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Nicht parteigebundener Neonazismus

D. RECHTSEXTREMISMUS

3. NICHT-PARTEIGEBUNDENER RECHTSEXTREMISMUS

3.2 Nicht parteigebundener Neonazismus

vom Freiheitskampf und deutschen Werten gröhlen. (…) Was treibt aktive Idealisten und politische Kämpfer eigentlich dazu, sich mit diesem Gesindel abzugeben?

Politische Soldaten wollen sie sein.

Kameraden. Doch die einen sind bloß Trinker und Taugenichtse, die anderen Großmäuler und Wichtigtuer.

Selbst der politische Wert rechtsext-remistischer Musik wird in diesem Text kritisch relativiert:

Schon mal von einer Revolution gehört, die mit einer CD begann oder auf einer Feier begonnen wurde?

Musik ist zwar angenehm und sicher-lich wichtig für die Unterhaltung, der politische Nutzen ist doch arg in Frage zu stellen.

Die Zahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten in Baden-Württem-berg stagnierte 2018 bei ca. 350.

3.2 NICHT PARTEIGEBUNDENER NEONAZISMUS

3.2.1

ALLGEMEINES

Als neonazistisch werden Personenzu-sammenschlüsse und Bestrebungen be-zeichnet, die sich direkt oder indirekt zu Ideologie, Organisationen und/oder Führungspersönlichkeiten des histori-schen Nationalsozialismus bekennen.

Sie sind in letzter Konsequenz darauf ausgerichtet, die freiheitliche demokra-tische Grundordnung zugunsten einer Diktatur nach dem Vorbild des natio-nalsozialistischen „Dritten Reichs“ ab-zuschaffen. Aufgrund der meist sehr ausgeprägten Fanatisierung ihrer Ange-hörigen ist die neonazistische Szene ein wichtiger Bestandteil des harten Kerns des deutschen Rechtsextremismus.

Nicht alle Rechtsextremisten sind Verfechter nationalsozialistischer Ideen und sehen im NS-Staat das Vorbild für eine zukünftige Verfassungsordnung Deutschlands. Insoweit ist die pauschale Gleichsetzung aller Rechtsextremisten mit Neonazis eine unzutreffende Ver-einfachung.

Die Grenzen zwischen Neonazismus und anderen Strömungen des deutschen Rechtsextremismus verlaufen zuweilen allerdings fließend. Einschlägiges Ge-dankengut und seine Anhänger sind auch in Szenebereichen anzutreffen, die nicht in Gänze oder nicht überwiegend als neonazistisch zu bezeichnen sind.

So bekennen sich zumindest Teile der subkulturell geprägten Rechtsextremis-tenszene zum historischen National-sozialismus, wie Liedtexte verschiedener Bands aus diesem Bereich eindeutig

belegen. Überschneidungen zwischen Neonazismus und subkulturell gepräg-tem Rechtsextremismus äußern sich u. a.

in der Existenz von Mischszenen und in der Teilnahme von Neonazis an Konzerten besagter Bands. Mitunter werden letztere auch von Neonazis organisiert. Bei den Parteien NPD,

„DIE RECHTE“ und „Der III. Weg“

ist die neonazistische Ausrichtung unterschiedlich stark ausgeprägt. Die NPD nimmt bundesweit bekannte Neonazis als Mitglieder auf, von de-nen manche hohe Parteifunktiode-nen innehaben. „DIE RECHTE“ tendiert personell wie ideologisch eindeutig in Richtung Neonazismus, was ähnlich auch für „Der III. Weg“ gilt.27

Die Zahl der nicht parteigebundenen Neonazis in Baden-Württemberg stieg 2018 auf ca. 410 (2016 und 2017: ca.

360). Damit stellten sie wie in den Vorjahren über ein Fünftel des rechts-extremistischen Personenpotenzials im Land. 2002 hatte dieser Anteil noch deutlich unter zehn Prozent gelegen;

in den folgenden neun Jahren wuchs er jedoch stetig (2011: ca. 25 Prozent), während die Gesamtzahl der Rechts-extremisten erkennbar zurückging.

Die neonazistische Szene besteht im Wesentlichen aus zahlreichen regiona-len Kleingruppen (z. B. sogenannten Kameradschaften), die zum Teil über-regionale bis bundesweite Netzwerke bilden; eine einheitliche Organisation existiert in Deutschland und Baden- Württemberg nicht. Die Entwicklung der bundesweiten Neonaziszene ist seit Jahrzehnten von Vereinsverboten und deren Folgen geprägt. Bereits in den 1990er Jahren wurden zahlreiche Verbote erlassen, wodurch sich das Erscheinungsbild der Szene nachhaltig veränderte. Um sowohl ergangene als auch erwartete Vereinsverbote zu un-terlaufen, haben seither zumeist lockere, organisationsunabhängige und infor-melle Personenzusammenschlüsse die festen Strukturen ersetzt. In Baden- Württemberg ist mittlerweile allerdings auch bei diesen Gruppierungen ein Rückgang erkennbar. An ihre Stelle treten personelle Umfelder und Mobi-lisierungspotenziale, die noch loser strukturiert sind und sich organisato-risch nur noch schwer abgrenzen lassen.

2018 gab es in Baden-Württemberg wie schon 2017 noch rund zehn Neo-nazigruppierungen, die in unterschied-lichem Maße aktiv waren. Der Anstieg bei den nicht parteigebundenen Neo-nazis ist also nicht durch einen Zuwachs

27 Vgl. dazu Abschnitt 2: „Rechtsextremistische Parteien“.

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bei diesen Gruppierungen zu erklären, sondern eher durch entsprechende Zu-nahmen bei besagten – organisatorisch schwer abgrenzbaren – personellen Um-feldern und Mobilisierungspotenzialen.

Darüber hinaus war in den letzten Jahren ein anderer Grund für den Rückgang der Organisationsstrukturen parteiunabhängiger Neonazigruppierun-gen verstärkt zu beobachten: Manche dieser Gruppierungen gehen in rechts-extremistischen Parteien auf, um im Schutz des grundgesetzlich verbürgten Parteienprivilegs (Art. 21 Grundgesetz) die eigenen Aktivitäten fortzuführen.

So war die bisherige Parteigeschichte von „DIE RECHTE“,28 die 2012 gegrün-det wurde, von Anfang an von der Auf-nahme solcher zuvor parteiunabhängiger Neonazigruppierungen geprägt, auch in Baden-Württemberg. Zuweilen wurden auch ehemalige Mitglieder bereits ver-botener Neonazigruppierungen in die Partei aufgenommen.

Meist geben sich Neonazi-Gruppen den Anstrich privater Cliquen oder Freundeskreise und verfügen nur über eine regionale Basis. Dies kommt auch in ihren Selbstbezeichnungen zum Ausdruck (z. B. „Nationale Sozia-listen Württemberg“). Ferner sind sie vergleichsweise klein; in der Regel

be-stehen sie aus ca. fünf bis 20 Personen, meist jungen Männern. Allerdings kön-nen manche Gruppen im Bedarfsfall auf ein Mobilisierungspotenzial zurück-greifen, das ihre Mitgliederzahl deutlich übersteigt.

Manche Neonazis ergreifen „Tarnmaß-nahmen“ – aus Furcht vor der Staats-gewalt oder vor gesellschaftlicher Stig-matisierung. Ebenso kann dahinter der Versuch stehen, mit den eigenen poli-tisch-ideologischen Vorstellungen auch außerhalb der rechtsextremistischen Szene Gehör zu finden. Die äußer-lichen Anleihen, die einige Neonazis bei jugendlichen Subkulturen oder autonomen Linksextremisten nehmen, können ebenfalls diesem Zweck dienen.

Generell unterliegt das äußere Erschei-nungsbild der Neonaziszene bereits seit Jahren einem Wandel: Zwar gibt es noch den „Klischee-Nazi“, dessen

Aufmachung (z. B. streng gescheitelte Haare und uniformähnliche Kleidung bei Jungen und Männern, lange Zöpfe und bewusst altmodische Röcke bzw.

Kleider bei Mädchen und Frauen) sich an Vorbildern aus der deutschen, zumal nationalsozialistischen Vergangenheit wie der paramilitärischen NSDAP-

„Sturmabteilung“ (SA) oder der Hitler- Jugend orientiert. Er ist aber zumindest in Baden-Württemberg in der Neonazi-szene deutlich seltener zu finden als noch vor rund 20 Jahren.

3.2.2

AKTIVITÄTEN IN BADEN-WÜRTTEMBERG

Die klassische Aktivität von Neonazi-gruppen ist der „Kameradschaftsabend“

in Gaststätten oder Privatwohnungen, der keine Außenwirkung entfaltet. Hier finden politisch-ideologische Schulun-gen und die Vorbereitung von Aktionen ebenso statt wie unpolitische Gesprä-che, oft dienen die Abende auch ein-fach nur dem Zeitvertreib. Dennoch ist fast jede Gruppe auch fest in die bundesweite Neonaziszene eingebun-den. Darüber hinaus bestehen mitun-ter Kontakte zu anderen Teilen des rechtsextremistischen Spektrums sowie zu Gesinnungsgenossen im In- und Ausland.

Innerhalb der netzwerkartigen Struk-turen legen Neonazis einen erheblichen Aktionismus an den Tag, der sich vor allem in der Teilnahme an zahlreichen Demonstrationen zeigt, auch fernab ihrer regionalen Basis. So war die „Kameradschaft Höri-Bodensee“ (KHB) nach eigenen Internetangaben am 2. Juni 2018 auf dem rechtsextremisti-schen „10. Tag der deutrechtsextremisti-schen Zukunft“

im niedersächsischen Goslar zusam-men mit „freie[n] Kräfte[n] aus dem Schwarzwald vertreten.“ Laut derselben Quelle beteiligte sich die KHB an der rechtsextremistischen Gedenkkundge-bung zum 31. Todestag des Hitler- Stellvertreters Rudolf Heß (1894–1987) am 18. August 2018 in Berlin. Bei manchen Neonazigruppierungen be-schränken sich Aktivitäten und Agita-tion hingegen im Wesentlichen auf die Pflege einer Internetseite, so dass diese Gruppen eher im virtuellen Raum existieren.

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Die Situation des nicht parteigebunde-nen Neonazismus in Baden-Württem-berg war im Berichtszeitraum vor allem durch die Stagnation seiner organisatori-schen Strukturen auf niedrigem Niveau und durch weitgehende Inaktivität geprägt, zumindest nach außen. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass sich hier neonazistische Strukturen und Aktivitäten, die zuvor an keine Partei gebunden waren, seit 2012/13 immer stärker in rechtsextremistische bis neonazistische Parteien – teils zu Neugründungen – verlagert haben.

Dementsprechend traten nicht partei-gebundene Neonazis 2018 kaum als Veranstalter rechtsextremistischer De-monstrationen in Erscheinung.

Das bedeutet aber nicht, dass baden- württembergische Neonazigruppierun-gen 2018 völlig kampagnenunfähig ge-wesen wären. Dies beweisen die Soli-daritätsaktionen verschiedener neo-nazistischer Gruppierungen (darunter die „Kameradschaft Freudenstadt“, die

„Freien Kräfte Schwarzwald-Baar- Heuberg“ und die KHB) für einen zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Ge-sinnungsgenossen aus dem Land im Frühjahr 2018: Am 8. Februar 2018 ver-urteilte das Oberlandesgericht Stuttgart vier Betreiber der rechtsextremistischen Internetplattform „Altermedia

Deutsch-land“ wegen Rädelsführerschaft bzw.

Beteiligung an einer kriminellen Ver-einigung und wegen Volksverhetzung in mehreren Fällen zu Freiheitsstrafen.

Unter ihnen war ein baden-württem-bergischer Neonazi, der zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde;

für die übrigen drei Angeklagten, die nicht aus Baden-Württemberg kamen, lagen die Strafmaße zwischen acht Mo-naten und zwei Jahren auf Bewährung (Az.: 2 StE 21/16). Das Urteil gegen den Baden-Württemberger war im Berichtszeitraum noch nicht rechts-kräftig. „Altermedia Deutschland“ war bereits im Januar 2016 durch den Bundesminister des Innern verboten worden.

In Reaktion auf die Verurteilung des Neonazis aus Baden-Württemberg wur-de bald darauf eigens eine Internetseite als „Informationsblog und Soliseite“

erstellt. Dort erschien ein auf den 16. Mai 2018 datierter Bericht mit der Überschrift „Gelebte Solidarität in Baden-Württemberg“, verfasst von ver-schiedenen – auch den oben genann-ten – „Kameradschafgenann-ten und Freundes-kreise[n]“. Demnach wurden „in den letzten 4 Wochen nun drei Soliabende im süddeutschen Raum“ veranstaltet.

Der erste fand laut Bericht im Ortenau-kreis statt als „Kameradschaftsabend“

samt Spendenaktion und „kurze[n] An-sprachen von parteifreien Kameraden und Vertretern der Partei Die Rechte“.

Die zweite Veranstaltung mit „Rede-beiträgen“, einer „Versteigerung“ und einem „musikalische[n] Rahmenpro-gramm“ wurde im Landkreis Emmen-dingen durchgeführt. Schließlich fand im Landkreis Freudenstadt ein „Soli-abend“ statt, bei dem u. a. Szenemusiker auftraten sowie eine „Rechtsschulung“, eine „Sammelaktion für den Kamera-den“ und eine „Auktion“ abgehalten wurden.

Es fällt auf, dass auch diese „Soliabende“

rein szeneinterne, auf sich selbst bezo-gene Veranstaltungen waren, die – ab-gesehen von der Nachberichterstattung auf der Kampagnenhomepage – gar nicht den Anspruch erhoben, in die Gesamtgesellschaft hineinwirken zu wollen. Dazu passt, dass die Verfasser des Berichts ganz bewusst keine kon-kreten Veranstaltungsorte, sondern nur die betreffenden Landkreise nennen, um „den Vertretern des politisch ver-wirrten Lagers und der Staatsmacht nicht allzu viel Hinweise auf die ge-nauen Lokalitäten der Soliveranstal-tungen zu geben“. Diese offensichtliche Angst vor gesellschaftlicher sowie staat-licher Sanktion und Repression, die daraus resultierende fast schon

sektie-rerische Abschottung von der Mehr-heitsgesellschaft ist nur ein weiterer deutlicher Hinweis auf die gesamtge-sellschaftliche Schwäche und Isolation der Neonaziszene in Baden-Württem-berg – und darauf, dass diese ihre Situation auch im Wesentlichen so empfindet.

Am 13. Juli 2018 fand zum mittlerweile fünften Mal seit 2014 ein rechtsextre-mistischer Aktionstag unter dem Motto

„Schwarze Kreuze Deutschland“ statt.

An diesem Tag wurden schwarz ange-malte Kreuze an öffentlichen Plätzen aufgestellt, die an deutsche Opfer so-genannter Ausländergewalt erinnern sollten. Dementsprechend wiesen die Kreuze zum Teil Inschriften auf wie

„Deutsche Opfer unvergessen“, „Über-fremdung tötet“ oder „Offene Grenzen töten“. Die regionalen Schwerpunkte dieser dezentralen und organisations-übergreifenden Aktion lagen nach Szenedarstellung in Nord- und Ost-deutschland, aber auch in Nordrhein-

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Westfalen und Baden-Württemberg.

Hier waren verschiedene Orte im Bodenseekreis, im Ortenaukreis, in den Kreisen Emmendingen, Esslingen, Reutlingen und Schwarzwald-Baar so - wie in der Stadt Freiburg betroffen.

Die KHB beispielsweise berichtete im Nachgang auf ihrer Facebook- Seite, sich an dieser Aktion beteiligt zu ha-ben, und dokumentierte photogra-phisch Kreuze an Ortsschildern von Meersburg, Überlingen und Uhl dingen- Mühlhofen-Unteruhldingen (alle Bo-denseekreis).

3.3 RECHTSEXTREMISTISCHE