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Von Amazonien bis zu den Gipfeln der Anden auf der Suche nach

5. Die indigene Bewegung in Bolivien

5.1. Von der Knechtschaft zum Streit um die Macht: die Bewegungen und

5.1.2. Die indigene Bewegung in Amazonien und dem Chaco

5.1.2.2. Von Amazonien bis zu den Gipfeln der Anden auf der Suche nach

Der "Marsch für Land und Würde" (Marcha por el Territorio y la Dignidad), den 1990 die indigenen Völker des Beni durchführten, führte dem nationalen Bewusstsein die Existenz der indigenen Bewohner Amazoniens vor Augen, die bis dahin systematisch ignoriert, um nicht zu sagen negiert worden war. Das Land wurde wie niemals zuvor in seiner Geschichte von diesen "Wilden" und "Waldmenschen" zur Rechenschaft gezogen und zu dem Eingeständnis gezwungen, dass die "indigene Frage" weit entfernt von einer befriedigenden Antwort war.

Die in der "Zentrale Indigener Völker des Beni" (Central de Pueblos Indígenas del Beni, CPIB) organisierten Mojeños, Sironós, Yuracarés und Chimanes, solidarisch begleitet von Vertretern der Guaraníes, Matacos, Chiquitanos und anderer Völker, marschierten in 32 Tagen die 650 Kilometer von Trinidad nach La Paz (von 400 M.ü.d.M. auf 4.500 M.ü.d.M.).

Mit dieser aufopfernden Aktion erhoben sie Anklage gegen die Zerstörung ihres Lebensraums durch Holzunternehmen und Viehzuchtbetriebe und forderten von der

96 Die CIDOB ist Mitglied der Koordinationsbewegung der Indigenen Organisationen Amazoniens (Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Amazonia, COICA), in der UNI (Brasilien), ONIC (Kolumbien), CONFENIAE (Ecuador), AIDESEP (Peru) und CONIVE (Venezuela) zusammengeschlossen sind.

Regierung die rechtliche Besitzanerkennung der Gebiete, in denen sie seit den Zeiten ihrer Vorfahren leben. Die CIDOB, die erst wenige Monate zuvor die kurz vorher gegründete CPIB aufgenommen hatte, unterstützte und begleitete während der ersten Tage den Marsch zögerlich, später blieb sie ihm ohne weitere Erklärungen fern, so als ob sie um ihren Ruf der Neutralität fürchtete. Ganz im Gegensatz dazu war die Unterstützung, die der Marsch von regionalen und lokalen indigenen Organisationen, aber auch von städtischen Basisorganisationen, erfuhr, aufsehenerregend; wichtig war auch die Arbeit, die zu diesem Zeitpunkt die Koordinationsbewegung für Solidarität mit den Indigenen Völkern Boliviens leistete, ein Zusammenschluss von über das ganze Land verstreuten NGOs, die sich für die indigenen Forderungen einsetzen.

Dieses Ereignis veränderte die indigene Bewegung des Landes radikal, denn der Marsch brachte ein grundlegendes Element der Problematik in die Diskussion ein, das Thema des Territoriums. Darüber hinaus sollte das "symbolische Treffen" von indigenen Einwohnern Amazoniens und der Anden in La Cumbre, mehr als 4.500 M.ü.d.M., eine neue Etappe in den Beziehungen zwischen CSUTCB und CIDOB einläuten (Contreras 1991, Mercado 1990, Ipamo 1992).

Seit 1990 gab es für die Staatsorgane keine Entschuldigung mehr dafür, von der Hinzuziehung von Vertretern der CIDOB abzusehen, wenn Angelegenheiten behandelt wurden, die die Interessen der indigenen Völker Amazoniens und des Chaco berührten. Die Regierungskreise legten jedoch großen Wert auf die Unterscheidung zwischen "Indigenen"

und "Bauern", womit es ihnen gelang, die Trennung zwischen andinen Organisationen und denen Chaco-Amazoniens aufrecht zu erhalten. Eins der Argumente der Regierung ist, dass die Probleme der andinen Völker bereits durch die Agrarreform von 1953 gelöst seien, die sich auf die Völker Amazoniens und des Chaco nicht auswirkte, weshalb diese Völker spezifischer Maßnahmen bedürften. Es lassen sich jedoch auch andere Gründe dafür ausmachen, die indigene Frage des Landes nicht als Ganzes zu behandeln. Wie sich aus der Rede eines Regierungsbeamten während der Sitzungen zur Erarbeitung des Entwurfs für das Indigenen-Gesetz (Proyecto de Ley Indígena) von 1991 ableiten lässt, gehorchen diese Gründe eher einer gewissen Furcht der herrschenden Klassen vor den Folgen, die es haben könnte, wenn allen indigenen Völkern das Recht auf eigenes Territorium und auf eigene Organisationsformen zugesprochen würde. Der damalige Direktor des Bolivianischen Instituts für Indigene rechtfertigte den Vorsatz, zwei verschiedene Gesetze zu erarbeiten, eins für Bewohner der Anden und ein anderes für die des Tieflands, mit den Worten: „wir

werden an einem Gesetz arbeiten, das unter Beachtung der spezifischen Eigenschaften der Mehrheitsvölker des Andenraumes zu einem weiteren Gesetzeswerk führen kann, das diesen Mehrheitsvölkern des Landes Zugang zu Anerkennung und staatlichen Leistungen garantiert." (Rivero 1992:60). In diesem Passus wird zweimal auf suggestive Weise der Begriff der "Mehrheit" verwendet, und trotz des impliziten Eingeständnisses, dass die andine Bevölkerung noch nicht im Besitz von "Anerkennung und staatlichen Leistungen" ist, wird schlicht und einfach vorgeschlagen, deren Behandlung auf ein anderes Gesetzeswerk zu verschieben. Letzten Endes wurde wegen dieser und anderer Unstimmigkeiten bis zum heutigen Tag kein "Indigenen-Gesetz" erlassen.

Die Nichterfüllung einiger Übereinkommen seitens der Regierung und die zunehmende Bewusstwerdung der indigenen Bewohner des Amazonas-Chaco-Raumes bewirkten, dass sich die CIDOB häufiger mit den anderen indigenen Organisationen des Landes absprach.

So nahm sie 1996 am "Jahrhundertmarsch" genannten nationalen Marsch der eingeborenen Nationen teil, dessen Motto lautete: "Für Land und Territorium, politische Rechte und Entwicklung". Erneut wurden die Straßen von La Paz von diesmal aus dem ganzen Land gekommenen Indios besetzt. Auch wenn die Vertreter der CIDOB im Rahmen dieser Mobilisierung ihre Meinungsverschiedenheiten mit Leitern der CSUTCB zu erkennen gaben, war es doch ein Moment des Zusammenkommens und der Zusammenarbeit beider Mutterorganisationen.

Zu den Forderungen der Marschteilnehmer gehörten unter anderen die Erfüllung der 1990 unterzeichneten Dekrete, Rechtstitel für 16 neue Territorialforderungen und die Änderung mehrerer Artikel des Entwurfs für das spätere "Gesetz für den Nationalen Dienst für Agrarreform" (Ley del Instituto Nacional de Reforma Agraria), besser bekannt als Gesetz INRA. Nach 80 Tagen unsicherer Verhandlungen und dem Verlust von drei Menschenleben erreichten die mehr als 2.000 Marschteilnehmer einige Änderungen des genannten Gesetzes und damit die Anerkennung der territorialen Forderungen der Völker des Amazonas- und Chacogebietes unter dem Rechtsbegriff der "Angestammten Gemeinschaftsländereien"

(Tierras Comunitarias de Origen, TCOs). Unter dem Schutze dieses Gesetzes erlangten einige Völker Rechtstitel auf TCOs, etliche Forderungen warten aber noch auf den Abschluss ihrer Verfahren, wobei die Bestimmung der Territorialgrenzen eins der großen Probleme ist, die den normalen Ablauf des ohnehin schon langwierigen und schwerfälligen Rechtsverfahrens zusätzlich behindern.