• Keine Ergebnisse gefunden

7 Resümee: Konsequenzen für die didaktisch-methodische

8.4 Objektivierung pädagogischer Handlungen

Die mediale Transformation des gesamten didaktisch-methodischen Arrangements der pädagogischen Handlungen führt zu deren Objektivierung, und zwar von deren Be-gründung bis zu ihrer Kontrolle und Bewertung. Sie werden in multimedialen bzw.

multisymbolischen Repräsentationen objektiviert und über die vernetzten Computer orts- und zeitunabhängig jedem Berechtigten zugänglich gemacht. Diese Objektivie-rung hat zweifellos nicht nur den Vorteil, dass die pädagogischen Handlungsangebote der Lehrenden an jedem Ort zu jeder Zeit verfügbar sind, sondern auch den Vorteil, dass eine immer gleichbleibende Qualität der multisymbolisch repräsentierten Lehr-handlungen gegeben ist. Das heißt nicht, dass in der Qualität der medialen Objektivie-rungen auch die Qualität der bislang in den pädagogischen Handlungen verwendeten Lehrbücher aufgehoben ist. Vielmehr sind nach unserer bisherigen Kenntnis Lehr-bücher meist erheblich fundierter verfasst als interaktive multimediale Lern-programme, sodass auf Lehrbücher in traditioneller Papierform oder in moderner

elektronischer Form auch in telematischen Lehr- / Lernarrangements in absehbarer Zeit nicht verzichtet werden kann.

Allerdings können bislang nur die von den Lehrenden persönlich ausgeführten pädagogischen Routinehandlungen in den telemedialen Lernprogrammen multi-symbolisch für den interaktiven Zugriff abgebildet werden. Die persönlichen Lehr-handlungen erfahren dadurch nicht nur eine mediale Objektivierung, sondern auch eine Entpersonalisierung und Standardisierung. Dies hat einen Verlust an Spontaneität und Kreativität der Lehrhandlungen zur Folge, der zunächst nur im engen Rahmen aufwändig programmierter Multifunktionalitäten, wie z.B. mit Animationen, Simu-lationen oder Spielen, reduziert werden kann. Allerdings bieten Animationen, Simulationen oder Spiele auch viel weiter gehende Chancen für die lernende Durch-dringung komplexer Zusammenhänge sowie für die risikolose Erprobung von Hand-lungsmöglichkeiten. Dies ist zweifellos ein nicht zu unterschätzender Gewinn für den Erwerb individueller Handlungskompetenzen.

Aber dieser Gewinn hat wiederum einen weiteren Verlust zur Folge, nämlich den Verlust des pädagogischen Dialoges. Denn die Lehrenden und Lernenden werden durch die Objektivierung in ihrem pädagogischen Bezug zueinander zu anonymen Personen füreinander. Für die Lernenden hat dieser Verlust zur Konsequenz, dass sie in ihren selbstbezüglichen, autodidaktischen pädagogischen Handlungen auf die in den multisymbolischen Repräsentationen vorgegebenen Interaktionsmöglichkeiten zurück-geworfen sind. Wie vielfältig und anregend diese Interaktionsmöglichkeiten auch immer programmiert sein mögen, sie können prinzipiell immer nur die Interaktionen ermöglichen, die in sie eingebaut wurden. Die Objektivierung, Entpersonalisierung und Standardisierung kann daher nur ein Vorgaben nachvollziehendes und mithin defensives Lernen fördern (zum hier verwendeten Lernbegriff siehe Holzkamp 1993, S. 190 ff.). Ein reflexiv selbstbestimmtes und mithin expansives Lernen, wie es für den Erwerb vollständiger bzw. „universeller“ Handlungskompetenzen notwendig ist, um die gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Aufgaben unter demokratischen Verhältnissen initiativ und kooperativ meistern zu können, wird durch den Verlust des pädagogischen Dialoges eher behindert. Inwieweit dieser zunächst zu konstatierende Dialogverlust durch die Integration synchroner und asynchroner Telekommunika-tionsmittel wieder aufgehoben werden kann, werde ich weiter unten diskutieren. Denn auch die bisherigen Formen unmittelbarer pädagogischer Kommunikation erfahren durch die Nutzung der Telematik ebenfalls Objektivierungen.

Wenn wir nun den Blick auf die Folgen für die Lernhandlungen lenken, so zeigt sich, dass diese, wie sie sich in der traditionellen Lernkultur herausgebildet haben, am und durch die vernetzten Computer und die Lernsoftware in einer bisher noch kaum untersuchten Weise grundlegend umstrukturiert bzw. neu strukturiert werden, und zwar als autodidaktische Lernhandlungen. Die autodidaktischen Lernhandlungen werden durch die in den Lernprogrammen visualisierten Inhalte sowie die Inter-aktionen und Simulationen sicher viel besser als mit den traditionellen Mitteln und Lehrhandlungen unterstützt. Zugleich werden sie aber ebenso objektiviert, entpersön-licht und standardisiert sowie anonymisiert wie die Lehrhandlungen, und zwar von den

zu übernehmenden Begründungen und Zielen bis zu den implementierten Mechanis-men der Selbstkontrolle. – Eine relative Ausnahme hinsichtlich des Aspektes der Standardisierung bilden hier nur die bislang wenig verbreiteten „Intelligenten Tutoriellen Systeme“, die nach den Regeln der Künstlichen Intelligenz konstruiert sind und daher adaptive Interaktionen ermöglichen.

Die multisymbolische Objektivierung der pädagogischen Handlungen impliziert auch, dass die Lernenden zu anonymen bzw. abstrakten Personen für die Lehrenden werden – wie auch umgekehrt. Dies zwingt zu einer genaueren Bestimmung und Untersuchung der Interessen und Voraussetzungen der Zielgruppe, damit die medial objektivierten Lehrhandlungen möglichst genau auf die von der anvisierten Zielgruppe einforderbaren Lernhandlungen abgestimmt werden können. D. h., eine den jeweiligen Lernvoraussetzungen der Zielgruppe angemessene mediale Objektivierung macht es notwendig, die durch sie hervorgerufene wechselseitige Distanzierung und Anony-misierung der pädagogischen Handlungen durch sozialwissenschaftliche Erhebungs-methoden zumindest partiell, vorhergehend und vorübergehend wieder aufzuheben.

Dies wird jedoch wenig nützen, weil die Überbrückung der Distanz zwischen den pädagogischen Handlungen der Lehrenden und denen der Lernenden aufgrund der permanenten Entwicklung der individuellen Handlungskompetenzen der Beteiligten eben auch eine permanente Herausforderung ist. Ob diese durch die Einbeziehung der unterschiedlichen Telekommunikationsmittel gemeistert werden kann, ist eine offene Frage.

Vor allem die telemediale Objektivierung der pädagogischen Lehrhandlungen verleitet manchen zu absurden ideologischen Verdrehungen des pädagogischen Ver-hältnisses. So wird beispielsweise die Vorstellung beflügelt, die Lehrenden würden jetzt zu „Produzenten“, die ihre telemedial verobjektivierte Lehre in Gestalt von

„Bildungsprodukten“, eventuell verbunden mit weiteren mentoriellen Dienstleistun-gen, über das Internet auf dem weltweiten „Bildungsmarkt“ für die Lernenden als

„Kunden“ anbieten (siehe oben z.B. 5.3.3). Der Vorteil wird darin gesehen, da ein

„Kunde“ immer König ist, dass so aufgrund der nun wirkenden Marktgesetzlichkeiten die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden (des Lernenden) von den Produzenten (dem Lehrenden) besser berücksichtigt werden würden. Übersehen wird dabei geflissentlich, dass anschließend immer der „Kunde“ (der Lernende) zum erfolgreichen „Produzen-ten“ von Lernleistungen werden muss, weil er anders sein Zertifikat vom Lehrenden nicht erhält. So zeigt sich, dass durch die mediale Objektivierung der „Kunde“, also der Lernende, nur dem äußeren Schein nach zum König wird. Denn er wird nicht da-durch zum König, dass er zwischen mehreren Angeboten wählen kann. Letztlich wird immer er die Mühen des Lernens tragen und die Leistungen in Form von Kompetenz-gewinnen „produzieren“ müssen.

Diese Verdrehung verschleiert, dass die Machtdominanz der Lehrenden in den pädagogischen Verhältnissen vielmehr noch weiter ausgebaut und verfestigt wird, weil seine Aussagen durch die Aufhebung des pädagogischen Dialogs infolge der tele-medialen Objektivierung nicht mehr direkt befragt werden können. Die Aussagen

gewinnen gerade durch ihre Objektivierung eine für die Lernenden erheblich schwie-riger angreifbare Autorität.

Zudem wird im Denk- und Handlungsmodell „Bildungsmarkt“ für den gesamten Bildungsprozess, für das Lehren und das Lernen, ein auf formale Außenkriterien bezogenes Aufwand-Nutzen-Kalkül dominant, an dem alle Beteiligten ihre jeweiligen pädagogischen Entscheidungen orientieren. Lernen und Bildung als sozial-kulturell geformter dialogischer Prozess der Gewinnung von Weltaufschluss, der die Individuen zur Meisterung der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben des gesellschaftlichen und individuellen Lebens befähigt, wird so in eine scheinbar individualisierte Markt-beziehung umgedeutet, die als solche im Grunde auch keiner öffentlichen Aufmerk-samkeit mehr bedarf – außer der, dass die allgemeinen Marktregeln einigermaßen ein-gehalten werden. In Wirklichkeit bestimmen jedoch die Produzenten der Objektivie-rungen, die über die erforderlichen medialen Produktionsressourcen verfügen, in jeder Hinsicht die Marktbeziehungen. In diesem Bildungsmarktmodell ist auch kein Platz mehr für pädagogische Überlegungen zur Entwicklung einer telematischen Lernkultur, die den Anspruch der Lernenden auf Bildung unterstützt.