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4 Lernräume für telematisches Lehren und Lernen

4.2 Betrachtungskriterien

Angesichts der Vielfalt von Konzepten und technologischen Lösungen, die für Lern-räume als Basis telematischer Lehr- und Lernformen existieren, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die vorhandenen Lernräume unter didaktisch-methodischen

21 http://ipsi.gmd.de/CSCL/

22 http://toomol.bangor.ac.uk/ll/index.html

Gesichtspunkten beschrieben und verglichen werden können. Eine Bewertung von Lernräumen, die ausschließlich auf einem Vergleich der Eigenschaften (im Sinne tech-nologischer „features“) basiert, greift aus pädagogischer Perspektive zu kurz. Sollen in der Beschreibung und Analyse exemplarischer Lernräume die neuen Möglichkeiten telematischen Lehrens und Lernens auf der Ebene des im Lernraum zur Verfügung ge-stellten Handlungsraums erkennbar werden, so müssen Betrachtungskriterien aus den Dimensionen des potenziellen pädagogischen Wandels abgeleitet werden. Geht man von Orts- und Zeitflexibilität, Offenheit, Interaktivität und Förderung von sozialen Kontexten als wesentlichen Eckpfeilern der Veränderungen in der Bildungslandschaft aus (vgl. Kap. 2.2), so ist zu fragen, was diese Veränderungen für das pädagogische Verhältnis von Lehrenden und Lernenden sowie für die Lern- und die Lehrtätigkeiten bedeuten. Ein Lernraum ist dann unter dem Blickwinkel zu untersuchen, auf welche Weise er diese Veränderungen unterstützt.

Überzeichnet man die Situation leicht, um die Konturen besser erkennen zu können, ergibt sich folgendes Bild: Ein in mehrfacher Hinsicht offenes, interaktives Lernen in sozialen Kontexten über zeitliche und räumliche Begrenzungen hinweg stellt die Möglichkeit dar, die traditionelle Dominanz der Lehrenden in den Bildungs-prozessen abzubauen. Durch den erleichterten Zugriff auf weltweit vorhandenes Wissen über das Internet, den Austausch mit anderen Lernenden sowie mit Experten wandelt sich die Rolle der Lehrenden. Haben sie traditionell als Einzige Informationen und Lernressourcen zur Verfügung gestellt, können diese jetzt prinzipiell auch von Lernenden eingebracht werden. Gleichzeitig können studentische Arbeitsergebnisse und Informationen verhältnismäßig leicht anderen zur Verfügung gestellt werden und ihrerseits zu Lernressourcen für alle Beteiligten werden. Lernen kann in selbst organisierter Form erfolgen und in kooperativen Bezügen stattfinden. Lehrende werden nicht weniger wichtig, agieren aber stärker als Moderatoren und Berater der selbst organisiert Lernenden denn als Instruktoren.

Ausgehend von dieser idealtypischen Veränderung des Lehrens und Lernens durch telematische Unterstützung, ist es sinnvoll, Lernräume unter den folgenden Frage-stellungen zu betrachten:

Aushandlung von Lernressourcen: Welche Aushandlungsprozesse bei Inhalten und Lernressourcen werden durch den Lernraum unterstützt? Wie viel Einfluss-nahme können Studierende auf Lerninhalte nehmen? Können studentische Arbeitser-gebnisse, Verweise auf Ressourcen, Informationen etc. für alle sichtbar integriert werden?

Koordination: Welche Formen der Zusammenarbeit unter Studierenden werden innerhalb des Lernraums gefördert? Wie werden zugehörige Koordinations-prozesse unterstützt? Welche Formen zur Erhöhung der Gruppenwahrnehmung gibt es (z.B. Teilnehmerprofil Lernende / Dozenten / Tutoren)?

Monitoring: Welche Unterstützung bietet die Lernplattform den Lernenden und Lehrenden ihre Lernprozesse zu beobachten, Rückmeldungen zum Lernfortschritt

zu erhalten bzw. zu geben? Kann ein individueller Lernstand abgefragt werden?

Wird eine tutorielle Betreuung unterstützt?

Individualisierung: Welche Möglichkeiten der individuellen Anpassung des raumes gibt es? Können individuelle Lernwege und Repräsentationen der Lern-materialien gewählt werden? Lassen sich Lernressourcen mit individuellen Annotationen versehen? Lassen sich Sammlungen favorisierter „Seiten“ / Res-sourcen verwalten? Kann die Benutzeroberfläche individuell angepasst werden?

Selbstorganisation: Welche Hilfen zur Selbstorganisation der Lernenden werden – individuell und für Gruppen – bereit gestellt? Gibt es Möglichkeiten eigene Struk-turen aufzubauen (z.B. Websites, Diskussionsforen oder Mailinglisten einzurichten etc.)? Gibt es Werkzeuge der Zeitplanung (Kalender etc.)? Welche Orientierung bietet der Lernraum, wie wird z.B. der Gefahr des „lost in cyberspace“ begegnet?

Wie wird Informationsselektion unterstützt?

Adaptivität: In welcher Form werden Anpassungen des Konzeptes und der Lern-ressourcen ermöglicht? Wie leicht sind Änderungen durchzuführen? Gibt es eine gesonderte Möglichkeit auf aktuelle Anpassungen hinzuweisen (z.B. Rubrik News / Aktuelles)?

Die vorgenommene Gruppierung der Fragen unter die Rubriken Aushandlung von Lernressourcen, Koordination, Monitoring, Individualisierung, Selbstorganisation und Adaptivität erfolgt in Anlehnung an einen Evaluationsansatz für virtuelle Lernplatt-formen, den Britain & Liber auf der Grundlage eines kybernetischen Systemmodells entwickelt haben (Britain & Liber 1999).

W issensgebiet

W issensgebiet

Lernende Koordination

Lehrer Lern-

ressource M onitoring

Adaption Selbstorganisation

Abbildung 8: Evaluationsrahmenmodell für virtuelle Lernplattformen (aus Britain & Liber 1999; eigene Übersetzung)

Eine konkrete Auswahlentscheidung für einen Lernraum innerhalb eines Bildungs-angebotes muss darüber hinaus noch weitere Aspekte wie Wirtschaftlichkeit, Per-formance (Reaktionszeiten, Stabilität etc.), Skalierbarkeit, Integration in bestehende IT-Landschaft, Komfortabilität des Kursmanagements etc. berücksichtigen. Innerhalb des Bundesleitprojektes „Virtuelle Fachhochschule“ wurden mehrere am Markt be-findliche Produkte bei der Auswahl einer geeigneten virtuellen Lernplattform als Basis für den virtuellen Lernraum der virtuellen Fachhochschule unter derartig umfassenden Aspekten betrachtet.

Zunächst wurden die Möglichkeiten der virtuellen Lernplattformen im Detail hin-sichtlich der zur Verfügung stehenden „Lernerwerkzeuge“ bzw. „Instruktorenwerk-zeuge“ bewertet (VFH 2000a). In einem zweiten Schritt wurden zusätzlich wirtschaft-liche, technische, ergonomische und kursorganisatorische Aspekte betrachtet. Aus den ausgewählten Produkten Blackboard, WebCT, Pathware, Luvit, Learningspace, TopClass, DLS(ETS), Gentle wurde unter Berücksichtigung aller Aspekte die Benutzung von Blackboard empfohlen (VFH 2000b). Allerdings gilt auch hier, dass jede Empfehlung nur eine kurze „Lebensdauer“ hat, da sich die Produkte ständig weiterentwickeln. So wurde beispielsweise die Lernplattform LUVIT von den gleichen Fachexperten/innen unter den selben Kriterien im Abstand von einem Jahr vollständig anders beurteilt. Während sie bei der ersten Analyse nicht zu den bevorzugten Platt-formen gehörte, wird sie gegenwärtig (Stand Dez. 2000) als eine der leistungsfähigsten Plattformen am Markt bewertet (VFH 2000c).

Im Folgenden sollen zwei ausgewählte zukunftsweisende Beispiele von Lern-räumen genauer dargestellt und unter den aufgeführten Betrachtungskriterien analy-siert werden. Um den Einsatzkontext des jeweiligen Lernraums kenntlich zu machen, wird zunächst der Entstehungszusammenhang des betreffenden Lernraums dargestellt.

In einem zweiten Schritt wird die Funktionalität des Lernraums beschrieben und nach den genannten Kriterien unter didaktisch-methodischen Gesichtspunkten eingeschätzt.