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Die paradigmatische Gemeinde der Awkis

7. Die religiöse Welt Ch’apisirkas

7.3. Die paradigmatische Gemeinde der Awkis

Aus dieser Annäherung an die religiöse Welt des Menschen von Ch’apisirka kann auf die Hauptzüge seiner Beziehung zu den Gottheiten geschlossen werden.

7.3.1. Eine von Lebewesen bevölkerte Welt

In Übereinstimmung mit den Beobachtungen anderer, in verschiedenen Gebieten des Andenraumes gemachter Studien (Gow und Gow 1975, Berg 1991) lässt sich sagen, dass in Ch’apisirka keine Anhaltspunkte für eine strikt in drei Dimensionen (Janajpacha, Kaypacha, Ukhupacha) geteilte Kosmologie zu finden waren. Aus den vielen Aussagen, die die Anhänglichkeit der Ch’apisirkeños an die Lehren und Gebräuche der Eltern und Großeltern beweisen, ist eine starke Verbundenheit mit ihren Traditionen zu schließen, welche, besonders wenn es sich um die Gottheiten handelt, ohne Rückgriff auf westlich-christliche Begriffskategorien ausgedrückt werden können.

Dieses Bewusstsein der Unterschiede zwischen Christentum und eigenem Religionssystem hat bewirkt, dass der Ch’apisirkeño seinen Glauben und seine Riten vor dem unangebrachten Blick Fremder als "Familiengeheimnis" bewahrt, fern der "nicht Eingeweihten". Auch wenn er sehr wohl mit Begriffen wie Himmel, Jungfrau, Heilige etc. umgehen kann, bedeutet das nicht, dass er auf seine eigenen Begriffe verzichtet hat, und auch nicht, dass er sie in demselben Sinne gebraucht, den sie im christlichen Umfeld haben. So ist ihm zum Beispiel das Wort "Himmel" wohl bekannt, aber es bezeichnet für ihn nicht den Ort, an dem seine Götter wohnen, somit ist keine Identität dieses Begriffes mit dem des "Janajpacha"

erkennbar; er hat nicht dessen metaphysische Bedeutung146. Die Gottheiten des Ch’apisirkeño sind wie der Mensch Teil der gegenwärtigen Wirklichkeit und halten sich nicht in einer "himmlischen" Welt auf, fern und unbekümmert der menschlichen Bedürfnisse wie die griechischen Götter. In dieser aus Menschen, Gottheiten und Natur zusammengesetzten Wirklichkeit ist das Haus oder die Gemeinde der räumliche Bezugspunkt, von dem aus sich der Mensch orientiert; von diesem Bezugspunkt aus nimmt

146 Janaj (Quechua: hoch, oben) bezeichnet den höheren Bereich eines Raumes, für den Menschen nicht oder nur schwer erreichbare Bereiche wie die Berggipfel oder den Raum der Sterne.

er die Welt wahr und beschreibt sie im den Dimensionen "oben" (pata: oben nahe und janaj:

oben fern), "unten" (ura: unten nahe, fast vertraut wie die Täler und ukhu: unten fern, fast unbekannt wie die heiße Tiefebene), Richtung des Sonnenaufgangs (inti p’utuy) und des Sonnenuntergangs (inti yaykuy), die sich ergänzen mit den Begriffen "links" (lloq’e) und

"rechts" (paña). Der Schnittpunkt vertikaler und horizontaler Ausstrahlung ist das Haus (und in der Erweiterung die Gemeinde); es ist selbst ein Abbild des Kosmos und die "axis mundi", die dem Rest der Dinge Sinn verleiht, weswegen sein Bau und Unterhalt jegliche Aufmerksamkeit und Fürsorge verdient147. Somit erscheinen in dieser von "lebenden" Wesen und Wirklichkeiten erfüllten Welt, in der der Mensch weder Einzelwesen noch isoliert ist, sondern in enger und dauernder Kommunikation und Interaktion mit den anderen Wesen, die Gleichsetzungen Janajpacha - Himmel und Ukhupacha - Hölle unzutreffend und oberflächlich.

7.3.2. Götter, lebensspendende Kräfte

Die Awkis, an die sich der Ch’apisirkeño wegen ihres Bezugs zu den wichtigsten Orten seines Familien- und Gemeinde-Lebens mit sehr viel Respekt wendet, nehmen den Mittelpunkt seiner religiösen Vorstellungen ein. Diese Awkis sind in den Bergen und sind diese Berge selbst, sie sind nicht "außerhalb dieser Welt". Man stellt sie sich vor als kleine Menschen in der typischen Tracht alter Zeiten, die sich in der Regel von niemandem "sehen"

lassen, "unsichtbar" sind, aber die Fähigkeit haben, sich zu "zeigen" (manchmal können sie von den Menschen gesehen werden in einer von ihnen selbst gewählten Gestalt, oder auch

"aus Versehen")148. Wenn auch je nach ihrer (des Berges) Größe eine gewisse Hierarchie unter ihnen besteht und eine gewisse Spezialisierung hinsichtlich ihrer Reichtümer, scheint

147 Der Haus-Kosmos der andinen Menschen wurde schon in der berühmten kosmologischen Zeichnung Juan Santa Cruz Pachakuti Yamki 1613 dargestellt; die komplexe, vom Beginn eines Hausbaus an einzuhaltende Symbolik und die in jedem Element des fertigen Hauses verkörperten vielschichtigen sozialen Beziehungen wurden von Arnold beispielhaft am Fall der Qaqachacas gezeigt. Arnold (1998:36) stellt dort fest:"[...] im Verlauf eines Hausbaus rekonstruieren die Aymaras ihre Sicht des Kosmos und das Haus selbst wird zu einem Abbild des Kosmos, einer Metapher des Weltenberges, einem axis mundi und einer Organisationsstruktur, um die sich andere Strukturen drehen." Diese Aussagen veranschaulichen sehr gut die große Wichtigkeit, die auch für den Ch’apisirkeño Lage und Anordnung des Raumes haben.

148 In Ch’apisirka werden sie mit Poncho, verzierter Flanellhose, Mütze mit Ohrenschützern (Ch’ulu), Hut und der unvermeidbaren, umgehängten Tasche (Istalla) dargestellt. In anderen Gegenden werden sie anders beschrieben, so berichtet Aranguren (1975:108) von einer mündlichen Überlieferung, wie im August die Inkas (lokaler Name für die Awkis) mit ihrem Vieh durch die Berge ziehen, sie werden beschrieben als "winzige Hirten (Pygmäen) in Inka-Kleidung", die kaum sichtbar sind, da "man Zwerge nicht sehen kann". Die Beschreibung lässt die Vermutung einer falschen Übersetzung des Ausdrucks "juch’uy runitu " (kleiner Mann) aufkommen, der auch in Ch’apisirka zur Beschreibung der Awkis üblich ist, denn natürlich kennt man in der Andenwelt weder die afrikanischen "Pygmäen" noch die "Zwerge" europäischer Märchen. Taipe (1991:51) seinerseits beschreibt sie mit Bekleidung aus Gold und Silber, beritten mit ebenfalls gold- und silber-geschmückten Pferden.

es doch keinen wesentlichen Unterschied in ihrer Natur zu geben; im Prinzip sind alle Awkis gleich. Unter all den Vorstellungen, die man sich im gesamten Andenbereich von diesen Wesen macht, scheint die einer Leben spendenden und beschützenden Gottheit vorzuherrschen. Die frühe Übertragung des Aymara-Wortes "Awki" mit "Vater, Herr"

(Bertonio 1612/II:28) besteht weiter in den aktuellsten Deutungen des Begriffes; Arnold e.a.

(1998 b) und Berg (1985) weisen ihm neben "Vater", "älterer Mann" weitere Bedeutungen zu, wie "älteres männliches Lama" (Arnold e.a. 1998b:506) und "Titel gewisser übernatürlicher männlicher Wesen. Es wird so auch der christliche Gott-Vater genannt."

(Berg 1985:30). In einigen Aymara-Regionen ist der Awki auch der Religionsspezialist, der den Ritus der K’illpa leitet (Flores 1996:228)149, das Wort kann aber auch die höchste Autorität des Ayllu, die Person, der am meisten Respekt entgegengebracht wird, bezeichnen (Astvaldsson 2000)150. Herbas (1998:28) ergänzt, dass "Awki" ein von den Söhnen und anderen Verwandten des Inka getragener Adelstitel war und fügt in Übereinstimmung mit den Einwohnern Ch’apisirkas hinzu, es seien "gewisse mythische Gottheiten, göttliche Personen, die im Denken des Quichua-Volkes überleben". In dieser ganzen Palette von Bedeutungen von "Vater" über "Autoritätsperson" und "älter" bis hin zu "Gottheit" ist immer ein darunter liegender Sinn von "Hauptperson", "Haupt von" erkennbar, ebenso auch der eines Leben und/oder soziale Ordnung erzeugenden Wesens, weshalb die von Berg notierte Assoziation mit dem christlichen "Gottvater" nicht verwundert. Dieser Begriff eines

"lebenserzeugenden" Gottes, verschieden von dem eines "Schöpfers", findet sich auch in anderen Bezeichnungen für die Berge: Apu, Achachi, Achachila, Kapiltu, Waq’a, von denen einige allerdings, wie gesehen, in der Region Ch’apisirka wenig bekannt sind.

In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass der Begriff "Wirjina", der in Ch’apisirka zur Bezeichnung der Gottheiten allgemein, nicht nur der Pachamama, benutzt wird, einen engen Bezug zu Fruchtbarkeit und "Erzeugen von Leben" hat, ganz ähnlich den Vorstellungen, die mit "Purun" oder "Purma" verbunden sind151. In der Begriffswelt der Anden scheint das Wort "Wirjina" (Lehnwort aus Spanisch "virgen", Jungfrau) nicht dieselbe Konnotation zu haben wie die "Jungfrau Maria" im Christentum, (Mutter ohne

149 Clara Flores studierte die Aymara-Gemeinde von Llica, in der Nähe des Salzsees von Uyuni.

150 Astvaldsson bemerkte, dass "Awki" die höchste Autoritätsperson des Ayllu genannt wurde, die "Person, die früher die Führung der Gemeinde, später der Region innehatte. Es ist bezeichnend, dass diese hohen Autoritätspersonen oder ‘Jach’a jiliri p’iqis’ häufig auch mit dem Titel ‘Awki p’iqi’ oder, auf Spanisch

‘hombre cabeza’ (Haupt-Mann) benannt werden. Das spanische ‘hombre’ (Mann) bekundet hier wie die Aymara Jiliri (älter) und Awki (Vater) Respekt und Höherrangigkeit." (Astvaldsson 2000:127).

151 Purunwarmi: Jungfrau, Purmajallp’a: Erde, auf der noch nie etwas angebaut wurde oder auch bäuerliche Brache, Purunruna: Menschen, die nach G. Poma in der Urzeit in den Anden lebten, Purunpacha: die Urzeit.

Befruchtung durch einen Mann, somit ausdrücklich auf sexuelle Abstinenz bezogen)152, sondern das Reine, Unversehrte zu meinen, das, was noch all seine natürliche Kraft hat. Es ist deshalb verknüpft mit dem "Wilden", "Freilebenden", das wie die noch nicht bebaute Erde Fruchtbarkeit und Überfluss par excellence verkörpert153. Folglich muss der als

"jungfräuliche Erde" (Arnold e.a. 1998b:515) oder spezifischer als "die Pachamama verkörpernde jungfräuliche Erde" (Arnold e.a. 1998a:258) verstandene Begriff Wirjina aus der Sicht der Ch’apisirkeños erweitert werden und auch die Awkis enthalten.

7.3.3. Gottheiten des Reichtums

Die Tatsache, dass der Ch’apisirkeño von seinen Gottheiten im Plural spricht: "Awkis",

"Pachamamas" etc. drückt jenseits regionaler Sprachunterschiede das Verständnis als konkrete, ortsgebundene Wesen aus, das er von ihnen hat. Jeder Berg, jeder Ort "hat einen Namen", das heißt, er ist "jemand" und er hat seinen "Partner", es handelt sich immer um

"Mann und Frau"154. Diese Auffassung gestattet dem Einzelmenschen und der Gemeinschaft eine "persönliche" Beziehung zu jedem "Ort" und/oder "Lugarniyuj" (der, der einen bestimmten Ort besitzt oder bewohnt). Es muss jedoch erkannt werden, dass sie auch die Wurzeln eines nicht sehr leicht zu lösenden Problems aufzeigt; es geht um die Frage, ob man in Ch’apisirka an eine Gottheit glaubt, oder an eine Vielzahl davon. Einerseits lassen die Gemeindemitglieder die Vorstellung einer Vielfalt erkennen, sowohl was die Art (z.B. Awki, Waq’a, Pachamama) als auch was die Anzahl (z.B. eine Vielzahl von Pachamamas) der Gottheiten betrifft. Andererseits behaupten sie kategorisch, an sie alle als an eine Einheit, eine Gottheit zu glauben.

152 Im Allgemeinen wird das Wort nur im verengten Sinne einer Person, die noch keine geschlechtlichen Beziehungen gehabt hat, also "Jungfrau" übersetzt; die weiteren, auf Sachen und sogar die Zeit bezogenen Bedeutungen werden weithin ignoriert.

153 Das Wilde, nicht Domestizierte wird häufig mit Fruchtbarkeit und Reichhaltigkeit assoziiert; so wird Wari, das Aymarawort für Vicuña, als Bezeichnung wilder, unzivilisierter, barbarischer Menschen (Herbas 1998) gebraucht, es ist aber auch der Name des zweiten Zeitalters oder Pacha , in dem primitive Menschen lebten, die

"kaum Ackerbau kannten, nicht weben konnten und in Häusern wie Backöfen lebten" (Harris und Bouysse- Cassagne 1988:232); ebenfalls bezeichnet es die mythische Figur eines blonden Mannes mit Vicuña-Körper. In all diesen Fällen ist Wari Synonym für Wildheit, ungezähmte Natur, somit Purma Garantin von Fruchtbarkeit.

154 Wie in Ch’apisirka kursiert auch im übrigen Andenraum die Auffassung von männlichen und weiblichen Awkis. Anderen Versionen zufolge ist der Berg wegen seiner "phallischen Konnotation" immer männlich (Taipe 1991:51). Dann allerdings sind die Aussagen der Informanten Arangurens (1975:112) schwer zu verstehen, die nicht nur behaupteten: "Apu ist die Erde", sondern auch, ihre Gemeinde werde von drei "Apu -Schwestern" beschützt. Diese nicht nur bei Studien der Mythologie, sondern generell bei den sogenannten

"Gender-Studien" zu beobachtenden Schwierigkeiten zeigen, dass die Dichotomie Mann - Frau nicht ausreicht, um die Grenzen zwischen Maskulinem und Femininem in der andinen Welt zu erklären. Jüngste Arbeiten über diese Thematik versuchen deshalb, die "traditionellen" Begriffsgrenzen zu überwinden, um die "analytischen Kategorien von Geschlecht, Verwandtschaft, Kosmologie, Soziolinguistik, Umweltverhalten, Ritualsymbolik und Anderem in holistischen Annäherungen miteinander zu verflechten." (Paulson 1999).

Der von Harris und Bouysse-Cassagne (1988:226ff) geleisteten umfassenden Untersuchung alter Mythen ist zu entnehmen, dass dieses Problem seinen Ursprung möglicherweise in den vielfachen kulturellen Erfahrungen hat, die sich im Laufe der Zeit im Andenraum entfalteten.

Jede Epoche, jeder Kulturprozess scheint seine eigene Vorstellung des Göttlichen entwickelt zu haben, die sich in dem Maße wandelte, in dem die verschiedenen Menschengruppen miteinander interagierten und ihre Verhaltensmaßstäbe veränderten. Die eben genannten Autorinnen stellten drei präinkaische Zeitalter oder Pachas fest: Taypi-, Purun-, und Awka-Pacha, die sich ihre eigenen Gottheiten schufen, ohne die vorhergehenden zu "ignorieren", deren Namen sie änderten oder denen sie neue Eigenschaften zuschrieben. Im Falle des Tunupa zum Beispiel legen sie nahe, es könne sich handeln um die Überlagerung "eines alten dem Blitz gewidmeten Kultes, der von den Chukila, Jägern der hohen Punas praktiziert wurde“, was zur offensichtlichen Verwandtschaft zwischen Tunupa und dem Blitz (Illapa) bzw. Chukila führte.

Aus dieser Perspektive, wenn man wie einige neuere Studien155 davon ausgeht, dass jeder Name aus einer anderen Epoche stammt, gewinnt auch die Vielfalt der Namen Wiracochas eine neue Bedeutung, des pan-andinen Gottes, der von vielen als der Schöpfer betrachtet wird. Ein weiterer Anhaltspunkt für die Richtigkeit des Vorschlags, den Ursprung der verschiedenen Namen verschiedenen kulturellen Überlieferungen zuzusprechen und die Auffassung von Einheit späteren Verarbeitungen, gibt die Aufgabenverteilung, die in Ch’apisirka den Awkis und Pachamamas am Karnevalsdienstag zugewiesen wird. Wie im Vorangegangenen gesehen, treffen sich an diesem Tag die Awkis, um gemeinsam die K’illpa ihres Viehs zu begehen, die Pachamamas befinden sich aber anscheinend nicht unter den Gästen, da sie zusammen mit den Menschen die K’illpa der Kartoffeln feiern. Es ist daraus zu entnehmen, dass die Awkis für die Tiere zuständig sind (Tradition der Hirten) und die Pachamamas für die Pflanzen (Tradition der Ackerbauern). Solange diese beiden Traditionen getrennt blieben, gab es keine Konflikte, wenn aber (wie heute viele in den Anden) eine Gemeinde sowohl von Viehhaltung als auch von Ackerbau lebt, kommen die

155 Francisco Aliaga, der eine kritische Haltung gegenüber zwei bekannten Erforschern der andinen Thematik (Duviols und Urbano) einnimmt, setzt dem Begriff der "Schöpfung" den der "Erscheinung" gegenüber und behauptet, dass die von ihm untersuchten Autoren diese beiden Begriffe verwechseln, weswegen sie Wiracocha als "Schöpfergott" darstellen, während in Wirklichkeit das andine Denken die Vorstellung von einer Schöpfung nicht kennt, sondern die der Erscheinung (die Dinge existieren seit jeher); außerdem ist er wie Bouysse-Cassagne der Ansicht, die Namen der Andengötter seien in verschiedenen Epochen anzusiedeln. Leider arbeitet Aliaga diesen letzten Aspekt nicht genügend aus, so dass er mit der verwirrenden Behauptung schließt: "das andine Denken betrachtete die drei ersten Gottheiten (Wiracocha Ticci, Wiracocha Pachayachachi, Wiracocha Tonapa) als Ursprung der Erscheinung unseres Sonnensystems." (Aliaga 1987:102). Wenn Wiracocha in verschiedenen Epochen anzusiedeln ist, ist es widersprüchlich, von drei gleichzeitigen Gottheiten zu sprechen, wie dies der Schluss zu tun scheint.

Überlieferungen in Konflikt, da die Tiere (deren Herr der Awki ist) die Pflanzen (die der Pachamama gehören) brauchen, so wie die Pflanzen für gute Entwicklung den Mist der Tiere benötigen. Aus dieser Erfahrung und der Notwendigkeit, das Wohlwollen sowohl der Awkis als auch der Pachamamas zu erwerben, entsteht das Gebot "eines einzigen" Rituals, also sich an Awkis und Pachamamas gleichermaßen und gleichzeitig zu wenden, somit der Akt "der Erde zu opfern und den Apu anzurufen". Dass "viele der Erde und dem Apu gleichzeitig und unterschiedslos dienen“ wäre demnach nicht das Ergebnis von "Konfusion" und mangelnder Klarheit, wie Aranguren (1975:114) meint, sondern die Bemühung um Wirksamkeit des Rituals, um die Gewährleistung des erhofften Erfolgs: Reichtum und Wohlstand.

Es ist also möglich, dass die Vielzahl der heute festzustellenden Götter das Ergebnis im Laufe der Zeiten in den verschiedenen Andengebieten gemachter religiöser Erfahrungen ist.

Jede Gruppe oder Region bemühte sich um ihre eigene Synthese, mit dem Ergebnis der heutigen regionalen Unterschiede; gleichzeitig aber begründen die über das weite Andengebiet hinweg zu beobachtenden tiefgehenden Ähnlichkeiten in den Eigenschaften einer Gottheit oder eines Ritus "die Annahme ihrer gemeinsamen prähispanischen Geschichte" (Lecoq 2000:181). Wenn der Ch’apisirkeño sagt: "Ujllata creyejkayku" (wir glaubten an eine einzige Gottheit) kann das in diesem Sinne so verstanden werden, dass er meint, trotz der verschiedenen Namen seiner Gottheiten sei die religiöse Erfahrung dieselbe, da alle diese Gottheiten wichtig sind und sich in ihren Beziehungen zu den Menschen von den selben Maßstäben leiten lassen.

7.3.4. Gegenseitigkeit, ein Schlüssel zum Erlangen des Wohllebens

Die Gemeinschaft der Awkis ist weder indifferent gegenüber den Bedürfnissen der Menschen, noch ist sie von der Menschengemeinde abhängig. Grundlegende Norm jeder Beziehung ist die Gegenseitigkeit. Wenn die Menschen irgendetwas haben wollen, sei es Tier, sei es Pflanze, müssen sie den "Herren" oder Besitzern dieser Güter "etwas geben". Die Awkis interagieren mit den Menschen, aber sie "bestimmen" sie nicht, sie üben nicht die Rolle einer "Polizei" aus, die das menschliche Handeln kontrolliert. Jeder Awki besitzt eine bestimmte Art von Reichtum, ist darüber hinaus das reiche Wesen par excellence. Ihren Reichtum verteilen sie nach festen Regeln unter den anderen Awkis und den Menschen, die dies erbitten und im Gegenzug "etwas geben" (Pago, Jaywariy). Im Verständnis der Ch’apisirkeños bilden die Awkis eine beispielhafte Gemeinschaft des "Wohllebens" (Allin kawsay): Sie leben im Überfluss (Vieh, Waren, Gold, Silber), haben ein Haus, eine Ehefrau (nicht unbedingt eine Pachamama) und Kinder, leben in guten Beziehungen untereinander,

feiern gemeinsam ihre Feste, kümmern sich um das Wohlbefinden ihrer Tiere und ihrer sonstigen Habe, (ver-)teilen das, was sie haben mit den "Bedürftigen" (z.B. den Menschen) etc.. Das Sozialverhalten der Awkis wird zum Paradigma menschlicher Lebensführung:

Feste mit Musik, gemeinschaftliche Zeremonien, gemeinsame Verantwortlichkeiten von Männern und Frauen in der Familie, Großzügigkeit in den gegenseitigen Beziehungen sind einige der in Ch’apisirka gültigen Verhaltensmaßstäbe, nach denen beurteilt wird, wer "Sajra runa" (schlechter Mensch, Geizhals) ist, und wer "Sumaj runa" (gütiger Mensch) oder

"K’acha runa" (guter, großzügiger Mensch). In gleicher Weise scheint das System, nach dem der Awki seinen Reichtum verteilt, das Muster für die Gesellschaft zu sein, die der Ch’apisirkeño sich wünscht. Je mehr ein Awki hat (Vicuñas, Vizcachas, Gold etc.), desto freigebiger erweist er sich und desto reichlicher "verteilt" er unter den Menschen, die im Gegenzug nicht ihre regelmäßigen (Trankopfer, Jahresopfer) und anlassbezogenen (bei der Jagd, beim Überqueren von Gebirgen etc.) Gaben vergessen dürfen.

7.3.5. Vermittlungen: menschliche Initiative

Das Ritual der K’illpa wird zwar in Ch’apisirka im Schoße einer jeden Familie gefeiert, ist aber dennoch ein gesamtgemeinschaftliches Ereignis, an dem alle Mitglieder der Gemeinde (des Ayllu, wie sie es lieber nennen) teilnehmen. Der Familienvater oder das älteste Familienmitglied hat den Vorsitz der Zeremonie und bestimmt, wann genau jede Handlung auszuführen ist. Die Mehrzahl der für das Ritual gebrauchten Sachen wird in der Stadt Cochabamba besorgt, so dass eine Vorbereitungszeit von mehreren Tagen oder Wochen vor dem Datum des Fests (in der Regel die Karnevalszeit, außer Karnevalsdienstag) erforderlich ist. Das Ritual beginnt mit dem Zusammentreiben des Viehs im Pferch, der mit Cocablättern bestreut und mit Schnaps besprengt wurde. Derweilen wird die "Mesa", die Gabe für die Schutz-Awkis zubereitet und verbrannt. Danach erfolgt die rituelle "Vermählung" des Viehs, gefolgt vom Kennzeichnen aller Tiere, die im Verlaufe des Jahres das Fortpflanzungsalter erreicht haben, danach die "Verabschiedung". Das Ritual wird mit einem reichhaltigen Essen und Spielen abgeschlossen. Es muss nicht eigens gesagt werden, dass zum Zeichen der Feierlichkeit das ganze Fest von Coca, Musik und Trankopfern begleitet wird.

Das Wort K’illpa bezeichnet eigentlich das Kennzeichen im Ohr eines Tieres und wird nicht für Kennzeichen von Gegenständen verwendet, das Ritual wird jedoch je nach Region auch anders benannt, so heißt es in den Bergen Perus "Señalaska" oder "Señalakuy" (Aranguren 1975), in Moquegua "Zeremonie der Señalada", in Atacama "Tinka" (Nachtigal 1975),

"K’illpha" oder "Schmücken der Lamas" in Uyuni (Flores 1996), "Señalakuy" oder

"Marcaje" in Ventilla (Lecoq 2000) und weitere Varianten sind in der Länge und Breite des weiten Andenraums bekannt156. Zweck des so verbreiteten Rituals ist das Aufnehmen direkter Beziehungen zu den zuständigen Awkis, um ihnen ihre "Lieblingsspeisen"

anzubieten und sie zu bitten, dass "sich das Vieh vermehrt und nicht krank wird" (Taipe 1991:98).

Die Fruchtbarkeit der "neuen" Tiere im Fortpflanzungsalter ist lebenswichtig, aber sie werden nur fruchtbar sein, wenn die Awkis es gestatten, denn sie sind in letzter Instanz die Herren der Tiere und teilen denjenigen zu, die es nach ihrem Erachten verdienen. Außerdem

Die Fruchtbarkeit der "neuen" Tiere im Fortpflanzungsalter ist lebenswichtig, aber sie werden nur fruchtbar sein, wenn die Awkis es gestatten, denn sie sind in letzter Instanz die Herren der Tiere und teilen denjenigen zu, die es nach ihrem Erachten verdienen. Außerdem