• Keine Ergebnisse gefunden

5 Methoden

5.5 Die Vergleichsgruppe: ein Frequenzdiskriminationstraining

An der Konstanzer Tinnitus-Arbeitsgruppe wurde zwischen 2002 und 2004 an Pati-enten mit chronischem Tinnitus ein Hörtraining durchgeführt und im Rahmen der vorliegenden Neurofeedbackevaluation als Kontrollgruppe herangezogen. Das Hör-training und das NeurofeedbackHör-training fanden in einem ähnlichen Setting statt und gelten beide als neurowissenschaftliche Ansätze. Sie unterscheiden sich allerdings in einem wesentlichen Punkt: während das Hörtraining ein inputgestützter Ansatz ist, somit vereinfacht gesagt, über die Peripherie auf zentrale, tinnitus-relevante Pro-zesse wirken soll, fokussiert das Neurofeedbacktraining direkt zentrale Vorgänge, genauer gesagt, die abnorme, fortlaufende oszillatorische Aktivität. Um genauer die Hintergründe des Hörtrainings nachvollziehen zu können, wird im Folgenden ein kurzer Ein- und Überblick gegeben.

Hintergrund

Es sei hier noch einmal kurz zusammengefasst, dass Neuronengruppen, die wenig oder keinen sensorischen Einstrom erhalten, wie z.B. solche, die für ein vormals vorhandenes, nun amputiertes Gliedmaß zuständig sind, anstatt brach zu liegen, ihren „Zuständigkeitsbereich“ in Richtung benachbarter Areale verschieben. Diese Reorganisation scheint nun auch unerwünschte „Nebenwirkungen“ zu haben, wie im obigen Beispiel den Phantomschmerz (Elbert & Heim, 2001). Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen der Stärke dieser Nebenwirkung und dem Ausmaß der Reorganisation. Nachdem Tinnitus auch einerseits eine Phantomwahr-nehmung ist und andererseits meist mit Hörverlust auftritt, was im Sinne einer „Am-putation“ interpretiert werden kann, geht man in Analogie zum Phantomschmerz

davon aus, dass der Tinnitus mit der Reorganisation zusammenhängt (Mühlnickel et al., 1996, siehe auch Abschnitt 2.5.1). Wenn darüber hinaus reorganisatorische Pro-zesse das Substrat des Tinnitus bilden, sollte sich die Modulierung reorganisatori-scher Areale zurück in den Ausgangszustand positiv bzw. lindernd auf Tinnitus auswirken. Aus dieser Überlegung heraus entstanden verschiedene neurowissen-schaftliche Trainingsansätze, darunter auch in der Konstanzer Arbeitsgruppe das

„Konstanzer Tinnitus-Training“, KTT. Bei der KTT werden Neuronengruppen mit a-däquatem Input (solchen, auf den sie ursprünglich getunt sind) gestärkt, um die Ausbreitung benachbarter Areale aufzuheben. Dies soll wie folgt erreicht werden:

Der Proband erhält Höraufgaben: Er soll zwei Töne hinsichtlich ihrer Gleichheit beur-teilen (Frequenzdiskriminationstraining). Diese Aufgaben werden intensiv – täglich über zwei Wochen – durchgeführt.

Die Anpassung eines (speziell eingestellten) Hörgeräts soll sicherstellen, dass neben dem intensiven Training auch die Umweltgeräusche im Alltag – vor allem in den un-terversorgten Bereichen – verstärkt werden.

Ein dem Training vorausgehendes Counselling (Beratung) soll den Patienten über die Entstehung von Tinnitus und das Modell seiner Entstehung aufklären und im Weiteren seine Motivation und Bereitschaft zum zeitintensiven Training stärken.

Der relevante Trainingsbereichwurde wurder anhand des Hörverlustbereichs festge-legt, in der Annahme, dass deafferenzierte Neurone unabhängig von der Tinnitus-frequenz gestärkt werden. Daher wurden die TrainingsTinnitus-frequenzen am unteren Pla-teau der Hörsenke festgelegt.

Durchführung

Die Patienten wurden zum Großteil über eine Annonce in Tageszeitungen rekrutiert.

Interessierte Tinnitusbetroffene meldeten sich telefonisch bei der Tinnitus Arbeits-gruppe. Nach Durchsicht der audiologischen Unterlagen, die die meisten Patienten von ihren HNO-Ärzten übermitteln ließen, wurden diejenigen, die den folgenden Kri-terien entsprachen, eingeladen:

Empirischer Teil: Methoden 77

Tab. 9: Selektionskriterien für die Frequenzdiskriminationsgruppe

Einschlusskriterien

• Tinnitusdauer: > 6 Monate

• Alter: > 18 Jahre

• Normale Hörfähigkeit (d.h. < 25 dB HL) bis 1,5 kHz

• Hörverlust im Hochtonbereich (Schallempfindungsschwerhörigkeit), aber nicht über 65 dB HL im Trainingsbereich

• Tonaler Tinnitus

Das erste Gespräch diente dem Kennenlernen und der Erstellung eines Reintonau-diogramms. Dabei wurde im Besonderen darauf geachtet, den Übergangsbereich vom audiometrisch normalen zum pathologischen Hören abzubilden. Zudem wurde die Tinnitusfrequenz und –intensität am Audiometer (Intensität im Tinnitusfrequenz-bereich, operationalisiert als dB über der Hörschwelle) erhoben (=Tinnitusmatching).

In einem zweiten Termin (eine Woche vor Beginn des Trainigs) erhob man das Tinni-tusmatching erneut und führte ein strukturiertes Tinnitus-Interview (STI, Goebel &

Hiller, 2001) durch. Die Patienten erhielten an diesem Termin eine ca. einstündige Edukation (Counselling). Inhalt der Edukation waren Grundlagen zum Hören, zum Tinnitus allgemein, zum Trainingskonzept inklusive theoretische und empirische Hin-tergründe der KTT.

Das Training zog sich über zwei Wochen jeweils von Montag bis Freitag zwei Stun-den lang (vier Blöcke à 30 Minuten). Parallel zum Training wurde Stun-den Patienten ein Hörgerät (Leihgeräte der Firma Siemens, Modell TRIANO S) angepasst (in Koopera-tion mit dem Hörgeräteakustiker Horst Böttcher, „Das Ohr“). Die Hörgeräte wurden derart angepasst, dass Frequenzen im Trainingsbereich verstärkt wurden. Der Trai-ningsbereich wurde am unteren Plateau des Hörabfalls (Lesion-Edge) festgelegt; die Breite des Trainingsbereichs wurde mit Hilfe der auditorischen Filterbreite nach Moore et al. (1995) mit einer Mittefrequenz im Hörverlustbereich festgelegt. Der Pa-tient trainierte zwei Töne voneinander zu unterscheiden (Frequenzdiskrimination); er sollte angeben, ob zwei präsentierte Sinustöne gleich oder verschieden waren. Mit zunehmender Leistung verringerte sich der Abstand zwischen den Tönen. Während

des Trainings wurde zudem der normalhörende Bereich in ein Rauschen versetzt, um kompensatorisches Hören (mit Hilfe der intakten Haarzellen) auszuschließen.

Die Nachuntersuchungen inklusive Tinnitusfrequenz- und -intensitätsmatching fan-den zwei Wochen und drei Monate nach Beendigung des Trainings statt (mit Aus-nahme des Tinnitus-Fragebogens, der bis zu einem Jahr nach Trainingsende erfasst wurde, s.u.).

Neben diesen beiden psychoakustischen Maßen wurden folgende Fragebogen er-hoben:

Tinnitus-Fragebogen (TF; Goebel & Hiller, 1998, siehe auch Kap. 5.2.2); 4 Wochen und eine Woche vor Beginn, 2 Wochen, 3, 6 und 9 Monate nach Trainingsende

Beck-Depressions Inventar (BDI; Beck, 1995); eine Woche vor, 2 Wochen nach Trai-ning

State-Trait-Anxiety Inventary (STAI; Laux et al., 1981); eine Woche vor, 2 Wochen nach Training

Freiburger Persönlichkeits Inventar (FPI; Fahrenberg et al., 2001): eine Woche vor Beginn des Trainings