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ORGANISATIONSSTRUKTUR UND TÄTIGKEITSBEREICHE, 1919–1948

1 VERBANDSMITGLIEDER UND NETZWERKER

1.2 ORGANISATIONSSTRUKTUR UND TÄTIGKEITSBEREICHE, 1919–1948

Im folgenden Kapitel wird geklärt, wie der Verband organisiert war, in wel-chen Tätigkeitsbereiwel-chen er aktiv war und welche Instrumente und finanziel-len Mittel ihm zur Verfügung standen.

Organisationsstruktur des Verbandes95

Der SVV war als föderalistischer Verband mit Sektionen nach dem Vorort-System aufgebaut. Als erster Vorort wurde 1919 die Aargauische Vaterländische Vereinigung bestimmt. Entsprechend hatte der Verband seinen Sitz in den ersten zwanzig Jahren in Aarau. Mit der 1940 erfolgten Wahl des Zürchers Otto Heusser zum Präsidenten verlegte der SVV seinen Sitz nach Zürich an die Sihl strasse 37 in ein 1930 erbautes Geschäftshaus schräg gegenüber des vegetarischen Restaurants Hiltl, später war der Verband am Bleicherweg 52 angesiedelt.

Der SVV hatte zwei Gremien, die Delegiertenversammlung und die Verbands-leitung. Die Delegiertenversammlung – bis zur Statutenänderung von 1940 Eidgenössische Kommission genannt – war die oberste Instanz des SVV. Sie traf sich mindestens jährlich. Die Delegiertenversammlung war für die Wahl der Verbandsleitung zuständig und entschied über die Aufnahme von neuen Mit-gliedsorganisationen. Weiter bestimmte sie über Statutenrevisionen, die Richt-linien des Verbandes, das Jahresprogramm und anstehende Geschäfte. Jeder im Verband vertretene Kanton konnte drei Mitglieder abordnen, gab es in einem Kanton mehrere Sektionen des SVV, so mussten sich diese zu einem Kantonal-verband zusammenschliessen. Nach der Statutenänderung von 1933 wurde die Stimmkraft der Sektionen von deren Mitgliederzahl abhängig gemacht. Damit stiegen die Einflussmöglichkeiten der grossen Sektionen.96

Die Verbandsleitung zählte mindestens sieben, ab 1923 mindestens neun Mitglieder, oft war sie aber deutlich grösser besetzt. Die Verbandsleitung hatte die Funktion einer Verbandsexekutive, war also in erster Linie dafür zuständig, die Beschlüsse der Delegiertenversammlung umzusetzen. Der Verbandslei-tung standen ein Verbandspräsident und ein beziehungsweise nach 1933 zwei Vizepräsidenten vor. Als Untergremium der Verbandsleitung fungierte der fünf- bis neunköpfige Arbeitsausschuss, dem die sogenannten Dienstchefs,

95 Die Organisationsstruktur des SVV wird nur insoweit dargestellt, wie sie für das Verständnis dieser Untersuchung notwendig ist. Ausführlichere Informationen etwa auch zu den unter-schiedlichen Statutenperioden finden sich in Thürer 2010.

96 Thürer 2010, S. 83.

ein Zentralsekretär sowie der Präsident angehörten. Die Dienstchefs leiteten die einzelnen Dienststellen des SVV, also den Werkdienst, den Nachrichten-dienst und den PresseNachrichten-dienst. Mit der Statutenänderung von 1933 wurde der Arbeitsausschuss in seinen Kompetenzen aufgewertet. Er konnte in drin-genden Fällen selbstständig und ohne Einwilligung der gesamten Verbands-leitung Entscheide fällen, die Dienstchefs bestimmen oder Vertrauensleute einstellen. Mit der letzten Statutenrevision wurde 1940 die Verbandsstruktur vereinfacht und die Verbandsexekutive auf einen Zentralvorstand reduziert, die in etwa dem Arbeitsausschuss entsprach, die erweiterte Verbandsleitung dagegen wurde abgeschafft.97

Geführt wurde der Verband von einem Zentralsekretariat am Verbandssitz sowie von einem Secrétariat Romand in Genf respektive ab 1936 in Lausanne.

Die Sektionen des Verbandes wurden aus einzelnen Bürgerwehren, vater-ländischen Vereinigungen und Vereinen gebildet. Mitglied des Verbandes konnten nur solche Körperschaften werden, Einzelmitgliedschaften waren bis 1940 nur bei einer Sektion möglich. Nach der Statutenänderung von 1940 konnte man dem SVV auch als Einzelmitglied beitreten.

Die Sektionen waren in ihren Aktivitäten eigenständig und sehr unter-schiedlich ausgerichtet. In der Anfangszeit spielten sich die Hauptaktivi-täten des Verbandes in den Sektionen ab,98 später verlagerten sie sich in die Verbandsleitung. Im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit wurde von Leitungsmitgliedern zunehmend beklagt, dass die Sektionen passiv seien.

Die «Verbandsmaschine» laufe im Arbeitsausschuss und im Sekretariat, so monierte etwa ein Arbeitsausschuss-Mitglied 1937.99 Auch die Tatsache, dass die Sektionen die Verbandsleitung nur schlecht über ihre Aktivitäten infor-mieren würden und der Zentralverband keinen Überblick über die geleistete Arbeit der Sektionen habe, wurde immer wieder betont.100 Speziell die wel-schen Sektionen waren im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit aus Sicht der Verbandsleitung zu wenig aktiv, was regelmässig in Sitzungen festgehalten wurde: «Leider fehlt […] die nötige Unterstützung aus der Westschweiz fast

97 Ebd., S. 83–86.

98 Thürer 2009, S. 134.

99 Arbeitsausschuss des SVV: Protokoll der Sitzung vom 23. September 1937, 24. 9. 1937, BAR#J2.11#

1000/1406#3*.

100 Leitung des SVV: Protokoll der Sitzung vom 7. Juli 1934, 11. 7. 1934, BAR#J2.11#1000/1406#34*;

Eidgenössische Kommission des SVV: Protokoll der Sitzungen vom 3./4. November 1934 in Baden, 7. 11. 1934, BAR#J2.11#1000/1406#36*.

ganz […].»101 Einzig die 1932 gegründete Association Patriotique Vaudoise, die noch im selben Jahr dem SVV beitrat, hatte zumindest in ihrer Gründungszeit grossen Erfolg.102 Gemäss Verbandszeitschrift des SVV zählte sie 1933 41 Kollek-tivmitglieder, darunter gemischte Chöre und Turnvereine, und zusätzlich 1372 Einzelmitglieder, was eine Zahl von insgesamt rund 40 000 Einzelmitgliedern ergab.103 Prominentestes Mitglied der Association Patriotique Vaudoise war der spätere General Henri Guisan.104

Die Aktivitäten des SVV gingen im Untersuchungszeitraum somit vorwie-gend vom in Aarau und später in Zürich lokalisierten Zentralsekretariat mit Arnold Huber als Zentralsekretär sowie von den einzelnen Dienstsekretären und der Verbandsleitung aus. Zudem kann von einer Dominanz einzelner deutschsprachiger Sektionen wie der Aargauischen Vaterländischen Vereinigung, der Bürgerwehr Basel-Stadt sowie der Sektionen St. Gallen, Kreuzlingen und Diessenhofen gesprochen werden.105

Um möglichst breit verankert zu sein, setzte der SVV nicht nur auf seine Sektionen, sondern unterhielt auch Kontakte zu sogenannten Vertrauens-männern im Parlament, die aber nicht zwingend Mitglied einer SVV-Sektion waren. Die Vertrauensmänner im Parlament wurden über die Tätigkeiten des SVV laufend orientiert,106 manchmal instrumentalisiert, um Interpellationen oder Motionen, die ein Verbandsanliegen behandelten, einzureichen.107 Eben-falls in Kantonen, in denen keine SVV-Sektion existierte,108 setzte der SVV Ver-trauensmänner ein, die auch an die Delegiertenversammlungen eingeladen wurden, allerdings nur eine beratende Stimme hatten.109 Als

101 Geschäftsbericht des SVV vom 1. 11. 1937–30. 9. 1938, BAR#E4320B#1990/270#21*. 1947 wurde festgehalten, dass sich die Situation der welschen Sektionen nicht gebessert habe: Sie hätten kein Geld und keine Mitglieder und auch das Verbandsbulletin «Patrie» könne nicht weiter finanziert werden. Zentralvorstand des SVV: Protokoll der Sitzung vom 12. Mai 1947, 21. 5. 1947, BAR#J2.11#1000/1406#3*.

102 «L’A.P.V. s’est constituée en mars 1932. Elle compte aujourd’hui environ 850 membres indivi-duels et 32 sociétés ou groupemens ayant 32.000 membres environ.», in: Brief von Association Patriotique Vaudoise an SVV, 9. 9. 1932, BAR#J2.11#1000/1406#85*. Julien Sansonnens datiert die Gründung auf 1930. Sansonnens 2012, S. 27.

103 Aus den Sektionen. Association Patriotique Vaudoise, in: Der Schweiz. Vaterländische Verband 3 (Juni 1933), Nr. 5, S. 8.

104 Vgl. zur Association Patriotique Vaudoise: Bütikofer 1992.

105 Zentralvorstand des SVV: Séance du 12 avril 1940, BAR#J2.11#1000/1406#3*.

106 Arbeitsausschuss des SVV: Protokoll der Sitzung vom 11. Januar 1937, 13. 1. 1937, in: ebd.

107 Vgl. Kapitel 3.3.

108 1939 fehlten beispielsweise Sektionen in Schwyz, Unterwalden und Glarus. SVV: Geschäftsbe-richt vom 1. Oktober 1938 – 30. September 1939, BAR#J2.11#1000/1406#45*.

109 Thürer 2010, S. 83.

ner wurden überdies jene Personen bezeichnet, welche für den SVV-Nachrich-tendienst Kommunisten observierten, wie weiter unten noch gezeigt wird.110 Die Dienstabteilungen des SVV – Werkdienst, Pressedienst und

Nachrichtendienst

Der SVV unterhielt drei Dienstabteilungen: den Werkdienst, den Pressedienst und den Nachrichtendienst. Der Werkdienst war im April 1920 aufgrund der wiederholten Streikdrohungen des Bundespersonals eingerichtet worden und hatte die Organisation von Streikbrechern für lebenswichtige Betriebe wie etwa Elektrizitätswerke, Post oder SBB zum Ziel. Gemäss eigenen Angaben wollte er also jene Streiks verhindern, «welche dem ganzen Lande schäd-lich wären». Wo hingegen einzig privatwirtschaftschäd-liche Interessen auf dem Spiele stünden, waren keine Einsätze des Werkdienstes vorgesehen.111 Zur Gründungssitzung des Werkdienstes wurden auch Berufsverbände und Ge-werkschaften eingeladen. So waren der Schweizerische Eisenbahn- und Verkehrs-personal-Verband, die Gaswerke, der Schweizerische Kohlenhändlerverband und der Schweizerische Müllersverband anwesend, die sich alle positiv zu den Zielen des SVV-Werkdienstes äusserten.112

Organisatorisch war der Werkdienst in fünf Kreise eingeteilt,113 welche durch einen Kreisleiter sowie seinen Stellvertreter koordiniert werden sollten.

Die Kreiseinteilung entsprach den fünf sogenannten Bundesbahnkreisen.

Weiter waren örtliche Werkdienstchefs vorgesehen, die lokal agieren sollten.

Eine Werkdienstleitung mit Sitz am Vorort des SVV war für die Gesamtorga-nisation, die Koordination der Kreise und die Absprachen mit den Behörden verantwortlich.114

In der Gründungszeit des SVV stiess der Werkdienst bei den Behörden auf grosses Interesse. Dies kann unter anderem auf die Aufhebung der Vollmach-ten 1921 zurückgeführt werden. Anders als zu ZeiVollmach-ten des Landesstreiks konn-ten die Behörden ohne Vollmachkonn-ten keinen militärischen Ordnungsdienst einberufen. Auch organisierte, «nicht-militärische Kräfte, um den Staat zu unterstützen», fehlten in der Schweiz, wie Heinrich Häberlin in einer

110 Vgl. Kapitel 2.1, S. 170–175.

111 SVV: Der Schweizerische Werkdienst. Orientierungsblatt, undatiert (1939–1940), BAR#J2.11#1000/1406#110*.

112 SVV: Protokoll-Auszug von der Sitzung zur Gründung einer Schweiz. Werkdienst-Organisation in Aarau, den 24. April 1920, BAR#J2.11#1000/1406#79*.

113 Kreis I: Welschland; Kreis II: Mittelland (BE, AG, SO); Kreis III: ZH; Kreis IV: Ostschweiz (SG, AI, AR, GR, TG); Kreis V: Innerschweiz und Tessin (ZG, LU, OW, UR, SZ, TI).

114 Brief von SVV an die Herren Kreisleiter, 22. 10. 1922, BAR#J2.11#1000/1406#103*.

lungnahme zum Werkdienst festhielt.115 Dass der SVV hier mit seinem freiwil-ligen Werkdienst in eine Lücke sprang, kam dem Bundesrat entgegen, wie in dieser Stellungnahme Häberlins deutlich wird. Das EJPD stellte daher ab 1922 zur Diskussion, «ob der Staat zu dieser privaten Organisation in organische Beziehung treten und sie dauernd dienstbar machen soll, [und] auf welcher Grundlage und in welcher Weise dies geschehen könnte».116

Noch bevor diese Beziehung klar geregelt wurde, kam es zu einem ers-ten grossen Einsatz des Werkdienstes beim gesamtschweizerischen Typo-grafenstreik 1922. Im selben Jahr konnte der SVV zudem die bestehende Streikbrecher-Organisation der SBB übernehmen. SBB und EMD finanzierten von 1927 bis 1931 auch Ausbildungskurse für die Werkdienstfreiwilligen. So fand beispielsweise vom 14. bis 26. November 1927 in Bülach ein Lokomotiv-führerkurs statt, an dem allerdings nur sechs Personen teilnahmen.117 Auch die Schweizerische Post war am Werkdienst des SVV beteiligt.118

Wesentliche Impulse für seinen Auf- und Ausbau erhielt der Werkdienst des SVV in den 1920er Jahren durch den Austausch mit anderen europäischen Werkdienstorganisationen. Der SVV nutzte seine internationale Vernetzung in Form der oben erwähnten Werkdienstkonferenzen und seine Kenntnisse ausländischer Werkdienstorganisationen im Kontakt mit den Bundesbehör-den. So orientierte sich der SVV bezüglich seiner rechtlichen Position an der deutschen Technischen Nothilfe und gab die Informationen über den strafrecht-lichen Schutz der Technischen Nothilfe durch die dortigen Behörden an den Bun-desrat weiter, um so eine Verbesserung seiner eigenen rechtlichen Einbettung zu erreichen.119 Auch für spätere Unterhandlungen mit Bundesrat Pilet-Golaz in den Jahren 1931 und 1932, bei denen es um den Ausbau des Werkdienstes ging, verwendete der SVV Informationen aus dem Ausland. Namentlich die vergleichbaren Organisationen in Frankreich, Deutschland, Belgien, Öster-reich und England und ihr Verhältnis zu den Behörden wurden dem

115 Brief von Häberlin, Heinrich an Eidgenössisches Post- und Eisenbahndepartement: Werkdienst, 5. 1. 1922, BAR#E21#1000/131#12043*.

116 Justizabteilung des EJPD: Aufzeichnung zuhanden des Herrn Departementsvorstehers über die rechtliche Stellung des Werkdienstes und seine Beziehungen zum Staat, 3. 1. 1922, Beilage zu:

Brief von Häberlin, Heinrich an Eidgenössisches Post- und Eisenbahndepartement: Werkdienst, 5. 1. 1922, in: ebd.

117 Zschokke, M., Kreisleiter Werkdienst III: Verzeichnis der Teilnehmer am Lokomotivführerkurs vom 14.–26. November 1927 in Bülach, undatiert, BAR#J2.11#1000/1406#97*.

118 Arbeitsausschuss des SVV: Protokoll der Sitzung vom 20. August 1935, 22. 8. 1935, BAR#J2.11#1000/

1406#2*.

119 Vgl. Brief von SVV an Häberlin, Heinrich, 22. 9. 1925, BAR#E4110A#1000/1840#367*; Brief von SVV an Häberlin, Heinrich, 28. 5. 1931, BAR#J2.11#1000/1406#112*.

rat als mögliches Vorbild vorgestellt.120 Umgekehrt referierte der SVV an den internationalen Werkdienstkonferenzen auch über sein Verhältnis zu den Bundesbehörden und stellte so sein Wissen den anderen Organisationen zur Verfügung.121

Ab 1931 verlor der Werkdienst zunehmend an Bedeutung, und es fanden kaum mehr Einsätze statt.122 Aus diesem Grund wurde 1931 eine Reorgani-sation angegangen, mit welcher der Werkdienst erneut aktiviert werden sollte. Es bestand nun die Idee, neben einem zentral organisierten Eisenbahn- und Posthilfsdienst in den Händen der Werkdienstleitung einen dezentralen Werkdienst in den Händen der Sektionen aufzubauen. Dieser von den Sekti-onen betriebene Werkdienst hätte sich um die lebenswichtigen Betriebe in den jeweiligen Kantonen kümmern sollen. Vom SVV angestellte Erhebungen bei den Leitern der kantonalen Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke ergaben jedoch, dass diese einen Werkdienst des SVV als unnötig erachteten, da sie

«ihrem Personal grösstes Vertrauen» entgegenbrächten. Dies bremste die Neuorganisation des Werkdienstes.123 1931 wurden zudem erste Versuche gemacht, im Bereich des Betriebsschutzes über die Grenzen hinweg zusam-menzuarbeiten. So stellten sich der SVV und die Technische Nothilfe Baden-Würt-temberg die Aufgabe, den Schutz der Elektrizitätswerke entlang des Rheinufers gemeinsam zu garantieren. Vonseiten des SVV war hier vor allem die Bürger-wehr Basel-Stadt involviert, die auch nachrichtendienstliche Kontakte mit der Technischen Nothilfe pflegte.124 Auf Schweizer Seite scheiterte das Projekt an den föderalistischen Strukturen des SVV, die sich für ein überregionales Projekt

120 Vgl. Brief von SVV an Häberlin, Heinrich, 28. 5. 1931, BAR#J2.11#1000/1406#112*. In diesem Brief schreibt der SVV an Bundesrat Häberlin, dass er nach seinem Besuch der internationalen Werkdienstkonferenz in Kopenhagen Bundesrat Pilet-Golaz in einer Besprechung informieren werde. Vgl. auch: Notizen zur Vorbereitung der Unterhandlungen mit Bundesrat Pilet-Golaz durch ein Exposé, in: Besprechung vom 14. Januar 1932 mit Herrn Direktor Bourgeois über den Weiterausbau des Werkdienstes, 14. 1. 1932, BAR#J2.11#1000/1406#103*.

121 Brief von SVV an Samfundshjaelpen, Tekniks Noedhjaelp, 15. 5. 1931, BAR#J2.11#1000/1406#123*;

Samfundshjaelpen, Tekniks Noedhjaelp: Bericht über die Konferenz der europäischen Tech-nisch-Nothilfe-Organisationen in Copenhagen am 11. Juni 1931, 1. 7. 1931, in: ebd.

122 Thürer 2009, S. 141–142.

123 Samfundshjaelpen, Tekniks Noedhjaelp: Bericht über die Konferenz der europäischen Tech-nisch-Nothilfe-Organisationen in Copenhagen am 11. Juni 1931, 1. 7. 1931, BAR#J2.11#1000/

1406#123*; vgl. auch: SVV: Exposé über den Werkdienst (streng vertraulich), 11.  4 1932, BAR#J2.11#1000/1406#103*.

124 Brief von Bürgerwehr Basel-Stadt an SVV, 7. 2. 1931, BAR#J2.11#1000/1406#111*.

nicht eigneten, während der Schutz der Elektrizitätswerke auf deutscher Seite dagegen «von Basel bis zum Bodensee» durchgehend gewährleistet war.125

Auch die Behörden brachten dem Werkdienst in den 1930er Jahren zuneh-mend weniger Interesse entgegen. Das Protokoll einer Sitzung des SVV mit der Generalstabsabteilung sowie einem Vertreter der SBB im Oktober 1934 zeigt etwa, dass das EMD bereits eigene Massnahmen ergriffen hatte, um im Falle eines Streiks die lebenswichtigen Betriebe schützen zu können. An der Sit-zung wurde dem SVV zudem bekannt gegeben, dass die Kantone und nicht der SVV für die öffentliche Ruhe und Ordnung zuständig seien. Der Generalsekre-tär der SBB war hinsichtlich des Werkdienstes des SVV zwar etwas positiver, betonte aber ebenfalls, dass «die Verwendung nicht eingeschulter Leute im Eisenbahnbetrieb schwierig» sei. Ein Einsatz Werkdienstfreiwilliger aus dem SVV wäre höchstens bei «Ladung und Entladung möglich» – ein Aufgabenbe-reich, der beim SVV wiederum nur auf wenig Interesse stiess.126

Ein Blick in die Sitzungsprotokolle der Werkdienstleitung zeigt, dass ein Einsatz des Werkdienstes im Untersuchungszeitraum auch kaum möglich gewesen wäre und bis auf den Werkdienstkreis I, dem Welschland, sämtliche Kreise Schwierigkeiten hatten, die entsprechenden Freiwilligen zu finden.127 1935 leitete der SVV eine erneute Reorganisation des Werkdienstes mit kanto-nalen Werkdienstkommissariaten ein.128 Auch diese war jedoch wenig erfolg-reich,129 und noch 1937 war sich selbst die Werkdienstleitung nicht im Klaren darüber, ob ein Einsatz bestritten werden könnte.130 «Ein Versuch der Mobil-machung», also eine Art Probealarm, kam für die Werkdienstleitung jedoch nicht in Frage, «weil wir gegen aussen nicht in Erscheinung treten dürfen».131 Dass der Ausbau des Werkdienstes nicht nach Plan verlief und die Behörden kaum mehr daran interessiert waren, wurde den Sektionen nicht mitgeteilt.

125 Brief von Bürgerwehr Basel-Stadt an SVV, 29. 4. 1931; Brief von Bürgerwehr Basel-Stadt an SVV, 19. 11. 1931, BAR#J2.11#1000/1406#111*.

126 Huber, Arnold: Protokollnotizen über die Besprechung auf der Generalstabsabteilung vom 23. Oktober 1934, BAR#J2.11#1000/1406#103*.

127 Huber, Arnold, Schweizerische Werkdienstleitung: Protokoll der Sitzung vom 17. November 1934 in Olten, 19. 11. 1934, in: ebd.

128 Leitung des SVV: Protokoll der Sitzung vom 4. April 1936, 8. 4. 1936, BAR#J2.11#1000/1406#34*.

129 Gysin, A. an SVV, Werkdienst: Rapport Nr. 2 über den Stand des Eidg. Werkdienstes, Kreis 2, 16. 3. 1936, BAR#J2.11#1000/1406#96*; Brief von Zschokke, M., Kreisleiter Werkdienst III an Huber, Arnold, 18. 3. 1936, BAR#J2.11#1000/1406#97*; Leitung des SVV: Protokoll der Sitzung vom 4. April 1936, 8. 4. 1936, BAR#J2.11#1000/1406#34*.

130 Huber, Arnold; Schweizerische Werkdienstleitung: Protokoll der Sitzung vom 16. Oktober 1937 in Olten, BAR#J2.11#1000/1406#103*.

131 Arbeitsausschuss des SVV: Protokoll der Sitzung vom 23. September 1937, 24.  9. 1937, BAR#J2.11#1000/1406#3*.

Der Bernische Vaterländische Verband erfuhr beispielsweise 1937 zufällig, dass das EMD «dem Werkdienst absolut nicht die Bedeutung beimisst, die wir bis jetzt auf Grund der uns [vom Zentralsekretariat des SVV] gemachten Mittei-lungen vorausgesetzt haben».132 Er beschloss daher, sich nicht weiter für den Ausbau des Werkdienstes einzusetzen.

Auch immer mehr SVV-Mitglieder sahen den Werkdienst zunehmend kri-tisch, und die Werkdienstleiter hatten Mühe, genügend Werkdienstfreiwil-lige zu finden: «Überall habe man ihm erklärt», so gab Friedrich Abt, der Leiter des Werkdienstkreises IV, dem Zentralsekretär Arnold Huber bekannt, «die Organisation [des Werkdienstes] sei überflüssig, indem sie durch militärische Massnahmen überholt worden sei».133 Dass der SVV Probleme hatte, Freiwil-lige anzuwerben, hing zum einen mit einer veränderten Einschätzung der Bedrohungslage zusammen. Seit Mitte der 1930er Jahre bekannten sich die So-zialdemokraten explizit wieder zum Bundesstaat und zur Landesverteidigung, indem sie ihre Unterstützung für das Militärbudget aussprachen. Im Verlauf der Weltwirtschaftskrise, die zunächst politisch polarisierend wirkte, näher-ten sich zudem Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Gewerbe an und verpflich-teten sich 1937 zum sogenannten Arbeitsfrieden. Die Leute seien für einen Werkdienst «erst wieder zu haben […], wenn die Gefahr vor der Tür steht und es dann gewöhnlich zu spät ist»,134 folgerte Friedrich Abt. Auch im Geschäfts-bericht für das Jahr 1940 wurde festgehalten, dass die Leute irrtümlicherweise glauben würden, dass ein Einsatz des Werkdienstes «zufolge der Geschlos-senheit des Schweizervolkes überhaupt nicht mehr in Frage kommen» wür-de.135 Zum andern war aber ab 1939 auch die Mobilmachung entscheidend.136 Vielen bisherigen Freiwilligen war es nicht mehr möglich, sich neben dem militärischen Dienst auch noch freiwillig im Werkdienst zu betätigen.137 Dies führte schliesslich dazu, dass der SVV 1939 die Kaderleute des Werkdienstes als Vertrauensleute in den Nachrichtendienst überführte. Die SVV-Leitung hielt jedoch weiterhin auch am Werkdienst fest, da er ihrer Meinung nach immer

132 Kreis Mittelland BVV an Hünerwadel, W.: Untersuchungsresultat der WD-Kommission des Kreises Mittelland des BVV, 15. 1. 1937, BAR#J2.11#1000/1406#96*.

133 Brief von Abt, Friedrich an Huber, Arnold, 3. 6. 1940, BAR#J2.11#1000/1406#98*.

134 Ebd.

135 Geschäftsbericht des SVV vom 1. Oktober 1939–30. September 1940, S. 11, BAR#J2.11#1000/

1406#38*.

136 Zentralvorstand des SVV: Protokoll der Sitzung vom 10. Oktober 1942, 12.  10. 1942, BAR#J2.11#1000/ 1406#3*.

137 Brief von Gysin, A. an Hürlimann, Hans, 23. 4. 1940, BAR#J2.11#1000/1406#96*; Geschäftsbe-richt des SVV vom 1. Oktober 1939–30. September 1940, S. 11, BAR#J2.11#1000/1406#38*.

noch wichtig sei.138 Noch im selben Jahr 1939 erfuhr der SVV allerdings, dass die Behörden vorsahen, im Streikfalle den militärischen Hilfsdienst einzusetzen, wodurch der Werkdienst des SVV überflüssig wäre.139 Ein Brief des Obersts im Generalstab, Werner Müller, gab 1943 schliesslich endgültig Klärung: Dem SVV wurde unmissverständlich bekannt gegeben, dass der Werkdienst uner-wünscht sei. Während des Krieges sei es «Sache der Armee und der zustän-digen zivilen Instanzen, für Betriebsschutz und Betriebsaufrechterhaltung zu sorgen». Und nach dem Krieg sei es «Aufgabe des öffentlichen Dienstes»

und «nicht Befugnis freiwilliger Vereinigungen» für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Eine Kopie dieser Mitteilung ging unter anderen an den Chef des EMD, an den Chef des Generalstabes, an die Generaldirektionen der Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe (PTT) und der SBB sowie an die Bundesanwaltschaft.140 Für den SVV war diese klare Absage eine grosse Enttäuschung.141 Nach dem Krieg nahm er noch einmal Kontakt zu den beteiligten Behörden auf, doch nach wie vor vertraten diese die Ansicht, dass es den Werkdienst des SVV nicht brau-che.142 Der SVV beschloss daher, den Werkdienst auf nationaler Ebene definitiv fallen zu lassen, es jedoch in der Verantwortung der Sektionen zu lassen, einen Werkdienst auf kantonaler Ebene einzurichten.143

Die Einrichtung eines funktionstüchtigen Werkdienstes scheiterte zwar, jedoch wurden hier die Grundlagen gelegt für ein Netzwerk zwischen dem SVV und den Behörden, das in den 1930er Jahren im Bereich des Staatsschutzes

Die Einrichtung eines funktionstüchtigen Werkdienstes scheiterte zwar, jedoch wurden hier die Grundlagen gelegt für ein Netzwerk zwischen dem SVV und den Behörden, das in den 1930er Jahren im Bereich des Staatsschutzes