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7. Schutz »im Kleinen«: Selbstschutz und nationale Strafverfolgung

7.5. Strafprozessuale Eingriffsbefugnisse

7.5.4. Online-Durchsuchung und Online-Streife

könnte aber bei einem »Quick Freeze«-Verfahren deutlich kürzer als 6 Monate ausfallen und daher etwa in gleicher Größenordnung vorgesehen werden wie bei dem Vorschlag für eine Bestandsdatenabfrage (7 Tage). Schließlich sei angeregt, die unterschiedlichen Verbindungsdaten auch unterschiedlich zu handhaben, und etwa auf manche Datentypen betreffend der elektronischen Post zu verzichten.

Rasterfahndung oder die täterbezogene Verknüpfung von Datenbeständen Die Verknüpfung verschiedener Ermittlungsergebnisse ist das tägliche Brot der Ermitt-lungsbehörden. Soweit hierzutatbezogeneMerkmale herangezogen werden – etwa: wer fährt ein Kraftfahrzeug eines bestimmten am Tatort beobachteten Typs? – ist dies auch datenschutzrechtlich weitaus weniger kritisch zu beäugen als eine Analyse oder eindata mining täterbezogenerMerkmale – etwa: wer hat ein Maschinenbaustudium begonnen und wer ist in seinem Leben bereits nach Afghanistan gereist –, wie sie bei einer Raster-fahndung (§ 98a StPO) vorgenommen wird: Dabei sind falsch-positive Resultate häufig anzutreffen und es wird gerade die Erstellung eines umfassenden Persönlichkeitspro-fils bezweckt (s. hierzu Brodowski, 2010a, S. 548). Allerdings kann – entgegen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG JR 2010, 543) – nicht entscheidend sein, dass bei einer Rasterfahndung Daten mehrerer Speicherstellen zusammengeführt werden müssen.

Vielmehr kommt es auf das konkrete Gefahrenpotential einer Datenabfrage und darauf an, ob ein solches ermittlungsrelevantes Persönlichkeitsprofil erstellt werden soll oder ob lediglich eine tatbezogene Abfrage von Daten erfolgt: So liegen bereits bei einem einzelnen Internet-Großunternehmen unter Umständen derart umfangreiche und diverse Datenbestände über eine Person, so dass sich aus diesen Daten einer Speicherstelle ein umfangreiches Persönlichkeitsprofil erstellen ließe (Brodowski, 2010a, S. 548).

Eine Rasterfahndung darf sodann nur nach Wahrung eines präventiven Richtervorbehalts – eine Notkompetenz verbleibt bei der Staatsanwaltschaft – und bei bestimmten, in § 98 Abs. 1 StPO näher umrissenen Straftaten von erheblicher Bedeutung angeordnet werden.

Ausleitung von Telekommunikationsinhaltsdaten im Rahmen der so genannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung (s. oben 7.5.2., S. 143). Zweitens aber ist es auch möglich, auf diesem Wege die in einem informationstechnischen System gespeicherten Daten einmalig abzugreifen Durchsicht) oder laufend zu überwachen (Online-Überwachung).

Die mit einem solchen Eingriff verbundenen Risiken und Gefahren sind mannigfaltig und reichen von der Beeinträchtigung der Vertraulichkeit und Integrität informationstech-nischer Systemen, hiermit verbundenen Angriffsmöglichkeiten für Dritte – etwa auch für Wirtschaftsspionage – bis hin zur Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn auch das Bundesverfassungsgericht letzterem Aspekt keine Bedeutung zukommen lässt (s. bereits die kritische Stellungnahme oben 4.5.2., S. 48).

Die präventive Online-Durchsuchung zur Gefahrenabwehr

Im Zuge einer Grundsatzentscheidung über das nordrhein-westfälischen Verfassungs-schutzgesetzes entwickelte das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 120, 274 eine Blaupause für eine präventivpolizeiliche Regelung für eine Online-Durchsuchung infor-mationstechnischer Systeme, insbesondere zur Verfolgung des internationalen Terroris-mus. An dieser Blaupause und an deren Umsetzung im BKAG, aber auch im bayerischen und nun auch im rheinland-pfälzischen Polizeirecht gibt es viel zu kritisieren, etwa die zum Teil weichen Abwägungskriterien unter Verzicht auf die harten Vorgaben, wie sie etwa Art. 13 GG vorgeben würde. Aus der in dieser Studie vertieft zu behandelnden strafrechtlichen Verfolgung von Cyberkriminalität sei diesbezüglich allein auf die spätere Datenverwendung für Strafverfolgungszwecke hingewiesen:

§ 20v Abs. 5 BKAG gestattet polizei- und datenschutzrechtlich eine Übermittlung von Erkenntnissen, wenn sie erstens zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist. Zweitens darf dies nur Straftaten betreffen, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheits-strafe bedroht sind. Dies ist aber bei Lichte besehen keine ernsthafte Einschränkung, denn im Terrorismusbereich bestehen ohnehin höhere Strafdrohungen, und selbst die einfache Körperverletzung, der einfache Diebstahl oder die einfache Urkundenfälschung ist im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht. Drittens aber muss ein Auskunftsverlangen von Strafverfolgungsbehörden möglich sein, was mit der strafprozes-sualen Zulässigkeit der Datenverwendung zusammenhängt: § 161 Abs. 2 StPO verbietet aber stets eine unmittelbare Verwertung dieser Erkenntnisse, da eine vergleichbare straf-prozessuale Befugnis auf Katalogtaten einzuschränken wäre, eine solche strafstraf-prozessuale Eingriffsbefugnis aber nicht besteht (Meyer-Goßner, 2010, § 161 Rdn. 18e m.w.N.).

Eine repressive Online-Durchsuchung zu Strafverfolgungszwecken?

Die Forderungen nach einer strafprozessrechtlichen Eingriffsgrundlage für eine verdeckte Online-Durchsicht oder Online-Überwachung informationstechnischer Systeme sind in

letzter Zeit etwas verstummt. Solche Maßnahmen erscheinen angesichts bestehender Alternativen auch nicht erforderlich zur Verfolgung der Cyberkriminalität: So ist etwa ein offener Zugriff auf ein laufendes oder auf ein soeben erst ausgeschaltetes informa-tionstechnisches System möglich, oder auch eine akustische Wohnraumüberwachung oder eine Telekommunikationsüberwachung. Auch wäre der Beweiswert im Wege der Online-Durchsuchung erlangter Beweismittel deutlich reduziert (vgl. BVerfGE 120, 274, 320 f.; s. auch Hansen & Pfitzmann, 2007, S. 228).

Trotz der derzeit ruhenden rechtspolitischen Diskussion und trotz der fehlenden prakti-schen Notwendigkeit seien manche Eckpunkte genannt, an denen sich eine repressive Online-Durchsuchung zu Strafverfolgungszwecken im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu orientieren hätte. Erstens müsste sich die Regelung angesichts der Eingriffs-tiefe am Maßstab der akustischen Wohnraumüberwachung orientieren (§§ 100c, 100d StPO), sowohl was die materiellen Anordnungsvoraussetzungen, als auch was die proze-duralen Sicherungen betrifft. Zweitens aber wären aus dem Deliktskatalog diejenigen Delikte zu streichen, die nicht dem Schutz von Leib, Leben und Freiheit von Menschen dienen, also etwa manche der in § 100c Abs. 2 Nr. 1 lit. c, lit. h, lit. k, Nr. 2 bis Nr. 4 StPO genannten Delikte.

Online-Streife

So wie die Strafverfolgungsbehörden (in der realen Welt) von öffentliche Wegen aus Ausschau halten dürfen nach kriminellem Verhalten, so dürfen sie auch (in der virtuellen Welt) auf allgemein-verfügliche Websites, allgemein-verfügliche soziale Netzwerke usw.

zugreifen (so auch BVerfGE 120, 274, 344 ff.; vgl. grundlegend Valerius, 2004). Dies erschließt sich von selbst, da es insoweit an schutzwürdigen entgegenstehenden Interessen fehlt und jedenfalls die Eingriffstiefe ausgesprochen niedrig ist. Zwei Grenzen sind dennoch zu diskutieren: Die Nutzung einer Legende (Identitätstäuschung) und die weitere Verwendung der durch eine »Online-Streife« ermittelten Erkenntnisse.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich Strafverfolger im Internet nicht als solche zu erkennen geben. Im Internet stünden nämlich keine Mecha-nismen zur Identitätsprüfung bereit. Daher sei das Vertrauen, nicht mit einer staatlichen Stelle zu kommunizieren, nicht schutzwürdig (BVerfGE 120, 274, 345). Hieraus resultiert aber auch: Soweit Identitätsprüfungsmechanismen bestehen – etwa durch den neuen Personalausweis –, so dürfen staatliche Stellen auch nicht ohne spezielle Ermächtigungs-grundlage diese Mechanismen umgehen. Ist die Anmeldung zu einem sozialen Netzwerk daher hypothetischerweise an eine wirksame Identitätsprüfung gebunden, so sind auch Ermittler grundsätzlich verpflichtet, ihre wahre Identität preiszugeben. Nur verdeckte Ermittler dürfen unter den Voraussetzungen der §§ 110a ff. auch täuschende Urkunden verwenden.

Zweitens besteht eine Gefahrenlage, wenn durch legitime und legale »Online-Streifen«

Erkenntnisse über Personen »gezielt zusammengetragen, gespeichert und gegebenen-falls unter Hinzuziehung weiterer Daten ausgewertet werden.« Hierfür wäre eine be-sondere Eingriffsgrundlage erforderlich, wie auch sonst eine gesetzliche Grundlage für Datenbanken und Datensammlungen zu Strafverfolgungszwecken erforderlich ist.

Eine praktische Notwendigkeit dafür hat sich aber bislang nicht ergeben; die »Online-Streife« als Mittel zur Aufdeckung von konkreten Straftaten ist im bestehenden Rechts-rahmen effektiv genug. Lediglich diskutabel wäre eine Erweiterung des § 184b Abs. 4 StGB dahingehend, dass in einschlägigen Szenen operierende Ermittlungsbeamte auch scheinkinderpornographische Schriften im Einzelfall verbreiten dürfen, wenn ihnen nur so der Zugang zu einschlägigen Netzwerken ermöglicht wird und daher nur auf diesem Wege eine effektive Strafverfolgung möglich ist.