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KOMMUNISTEN, JUDEN UND NATIONALSOZIALISTEN IM VISIER DES NACHRICHTENDIENSTES

1 VERBANDSMITGLIEDER UND NETZWERKER

2.3 KOMMUNISTEN, JUDEN UND NATIONALSOZIALISTEN IM VISIER DES NACHRICHTENDIENSTES

Der SVV zeigte nicht nur an, sondern er denunzierte auch Verhalten, das er selbst als unmoralisch oder «unschweizerisch»147 empfand, das aber letztlich keinen Gesetzesbruch darstellte. Er denunzierte also gesellschaftliche und politische Devianzen. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Denun-ziationsmeldungen in einer zweiten Analyse auf einer semantischen Ebene untersucht und nach Metaphern, Stereotypen und Regelmässigkeiten in der Beschreibung der Denunzierten fragt. Dabei zeigt sich eine auffällige Kongru-enz und ein der ersten Analyse zuwiderlaufendes Bild: Die denunzierten Kom-munisten und später die denunzierten jüdischen Flüchtlinge wurden vom SVV nämlich einheitlich und stereotyp beschrieben. Die Anzeige von unter-schiedlichen Delikten oder Kontextualisierungen zu politischen Ereignissen hob sich dadurch gewissermassen auf. Deshalb rücken die Ereignisse und ge-setzlichen Grundlagen als Erklärungsmuster der Denunziationen in den Hin-tergrund, es kommt ihnen lediglich eine Rolle als Legitimationsgrundlage zu.

Die Denunziationsmeldungen formten Vorstellungen von dem Kommunis-ten und von dem jüdischen Flüchtling, die in dieser Zeit prägend waren, mit.

Die Stereotype zu den Denunzierten waren Teil des damals vorherrschenden antikommunistischen und antisemitischen Diskurses,148 der die Denunziatio-nen des SVV prägte und gleichzeitig reziprok auch vom SVV geformt wurde. Es lassen sich dabei primär drei Diskursstränge feststellen: Erstens waren der an-tikommunistische Diskurs und damit auch die Denunziationen geprägt von der Angst vor einem politischen Umsturz, zweitens kristallisiert sich als Teil des antikommunistischen Diskurses ein Überfremdungsdiskurs heraus, und

147 SVV: Instruktion an die Herren Kreischefs betr. Fortsetzung der Arbeit und Verwendung der Kaders des Werkdienstes im Informationsdienst, 5. 6. 1939, BAR#J2.11#1000/1406#110*.

148 Die Annahme, dass die Stereotype Teil des Diskurses waren, setzt voraus, dass diese Stereotype nicht nur willentlich, also mit einer bestimmten strategischen Absicht eingesetzt wurden, sondern auch nichtintentional im Sprechen über Kommunisten verwendet wurden.

drittens gab es einen antisemitischen Diskurs vom «jüdischen Bolschewis-mus», der mit Antikommunismus argumentierte. Es wird in diesem Kapitel darum gehen, exemplarisch diskursive Regelmässigkeiten und Formierungen in der Beschreibung der Denunzierten herauszuarbeiten und dabei speziell auf Metaphern und Stereotypen zu achten. Diese sollen in einem weiteren Schritt mit Aussagen der Behörden sowie nationalen und internationalen Pressetexten verglichen werden, um so den antikommunistischen Diskurs dieser Zeit herauszuarbeiten. Ziel ist es, zu zeigen, dass es im jeweiligen Spre-chen über Kommunisten und Juden eine Übereinstimmung gab, die für die Wirksamkeit der Denunziationen von grosser Bedeutung war.

Der Kommunist in den Meldungen des SVV und der antikommunistische Diskurs Der Begriff «Kommunist» besass bestimmte Konnotationen und rief Assozi-ationen hervor, die allen Mitgliedern der Gesellschaft präsent waren – unab-hängig davon, ob sie von ihnen geteilt wurden oder nicht. Die Assoziationen zu Kommunist waren «Umsturz», «internationale Vernetzung», «Unter-grund», «Lüge» und «Verschwörung». Dies galt nicht nur für die Schweiz, sondern global, wie etwa Untersuchungen von Ellen Schrecker zum Bild des Kommunisten in den USA während der McCarthy-Ära belegen.149 Auch in den Denunziationsmeldungen des SVV zeigt sich ein solch stereotypes Bild des Kommunisten, das sich nicht zwingend aus Beobachtungen und Erfahrungen ergab, sondern in diskursiver Regelmässigkeit auftrat und über den SVV hin-aus Gültigkeit besass.

Eine Voraussetzung für die Wirkmächtigkeit des Bildes vom Kommunisten war das Stereotyp150, dass alle Kommunisten gleich seien, dass sie dasselbe glauben, denselben Regeln folgen und dieselben Slogans verbreiten. Dieses Stereotyp hing mit der Vorstellung zusammen, dass alle Kommunisten als Mitglied der Partei von Moskau aus gesteuert seien. So schrieben etwa die Schweizer Monatshefte 1935, dass die KPdSU auf die kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern Einfluss nehmen, mit «den Kommunisten des Gast-landes konspirieren, die kommunistische Agitation im Gastland aktivieren und ein Netz von Agenten und Spionen spannen [würde], durch das das ganze politische, militärische und wirtschaftliche Leben eines Landes kontrolliert

149 Schrecker 1998, S. 119–153.

150 Ein Stereotyp ist gemäss Walter Lippmann (Public Opinion, New York 1922) eine kognitive Strategie der Komplexitätsreduktion und selektiven Wahrnehmung, die kollektive Zuschrei-bungen verfestigt. Nünning 2005, S. 205; vgl. auch: Hahn 1995; Wolf 1978.

und ausgekundschaftet wird.»151 Diese Beschreibung einer Einflussnahme der KPdSU auf die verschiedenen nationalen kommunistischen Parteien war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht vollständig falsch, erscheint hier jedoch mas-siv überzeichnet. Mit der Beschreibung einer internationalen Vernetzung sollte die Gefährlichkeit der Kommunisten erst anschaulich gemacht werden und es den Behörden erlauben, alle Kommunisten gleich zu behandeln. Die Behörden wie auch die privaten Antikommunisten blieben dabei einen Be-weis dieser Behauptung stets schuldig,152 das Stereotyp des Kreml-gesteuerten Kommunisten war so stark, dass nichts bewiesen werden musste. Auch für die Denunziationsmeldungen des SVV bildete die Vorstellung einer international vernetzt agierenden Gemeinschaft von Kommunisten eine Grundannahme, von der ausgehend eine Gefährlichkeit behauptet wurde, ohne detaillierte Beweise zu liefern.153

Nebst dem Stereotyp einer internationalen Vernetzung, das durchaus auch ein kommunistisches Autostereotyp war, wendete der SVV in seinen Denun-ziationen zu Kommunisten auch zahlreiche Metaphern an. Metaphern haben die Funktion einer Komplexitätsreduktion und können wertende Stereoty-pen noch verstärken154 – ein Mechanismus, der insbesondere bei nationalen Stereotypen und bei Stereotypen zu sozialen Klassen, Berufsgruppen oder Geschlecht zum Tragen kommt.155 Metaphern enthalten Wertungen und Deu-tungsangebote, welche die Wahrnehmung des Beschriebenen zu beeinflussen vermögen156 und Emotionen wie Angst oder ein Bedrohungsgefühl hervorru-fen, die keine Reaktion auf persönliche Erfahrungen sind, sondern nur durch eben dieses Wort, durch die Metapher ausgelöst werden.

Im Falle der Denunziationsmeldungen des SVV standen solche Metaphern oft anstelle eines konkreten Deliktes. Eine in Zusammenhang mit der War-nung vor einem kommunistischen Umsturz häufig verwendete Metapher war die «kommunistische Wühlarbeit». Der Verband meldete beispielsweise 1937 an die Bundesanwaltschaft, der Glarner Professor und Kommunist Alfred Feld-mann setze in Zürich «seine Wühlarbeit» fort,157 und auch in seiner

151 Politische Rundschau, in: Schweizer Monatshefte. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur 14 (1934–35), Nr. 6, S. 295–300, S. 295.

152 Schrecker 1998, S. 131.

153 Vgl. z. B. SVV: Meldungen an Bundesanwaltschaft, 10.  10. 1931, 6.  12. 1932, 21.  1. 1937, BAR#E4320B#1990/270#21*.

154 Roth 2005, S. 21.

155 Hönigsperger 1991, S. 238.

156 Peter/Knoop/von Wedemeyer et al. 2012, S. 49–50, S. 52.

157 SVV: Meldung an Bundesanwaltschaft, 22. 3. 1937, BAR#E4320B#1990/270#21*.

zeitschrift war 1934 zu lesen: «Die Wühlarbeit von links wird dagegen mit unverminderter Schärfe weitergetrieben. Wer weiss, wann die Kommunisten zum entscheidenden Schlag ausholen wollen?»158 Die Metapher «Wühler» be-zog ihren Bedeutungsgehalt aus zwei älteren Deutungskontexten. Der Begriff wurde ursprünglich zur Bezeichnung des Maulwurfs verwendet. Zur allge-mein bekannten Metapher wurde er, als in den Revolutionen von 1848/49 die republikanischen Demokraten als Wühler beschimpft wurden, um ihr Trei-ben als staatsuntergraTrei-bend darzustellen.159 Gemäss Ladendorfs historischem Schlagwörterbuch erlebte der Begriff um 1860 nochmals eine Konjunktur, um dann allerdings bis zur Jahrhundertwende zu verschwinden.160 Erst in den bürgerlichen Bedrohungsszenarien eines bevorstehenden revolutionä-ren Umsturzes im 20. Jahrhundert trat der Begriff wieder auf. Der Begriff der

«Wühlarbeit» und des «Wühlers» wurde nun zunehmend auf Kommunisten und Bolschewisten angewandt, die eine Gefahr für den Staat darstellen und im Unsichtbaren agieren sollten. Möglicherweise schwingt in der Metapher auch die Angst mit, dass die kommunistischen «Wühler» «Dreck an die Ober-fläche» bringen, also Dinge ans Licht zerren, die eigentlich verdeckt bleiben sollten.

«Wühlerei» und «Kommunismus» waren nach 1918 unweigerlich mit einander verknüpft. Wer von «Wühlern» sprach, meinte damit die Kommunisten. Dies zeigt ein Blick in die nationale und internationale Pres-selandschaft. Das Neue Berner Taschenbuch warnte 1919 vor «bolschewistischen Wühlereien».161 Und 1926 ist in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung zu lesen, «dass die revolutionären Lehren und Wühlereien von Osten her fast überall ihr übles Wesen treiben»,162 die Allgemeine Rundschau schrieb 1924, «dass die russische Handelsvertretung eifrig kommunistische Wüh-lerei trieb»,163 und die Anti-Komintern, ein 1933 gegründeter Gesamtverband

158 Sorgen und Hoffnungen, in: Der Schweiz. Vaterländische Verband 5 (September 1934), Nr. 3, S. 1–8, S. 3, vgl. auch: Situationsbericht, in: Der Schweiz. Vaterländische Verband 7 (März 1936), Nr. 9, S. 1–4.

159 Dies widerspiegelt sich auch in der Kurve des Ngram-Viewers zum Begriff «Wühler».

Google Ngram Viewer: <https://books.google.com/ngrams/graph?content=W%C3%B-Chler&year_start=1800&year_end=1950&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_

url=t1%3B%2CW%C3%BChler%3B%2Cc0>.

160 Ladendorf 1968 (1906), S. 345–347.

161 Berner Chronik vom 1. November 1918 bis 31. Oktober 1919, in: Neues Berner Taschenbuch 25 (1919), S. 226.

162 Biberstein, Arnold: Die militärische Lage der Schweiz, in: Allgemeine Schweizerische Militär-zeitung 72=92 (1926), Nr. 6, S. 242–256, S. 250.

163 Allgemeine Rundschau. Wochenschrift für Politik und Kultur 21 (1924), S. 287.

deutscher antikommunistischer Vereinigungen, gab 1936 eine Broschüre zur

«bolschewistischen Wühlarbeit» heraus.164 Auch sozialdemokratische und gewerkschaftliche Zeitschriften sprachen bereits in den 1920er Jahren165 von

«kommunistischen Wühlereien»166 oder der «Wühlarbeit der Kommunis-ten»167. Dass diese Metapher Teil des antikommunistischen Diskurses war, zeigt weiter auch ein Blick in Akten der Bundes- und Polizeibehörden. So wurden die Kommunisten im Untersuchungsbericht zum Landesstreik be-reits 1919 als skandallustige, arbeitsscheue und verhetzte junge Burschen beschrieben, die «ihre freie Zeit zu Wühl- und Werbearbeiten» nutze.168 Die Metapher von der «Wühlerei» fand auch Eingang in Bundesratsbotschaften zu Gesetzesentwürfen und in Stellungnahmen von Nationalräten. In der Botschaft zum «Entwurf eines Bundesbeschlusses über den Schutz der öffent-lichen Ordnung und Sicherheit» vom 7. Dezember 1936 ist beispielsweise zu lesen, dass das Gesetz notwendig sei, «um die geheimen Wühlereien dieser vom Ausland abhängigen staatsfeindlichen Bewegung vom ersten Auftreten an zu treffen.»169 Und der Nationalrat und spätere Bundesrat Markus Feld-mann – übrigens der Bruder des oben genannten Alfred FeldFeld-mann170 – schrieb 1939, dass der Ausbau des schweizerischen Staatsschutzes ab 1936 vorange-trieben wurde, um «gegen kommunistische Wühlereien in der Schweiz» an-zukämpfen.171 Die Metapher fand auch Eingang in den antikommunistischen

164 Der Weltbolschewismus 1936.

165 Eine dezidiert antikommunistische Haltung vertraten die Sozialdemokraten während der Geistigen Landesverteidigung (Mooser 1997), doch bereits früher kam es immer wieder zu kritischen Distanzierungen vonseiten der Sozialdemokraten, etwa unmittelbar nach der Gründung der KPS. Huber 2009.

166 Belina, Josef: Die Tragik der Arbeiterbewegung in der Tschechoslowakei, in: Rote Revue 2 (1922–1923), Nr. 4, S. 133–141, S. 138.

167 Ausland: Rumänien, in: Gewerkschaftliche Rundschau für die Schweiz. Monatsschrift des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes 15 (1923), Heft 11, S. 122–123, S. 123.

168 Bericht des eidg. a. o. Untersuchungsrichters Bickel, Zürich an die Bundesanwaltschaft betreffend die bolschewistischen Umtriebe über die «Kommunistische Partei», 1.  7. 1919, BAR#E21#1000/131#10527*.

169 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesbeschlusses über den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (vom 7. Dezember 1936), BBl 1936 III, S. 393–415, S. 402.

170 Ficker Stähelin 2006, S. 28.

171 Feldmann, M[arkus]: Grenzen der Freiheit. Teil I: Zur Entwicklung des Staatsschutzes in der Schweiz bis zum Ausbruch des Krieges im Herbst 1939, in: Schweizer Monatshefte. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur 23 (1943/44), Nr. 8, S. 415–429, S. 421.

Diskurs des Kalten Krieges, wo etwa in den Neuen Wegen von «List, Wühlerei, Gewalt» des Kommunismus gesprochen wurde.172

Mit der Metapher der «Wühlerei» eng konnotiert war die Metapher von den Kommunisten als «Schädlinge», wie sie etwa in folgender Meldung eines Vertrauensmanns an den SVV zum Ausdruck kommt und die sich über die mit der «Wühlarbeit» konnotierten Maulwürfe auch semantisch ergibt: «Mit Rücksicht auf die eher zunehmende staatsfeindliche Wühlar-beit seitens links-extremer Agitatoren […] habe ich mir wiederholt die Frage gestellt, ob heute die Möglichkeit nicht vorliegt, solchen Schädlingen, wenn sie Schweizerbürger sind, mit der Aberkennung des Schweizerbürgerrechts entgegenzutreten.»173 Der Begriff «Schädling» wurde in den 1930er Jahren zur metaphorischen Beschreibung aller politisch unerwünschten Menschen wie Kommunisten und Juden angewandt, im Nationalsozialismus erfuhr er jedoch eine diskursive Verengung auf die Juden. Sowohl das «Wühlen» als auch die «Schädlinge» sind biologistische Metaphern, in welchen die «Schäd-lingsvernichtung» mitgedacht wurde.174

In den Begriffen klingt zudem eine weitere Metapher von einem unterirdi-schen, dunklen Grabensystem an, das gleichsam als geheime Parallelwelt zu allem, was bei Tageslicht geschieht, funktioniert und in das sich etwa auch die in Briefen von SVV-Mitgliedern verwendete Bezeichnung der Kommunisten als «lichtscheues Gesindel»175 einreiht. Konspiration, Geheimnis und Akti-vität in der Nacht und bei Dunkelheit sind denn auch eine weitere, mit der

«Wühlarbeit» semantisch eng verknüpfte Stereotypengruppe, die den Dis-kurs über die Kommunisten prägte. So berichtete der SVV der Bundesanwalt-schaft beispielsweise über den Kommunisten Jeanneret, bei dem auch in der Nacht ein «grosser Verkehr» von Kommunisten herrsche.176 In dasselbe Argu-mentationsmuster reihten sich auch jene Meldungen ein, die von geheimen Versammlungen berichteten. So fanden gemäss einem SVV-Vertrauensmann beim Sekundarlehrer und Kommunisten Hümbelin «geheime Zusammen-künfte von kommunistischen Parteifunktionären statt»,177 und auch Josef Wassermann, der gemäss einem Vertrauensmann «engste Beziehungen zur

172 Ornstein, Hans: Der antirussische Komplex – eine Kontroverse. Das Ost-West-Problem, in:

Neue Wege 45 (1951), Nr. 4, S. 145–155, S. 146.

173 Brief von Büsser, Albert an SVV, 24. 5. 1946, BAR#J2.11#1000/1406#480*.

174 Schmitz-Berning 2007, S. 554–557.

175 Brief von Bonjour, Conrad an Bircher, Eugen, 4. 10. 1944, AfZ, NL Eugen Bircher /18.2.1.7.1.

176 Meldung eines Vertrauensmanns an SVV, 27. 9. 1938, BAR#J2.11#1000/1406#475*.

177 Meldung eines Vertrauensmanns an SVV, 16. 9. 1938, in: ebd.

Komintern» unterhalte, rufe «die kommunistischen Flüchtlinge und Funk-tionäre jeweils an bestimmten Örtlichkeiten zu geheimen Sitzungen und Rundfunkabhörungen zusammen».178 Diese Beschreibungen der Kommunis-ten als konspirative Gruppe, die bei Nacht und im Geheimen arbeite, wurden stereotyp verwendet und suggerierten, dass es sich bei der kommunistischen Aktivität um eine staatsfeindliche Tätigkeit handle, die bei Tag nicht ausge-führt werden könne. Dass auch dieses Stereotyp dem damaligen Diskurs über Kommunisten entsprach, zeigt ein Blick in Untersuchungsberichte der Poli-zei, wo beispielsweise festgehalten wurde: «Den Hausbewohnern Sonnegg-strasse ist schon des öftern aufgefallen, dass bei Ansorges etwas geschieht, was am Tageslicht nicht gezeigt werden darf. Zu jeder Stunde in der Nacht wird bei diesen Ansorges aus- und eingegangen.»179 Später eigneten sich Sozialis-ten und KommunisSozialis-ten die Wühler-Metapher zur Selbstbeschreibung an, so bezeichnete sich eine trotzkistische Gruppe in den 1980er und 90er Jahren als «Roter Maulwurf» und gab auch eine Zeitschrift mit dem entsprechenden Namen heraus.

Ein weiteres Stereotyp, das sich in mehreren Denunziationsmeldungen findet, war die Unterstellung, dass Kommunisten lügen. So steht in einem Bericht eines SVV-Vertrauensmanns beispielsweise, dass der Kommunist Josef Wassermann «nach Kommunistenart alles in Abrede stellen [werde], was man ihm vorhält»180 – der Hinweis auf die Kommunistenart zeigt deutlich, dass es sich um ein Stereotyp handelte, das für alle Kommunisten Gültigkeit bean-spruchte und das nicht auf selbst gemachten Erfahrungen mit Josef Wasser-mann beruhte. Auch in einem Brief an die Generalstabsabteilung schrieb der SVV, dass von den Kommunisten «immer wieder mit falschen, lügenhaften Angaben zu rechnen» sei.181 Und die Allgemeine Schweizerische Militärzeitung be-richtete – hier im Zusammenhang mit antimilitaristischen Zeitschriften – von deren «Mitteln der Niedertracht, Lüge und Verleumdung».182 Das Stereotyp, dass Kommunisten lügenhaft seien, kann weiter in den Akten der Bundesan-waltschaft ausgemacht werden. So ging die BundesanBundesan-waltschaft davon aus, dass bei einer Befragung des bereits oben genannten Kommunisten Karl

178 Meldung eines Vertrauensmanns an SVV, 23. 9. 1939, in: ebd.

179 Polizeirapport. Beilage zu: Brief von Polizeidirektion des Kantons Zürich an Bundesanwaltschaft, 19. 5. 1933, BAR#E4320B#1000/851#225*.

180 Bericht eines Vertrauensmannes, 23. 9. 1939, BAR#J2.11#1000/1406#475*.

181 SVV-Meldung, Beilage zu: Brief von Generalstabs-Abteilung an EMD, 20.  4. 1933, BAR#E4320B#1000/851#225*.

182 Tagesfragen, in: Allgemeine Schweizerische Militärzeitung, 73=93 (1927), Nr. 11, S. 471–473, S. 473.

sorge mit Lügen zu rechnen sei: «[W]enn die Erklärungen [von Karl Ansorge]

unbefriedigend und offensichtlich lügenhaft sind, so können Sie bei Ansorge Haussuchung anordnen.»183

Die Behauptung, dass Kommunisten Lügner seien, war ebenfalls Teil ei-nes Diskurses über Kommunisten, der über die Schweiz hinaus Gültigkeit besass. So belegt Schrecker, dass das Bild von den Kommunisten als Lügner in den USA grosse Verbreitung fand. Sie führt diese Vorstellung vor allem auf literarische und politische Quellen zurück. Antikommunisten hätten sich, so Schrecker, dabei immer wieder auf die Werke von Lenin und Stalin bezogen, um darin den «Beweis» für ihre Stereotypen zu finden. Interessant ist, dass es primär ein einzelnes Zitat von Lenin aus dem Jahr 1920 war, das beigezogen wurde, wenn es darum ging, Kommunisten als Lügner zu überführen.184 In der Schweiz erfuhr das Stereotyp von der Lügenhaftigkeit der Kommunisten eine besondere Zuspitzung, da sich die Schweizerinnen und Schweizer in ihrem Selbstverständnis als besonders aufrichtige und ehrliche Personen verstan-den. Somit konnten also über dieses Stereotyp eine zusätzliche Distinktion erreicht und die Kommunisten als unschweizerisch etikettiert werden.

Mit einer weiteren Stereotypengruppe wurde versucht, die Kommunisten von einer spezifisch schweizerischen Identität und von positiv konnotierten, angeblich typisch schweizerischen Eigenschaften abzugrenzen. Viele Kom-munisten wurden in den Denunziationsmeldungen in Abgrenzung von der idealtypischen schweizerischen Fleissigkeit als «arbeitsscheu» oder «faul»185 beschrieben. Dass Kommunisten als faule und entsprechend unschweizeri-sche Personen dargestellt und wohl auch wahrgenommen wurden, zeigte sich auch in den Polizeiuntersuchungen anlässlich des Verbotes der KPS 1940. So wurde in den Polizeiberichten zu den damals bei bekannten Kommunisten durchgeführten Hausdurchsuchungen speziell festgehalten, wenn die Ver-dächtigten zum Zeitpunkt der Untersuchung, nämlich vor halb sieben Uhr morgens, noch im Bett lagen: «Es dauerte diese [die Hausdurchsuchung] von 6 1/2–10 Uhr vormittags. Bei unserm Erscheinen in der Wohnung der Eheleute Gerteis befanden sich diese noch im Bett, weshalb die Durchsuchung nicht

183 Brief von Bundesanwaltschaft an Polizeidirektion des Kantons Zürich, 13.  4. 1933, BAR#E4320B#1000/851#225*.

184 «It is necessary to agree to any and every sacrifice and even – if need be – resort to all sorts of stratagems, maneuvers, and illegal methods, to evasions and subterfuges. […] in order to carry on Communist work.» Lenin: Left-Wing Communism, an Infantile Disorder, 1920, S. 95, zit.

nach: Schrecker 1998, S. 140.

185 Briefe von SVV an Dollfus, Ruggero, Generaladjutant der Armee, 17.  10. 1939, 24.  10. 1939, BAR#J2.11#1000/1406#180*.

her begonnen wurde.»186 Um halb sieben morgens noch im Bett zu liegen, war aus Sicht der Polizei zumindest bemerkenswert und ein möglicher Hinweis darauf, dass die Überwachten in der Nacht konspirativ arbeiten könnten.187

Diese Stereotypisierungen können mit dem Soziologen Zygmunt Bauman als Vorgang beschrieben werden, durch den ein beobachtbares Merkmal einer bestimmten Kategorie von Personen Bedeutsamkeit erhielt – im Falle der vom SVV als Kommunisten denunzierten Personen wurden etwa andere Arbeits-zeiten oder Tagesrhythmen betont. Dieses Merkmal wurde als sichtbares oder erfahrbares Zeichen eines verborgenen moralischen Fehlers interpretiert und die Personengruppe damit als schlecht und gefährlich, eben als Feind erkenn-bar gemacht.188

Die Verknüpfung von Wühlerei, Konspiration, Heimlichkeit und Nachtak-tivität, verbunden mit den Attributen Faulheit und Lügenhaftigkeit, zeichnete einen Diskursstrang über die Kommunisten als unschweizerische, unredli-che, gefährliche Personen, die im Untergrund den Umsturz vorbereiteten.

Durch eine starke Dichotomisierung von vernunftgeleitetem Bürgertum und unkontrollierbarer, gewaltbereiter Arbeiterschaft, die sich auch in zeitgenös-sischen Zeitungsartikeln und Untersuchungsberichten findet,189 wurden die Kommunisten gewissermassen pathologisiert und deren Überwachung legi-timiert – ohne dass ihnen über die Nennung von spezifischen Delikten eine Staatsgefährdung nachgewiesen werden konnte.

Die Denunziationsmeldungen zeugen weiter vom Versuch des SVV, die Bundesbehörden präventiv möglichst breit über (mögliche) Aktivitäten der KPS und einzelne Kommunisten zu informieren, da diese potenziell einen Umsturz vorbereiten würden. Diese implizite Argumentation zeigt etwa folgende Meldung von November 1933, in welcher der SVV der Bundesanwaltschaft einen Hinweis darauf gab, wo bei einem Umsturzversuch einzugreifen sei:

186 Polizeikorps des Kantons Zürich: Betreffend Hausdurchsuchung bei Gerteis, Heinrich, 27. 11.

1940, BAR#E4320B#1975/40#303*.

187 Die Vorstellung, dass man als guter Schweizer früh aufstehen sollte, hielt sich hartnäckig.

Anlässlich der Expo 64, der Landesausstellung von 1964, wurde der sogenannte Gulliver-Frage-bogen zum Selbstbildnis der Schweiz entworfen, der ein Jahr zuvor an 1200 Personen getestet wurde. Immerhin 40 Prozent beantworteten die 2. Frage «Kann man ein guter Schweizer sein und erst um 9 Uhr aufstehen?» mit «Nein». (Vgl. Daum 2014.) Die Frage «Kann man ein guter Schweizer und Kommunist sein?» wurde nicht gestellt, sie wäre schlicht undenkbar gewesen, jedoch wurde die Frage nach dem Verhältnis der Schweiz zum Kommunismus gestellt. In sechs von acht zur Auswahl stehenden Antworten wurden dabei Vorschläge zur Bekämpfung des

Anlässlich der Expo 64, der Landesausstellung von 1964, wurde der sogenannte Gulliver-Frage-bogen zum Selbstbildnis der Schweiz entworfen, der ein Jahr zuvor an 1200 Personen getestet wurde. Immerhin 40 Prozent beantworteten die 2. Frage «Kann man ein guter Schweizer sein und erst um 9 Uhr aufstehen?» mit «Nein». (Vgl. Daum 2014.) Die Frage «Kann man ein guter Schweizer und Kommunist sein?» wurde nicht gestellt, sie wäre schlicht undenkbar gewesen, jedoch wurde die Frage nach dem Verhältnis der Schweiz zum Kommunismus gestellt. In sechs von acht zur Auswahl stehenden Antworten wurden dabei Vorschläge zur Bekämpfung des