• Keine Ergebnisse gefunden

Open Contracting Data Standard

Bestandsaufnahme offener öffentlicher Einkaufsdaten

7.2 Organisatorische Umsetzung

7.2.1 Vorgehen zur Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten

7.2.1.2 Open Contracting Data Standard

Wie bereits in Abschnitt 5.2.4.6 erläutert, wurde der OCDS durch die Initiative OCP und damit überwiegend von Praktikern entwickelt. Er wird bereits in zahl-reichen Ländern eingesetzt (Open Contracting Partnership, 2019j), Deutschland zählt allerdings (noch) nicht dazu. Die Initiative stellt ein detailliertes, sieben-stufiges Vorgehen dazu bereit, welche öffentlichen Einkaufsdaten wie über den gesamten Einkaufsprozess von der Planung bis zur Implementierung unter Beachtung von Partizipation und Kollaboration publiziert werden können. Das Vorgehen orientiert sich am klassischen Softwareentwicklungsprozess. Zu jedem Prozessschritt werden Hilfsmittel, Tools und Templates vorgeschlagen.

In der Phase „Design“ sollen die Ziele und Prioritäten, Meilensteine, messbare Ergebnisse, das Team, relevante Stakeholder und eine Absichtserklärung fest-gelegt werden. In der Phase „Map“ geht es darum, über eine Scoping-Analyse 7.2 Organisatorische Umsetzung

ein tieferes Verständnis für den Rahmen, die vorhandene Rechtsprechung sowie Erfahrung und Fähigkeiten der Stakeholder zu entwickeln. Weiters erfolgt über ein System-Mapping die Analyse, in welchen Datenbanken und wie Informationen im Ist-Zustand abgelegt und gespeichert werden. Dies geht bis auf die Ebene der Feldanalyse und berücksichtigt auch Lokalisierungsanforderungen (zum Beispiel an Sprache). In der Phase „Build“ wird die Architektur festgelegt, das heißt es wird festgelegt, wie die verschiedenen Daten konsolidiert werden, zum Beispiel über Exporte aus bestehenden Systemen oder APIs oder Eigenent-wicklungen. Des Weiteren wird die Art der Veröffentlichung definiert, damit End-nutzer diese später verwenden können. In der Phase „Publish“ erfolgt schließlich die Veröffentlichung der Daten über verschiedene, zuvor festgelegte Wege. Hierzu gehört auch die Bereitstellung der Veröffentlichungsrichtlinien, das Bereitstellen einer offenen Lizenz und die Pflege der Daten. In der Phase „Use“ müssen ent-sprechende Tools benannt und implementiert werden, die es ermöglichen, die Daten zu analysieren, zu visualisieren und zu vergleichen. Nur so kann auch ein Nutzen erzeugt werden. In der Phase „Evaluate“ wird schließlich die Quali-tät der Datenstruktur der Daten selbst und die Anwenderfreundlichkeit über-prüft. Basierend hierauf können Baselines für Vergleiche gesetzt werden. In der letzten Phase „Learn“ wird festgestellt, ob Nutzer die Daten anwenden; zudem geht es darum, Erfahrungen aufzugreifen, Verbesserungen umzusetzen und in der Community zu teilen (Open Contracting Partnership, 2019f).

Die OCP stellt außerdem eine Liste zu veröffentlichender öffentlicher Ein-kaufsdaten bereit. Diese erstreckt sich über alle Phasen des Einkaufsprozesses und umfasst Stand Juni 2019 364 Einträge. Ihre Anwendung wird entlang der Kategorien „Basic“, „Intermediate“ und „Advanced“ empfohlen und zugeordnet.

Diese Kategorien beschreiben den Reifegrad der Öffnung der Einkaufsdaten und unterstützen ein schrittweises Vorgehen (Open Contracting Partnership, 2019i).

Rund um Wissensaufbau und Vernetzung werden auf der Website sehr umfängliche Quellen bereitgestellt. Sie reichen von unterschiedlichen Dokumenten (zum Beispiel Berichte, Analysen) und Trainingsmaterialien (zum Beispiel Vorlagen zur technischen Erhebung, eine Matrix zur Feldzuordnung, die Vorlage für die Scoping-Analyse) über Werkzeuge, Best Practices, Pilot- und Leuchtturmprojekte und Blogs bis zu Vernetzungsmöglichkeiten im Rahmen von Workshops oder Konferenzen. Zusätzlich bietet die Initiative einen weltweiten Informationsschalter (Helpdesk) zur Klärung von Implementierungsfragen an.

Der OCDS ist der einzige erprobte Standard zur schrittweisen Veröffent-lichung öffentlicher Einkaufsdaten. Deutschland sollte sich hier ebenfalls aktiv

161 einbinden und unter der Prämisse einer politischen Absichtserklärung bewerten, wie die Anwendung des Standards unter den landesspezifischen Gegebenheiten seinen größten Mehrwert entfalten könnte beziehungsweise welche flankierenden Maßnahmen erforderlich wären. Tabelle 7.4 zeigt in einer SWOT-Analyse zusammenfassend die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken.

7.2.1.3 Digiwhist

Das Projekt Digiwhist (Digital Whistleblower) wurde von 2015 bis 2018 durchgeführt und mithilfe des EU Programms Horizon 2020 finanziert. Sechs europäische Forschungsinstitute16 arbeiteten an dem Projekt. Das Ziel war es, sowohl das Vertrauen in die Regierungen zu erhöhen als auch die Effizienz der öffentlichen Vergaben in Europa zu verbessern. Um dies zu erreichen, hat man von 35 Nationen17 Informationen zu öffentlichen Vergaben oberhalb und unter-halb der nationalen Schwellenwerte18 sowie der Finanz- und Eigentümerstruktur 7.2 Organisatorische Umsetzung

Tabelle 7.4 SWOT-Analyse Open Contracting Data Standard

Stärken Schwächen

Sehr detailliertes Vorgehen mit vielen Hilfsmöglichkeiten

Vereinigung von Praktikern mit vielsei-tigem Erfahrungshintergrund

Das Vorgehen adressiert viele reale Herausforderungen

Breites Netzwerk

Die Detailtiefe könnte Erstanwender zurückschrecken lassen

Ein Pilot beziehungsweise iteratives Vorgehen wären gegebenenfalls sinnvoll, um Synergien über die föderalen Ebenen besser bewerten zu können

Zukunftstechnologien werden nicht aufgegriffen

Chancen Risiken

Erprobtes Vorgehen

Einheitliches und umfängliches Vorgehen auf dem Weg zur Veröffentlichung öffentlicher Einkaufdaten auf govdata.de

Nicht ausreichendes politisches Commit-ment für die Einführung des Standards

Notwendigkeit von Ressourcen (Personal, Budget)

16Dies waren die University of Cambridge, Großbritannien; Hertie School of Governance, Deutschland; Government Transparency Institute, Ungarn; DATLAB, Tschechien; OKFN Deutschland, Deutschland; Transcrime (Università Cattolica del Sacro Cuore), Italien (Hertie School of Governance GmbH, 2019a).

17Dies sind die 28 EU-Mitgliedsstaaten, die Europäische Kommission, Armenien, Georgien, Island, Norwegen, Serbien, Schweiz (Hertie School of Governance GmbH, 2019a).

18Gegenstand des Projekts sind Vergaben oberhalb und unterhalb der nationalen Schwellen-werte, die zum Stichtag August 2015 online und frei verfügbar waren. Für den Umfang der deutschen Daten wurden nur TED-Daten berücksichtigt und damit zu 95 % Oberschwellen-werte. Diese betrafen die Auftragsbekanntmachung, die Vergabebekanntmachung und Details zum Vertrag (Cingolani et al., 2016, S. 10 ff.; Hrubý et al., 2016, S. 4).

der Ausschreibungsgewinner systematisch gesammelt, strukturiert und analysiert.

Diese Daten verknüpfte man dann mit aggregierten Haushalts- und Einkommens-erklärungen, um so Unregelmäßigkeiten aufzudecken und hinterfragen zu können.

Die Ergebnisse sind in 35 landesspezifischen Portalen19 dargestellt und über https://

opentender.eu/ in einem gemeinsamen übergreifenden Portal abgebildet worden.

Hierüber können die einzelnen Datensätze sowie Dokumente heruntergeladen, interaktive Analyse-Werkzeuge genutzt sowie mit den Nutzern des Portals inter-agiert werden (Hertie School of Governance GmbH, 2019a). Über sieben Arbeits-pakete wurden die Projektergebnisse erarbeitet:

1) Mapping der legalen und regulatorischen Rahmenbedingungen, 2) Quantitative Datensammlung und -bereinigung,

3) Entwicklung von Indikatoren für Transparenz, Korruptionsrisiken und qualitativ hochwertige Administration,

4) Entwicklung von Transparenz-Werkzeugen20, 5) Kommunikation der Projektergebnisse, 6) Absicherung der Nachhaltigkeit und 7) Projektsteuerung (Mungiu-Pippidi, 2019).

Das Projekt setzte auf bereits bestehenden, öffentlichen Einkaufsdaten auf. Es war somit nicht beabsichtigt, öffentliche Einkaufsdaten initial verfügbar zu machen, wie dies die OCP als Zielsetzung adressiert, sondern vorhandene Daten zu extrahieren, zu strukturieren, zu bereinigen und miteinander zu verknüpfen, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das genutzte Datenmodell basierte allerdings auf dem OCDS (Czibik et al., 2015, S. 6) – das Projekt erzeugte beispielsweise eine Mapping-Tabelle der genutzten Daten auf Feldebene in Digiwhist und jenen des OCDS (Czibik et al., 2015, S. 46 ff.). Das Mapping ver-deutlicht, dass es Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede gab, da Digiwhist aufgrund seiner europäischen Ausrichtung beispielsweise zusätzliche Felder für die Identifikation der einzelnen Mitgliedsstaaten benötigte.

Insgesamt umfasste das Datenschema von Digiwhist etwa 200 Variablen (Czibik et al., 2015, S. 46 ff.). In einem Implementierungsleitfaden stellte Digiwhist final eine gekürzte Liste von 39 minimal zu veröffentlichenden Variablen bereit. Diese betreffen die Auftragsbekanntmachung, die Auftragsvergabe und die Umsetzung.

19Für Deutschland ist dies https://opentender.eu/de/.

20Dies sind zum Beispiel The European Accountability Mechanisms (EuroPAM; http://

europam.eu/) und Monitoring European Tenders (MET; https://monitoringeutenders.eu/).

163 Sie orientieren sich weitestgehend am TED-Standard und berücksichtigen keine Variablen für die Planungs- und Bewertungsphase (Mendes & Fazekas, 2018, S. 18). In Abschnitt 6.3.2 wurde hierauf bereits Bezug genommen.

Auf der Website (Hertie School of Governance GmbH, 2019c) befinden sich begleitende Forschungsberichte, aber auch Informationen zu Netzwerken rund um den öffentlichen Einkauf. Besonders interessant sind die herunterladbaren Datensätze, die zu den Bereichen „Public Procurement“, „European Accountability Mechanisms (EuroPAM)“, „Budget“ und „Accountability Mechanisms“ bereitgestellt werden (Hertie School of Governance GmbH, 2019b). Im Rahmen des Projekts wurden darüber hinaus nationale Workshops durchgeführt und die Projektergebnisse auf diversen Konferenzen vorgestellt. Weitere, über das Projektende hinausgehende Mechanismen zur Kommunikation oder Partizipation sind nicht bekannt.

Im Implementierungsleitfaden werden diverse Empfehlungen gegeben. Über das Projekt wurde herausgefunden, dass 821 der 35 Länder mehrere nationale und subnationale Portale mit oftmals überlappendem Inhalt besitzen, was für den Anwender verwirrend ist und Barrieren für die Marktteilnahme, unnötige Komplexität, ökonomische Ineffizienz und Korruptionsrisiken erzeugt.

Des Weiteren wird ausdrücklich gefordert, dass Schwellenwerte möglichst niedrig angesetzt werden und dass der gleiche legale Rahmen für den gesamten öffentlichen Einkauf gilt. So verlangt Portugal, dass alle Verträge veröffentlicht werden. Vier Länder (Österreich, Deutschland, Luxemburg, Niederlande) haben keine einheitlichen nationalen Schwellenwerte unter jenen der EU definiert. Dies impliziert laut Digiwhist, dass „they essentially do the bare minimum in terms of public procurement regulatory scope“ (Mendes & Fazekas, 2018, S. 13).

Digiwhist schlägt eine Wertgrenze für Verträge von 20.000 bis 40.000 Euro vor, ab der eine volle Transparenz gewährleistet sein sollte, für Kleinstverträge könne ein vereinfachtes Verfahren gelten (Mendes & Fazekas, 2018, S. 14). Dies wäre für einige Länder eine deutliche Veränderung. Hier reichen die Wertgrenzen, unterhalb derer frei beschafft werden kann, je nach Land und Vergabeordnung von aktuell 10.000 bis 100.000 Euro (Brockhoff et al., 2019, S. 50 ff.).

Weitere Aspekte betreffen eine Verbesserung der Datentiefe, die Verknüpfung mit anderen Daten, die Verbindung von Bekanntmachungen zu Original-dokumenten, das Monitoring der Datenqualität, das Mapping von Veröffent-lichungssystemen zu Ausschreibungen, Verträgen und Zahlungsmanagement und die Aufforderung der Verwaltung zur regelmäßigen Nutzung öffentlicher Ein-kaufsdaten innerhalb und außerhalb der Verwaltung (Mendes & Fazekas, 2018).

7.2 Organisatorische Umsetzung

21Explizit werden Belgien, Frankreich, Deutschland, Island, Italien, Malta, Spanien und UK genannt (Mendes & Fazekas, 2018, S. 10).

Digiwhist ist demnach kein Standard zur Initiierung der Öffnung öffentlicher Einkaufsdaten, bietet aber ein unter mehreren Aspekten sehr interessantes Vorgehen, wenn eine Datenbasis besteht. Zum anderen stellt es wichtige Erkennt-nisse zur Datenbeschaffung und -verwendung bereit, die bereits bei Anlage eines Datenpools berücksichtigt werden sollten, um künftige Aufwände für die Quali-tätssicherung zu begrenzen. Darüber hinaus ist es ein Leuchtturmprojekt in der Verknüpfung öffentlicher Einkaufsdaten mit anderen Daten und der Interpretation der hieraus entstandenen Erkenntnisse (siehe Tabelle 7.5).