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8. Schutz »im Großen«: Strafverfolgung und Transnationalität

8.4. Extraterritoriale Strafverfolgung

8.4.3. Extraterritoriale Ermittlungen

defi-nieren, bei dessen Verletzung man überall mit Strafverfolgung zu rechnen hat (vgl. hierzu bereits oben 8.3., S. 156).

Darüber hinausgehend ist es aber auch dringend geboten, einen gemeinsamen Mindest-standard zu definieren, innerhalb dessen Rahmen man sich überall auf die Straflosigkeit seines Verhaltens verlassen kann (safe harbours). Ob es ausreicht, diesen Mindeststandard straflosen Verhaltens allein aus den internationalen Grundrechtskatalogen zu erschließen, erscheint dabei zweifelhaft: Diese eröffnen einen weiten Wertungs- und Beurteilungs-spielraum und weite Schrankenbestimmungen, sind nur unzureichend an die Herausforde-rungen einer modernen Kommunikationsgesellschaft angepasst, und taugen eher für eine ex post-Beurteilung, ob eine strafrechtliche Verurteilung menschenrechtswidrig war. Dies zeigt, dass explizite, international Gültigkeit erlangendesafe harbour-Bestimmungen sich nicht länger auf so exotische Rechtsgebiete wie das Wertpapierhandelsrecht beschränken sollten (vgl. dort § 14 Abs. 2 WpHG), sondern etwa auch für den Journalismus, für die IT-Sicherheitsforschung und für die Informationsfreiheit formuliert werden müssen.

Ausland entführt und ins Inland verbracht wird, um ihn dort strafrechtlich zur Verantwor-tung ziehen zu können. Dass dies nicht nur ein theoretisches Konstrukt ist, zeigt etwa der Fall »Eichmann«, der von Agenten des Mossad in Argentinien festgenommen und sodann nach Israel überführt wurde, wo er wegen seiner Verbrechen während der natio-nalsozialistischen Unrechts- und Gewaltherrschaft verurteilt wurde; aber auch deutsche Polizeibeamte haben bereits extraterritorial Verdächtige festgenommen, so etwa einen Betäubungsmittelkriminellen in den Niederlanden. Deutsche, aber auch ausländische Gerichte verneinen in solchen Konstellationen – trotz aller völkerrechtlichen Brisanz – ein Verfahrenshindernis, wenn jedenfalls eine Straftat von erheblichem Gewicht vorliege (male captus, bene detentus; s. etwa BVerfG StV 1987, 137; US Supreme Court, US v. Alvarez-Machain, 504 U.S. 655 (1992)). Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob ein rechtsförmiges, faires Strafverfahren noch gegeben ist, wenn die Ermittlungsbehörden ihre (völker)rechtlichen Befugnisse in einer solch deutlichen Weise bewusst überschreiten (vgl. Schubarth, 1987).

Extraterritorialer Zugriff auf Beweismittel

Dies ist nun auf einen extraterritorialen Zugriff auf Beweismittel zu übertragen: Inwieweit dürfen deutsche Strafverfolgungsbehörden auf Internetseiten, auf E-Mail-Postfächer oder passwortgeschützte Server im Ausland zugreifen? Auch hier ist zwischen der völkerrecht-lichen Zulässigkeit und der Verwertbarkeit in einem nachfolgenden Strafverfahren zu unterscheiden:

Völkerrechtliche Zulässigkeit Allgemein anerkannt und zulässig ist es, auf »öffent-lich zugäng»öffent-liche gespeicherte Computerdaten (offene Quellen)« zuzugreifen, und dies unabhängig davon, wo sich diese Daten befinden. So wie auch jede Privatperson keinen Eingriff in fremde Hoheitsrechte begeht, wenn sie eine im Ausland angebotene Inter-netseite aufsucht, so ist es mangels jeglicher Zwangswirkung auch kein völkerrechtlicher Verstoß, wenn der Zugriff durch staatliche Akteure erfolgt. Die entsprechende Klarstel-lung in Art. 32 lit. a des Übereinkommens über Computerkriminalität ist daher auch nur rein deklaratorischer Natur.

Ebenfalls anerkannt und unproblematisch gestattet ist der Zugriff auf passwortgeschützte oder sonstwie zugangsbeschränkte Daten, wenn eine rechtmäßige und freiwillige Erlaub-nis einer Person vorliegt, die über diese Daten verfügen darf. Wenn also ein Beschuldigter einwilligt, auf seine im Ausland archivierten E-Mails zuzugreifen, so fehlt es an staatli-chen Zwangswirkungen und damit an einem völkerrechtlich relevanten Vorgang. Auch dies ist in Art. 32 lit. b des Übereinkommens über Computerkriminalität nur klargestellt;

ein solcher Zugriff ist daher über den Geltungsbereich des Übereinkommens hinaus gestattet.

Dabei ist allerdings kritisch zu hinterfragen, wer befugt ist, über Daten in dieser Wei-se zu verfügen: Ist dies neben dem Kunden auch der Anbieter eines E-Mail-Dienstes

bezüglich der im Postfach des Kunden abgespeicherten E-Mails? Ist dies auch der An-bieter einer Internet-Festplatte bezüglich der dort von Kunden abgelegten Daten? Die Praxis der bedeutenden Internet-Service-Dienstleister scheint hier eine großzügige zu sein; diese geben Daten recht freigiebig an die Strafverfolgungsbehörden heraus, wenn sie auch im Inland kommerziell tätig sind: Denn es ist für Außenstehende ohnehin nicht erkennbar, ob sich die relevanten Daten im In- oder Ausland befanden; Konflikte mit den Strafverfolgungsbehörden zu provozieren ist zudem für jedes Unternehmen unangenehm.

Bei Lichte besehen ist dies jedoch höchst problematisch, soweit es vorrangig einen Kunden betreffende, von diesem stammende oder an diesen gerichtete Daten betrifft: Aus dessen Sicht handelt es sich um einen verdeckten Zugriff der Ermittlungsbehörden, die mit den Internet-Service-Dienstleistern kollusiv zusammenwirken, und daher sehr wohl um einen Eingriff mit erheblicher Zwangswirkung und damit auch um einen völkerrechtlich relevanten Vorgang. Zur Wahrung dessen Interessen und auch zum Schutz vor Missbrauch – etwa zur Wirtschaftsspionage – erscheint es daher dringend geboten, das Einverständnis eines Internet-Service-Dienstleisters nicht genügen zu lassen, gleichzeitig aber nach einer praxistauglichen Alternative für eine schnelle, effektive Zugriffsmöglichkeit nach beweiserheblichen Daten zu suchen.

Ein verdeckter oder erzwungener Zugriff – also eine transnationale Durchsicht von Speichermedien, ein transnationaler Zugriff auf ein E-Mail-Postfach oder gar ein transna-tionaler, verdeckter Zugriff auf ein informationstechnisches System – ist völkerrechtlich ohne Einverständnis des betroffenen Staates unzulässig (s. LG Hamburg StV 2009, 70, 71; B. Gercke, 2009b, S. 272 f.; Klip, 2009, S. 371). Auch nach deutschem Recht sind daher solche transnationalen Zugriffe nicht von der Eingriffsgrundlage des § 110 Abs. 3 S. 1 StPO erfasst.

Entgegen einer Literaturauffassung (s. Meyer-Goßner, 2010, § 110 Rdn. 7a mit unzutref-fendem Verweis auf Bär, 2007d, Rdn. 372 ff.) entfällt der völkerrechtliche Verstoß auch nicht, wenn die Daten zunächst nur gesichert werden (quick freeze) und bloß die spätere Auswertung und Verwendung von einem Einverständnis des anderen Staates abhängig gemacht wird – das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen, da der zwangsweise Zugriff bereits erfolgt ist; nur die Intensität des völkerrechtlichen Verstoßes mag durch eine solche Vorgehensweise sinken.

Da all dies bereits seit längerem als misslich erachtet wird, werden – auch auf internationa-ler Ebene – verschiedene Lösungsansätze diskutiert (vgl. umfassend Bär, 2007d, Rdn. 372 ff.) Eine effektive und praxistaugliche, gleichwohl aber auch die Verhältnismäßigkeit wahrende und Missbrauchsmöglichkeiten – etwa zur Wirtschaftsspionage oder zur Verfol-gung missliebiger Journalisten – vermeidende Lösung wird mehrere Schutzmechanismen kombinieren müssen: Ein kollusiver oder verdeckter Zugriff auf im Ausland befindliche Daten oder Speichermedien ohne vorheriges Einverständnis der anderen betroffenen Staaten ist daher erstens durch eine völkerrechtliche Vereinbarung zu regeln, die nur mit

vertrauenswürdigen Staaten abzuschließen ist. Diese muss zweitens den Zugriff nur bei dem Vorliegen von erheblichen Katalogtaten gestatten und drittens einen präventiven Richtervorbehalt vorsehen. Viertens ist der betroffene Staat zu informieren und ihm – etwa binnen einer Woche – die Möglichkeit zu geben, der Verwertung der sichergestell-ten Beweismittel zu widersprechen. Fünfsichergestell-tens ist eine vorläufige Sicherung durch einen Internet-Service-Dienstleister einem sofortigen Zugriff vorzuziehen, wann immer dies technisch möglich ist und den Ermittlungserfolg nicht gefährdet, damit Daten nicht schon – ggf. zu missbräuchlichen Zwecken – transferiert werden, bevor der betroffene Staat dem Zugriff und der Verwertung widersprechen kann. Einfacher und genauso praxistaug-lich kann es aber alternativ auch sein, die bestehenden Kooperationsmechanismen und insbesondere das Kontaktstellennetzwerks (s. unten 8.5.2., S. 174) zu nutzen.

Verwertungsverbote im Strafverfahren? Bei aller Diskussion über die völkerrecht-liche Zulässigkeit einesquick freezeoder auch eines kollusiven Zugriffs auf Daten ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung in Deutschland sehr zurückhaltend ist bei der Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das sich auf einen völkerrechtlichen Verstoß stützt. Jedenfalls aber bei einer bewussten Umgehung des justizförmigen Verfahrens – sei es eines Richtervorbehalts, sei es aber auch der internationalen Rechtshilfe in Strafsa-chen – ist ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, auch wenn der Verstoß primär den Rechtskreis des anderen Staates und nicht den des Beschuldigten betrifft (B. Gercke, 2009b, S. 274).