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7 Resümee: Konsequenzen für die didaktisch-methodische

8.8 Etablierung partizipativer und kooperativer Lernprozesse

Die telemedialen Objektivierungen der pädagogischen Routinehandlungen und die da-durch bewirkte Aufhebung ihrer Unmittelbarkeit und Entwicklung des auto-didaktischen Lernens macht – wie oben bereits gesagt – die verbleibenden persön-lichen pädagogischen Handlungen der Lehrenden zu besonderen, beispielweise für die vertiefende Erklärung von Sachverhalten, die Beantwortung weitergehender Fragen, die Definition neuer Lernaufgaben, die interdisziplinäre Diskussion von Bedeutungen, die Reflexion individueller Lernbegründungen. Diese durch die Objektivierungen

be-wirkte Heraushebung bedeutsamer, aber traditionell gleichwohl meist in die Routine-handlungen eingebetteter und in eher randständigen Fächern organisierter päda-gogischer Handlungen zu besonderen Handlungen schafft neue Möglichkeiten für vertiefte Dialoge, Partizipationen und Kooperationen der Lernenden mit den Lehren-den sowie mit anderen LernenLehren-den und auch externen Experten. Allerdings können diese neuen Möglichkeiten nur dann Realität werden, wenn sie von allen Beteiligten gewollt werden und sie auch das dafür notwendige Zeitbudget zur Verfügung stellen.

Die telematische Destruktion des traditionellen sozialen Lernens kann so gezielt mit der Herausbildung einer telematischen Lernkultur, quasi auf einer neuen Kultur-stufe, wieder aufgehoben werden, und zwar indem das soziale Lernen in neuen, tele-matischen Formen partizipativen und kooperativen Lernens rekonstruiert wird. In diesem Sinne unterstützen moderne telematische Lernräume mit ihren vielfältigen technischen Funktionalitäten, z.B. für die Einrichtung und Verwaltung „virtueller“

Lerngruppen sowie für die synchrone und asynchrone Telekommunikation und Tele-kooperation, zunehmend besser die Durchführung partizipativer und kooperativer Lernprozesse.

Eine Voraussetzung dafür ist die Aufhebung der Anonymität der in telematischen Lerngruppen beteiligten Personen. Dies kann mit Steckbriefen, Home Pages, Video Clips usw. geschehen. Mit diesen biografischen Präsentationen der Beteiligten kann zwar das unmittelbar persönliche Kennenlernen nicht ersetzt werden, das sicher auch zukünftig für optimal aufeinander beziehbare pädagogische Handlungen notwendig bleiben wird, weil mit medialen Mitteln die Anonymität nur in verobjektivierten Formen aufgehoben werden kann, aber sie erleichtern wesentlich das Abstimmen gemeinsamer Bezüge und Interessen als Voraussetzung für ein erfolgreiches partizi-patives und kooperatives Lernen. Durch diese medialen biografischen Präsentationen erhalten die Beteiligten wechselseitig übereinander oft auch mehr Informationen als bei ausschließlich persönlichem Kennenlernen. Das Arbeiten und Lernen in tele-matischen Lerngruppen kann daher mit den biografischen Präsentationen und einem unmittelbaren persönlichen Kennenlernen zu Beginn auf ein viel besseres Fundament des Kennens der beteiligten Personen gestellt werden als z.B. im herkömmlichen Seminar und Unterricht.

In dem die persönlichen pädagogischen Handlungen, befreit von pädagogischer Routine, in telematischen Lernarrangements eine besondere Bedeutung erlangen, erhöhen sich zunächst die Möglichkeiten für die Lernenden, mit den Lehrenden, Mentoren und anderen Experten in einen vertiefend lernenden Dialog einzutreten – beispielsweise als Novize mit dem Experten, als Junior mit dem Senior oder als Lehrling mit dem Meister. Dadurch können die Lernenden durchaus gezielter und konzentrierter und vielleicht auch fundierter als bisher aus den Erfahrungen der Lehrenden und Experten schöpfen. Allerdings zeigen sich in der Praxis auch bereits die Grenzen dieser Möglichkeiten. Denn auch die Lernenden, die bislang kommuni-kativ wenig oder gar nicht aktiv wurden, also keine Nachfragen und eigenen Beiträge lieferten oder dazu selten Gelegenheit hatten, werden nun mit den Instrumenten der Telekommunikation und Telekooperation ebenfalls und wesentlich häufiger aktiv.

Dies führt, wie bereits mehrfach in verschiedenen Berichten zu lesen war, zu erheb-lichen zusätzerheb-lichen zeiterheb-lichen Belastungen der Lehrenden für telekommunikative Tätigkeiten. Daher wird zunehmend dazu übergegangen, die Lernenden beispielsweise in Lerngruppen mit etwa zwanzig Studierenden unter Leitung eines Tutors oder in Junior-Senior-Lerngruppen (wie z.B. an der Fernuniversität Hagen) zusammen-zufassen und zu betreuen. Erst wenn durch die tutorielle Betreuung nicht alle auf-tretenden Lernprobleme gelöst werden können, wird die Kommunikation mit den eigentlichen Lehrenden quasi erst freigeschaltet. Der für die Entwicklung des parti-zipativen Lernprozesses konstitutive Dialog zwischen Lernenden und Lehrenden wird durch dieses Dazwischenschalten einer neuen Schicht von Mentoren, Tutoren oder Senioren gefiltert und deutlich hierarchisiert. Dadurch wird gerade der mögliche Vor-teil partizipativen Lernens in telematischen Lernarrangements wieder erheblich einge-schränkt und reduziert.

Anders in kooperativen Lernprozessen: Die mit den Funktionalitäten moderner Lernräume gegebenen telekommunikativen und telekooperativen Möglichkeiten wer-den durchaus von wer-den Lernenwer-den nach einer Eingewöhnungsphase zu extensivem Informationsaustausch und zur abgestimmten oder gemeinsamen Bearbeitung von Lernaufgaben genutzt. Das kooperative Lernen bezieht sich nicht nur auf eine gemein-sam abgestimmte Ausgliederung von Aspekten einer Lernaufgabe und deren indivi-dueller Zuweisung zur Bearbeitung mit anschließender Addition zu einer gemein-samen Lösung. Vielmehr erfordert die individuelle Konzentration auf eine Teilauf-gabe, dass jeder individuell Lernende den Gesamtzusammenhang mitbedenkt und mit-bearbeitet, weil sie als telematische Lerngruppe sonst ihre individuell erarbeiteten Teillösungen gar nicht angemessen zusammenführen können.

Kooperative Lernprozesse erleichtern nicht nur die individuelle Bearbeitung vor-gegebener Lernaufgaben. Sie schaffen darüber hinaus – wie gezeigt – auch ein Potenzial für expansives Lernen. Denn im Dialog können die Lernenden leichter über die vorgegebenen Lernaufgaben hinausgehen und für gemeinsam angestrebte Ver-fügungserweiterungen weitergehende Lernaufgaben ausgliedern und definieren. Die verschiedenen integrierten Anwendungsprogramme (z.B. Office Software) auf ihren Computern ermöglichen es ihnen auch, die eigenständig erarbeiteten Lösungen in ent-sprechenden multisymbolischen Präsentationen allen anderen zum Lernen sowie zur Diskussion und weiteren Bearbeitung zur Verfügung zu stellen. Somit wird es mit der Verbreitung telematischer Lerngruppen möglich, dass die Erarbeitung und Präsen-tation von Lösungen nicht mehr allein Aufgabe der Lehrenden bleibt, sondern die Lernenden zunehmend selber zu lehrenden Akteuren werden können und gerade da-durch viel effektiver lernen. Von den gegenwärtigen Lernräumen werden diese Mög-lichkeiten der Arbeit telematischer Lerngruppen noch kaum hinreichend technisch unterstützt. Meist sind diese Möglichkeiten auch noch nicht einmal im Blickfeld der Entwickler und Lehrenden, weil ihr pädagogisches Denken und Handeln oft noch dem Lehrlernkurzschluss verhaftet ist, verstärkt durch die Fixierung der Aufmerksamkeit auf die Bewältigung der Mühen der telemedialen Objektivierung ihrer pädagogischen

Lehrhandlungen. Diese in kooperativen Lernprozessen entstehende Form des lehren-den Lernens bedarf noch der didaktisch-methodischen Konzeptualisierung.

Partizipative und kooperative Lernprozesse gehören in der traditionellen päda-gogischen Praxis in der Regel nicht zu den gängigen Denk- und Handlungsmustern der Lehrenden. Und wenn sie solche mit ihren Lernenden organisieren, dann unter ihrer Leitung und Kontrolle. Für traditionell Lehrende ist gesellschaftsbezogenes expansives Lernen in partizipativen und kooperativen Lernprozessen nur in organisierten pädagogischen Handlungsanordnungen denkbar. Hinzu kommt, dass durch das Fort-bestehen herkömmlicher auf individuelle Leistungen bezogener Prüfungs-mechanismen, die in telemedialen Objektivierungen oft noch viel kleinschrittiger organisiert werden, partizipative und kooperative Lernprozesse kanalisiert oder auf einen kleinen kaum noch wahrnehmbaren Rest reduziert werden. Für die Lernenden werden so die Chancen zu expansivem Lernen, wie sie durch die Implementierung entsprechender Funktionalitäten der telematischen Lernräume zunehmend verfügbar sind, in lehrerbestimmte Handlungsvorgaben umgemünzt, die den Lernenden nur noch Raum und Zeit für selbst gesteuertes defensives Lernen geben.