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P SYCHISCH - EMOTIONALE B EFINDLICHKEIT DER S CHÜLER

7. INTERVIEWLEITFÄDEN UND ERGEBNISSE

7.2 E LTERNINTERVIEWS

7.2.3 D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE UND D ISKUSSION

7.2.3.3 P SYCHISCH - EMOTIONALE B EFINDLICHKEIT DER S CHÜLER

Diskussion

Ausschlaggebend für das positive Verhältnis zwischen den Mitschülern scheint bei den Schülern zu sein, dass sie nun das Gefühl haben, einer Gruppe zugehörig zu sein. Ganz offensichtlich brauchen diese Schüler die Bezugsgruppe der hörge-schädigten Schüler.

Das macht sich dadurch bemerkbar, dass die Eltern behaupten, ihr Kind sei nun gut integriert, es würde von Mitschülern erzählen oder man würde sich gegenseitig respektieren.

All diese Faktoren weisen auf eine positive emotionale und soziale Integration hin und könnten dafür verantwortlich sein, dass sich auch aus der Sicht der Eltern bei ihren Kindern ein sog. Bezugsgruppeneffekt (siehe Exkurs Bezugsgruppeneffekt) eingestellt hat. Denn auch nach den Aussagen der Eltern haben sich die Kinder aus den sozialen Vergleichen ihrer hörenden Mitschüler an der allgemeinen Schu-le gelöst. Sie vergSchu-leichen sich nach dem Schulwechsel mit ihren MitschüSchu-lern am Förderzentrum. Das passiert in besonders positivem Maße, was an den zahlreichen zustimmenden Angaben der Eltern bzgl. des Verhältnisses ihrer Kinder zu den neuen Mitschülern erkennbar wird.

Abb. 25: Psychisch-emotionale Befindlichkeit der integrierten Schüler an der allgemeinen Schule (Eltern)

Sieben der zwölf Eltern sprachen hierbei von einem allgemeinen Belastungsgefühl der Kinder:

„Also, wenn ich ehrlich bin, schlecht. Und das war für mich auch ein Grund zum Wechseln, weil sie also immer wieder geweint hat. Und zum Beispiel Mathematik hat ihr unheimliche Schwierigkeiten gemacht. Und wenn man nur gesagt hat, was hast du in Mathematik auf? Hat sie geweint. Und da hab ich gesagt, so kann es nicht weitergehen, ne?“ (E 9, S. 2, 49 ff.).

Viele Mütter stellen besorgt fest, dass ihre Kinder unter psychosomatischen Erscheinungen zu leiden hatten:

„Ja, sie hatte halt praktisch immer, wenn sie in die Schule sollte, Bauch-schmerzen. Also mehr so psychosomatisch und hat halt sehr viel geweint“

(E 9, S. 3, 99 ff.).

„Und es war halt schon so mit’m D., dass er halt oft bedrückt war, und dann hat man’s schwer aus ihm herausgelockt, dass er eben Probleme dann

Belastung Schulunlust Einsamkeit Aggression Kopfschmerzen Verlust des Selbstbewusstseins

Druck Leistungsverweigerung Depression Schulangst Schamgefühl

Nervosität Anspannung Alpträume Hörsturz Bauchschmerzen Hyperaktivität Frustration

0 2 4 6 8

Anzahl der Nennungen

Psychisch-emotionale Befindlichkeit aS - Aufteilung der negativen Nennungen

N=46

g’habt hat, dass er gehänselt worden ist […], also es is immer eigentlich schlimmer gekommen, man hat des schon absehen können, dass des immer gravierender für ihn g’worden ist und er is a dann nimmer gern in die Schule gangen“ (E 1, S. 3, 113 ff.).

„Und des hat sich dann im Laufe der drei Jahre, wo sie an der Regelschule war, immer mehr gesteigert eigentlich, dieses ungute Gefühl und diese Spannung, bis hin eigentlich, dass A. über diese Zeit gesundheitliche Probleme bekommen hat. Und zwar sehr, dad i sag’n, sehr schwerwie-gende. Ähm, also A. hat früh gebrochen, hat starke Migräne bekommen und hat eigentlich auch so vom Körperlichen, genauso wie von ihrer Entwicklung, eher abgebaut“ (E 4, S. 1, 25 ff.).

Neben diesen psychosomatischen Erscheinungen bemerkten die Eltern bei ihren Kindern Formen von Aggression:

„Sie ist zunächst mal wieder aggressiver geworden, ängstlicher, hat zunehmend psychische und körperliche Symptome gezeigt, unter anderem ganz starke Entzündungen, dann äh Blinddarmschmerzen, Bauch-schmerzen, KopfBauch-schmerzen, also es war eine Summe von Symptomen, die darauf hingewiesen haben, dass das Kind massiv unglücklich ist in der Schule“ (E 10, S. 1, 6 ff.).

Bei dieser Schülerin gingen die psychischen Belastungen so weit, dass sie an Suizid dachte:

„Und wir ham einfach gemerkt, dass die M. psychisch und physisch immer kränker wird und dass auch so Aussagen kommen wie ich will nicht mehr leben, ich möchte am liebsten im Grab liegen und solche Sachen. Ich hab das auch schriftlich gehabt von ihr, in ihrem Tagebuch, und dann sind bei mir sämtliche Alarmglocken losgegangen und ich hab ihr dann g´sagt, irgendwo müssen wir jetzt ne Lösung finden, weil so geht´s nimmer weiter“

(E 10, S. 5, 217 ff.).

Diese Mutter machte der Klassenlehrerin Vorwürfe, da diese behauptete, ihre Tochter würde simulieren:

„Und das Schlimmste war dann, dass man ihr dann in der Regelschule nahe gelegt hat, sie würde die Krankheit selber hervorrufen, um den Problemen aus dem Weg zu gehen. Und das hat ihr letztlich dann, um es mal salopp zu sagen, das Genick gebrochen“ (E 10, S. 1, 19 ff.).

Andere wiederum zogen sich völlig zurück und verweigerten jeglichen Kontakt zu ihren Mitschülern oder auch gleichaltrigen Kindern aus der Nachbarschaft:

„Sie hat sich nicht sehr wohl gefühlt, hat sich nicht getraut zu lesen, vor allem laut vorlesen […], und sie hat sich sehr in sich zurückgezogen“ (E 2, S. 1, 5 ff.).

„Er war wirklich Außenseiter, in sich geschlossen in der Klasse“ (E 5, S. 2, 44).

„Mir is halt aufgefallen, er war ein Kind, das sehr viel daheim war. Und andere hat er abgelehnt. Hat sich geweigert, mit anderen Kontakt aufzu-nehmen. Also des war manchmal krass“ (E 7, S. 7, 289 ff.).

Ein Zustand, der sich bei manchen Kindern auch während weiterer Schulbesuchs-jahre am Förderzentrum bemerkbar machte:

„Sie is von damals von den ersten beiden Schuljahren doch noch ziemlich, na ja, da will sie einfach net hin, deprimiert“ (E 2, S. 2, 79).

Manchen Kindern war es laut Aussagen der Eltern auch besonders unangenehm, durch das Tragen der Hörgeräte bei den Mitschülern aufzufallen. Als Folge-erscheinungen konnten erhöhtes Schamgefühl und Verminderung des Selbst-bewusstseins festgestellt werden:

Sie hat sich geschämt, weil da keiner Hörgeräte getragen hat in dera Klasse, bloß sie […], die is immer heimgekommen, die war immer so nervös, weil’s des mit de Hausaufgaben net kapiert hat und alles“ (E 3, S. 2, 74 ff.).

„Sie hat immer gesagt, ich bin die Einzige und ich, weil ich anders bin. Des hat sie am meisten belastet. Des hat sie so weit getrieben, dass sie sich selbst nicht mehr wert gefühlt hat. Überhaupt nimmer. Also Selbst-wertgefühl und Selbstvertrauen vollkommen am Boden, also des war vollkommen am Boden“ (E 4, S. 5, 173 ff.).

Diskussion

Bereits aus der hohen Anzahl der Nennungen der Eltern, die eine große Band-breite an unterschiedlichen Belastungsformen aufweisen, wird ersichtlich, dass die psychosomatischen Erscheinungen ihrer Kinder während der Zeit an der allgemei-nen Schule eine große Rolle gespielt haben. Als Gründe hierfür könallgemei-nen laut Aussagen der Eltern das schlechte Sprachverstehen, daraus resultierende Un-sicherheit im Unterricht und im Umgang mit den Mitschülern sowie eine fehlende Unterstützung des jeweiligen Klassenlehrers sowie des Lehrers des MSD angesehen werden. Zieht man die vorangegangenen Auswertungen in Betracht, so kann man an dieser Stelle wieder von einem negativen Kreisprozess sprechen.

Man kann davon ausgehen, dass die psychosomatischen Auffälligkeiten der Schü-ler für die Eltern einer der Hauptgründe für einen Schulwechsel darstellen. Sie nahmen inhaltlich innerhalb der Interviews einen großen Teil ein.

Es wird ersichtlich, dass die psychosomatischen Erkrankungen der integrierten Schüler zum Teil so stark ausgeprägt waren, dass sie bei manchen Schülern sogar noch nach dem Schulwechsel an das Förderzentrum anhielten und sich auch dort bemerkbar gemacht hatten.

Die meisten Eltern sprachen davon, dass sich ihr Kind innerhalb kürzester Zeit am Förderzentrum erholt hat, und können von einer raschen Gesundung ihrer Kinder berichten. Die Nennungen der zahlreichen positiven Eigenschaften sprechen von einem guten psychisch-emotionalen Zustand der Kinder am Förderzentrum:

Abb. 26: Psychisch-emotionale Befindlichkeit der integrierten Schüler am Förderzentrum (Eltern)

Für fünf von zwölf Eltern war es besonders wichtig zu betonen, dass ihre Kinder wieder ihr ursprüngliches Selbstbewusstsein erlangt haben:

„Und drum sag ich immer, des war des größte Geschenk für uns, dass sie ihren Platz hat finden dürfen, und sie hat sich so gut dann wieder weiterentwickelt, ihr Selbstvertrauen ist gewachsen“ (E 4, S. 8, 322 ff.).

„Und er sagte mir plötzlich und spontan, ‚Mama weißt du was, in der alten Schule haben sie mich alle verachtet und hier haben sie vor mir Ehrfurcht’.

Ende des Zitats. Ehrfurcht, das heißt also der Klassenlehrer, der Herr M.,

0 1 2 3 4 5

Anzahl der Nennungen

Selbstbewusstsein Gefühl der Erlösung keine Psychosomatik Gefühl der Gleichwertigkeit Schwärmen von FZ Wunsch nach Kontakt Selbstständigkeit Offenheit Fröhlichkeit

Nennungen

Psychischemotionale Befindlichkeit FZ -Aufteilung der positiven Nennungen N=18

lobt seine Fähigkeiten sehr. Er musste sein Selbstbewusstsein wieder zusammenkriegen, denn es war zerstört“ (E 5, S. 4, 154 f.).

Vier Mütter sprachen von einem erlösenden Zustand, nachdem ihr Kind an das Förderzentrum gewechselt hatte. In Verbindung damit sind auch die psychoso-matische Gesundung sowie eine Verbesserung der schulischen Leistung zu sehen und damit auch eine positive Veränderung der Wesenseigenschaften der ehemals integrierten Kinder:

„Und wo er dann angefangen hat, in der vierten Klasse, er war wie ein Neugeborener. Er ging gern in die Schule. Ich konnte mir überhaupt nicht, nicht mal im Traum so einen Wechsel in kürzester Zeit vorstellen. Wenn es mir jemand sagen würde, dieser Wechsel ist verbunden mit einer Reno-vatio, mit einer psychischen, aber auch physischen, ich würde es nicht glauben, wir haben alle gestaunt“ (E 5, S. 4, 102 ff.).

„Alles hat sich verbessert. Sein Verhalten und seine Noten. Und er ist auch ausgeglichener und fröhlicher. Er war wie unter einem Mühlstein, und das ist jetzt weg. Äh, er hat natürlich seine Macken, angeborene Macken, Selbstmitleid und aufbrausend, aber dieser Dauerstress ist jetzt weg von ihm, und das spüre ich und das ist ganz gut“ (E 5, S. 7, 260 ff.).

„Sie ist natürlich im Vergleich zu vorher viel, viel selbstständiger geworden, wenn man zu ihr sagt, du denk dran, äh deine Tasche für B., die packt alles ein [...] und des macht se also selbstständig alles, des is unwahrscheinlich“

(E 12, S. 9, 370 ff.).

„Ja, der is ganz anders, der is wie ausgewechselt. Lebhafter und viel fröhlicher, ja. Da fällt die Belastung weg. Die Schule, die ist eine einzige Bereicherung für ihn, ich hab keinen Moment bereut, dass ma des gemacht haben, dass ma den Schritt gewagt haben“ (E 6, S. 9, 371 ff.).

„Er ist viel aufgeweckter, viel aufgeschlossener. Er ist fröhlicher. Er kommt heim, er singt, er lacht, das war halt vorher nimmer“ (E 8, S. 5, 185 f.).

„... war wieder sehr glücklich, ausgeglichen. Es gab keine Krankheiten, es gab keine psychischen Schwierigkeiten, es war einfach, sie hat sich wohl g´fühlt“ (E 10, S. 10, 416 f.).

Nach der Frage nach dem momentanen Zustand ihrer Tochter antwortete eine Mutter:

„Ganz natürliche vorpubertäre Damen. So würd ich’s jetzt beschreiben, mit allen Aufregungen, Höhen und Tiefen, die sie mitnehmen und die sie ausleben, so wie das für ihre Alter sinngemäß ist. Ohne sich persönlich

angegriffen zu fühlen, sondern sich als absolut gleichwertig zu fühlen und also von daher ist das, denk ich mal, für A. in Ordnung“ (E 4, S. 9, 342 ff.).

Das Gefühl der Gleichwertigkeit schlug sich auch in einer anderen Aussage nieder:

„Ungefähr nach so nem halben Jahr, des war auffallend, hat er dann Kontakt gesucht, hat sich unterhalten und ich denk des war wirklich sehr sehr viel, ausschlaggebend war die Gruppe“ (E 7, S. 19, 81 ff.).

Diskussion

Das Zugehörigkeitsgefühl der Kinder zu ihrer neuen Gruppe, nämlich der ebenfalls hörgeschädigten Schüler am Förderzentrum, wird zwar explizit nur von einer Mutter genannt, dennoch wird aufgrund der Aussagen der Eltern, besonders hinsichtlich der Situation nach dem Schulwechsel, besonders deutlich, dass sich ein Bezugsgruppeneffekt eingestellt hat. Alle Nennungen bzgl. der psychisch-emotionalen Befindlichkeit, die zuvor an der allgemeinen Schule als negativ geschildert wurden, sind am Förderzentrum äußerst positiv bewertet worden. Das subjektive Befinden hat sich in hohem Maße verbessert, psychosomatische Erscheinungen sind zurückgegangen und auch nicht wieder aufgetreten. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Schüler der allgemeinen Schule in ihrer Zuordnungsentscheidung zur Gruppe anderer hörgeschädigter Schüler in positivem Sinne bestärkt sahen, was die Einstellung eines Bezugsgruppeneffektes sehr wahrscheinlich macht.