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Nosokomiale Infektionen (NI) (aus dem Griechischen „nosokomeion“ = Krankenhaus) sind lokale oder systemische Infektionen, die bei der Aufnahme im Krankenhaus nicht vorhanden waren und sich auch noch nicht in der Inkubationszeit befanden. Die vier am häufigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen sind: Sepsis, Pneumonie, Harnwegsinfektionen und postoperative Wundinfektionen [29].

Insbesondere auf hämatologisch-onkologischen Stationen werden Patienten behandelt, die ein hohes Risiko bezüglich der Entstehung von NI haben. Das Risiko ist um ein Vielfaches erhöht durch die Schwere der Grunderkrankung, die einen immunsuppressiven Einfluss ausübt.

Durch eine Konditionierungsbehandlung bzw. Chemotherapie und/oder Strahlentherapie kann dies verstärkt werden.

Da die Infektionen zu verlängerten Krankenhausverweildauern sowie einer Zunahme von Morbidität und Mortalität führen, stellen sie auf nationaler und internationaler Ebene ein schwerwiegendes medizinisches und ökonomisches Problem dar [43, 62]. Durch den verlän-gerten Krankenhausaufenthalt und dem zusätzlichen therapeutischen Aufwand verursachen NI höhere finanzielle Belastungen für die Krankenversicherungen und erhöhen somit den Kostendruck auf die Krankenhäuser.

Aus den oben angeführten Gründen ist es verständlich, dass es wichtig ist, die Inzidenz von NI zu verringern bzw. Präventionsmaßnahmen einzuleiten. In Anbetracht der wachsenden Bedeutung der Infektionen steigt auch der Bedarf an Untersuchungen und Studien zur Präva-lenz und Inzidenz nosokomialer Infektionen. Als ein probates Mittel zur Reduzierung der In-zidenz hat sich die Surveillance nosokomialer Infektionen erwiesen [30, 32, 34]. Die klassi-sche Definition von Alexander Langmuir von den Centers of Disease Control (CDC) fasst dies zusammen, als die kontinuierliche, systematische Erfassung, Analyse und Interpretation der Daten zu NI, die Auswertung dieser Daten und die Weitergabe der Ergebnisse an diejeni-gen, die diese Informationen benötigen [45]. Als Begründer des Surveillance-Konzepts wird William Farr genannt. Er hat sich im 19. Jahrhundert mit der systematischen Berichterstattung von ansteckenden, für die Volksgesundheit relevanten Erkrankungen beschäftigt [46].

Anhand der Surveillance können Häufigkeiten von NI dokumentiert und berechnet werden, sowie Faktoren identifiziert werden, die eine Entstehung begünstigen. Durch die Planung und

Einführung geeigneter Maßnahmen in den klinischen Alltag kann einer Häufung von NI ent-gegengewirkt werden und Infektionsraten reduziert werden. Eine anschließende erneute Eva-luation überprüft die Effektivität der Maßnahmen. Mit Hilfe der Surveillance werden sinnvol-le Daten zum Auftreten von NI gesammelt, können Infektionsdaten unterschiedlicher Kran-kenhäuser verglichen werden, und somit Infektionsprobleme erkannt und die Wirksamkeit eingeführter Präventionsmaßnahmen überprüft werden. Durch Vergleiche mit anderen, ähn-lich strukturierten Einrichtungen können wichtige Erkenntnisse über die Qualität der eigenen Arbeit gewonnen werden. Sie dient der Infektionsprävention durch Feedback an ärztliches und pflegerisches Personal in Form von Fortbildungen und Schulungen.

Notwendig ist hierfür, dass die Erfassung der NI nach national bzw. international einheitli-chen Definitionen vorgenommen wird, eine risikofaktorenbezogene Stratifizierung der ermit-telten Infektionsraten vorgenommen wird und vergleichbare Auswertungsmethoden genutzt werden. Es muss berücksichtigt werden, dass die Patienten - je nach Klinik - mit unterschied-lichen Methoden behandelt werden. Aus der Analyse von endogenen und exogenen Risiko-faktoren resultiert letztendlich ein Qualitätsmanagement, welches eine Reduktion nosokomia-ler Infektionen ermöglicht.

Nach Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) am 01.01.2001 wurden laut §23 die Leiter von Krankenhäusern und von Einrichtungen für ambulantes Operieren verpflichtet, bestimmte − vom Robert-Koch-Institut (RKI) festgelegte − nosokomiale Infektionen und mul-tiresistente Erreger „fortlaufend in einer Niederschrift aufzuzeichnen und zu bewerten“ [64].

Bereits in mehreren Studien [30, 32, 34] konnte belegt werden, dass durch eine Surveillance ein Rückgang der NI erreicht werden kann. Beim Krankenhauspersonal wird durch die Durchführung einer Surveillance − durch die Beobachtung − auch eine Verhaltensverände-rung hervorgerufen. Diese ist ein wichtiger Aspekt der Surveillance, und das beschriebene Phänomen wird „Hawthorne-Effekt“ genannt [39].

Schon seit über 30 Jahren werden in den USA Infektions- und Präventionsprogramme durch-geführt. Durch die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) wurde die Entwicklung einheitlicher Definitionen für nosokomiale Infektionen maßgeblich mitbestimmt. Sie veröf-fentlichten 1985 die umfassendste Studie über die Häufigkeit von nosokomialen Infektionen in den USA. Diese zur Prävention von NI bedeutendste Studie ist die „Study on the Efficacy of Nosocomial Infection Control“ (SENIC) [34], bei der insgesamt 338 Krankenhäuser der USA teilnahmen.

Die in den USA in den siebziger Jahren durchgeführte Studie zur Überprüfung von Definitio-nen und Surveillance-Methoden zeigte, dass durch effektive Überwachungs- und Kontroll-programme mit gut ausgebildetem, speziell geschultem Personal eine Reduktion der NI um 32% erzielt werden kann [32]. In der Studie wurden im Jahr 1970 je Krankenhaus 500 Patien-ten und fünf Jahre später weitere 500 PatienPatien-ten untersucht. Die niedrigsPatien-ten RaPatien-ten an NI wur-den bei Krankenhäusern mit intensiven Anstrengungen auf dem Gebiet der Surveillance und der Infektionsprävention beschrieben, während in den nicht-teilnehmenden Häusern die Rate um bis zu 18 Prozent anstieg. Ingesamt wurde bei 169.526 Patienten amerikanischer Akut-krankenhäuser eine NI-Rate von 6,6 Infektionen pro 100 stationär aufgenommene Patienten ermittelt [33].

An ausgewählten Krankenhäusern in den USA erfolgte von 1969 bis 1972 anhand einheitli-cher Definitionen eine kontinuierliche Erfassung der Infektionen als Comprehensive Hospital Infections Project (CHIP) [33] und von 1970-74 in der National Nosocomial Infections Study.

Diese fand eine Fortsetzung in dem National Nosocomial Infection Surveillance System (NNIS) [24], dessen Daten erstmals in eine nationale Datenbank integriert wurden. Seit 1986 werden nosokomiale Infektionen durch das amerikanische Surveillance System in den teil-nehmenden NNIS-Krankenhäusern erfasst, analysiert und regelmäßig publiziert. Von der Quality Indicator Study Group wurde geprüft, inwiefern die einzelnen nosokomialen Infekti-onen zur Qualitätssicherung geeignet sind [63]. Hier wurden folgende Faktoren in Betracht gezogen: Klarheit der Falldefinitionen, Einfachheit der Diagnostik, Häufigkeit der Infektions-art, Bedeutung für Morbidität und Mortalität, sowie das Potential zur Reduktion der entspre-chenden Infektion. Eine kontinuierliche Erfassung aller möglichen nosokomialen Infektionen in allen Bereichen eines Krankenhauses ist nicht sinnvoll und wurde auch durch das NNIS-System weitestgehend aufgegeben. Stattdessen wird durch das NNIS-NNIS-System die Konzentrati-on auf die für die jeweilige Abteilung besKonzentrati-onders relevanten InfektiKonzentrati-onsarten empfohlen.

Vom Bundesgesundheitsministerium wurde 1994 die NIDEP-Studie (Nosokomiale Infektio-nen in Deutschland – Erfassung und Prävention) in Auftrag gegeben. In der repräsentativen Prävalenzstudie wurden über 10 Monate in 72 Kliniken 14.966 Patienten auf das Vorhanden-sein nosokomialer Infektionen untersucht. Bei 518 Patienten (entsprechend einer Prävalenzra-te von 3,5%) ist mindesPrävalenzra-tens eine nosokomiale Infektion aufgetrePrävalenzra-ten [29]. Daran angeschlos-sen hat sich von 1995-99 die NIDEP 2-Studie, zur Prävention nosokomialer Infektionen in der

operativen Medizin und Intensivmedizin. In dieser konnte gezeigt werden, dass durch gezielte Infektionsprävention mindestens jede sechste NI vermieden werden kann [9].

So kann die Rate an nosokomialen Infektionen, vor allem bei der Sepsis, durch die Surveil-lance um ein Vielfaches gesenkt werden [30]. Die Reduktion der Infektionsrate von zentralen Venenkathetern (ZVK)-assoziierter Sepsis durch Interventionsprogramme und Schulungen wird bei Zuschneid mit 28,6% und bei Eggiman mit 67% beschrieben [22, 76]. Nach Beren-holtz et al. kann durch vielschichtige Interventionsmaßnahmen sogar eine völlige Eliminie-rung der Sepsis erreicht werden [6]. In einem systematischem Review von Gastmeier et al.

wird aufgezeigt, dass eine durchschnittlich 50-prozentige Reduktion katheterassoziierter Sep-sisfälle mit multi-modularen Programmen (beispielsweise Surveillance, Schulungen und Händedesinfektion) möglich ist [28].

Durch die Einführung geeigneter Überwachungsprogramme und Präventionsmaßnahmen können medizinische Komplikationen aufgrund von Sepsisfällen verringert werden und zu-dem noch Kosten für Krankenhäuser und Versicherungen gesenkt werden. Diese könnten durch einfache Präventionsstrategien (beispielsweise Händedesinfektion) eingespart werden.

Bei einem Einsatz von mehreren Millionen intravaskulären Kathetern pro Jahr in den U.S.-Krankenhäusern und einen durch Katheterinfektionen verursachten Kostenmehraufwand von 60–460 Millionen U.S.-$ pro Jahr [55] wird der Handlungsbedarf an Interventionen und Fort-bildungen deutlich.

Wie hoch die zusätzlichen Kosten ausfallen, die durch nosokomiale Infektionen und Neutro-penie bzw. den dadurch verlängerten Krankenhausaufenthalt bedingt sind, zeigten Kuderer et al. in einer Studie mit 41.779 Patienten [43]. Sie zeigte, dass bei den febrilen, neutropenischen hämatologisch-onkologischen Patienten (unter Ausschluss von transplantierten Patienten) diejenigen, die als Grunderkrankung eine Leukämie hatten, die längsten Liegezeiten hatten (Median: 19,7 Tage, der Median aller Patienten lag bei 11,5 Tagen) und mit den höchsten Krankenhauskosten (Median: 25.242 U.S.-$, der Median aller Patienten lag bei 8.376 U.S.-$) im Vergleich zu den anderen Grunderkrankungen verknüpft sind. Eine ähnliche Studie wurde von Caggiano et al. durchgeführt (mit dem Fokus auf chemotherapierte Patienten), die eine etwa dreimal höhere Summe für Krankenhauskosten feststellten bei hämatologischen Patien-ten mit Leukämie (28.200 U.S.-$) als bei PatienPatien-ten mit soliden Tumoren [10].

Wisplinghoff et al. [73] untersuchten speziell die durch Sepsisfälle zusätzlich verursachten Kosten bei granulozytopenischen Patienten mit hämatologischen Erkrankungen (ebenfalls mit dem Fokus auf chemotherapierte Patienten). Hier ergab sich ein Kostenmehraufwand von

3.200 U.S.-$ pro Patient, die durch die Infektion bedingt sind. Mehrere Studien zu klinischen und ökonomischen Auswirkungen wurden auch auf Intensivstationen durchgeführt, die ein ähnliches Ergebnis aufzeigten [8, 20, 65].

Schwierig ist es direkt zwischen verschiedenen Studien zu vergleichen, da die Krankenhaus-kosten teilweise unterschiedlich berechnet werden und zudem unterschiedliche Kosten anfal-len, da sie in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden. Von Haley wird vorgeschlagen zur Einschätzung der Kostenersparnis die Kosten für einen Patienten mit nosokomialer Infektion und einen jeweils nicht-Infizierten, mit ähnlichen Charakteristika (Grunderkrankung, etc) ge-genüberzustellen [31]. Es ist jedoch deutlich, dass die zusätzlich anfallenden Kosten in allen genannten Studien ökonomisch relevant sind und es unterstreicht die Wichtigkeit zu konse-quenter Anwendung von evidenzbasierten, kosteneffizienten Präventionsmaßnahmen.

Eine Übersicht zu den zusätzlich anfallenden Kosten und der verlängerten Verweildauer der Patienten aufgrund einer nosokomialen Infektion wird in Tabelle 1.1.1 gegeben.

Tabelle 1.1.1 Übersicht über Kosten und zusätzliche Verweildauer bei febrilen, neutropeni-schen, hämatologisch-onkologischen Patienten

Studie Anzahl der Patienten (n)

zusätzliche

Verweildauer zusätzliche Kosten Kuderer et al. [43],

2006, USA 41.779 3 Tage pro Patient 4.241 US-$ pro Patient Wisplinghoff et al. [73],

2003, Deutschland 417 9 Tage pro Patient 3.150 US-$ pro Patient

Als geeignetes Mittel zur Erfassung nosokomialer Infektionen wurde in Deutschland 1997 das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) eingeführt. Die Methode wurde vom Nationalen Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ) am Insti-tut für Hygiene des Benjamin Franklin Universitätsklinikums in Zusammenarbeit mit dem Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg entwickelt.

Diese ist wiederum angelehnt an das vom CDC Anfang der 70er Jahre initiierte NNIS-Projekt (National Nosocomial Infection Surveillance). Bei KISS, das anfangs nur die Intensivstatio-nen und chirurgischen Kliniken von 10 Krankenhäusern Deutschlands umfasste, wurden die

„device“-assoziierten NI (Sepsis, Pneumonie, Harnwegsinfekt) registriert. Anhand der

erfass-ten „device“-Anwendungstage und Patienerfass-tenliegezeierfass-ten wurden „device“-assoziierte Inzi-denzdichten, sowie andere Referenzdaten zur Epidemiologie nosokomialer Infektionen er-rechnet. Diese Referenzdaten werden publiziert, damit sich auch nicht-teilnehmende Kran-kenhäuser, bei Anwendung der gleichen Definitionen, vergleichen können. Das dient durch Erfassung und Feedback der NI-Raten - durch Vergleich der eigenen Raten über die Zeit, als auch mit anderen Krankenhäusern - der internen Qualitätssicherung im Krankenhaus.

Das Spektrum an Patientengruppen, die durch das KISS-Modul erfasst werden, wurde in den letzten Jahren stetig erweitert, um möglichst viele Risikobereiche zu berücksichtigen. Das KISS umfasst inzwischen neun Module, die die NI in verschiedenen Risikobereichen erfassen (Stand: Mai 2008). Diese beinhalten Intensivstationen (ITS-KISS), neonatologische Intensiv-stationen (NEO-KISS), operierte Patienten (OP-KISS) bzw. extra ambulant operierte Patien-ten (AMBU-KISS), PatienPatien-ten mit zentralen Venenkathetern oder Harnwegskathetern oder maschineller Beatmung auf Nicht-Intensivstationen (DEVICE-KISS), die Erfassung von MRSA-Fällen (MRSA-KISS), Clostridium difficile assoziierter Diarrhö (CDAD-KISS), so-wie der hygienischen Händedesinfektion (HAND-KISS) und auch Abteilungen für Knochen-mark- und Blutstammzelltransplantationen (ONKO-KISS).

ONKO-KISS ist seit Oktober 2000 vom Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg speziell zur prospektiven Erfassung von Sepsis und Pneumonie während der Neutropeniephase bei transplantierten (Knochenmarktransplantation (KMT) oder periphere Blutstammzelltransplantation (PBSZT)), hämatologisch-onkologischen Patienten initiiert worden. In der Neutropeniephase besteht das höchste nosokomiale Infekti-onsrisiko, das auch in dieser Studie näher untersucht werden sollte. In Freiburg werden die Erfassungsdaten aller Teilnehmer zusammengeführt und halbjährlich ausgewertet. So können sich die Teilnehmer anhand ihrer eigenen ermittelten Infektionsraten mit den Referenzdaten der anderen teilnehmenden Zentren vergleichen.