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1   DIE KOMMUNIKATIVE WENDE IM DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE‐UNTERRICHT

1.3   O RIENTIERUNGEN DER KOMMUNIKATIVEN  W ENDE

Die kommunikative Wende vollzog sich hinsichtlich des fremdsprachlichen Deutschunter-richts in zwei Phasen: nach dem pragmatisch-funktionalen Ansatz und dem sogenannten interkulturellen Ansatz. In der Didaktik haben dabei zwei Perspektiven die kommunikative Wende beeinflusst: die pragmatische und die pädagogische (Neuner/Hunfeld 1993: 84ff).

1. Die pragmatische Orientierung

Die modernen – noch heute gesprochenen – Sprachen werden anders gelehrt und gelernt als die alten bzw. toten Sprachen wie Latein und Altgriechisch. Man lernt in der Regel, wie man sich mit den anderen, die dieselbe Sprache sprechen, verständigt, denn „Sprachen lernt man in erster Linie, um sie für Alltagskommunikation zu benutzen“ (Neuner/Hunfeld 1993: 84). Die alten Sprachen lernt man nicht für die Kommunikation, sondern um alte Texte zu verstehen.

Dafür genügt es, Wortschatz und Grammatik dieser Sprachen zu lernen.

Für die modernen Sprachen braucht es dagegen mehr als den Wortschatz und die Grammatik:

Es ist außerdem notwendig, die Phonetik, Prosodie usw. zu beherrschen, um in der Lage zu sein, mit vielen Menschen oder verschiedenen Medien umzugehen. Hier wird also das Sprachkönnen gefördert und nicht das Sprachwissen. Neben der Ausbildung der sprachlichen Fertigkeiten (Hören, Sprechen, Schreiben, Lesen) sind die landeskundlichen Informationen der fremden Welt (Neuner/Hunfeld 1993: 127) Ziel des fremdsprachlichen Unterrichts. Aus diesem Grund ist die Authentizität der Texte gefragt. Einige Wissenschaftler haben schon

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zeigen können, dass das Arbeiten mit authentischen Texten im Fremdsprachenunterricht das Verstehen von Audiotexten stärkt (vgl. Herron/Seay 1991: 492ff).

2. Die pädagogische Orientierung

Die pädagogische Orientierung beschäftigt sich mit unterschiedlichen Lehrzielen des fremd-sprachlichen Unterrichts: erzieherisch, sprachlich, geistig-formal und kulturkundlich (Neu-ner/Hunfeld 1993: 86f).

1. Erzieherisches Lehrziel: Der Unterricht soll den Lernern nicht nur menschliche Werte wie Toleranz vermitteln, sondern auch das konkrete Anliegen, die Zielkultur und ihre Werte zu respektieren und nicht zu verachten.

2. Sprachliches Lehrziel: Dies kann erreicht werden, indem die lexikalischen, semantischen, phonetischen und syntaktischen Elemente der Sprache beherrscht und damit die unter-schiedlichen Texte, schriftlich und mündlich, richtig verstanden und produziert werden.

3. Geistig-formales Lehrziel: Der Fremdsprachenunterricht soll die Lerner zu „ordnendem Denken“ durch die sprachlichen Formen und ihre Anwendung in grammatischen und stilis-tischen Kategorien befähigen.

4. Kulturkundliches Lehrziel: Der Lerner muss auch die Zielkultur sowie ihre Traditionen und Entwicklungen kennenlernen.

Im Folgenden möchte ich die pragmatisch-funktionalen und interkulturellen Ansätze, die sich aus der Berücksichtigung der beiden oben erwähnten Lernorientierungen ergaben, kurz dar-stellen und ihre jeweiligen Ziele zusammenfassen.

1.3.1 Der pragmatisch-funktionale Ansatz

Die Prinzipien der audiovisuellen/audiolingualen Methode haben den kommunikativen An-satz beeinflusst, indem Alltagssituationen in die Lehrbücher in Form von Dialogen eingebettet wurden und das Mündliche vor dem Schriftlichen Vorrang erhielt. Trotzdem hat die Gramma-tik weiterhin eine ernstzunehmende Rolle gespielt, was zu einer Unnatürlichkeit der zu üben-den Sprechsituationen bzw. Dialoge führte. Die Grammatikstrukturen in diesen Texten sollten beibehalten werden; die Sprechakttheorie versteht die Sprache jedoch nicht als „ein System von Formen“, sondern als „Aspekt menschlichen Handelns“ (Neuner/Hunfeld 1993: 88). Ihr geht es darum zu ergründen, wie die Sprache benutzt wird, um sich zu verständigen. Als ein Ergebnis dieser Entwicklung in der Pragmalinguistik wurden viele Sprechintentionen (Sprechabsichten) für die Lehrwerke entwickelt. Die Lerner können jetzt die Sprache und ihr System mit einer Verbindung zum Alltag erwerben.

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Merkmale des pragmatisch-funktionalen Ansatzes sind (Neuner/Hunfeld 1993: 91ff):

a) Veränderung der Grammatikprogression: Da in diesem Konzept den Sprechabsich-ten/-situationen große Bedeutung zukommt, ist dabei die Progression zyklisch. Das heißt, es wird mehr als einmal auf die gleiche Sprechsituation eingegangen, um neue Grammatik-strukturen zu präsentieren, die passend für diese Sprechsituation sind. Folgendes Beispiel führen Neuner/Hunfeld (1993: 91) für die Sprechabsicht „einen Wunsch äußern“ an – es verdeutlicht die Progression von leichteren zu schwierigen Grammatikformen:

- Ich möchte bitte (einen Anzug).

- Zeigen Sie mir bitte (Anzüge).

- Wo finde ich (Anzüge)?

- Haben Sie (Anzüge)?

- Könnten Sie mir bitte (Anzüge) zeigen?

- Einen Anzug bitte!

- Kann ich den Anzug mal anprobieren?

- Ich hätte gern (einen Anzug).

- (Bringen Sie mir) den dort! (Wenn man auf den Anzug zeigen kann.) - Würden Sie mir bitte (Anzüge) zeigen?

- Wären Sie bitte so freundlich und würden mir (Anzüge) zeigen?!

- (Mit dieser letzten Formel kann man zum Beispiel einem Verkäufer gegenüber übertriebene Höflichkeit oder Ungeduld/Ironie ausdrücken.)

In den ersten Phasen des fremdsprachlichen Unterrichts lernt der Fremdsprachenlerner ein-fache syntaktische Strukturen wie z. B. „Ich möchte bitte einen Anzug“. Im Laufe des Sprachkurses wird auf die gleiche Sprechintention eingegangen, aber jedes Mal mit neuen, schwierigen syntaktischen Konstruktionen wie z. B. „Würden Sie mir bitte Anzüge zei-gen?“, je nachdem, welche grammatische Struktur im Fremdsprachenunterricht behandelt wird. Nicht nur die Grammatikprogression wird hierbei berücksichtigt, sondern auch die Häufigkeit eines Grammatikpensums in der alltäglichen Kommunikation. Deshalb werden z. B. einige Passivstrukturen durch andere einfachere ersetzt, die man häufiger im Alltag benutzt.

b) Veränderung der Themenschwerpunkte: Themen, die für Alltagskommunikation als fre-quent gelten, sind die Grundlage für die Themenstruktur in den Lehrwerken. Dadurch wird auch der elementare Wortschatz hinsichtlich dieser rekurrenten Themen gelernt. Aus-gangspunkt dieses Ansatzes ist, dass man in den ersten Stunden lernt, wie man über sich

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und andere Personen Informationen gibt und erfragt. Dann kommen andere Themen wie z.

B. Wohnen, Umwelt, Reisen und Verkehr etc. (Neuer/Hunfeld 1993).

c) Konzentration auf pragmatisch sinnvolle Rollen und Situationen: Dabei werden die Rollen berücksichtigt und analysiert, die der Lerner meistern muss, wenn er im Zielland leben oder studieren will, wie z. B. beim Einkaufen oder beim Arzt (vgl. auch Neuer/Hunfeld 1993).

d) Aufbau der Lernprogression: Bei diesem Ansatz spielen Faktoren wie Sprecherintentionen, Rollen/Situationen, Themen/Inhalte oder Texte eine wichtige Rolle. Deshalb ist die Pro-gression der Grammatik hier zyklisch. Das bedeutet, dass man zu einer grammatischen Struktur greift, wenn die Situation, die im Unterricht bzw. im Lehrwerk behandelt wird, sie erfordert. Es wird also wie bei der Grammatik-Übersetzungs-Methode so verfahren, dass der Text zugunsten der Grammatik entwickelt wird (Neuer/Hunfeld 1993). Bei der Lern-progression wird entdeckt, dass viele Grammatikstrukturen nicht in natürlichen Gesprä-chen auftauGesprä-chen, sondern meistens in geschriebenen Texten wie z. B. das Präteritum der meisten Verben. Deshalb werden Lese- und Hörtexte, die charakteristisch für die Alltags-kommunikation sind, bei der Erfassung der Modelldialoge stärker berücksichtigt als die Grammatik-Strukturen, damit sie authentischer klingen.

e) Pragmatisch orientierte Textarbeit: Um die Authentizität zu wahren, wird versucht, authen-tische Texte aus dem Alltag wie z. B. Zeitungsartikel zu benutzen. Dabei wird geübt, wie der Lerner den authentischen Texten Informationen entnehmen kann und dadurch die fremde Sprache lernt.

f) Neue Übungsformen: Um das Ziel des pragmatisch-funktionalen Ansatzes zu erreichen, müssen neue Arten von Übungen präsentiert werden, die zur realitätsnahen Sprachverwen-dung führen. Hier wird das Verständnis des Textes durch bestimmte Übungen entwickelt, die nicht nur dieses Verständnis fördern, sondern auch die Vorbereitung der mündlichen und schriftlichen Äußerung. Die Übungssequenzen werden so gestaltet, dass sich das Ler-nen des Stoffes schrittweise vom Verstehen zur Äußerung entwickelt.

Der pragmatisch-funktionale Ansatz hat Fortschritte im fremdsprachlichen Deutschunterricht angeregt, die jedoch nicht weit genug reichen. Das zeigt sich insbesondere, wenn man einen Blick auf den fremdsprachlichen Deutschunterricht außerhalb Deutschlands wirft, in dessen Rahmen der Deutschlerner keinen Zugang zur deutschen Welt hat. Deshalb stellt es sich als dringend notwendig heraus, Interkulturalität im fremdsprachlichen Deutschunterricht zu be-rücksichtigen.

37 1.3.2 Der sogenannte interkulturelle Ansatz

Das Interesse an Interkulturalität im fremdsprachlichen Deutschunterricht entstand in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts (s. Krumm 1995). Nach der Verbreitung des prag-matisch-funktionalen Konzepts hat sich dieses (siehe 1.1.2) nicht als die optimale Methode herausgestellt, um eine fremde Sprache in jedem Kulturkreis zu erwerben. Das pragmatisch-funktionale Konzept funktioniert demnach im Zielland, in dem die gelernte Sprache als Mut-tersprache gesprochen wird, besser, als in anderen Ländern, in denen die Zielsprache nicht gesprochen wird. Denn im Zielland begegnet der Lerner tagtäglich den Muttersprachlern und muss mit ihnen in verschiedenen Situationen Kontakt aufnehmen. Wenn der Lerner aber die Fremdsprache in seinem Land lernt, wie es der Fall des Deutschen im Jemen zeigt, wo die Lernenden kaum Kontakt mit Deutschen haben, verfolgt der Fremdsprachenunterricht andere Ziele, wie z. B. die Darstellung der Zielkultur durch verschiedene Texte, die die Lerner näher an die fremde Sprache und Kultur heranführen. Dies hat Folgen für den Fremdsprachenunter-richt: Lernziele werden ebenso geändert wie die Themenauswahl, Übungsformen und Aufga-benstellungen. Sie müssen den Lerner auf seine Begegnung mit der fremden Kultur und ihren Menschen vorbereiten. Der fremdsprachliche Deutschunterricht erfüllt die Funktion, die Ler-nenden auf das Interagieren in interkulturellen Situationen vorzubereiten (Müller-Jacquier 1999), denn jede Kommunikation zwischen einem Muttersprachler und einem Fremdsprachler ist interkulturell. Die Interagierenden verfügen jeweils über ihre eigenen kulturellen Hinter-gründe, weshalb sie in solchen Kommunikationssituationen interkulturelle Kompetenzen be-nötigen, die durch interkulturelles Lernen im Unterricht erworben werden können. „Interkul-turelles Lernen ist ein situativer Lernprozess zwischen Personen, die sich verschiedenen Kul-turen zurechnen“ (Müller 1994: 155). Konstitutiv dafür sind eine gemeinsame interkulturelle Situation, ein Interaktionsprozess und ein Lernresultat (vgl. dazu Müller 1994).

Zu den wichtigsten in diesem Kontext zu berücksichtigenden Aspekten zählen die Äußerungs-fähigkeit (Sprechen) und die Aushandlung kulturspezifischer Bedeutung. Nicht nur das Nach-ahmen von Audiotexten fördert diese Entwicklung, sondern auch die Beherrschung der

„Grundlage von Verstehensprozessen, die sich immer vor der Äußerung in der fremden Spra-che entfalten“ (Neuner/Hunfeld 1993: 117). Dies bedeutet, dass man zuerst versteht und da-nach eine Äußerung produzieren kann.

Der interkulturelle Ansatz beschäftigt sich mit der Vorbereitung von Fremdsprachenlernern auf fremdkulturelle Kommunikationssituationen (vgl. auch dazu Müller-Jacquier 1999). Dafür werden die elementaren Lebenserfahrungen der Lerner mit denen gleichaltriger Personen im Zielsprachenland (z.B. deren Interessen) verglichen. Da zu dem Land der Zielsprache meist

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eine große räumliche Distanz herrscht9, ist die Präsentation mittels verschiedener Medien ge-fragt. Dafür stellt das Vergleichen von Elementen der eigenen Kultur und der Zielkultur ein geeignetes Mittel dar, denn die Lerner lernen so nicht nur die fremde Kultur kennen, sondern lernen auch, mit deren Angehörigen zu interagieren. „Ziel ist die Fähigkeit, auf Fremde/s ad-äquat, d. h. situationsangemessen reagieren und im fremden Land konstruktiv agieren zu kön-nen“ (Müller-Jacquier 1999: 10).

Es geht hier um das Ausdrucksvermögen unter den Bedingungen der Kopräsenz eines anderen Beteiligten und unter der Bedingung von Interkulturalität. Dabei ist nicht nur die