Hörorgan bis zur neuralen Verarbeitung. Über Elektroden lassen sich durch akustische Reize hervorgerufene elektrische Potenziale von allen Stufen der Hörbahn ableiten. Dabei wird die gesamte elektrische Aktivität des Gehirns registriert, die auf periphere Stimulation, afferente Erregungsleitung und zentrale neuronale Verschaltung basiert. Die unter periodischer akustischer Reizeinwirkung entstehenden elektrischen Potenzialschwankungen der Hörbahn lassen sich durch computergestützte Mittelungstechnik (Averaging) von der überlagerten reizunabhängigen spontanen EEG-Aktivität trennen. So heben sich akustisch evozierte Potenziale (AEP) ab und können als Wellenverlauf im Spannungsdiagramm in Relation zur Zeit dargestellt werden. Da die AEP in örtlich-zeitlicher Reihenfolge entlang der Hörbahn von den Haarzellen in der Cochlea bis zur

Hörrinde entstehen, spiegeln einzelne Wellen Teilfunktionen des Hörvorgangs wieder und können bestimmten anatomischen Strukturen topologisch zugeordnet werden. Bezug nehmend auf ihre Latenzzeit, was dem zeitlichen Auftreten im Abstand zum auslösenden Reiz entspricht, werden die AEP in sehr frühe (SFAEP), frühe (FAEP), mittlere (MAEP), späte (SAEP) und sehr späte Potenziale (SSAEP) eingeteilt. Die Wellen lassen sich zusätzlich spezifischen Regionen der Hörbahn als neuronalen Generatoren zuordnen, wobei die Ursprungsgebiete der Generatoren bei Tieren mit denen des Menschen übereinstimmen.

Wellen, die innerhalb der ersten 10 ms nach akustischer Stimulation auftreten, werden als FAEP oder Hirnstammpotenziale bezeichnet. Sie entstammen der Cochlea, dem Hörnerv und dem Hirnstamm und dienen der Differenzierung von Hörstörungen des Mittelohres, des Innenohres und der neuralen Hörbahn. Da die erfassten Reaktionen von Pharmaka und Bewusstsein nahezu unbeeinflusst sind, ermöglichen sie ein Hörschwellenscreening bei Neugeborenen, Kleinkindern oder auch Tieren im Schlaf, in Sedierung oder im narkotisierten Zustand.

Als Methode der objektiven Hörschwellenmessung wurde für diese Arbeit die Ableitung der akustisch evozierten auditorischen Hirnstammpotenziale (acoustically evoked auditory brainstem response, AABR) angewendet und im weiteren Verlauf auch näher erläutert.

3.1.3.2 Akustisch evozierte auditorische Hirnstammpotenziale

Die objektive Beurteilung der Hörschwelle erfolgt in der Hirnstammaudiometrie mit der Erfassung der FAEPs, die sich als ein Komplex von 5 bis 7 Wellen darstellen (JEWETT 1970). Jewett beschrieb erstmals die Möglichkeit, über Kopfelektroden die Reaktionen des Gehirns auf einen Reiz im auditorischen System zu registrieren. Auf ihn geht auch die Bezeichnung der einzelnen Wellen zurück (I-V), deren topologische Zuordnung aufgrund zahlreicher tierexperimenteller Untersuchungen sehr gut möglich ist und mit denen des Menschen weitestgehend übereinstimmt. Da es sich bei den FAEPs um überlagerte Summenaktionspotenziale verschiedener Kerngebiete handelt, kann eine getrennte Zuordnung zu einzelnen Potenzialgeneratoren der Hörbahn nicht eindeutig getroffen werden.

STÖHR et al. (1989) aber auch HOTH und LENARZ (1994) ordnen die Welle I den cochleären Strukturen wie dem Spiralganglion und dem N. cochlearis zu. Mit der Welle II tritt der Hörnerv aus dem inneren Gehörgang aus und in den Hirnstamm ein, während die

Welle III den Nucleus cochlearis repräsentiert. Die Welle IV wird von der ipsilateralen oberen Olive und dem Lemniscus lateralis generiert, wohingegen die Welle V von der kontralateralen oberen Olive und Lemniscus lateralis stammt. Die späten Wellen VI und VII sind nur inkonstant nachweisbar, besitzen ihren Ursprung aber der Hörbahn entsprechend zwischen Zwischenhirn und primärem auditorischen Cortex. Zur Bestimmung der akustischen Hörschwelle beim Meerschweinchen wird die Welle III herangezogen. Von diagnostischer Bedeutung innerhalb der FAEPs sind die Latenzen der einzelnen Wellen, die eng mit den Stimulusintensitäten korreliert sind und sich umgekehrt proportional zu ihnen verhalten. Hohe Reizpegel führen zu kurzen Latenzen und umgekehrt.

Für die Interpretation der abgeleiteten Potenziale ist es außerdem wichtig, den verwendeten Stimulus anhand einzelner Reizparameter wie Reizstärke, Polarität und Frequenz näher zu beschreiben.

Die Reizstärke wird wie bereits beschrieben (siehe 2.1.2) in dB SPL angegeben und hat den größten Einfluss auf die FAEPs. Wie in Abb. 3 ersichtlich, nehmen die Amplituden mit zunehmender Reizstärke zu, während sich die Latenzen verkürzen.

Abb. 3: Beispiel für eine frequenzspezifische AABR-Messung (1, 4, 8, 16, 32 und 40 kHz) am Tag 0 am linken Ohr eines normal hörenden Meerschweinchens. Mit zunehmender Reizstärke nehmen die Amplituden zu, während die Latenzen sich verkürzen (Ch1 = linkes Ohr, St = stimulierte Frequenz)

(Quelle: Gemittelter Graph aus dem Software-Programm HughPhonics)

3.2 Pathophysiologie von Hörminderung und Ertaubung