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3 Neurofeedback

3.3 Neurofeedback bei Tinnitus

Wenn man eine Literaturrecherche zum Thema „Neurofeedback bei Tinnitus“ durch-führt, so stößt man auf weniger als eine Hand voll veröffentlichter Studien, allesamt aus dem deutschsprachigen Raum. Die früheste Studie führte die Mainzer Arbeits-gruppe um Gosepath durch (Gosepath, Nafe, Ziegler & Mann, 2001). Sie argumen-tieren, dass der störende Reiz „Tinnitus“ einen Teufelskreis aus Anspannung, Angst, Depression und Tinnituslautheit auslöst (House, 1981, zitiert nach Gosepath et al., 2001). Um diesen zu durchbrechen und somit die Entspannung zu fördern, soll das Neurofeedback bei chronischen Tinnituspatienten eingesetzt werden. Dazu trainier-ten 40 Patientrainier-ten in 15 Sitzungen, die Amplitude ihrer Alphawellen zu erhöhen und gleichzeitig die der Betawellen zu reduzieren. Abgeleitet wurde am Ort P4. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Patienten nicht allein durch das Feedback ihrer Gehirnak-tivität trainierten, sondern nebenher angewiesen wurden, sich in einen

Entspan-nungszustand zu versetzen (Phantasiereisen, Geräuschangebote). Bei der Analyse der EEG-Aktivität zeigt sich ein differenziertes Bild: Eine Patientengruppe konnte ihre Alphaamplituden erhöhen, nicht aber die Betaamplituden reduzieren (Gruppe A), während eine etwas kleinere Gruppe ihre Betaaktivität reduzieren konnte, jedoch die Alphaamplituden unverändert blieben (Gruppe B). Keiner der Patienten schaffte es, beide Aufgaben zu bewältigen. Beide Gruppen hatten jedoch vergleichbare Ver-besserungen in der Tinnitusbelastung erfahren (Gruppe A prä: 42.8, post: 28.7 und Gruppe B prä: 41.1, post: 28.9 Punkte im Tinnitusfragebogen TF; Goebel & Hiller, 1998). Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob bei der Belastungsreduktion eher un-spezifische Faktoren zum Tragen kommen, wie z.B. die Zuwendung durch den The-rapeuten. Auch wenn die Autoren dies nicht derart diskutieren, so führen sie doch an, dass es um eine „…aktive Auseinandersetzung mit der Hirnaktivität“ gehe, und sich der Patient dadurch vom Tinnitus ablenken lasse. Neurofeedback als Ab-lenkungsmanöver erscheint mir jedoch als ein zu aufwändiges und in dieser Funkti-on unterschätztes Verfahren. Es sollte möglich sein, durch Neurofeedback eine ge-wisse Kontrolle über bestimmte Anteile der Hirnaktivität zu erlangen, um auf diese Weise die Aktivität, die mit einem bestimmten, unerwünschten Zustand in Verbin-dung steht, (dauerhaft) zu verändern. Der Zusammenhang zwischen dem uner-wünschten Zustand Tinnitus und den damit in Verbindung stehenden Hirnwellen wird durch die Studie von Gosepath et al. (2001) nicht hinreichend geklärt. Zum Schluss sei noch zu erwähnen, dass auch eine Kontrollgruppe von 15 Patienten, die unter Schwindel litten, eingerichtet wurde, die jedoch weder ihre Alpha- noch ihre Betaamplituden in irgendeiner Weise beeinflussen konnte. Das reicht jedoch auch nicht als Argument für ein Alpha/Beta-Training zur Behandlung des chronischen Tinnitus aus; es zeigt lediglich, dass diese Patientengruppe nicht in der Lage war, ihre Amplituden zu verändern. Wa-rum das so ist, wird nicht geklärt. Eventuell ist das der Fall, weil die Patienten keinen Tinnitus haben. Daraus müsste geschlossen werden, dass Neurofeedbacktraining der Alpha- und/oder Betawellen lediglich für Tinnituspatienten sinnvoll bzw. durchführbar ist. Das widerspricht jedoch Ergebnis-sen aus anderen Bereichen (ADHD, Migräne, Depression etc.), bei denen solch ein Training erfolgreich durchgeführt werden kann (siehe Kap. 3.1). Besser wäre eine Kontrollgruppe, in der die Variable „Tinnitus“ konstant gehalten wird, während die Protokolle des Trainings variiert werden. Die Tatsache, dass die Tinnituspatienten in Theoretischer Teil: Neurofeedback 45

der Lage waren, ihre Gehirnwellen zu kontrollieren (wenn auch nicht ganz im Sinne der Ausgangshypothese), und ihre Belastung reduziert werden konnte, weist jedoch durchaus auf ein Erfolg versprechendes Verfahren hin, das weiter untersucht wer-den sollte.

Dies taten Schenk, Lamm, Gündel und Ladwig (2005, siehe auch die Einzelfallstudie von Schenk, Lamm, Ladwig, 2003), indem sie aufbauend auf den Ergebnissen von Gosepath et al. (2001) 40 Patienten eingangs in zwei Gruppen einteilten: Alpha-Nonresponder die während des Trainings ihre Alphaamplituden erhöhen und Beta-Nonresponder, die ihre Betaamplituden reduzieren sollten. Das Training umfasste 12 Sitzungen und gliederte sich in zwei Phasen, wobei in der ersten Phase durch ein akustisches Feedback die Aufmerksamkeit vom Tinnitus abgelenkt werden sollte, während die Patienten in der zweiten Phase (ab Sitzung 7) aufgefordert wurden, den Tinnitus nicht zu überhören und sich trotzdem zu entspannen. Abgeleitet wurde für die Alpha-Gruppe an P4 und für die Beta-Gruppe an C3. Es zeigten sich eine erfolg-reiche Amplitudenerhöhung in der Alphagruppe, jedoch keine signifikante Verände-rung der Betawellen in der Beta-Gruppe, allerdings konnte die Beta-Gruppe ebenso ihre Alphaaktivität erhöhen. Wieder sieht man in beiden Gruppen eine deutliche Re-duktion der Belastung (prä: 48.1, post: 33.47 über alle Patienten; keine Angabe zu den Werten in beiden einzelnen Gruppen), erhoben mit dem Tinnitusfragebogen (Goebel & Hiller, 1998). Die Ergebnisse weisen erneut darauf hin, dass vermehrte Alphawellen mit einem Entspannungszustand assoziiert sind – jedoch nicht unbe-dingt, dass das spezifische Neurofeedbackprotokoll in dem Sinne gewirkt hat, wie es sollte. Erst die Abgrenzung zu einer Tinnitusvariable, die sich durch ein spezifi-sches Protokoll nicht verändert, bringt Aufschluss über spezifische Neurofeedback-Wirkfaktoren.

Fasst man die wenigen Studien zum Thema Neurofeedback bei chronischem Tinnitus zusammen, lässt sich sagen, dass Neurofeedback ein Erfolg verspre-chender Ansatz ist, dass er jedoch bisher eher allgemein zur Spannungsreduk-tion eingesetzt wurde, so wie es auch z.B. mit Biofeedback, Progressiver Mus-kelrelaxation oder anderen Entspannungstechniken möglich ist. Die Bedeutung der Belastung, die die Patienten mit chronischem Tinnitus erleben, soll hier keines-falls unterschätzt werden, dennoch bleibt die Frage ungeklärt, wie das Perzept des

Tinnitus neurobiologisch verarbeitet wird, wie Perzept und Belastung zusammen-hängen und folglich die Frage, wie sie mit neurobiologischen Methoden (z.B. die Frage nach nützlichen Feedbackprotokollen) angegangen werden können. In den vorliegenden Studien wurde leider nur der Aspekt der Belastung fokussiert, jedoch keine psychoakustischen Charakteristika des Tinnitus, wie z.B. Intensität (siehe Kap. 2.3.2) erhoben bzw. dargestellt.

Theoretischer Teil: Neurofeedback 47