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Die Tinnitus-Therapieforschung im Jahr 2006 ist so weit vorangeschritten, dass ef-fektive Konzepte zur Behandlung des chronischen Tinnitus existieren, die ihren Schwerpunkt auf die tinnitusbezogene Belastung und deren Reduktion legen (z.B.

Tinnitus-Bewältigungs-Therapie, Kröner-Herwig et al., 2003; Tinnitus-Retraining-Therapie, Jastreboff & Hazell, 1994). Eine ursächliche Tinnitus-Retraining-Therapie, die den Tinnitus vollständig eliminiert, gibt es bislang nicht. Die Voraussetzung für eine derartige Therapie ist das Verständnis des dem Tinnitus zugrunde liegenden neuronalen Kor-relats.

Mit der vorliegenden Dissertation soll sowohl ein weiterer Schritt zur Aufdeckung des neuronalen Korrelats geleistet werden als auch ein Trainingsprogramm für Be-troffene von chronischem Tinnitus evaluiert werden, woraus sich konkrete Empfeh-lungen für die klinische Praxis ableiten lassen.

Dabei möchte ich auf folgende drei Fragen eine Antwort geben:

1. Können Patienten mit chronischem Tinnitus ihre abnorme Gehirnaktivität mit Hilfe des Neurofeedbacktrainings normalisieren?

2. Wenn die Normalisierung gelingt, lassen sich Schlussfolgerungen über den ur-sächlichen Zusammenhang zwischen abnormen Spontanaktivitätsmustern und Tin-nitus ziehen (Weisz et al., 2005a), oder ist das pathologische Gehirnwellenmuster nur ein Epiphänomen des chronischen Tinnitus?

3. Für den Fall, dass Patienten das Neurofeedbacktraining erfolgreich absolvieren und ein Zusammenhang zwischen der Modulierung abnormer Gehirnwellenmuster und Reduktion des Tinnitus hergestellt werden kann: Wie kann man ein wirkungs-volles Training für Betroffene gestalten?

Das Neurofeedbacktraining dient somit einerseits als Methode zur Untersuchung des Zusammenhangs von kortikaler Spontanaktivität und Tinnitus, andererseits als Intervention gegen chronischen Tinnitus.

Aus den drei oben genannten Fragen werden folgende Hypothesen und explorative Fragestellungen abgeleitet:

Hypothese 1: Normalisierung kortikaler Spontanaktivität

Aufgrund von Ergebnissen zur Anwendung des Neurofeedbackverfahrens bei diver-sen Störungsbildern, z.B. ADHD (Monastra et al., 2002), und einigen wenigen zu chronischem Tinnitus (Gosepath et al., 2001, Schenk et al., 2003) gehe ich davon aus, dass die Patienten ihre kortikale Spontanaktivität mit Hilfe der EEG-Rückmel-dung normalisieren können.

Hypothese 1: Die Patienten weisen am Ende der Trainingsperiode eine höhere Al-pha- und geringere Deltapower auf als zu Beginn. Dies zeigt sich in einem signifi-kanten Prä-Post Vergleich.

Hypothese 2: Linderung des Tinnitus

Wenn das neuronale Korrelat von Tinnitus tatsächlich das abnorme oszillatorische Muster im Alpha- und Deltabereich sein sollte (siehe Kapitel 2.5.4), sollte sich das Training positiv auf Symptomparameter des Tinnitus auswirken. Durch den Transfer von der Feedbacksituation auf den Alltag, der während des Training angestrebt wird, sollten positive Effekte auch über das Training hinaus erhalten bleiben.

Hypothese 2: Es zeigt sich eine geringere Tinnitusintensität und -belastung nach dem Training im Vergleich zum Beginn. Die Reduktion der Tinnitusparameter bleibt zu den Nachuntersuchungszeitpunkten erhalten.

Hypothese 3: Zusammenhang zwischen Trainingserfolg und Tinnitussympto-matik

Die Rolle abnormer kortikaler Gehirnaktivität bei chronischem Tinnitus lässt sich im Vergleich zur zweiten Hypothese, die lediglich die Linderung des Tinnitus über die Gesamtgruppe untersucht, über den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Normalisierung und dem Ausmaß der Tinnituslinderung beleuchten.

Hypothese 3a: Trainingserfolg und Tinnitusintensität

Je stärker die Normalisierung ausfällt, desto leiser wird der Tinnitus wahrgenom-men. Dies zeigt sich in einem signifikanten negativen Zusammenhang der Normali-sierung („Trainingserfolg“) mit der Veränderung der Tinnitusintensität.

Fragestellung und Hypothesen 49

Hypothese 3b: Trainingserfolg und Tinnitusbelastung

Je stärker die Normalisierung ausfällt, desto weniger Belastung weisen die Patien-ten auf. Dies zeigt sich in einer signifikanPatien-ten negativen Zusammenhang des Trai-ningserfolgs mit den Veränderungswerten in der Variable „Tinnitusbelastung“.

Hypothese 4: Synchronisation des Alpha- und Deltafrequenzbandes

Die folgende Hypothese eruiert die Rolle der einzelnen Frequenzbänder Alpha und Delta. Unter der Voraussetzung, dass die vorangegangenen Hypothesen relevante Zusammenhänge über das Alpha-Delta-Muster und Tinnitus hervorgebracht haben, stellt sich nun hier die Frage, welches der Bänder zum Trainingserfolg beiträgt.

Hypothese 4a: Beide Bänder und Tinnitusintensität

Patienten, die sowohl das Alphaband erhöhen als auch das Deltaband reduzieren, zeigen die größten Erfolge bezüglich der Tinnitusintensitätsreduktion. Dies äußerst sich bei einem paarweisen Gruppenvergleich in einer signifikant größeren Intensi-tätsreduktion bei Personen, die beide Bänder normalisieren konnten im Vergleich zu Personen, die ein Band oder kein Band normalisiert haben.

Hypothese 4b: Beide Bänder und Tinnitusbelastung

In einem paarweisen Gruppenvergleich weisen Personen mit erfolgreicher Verände-rung beider Bänder eine signifikant größere Belastungsreduktion auf als jene, die ein Band oder kein Band normalisieren konnten.

Hypothese 5: Wirksamkeit des Feedback-Protokolls

Um Aufschluss über ein effektives Training zu bekommen, soll in Hypothese 5 un-tersucht werden, ob die Rückmeldung beider Frequenzbänder ausschlaggebend für den Erfolg ist, oder ob Patienten, die jeweils nur Alpha oder Delta rückgemeldet be-kommen haben, ebenso Linderung im Tinnitus erfahren.

Hypothese 5: Es zeigen sich Unterschiede in den Symptomparametern (Intensität und Belastung) in Abhängigkeit vom Feedbackprotokoll. Im post-hoc Protokoll-Ver-gleich zeigt sich eine signifikant stärkere Symptomreduktion für die Alpha-Delta-Protokollgruppe (AD Protokoll) im Vergleich zur Alphaprotokollgruppe (A Protokoll)

und zur Deltaprotokollgruppe (D Protokoll). Zwischen der Alpha- und der Deltagrup-pe zeigen sich keine signifikanten Unterschiede.

Explorative Fragestellungen:

1: Wie sieht der Lernverlauf hinsichtlich Alpha und Deltapower über die zehn Sit-zungen hinweg aus? Lässt sich eine Aussage über die optimale Anzahl an Trai-ningssitzungen treffen?

2. Wie effektiv ist ein intensives Training von 20 Sitzungen über den Zeitraum von vier Wochen im Vergleich zum 10-Sitzungs-Training?

3: Gibt es neben der Normalisierung des Alpha- und Deltabandes weitere mögliche Prädiktoren für den Trainingserfolg (Tinnitusdauer, Alter, Ausgangswerte in der Be-lastung und Intensität etc.) ?

4: Gibt es Zusammenhänge zwischen langsamen Wellen und Gammabandaktivi-tät (Llinas, 2005, Weisz et al., 2007; siehe auch Kap.2.5.3)? Zeigen Personen, die im Training ihre Deltabandaktivität reduzieren konnten, eine Erhöhung der Gamma-bandaktivität?

5: Wie unterscheidet sich das EEG (erhoben mit dem Vier-Elektroden EEG-Setting des Neurofeedbackgerätes) der Tinnituspatienten von gesunden Kontrollen?

Haben Patienten, die erfolgreich trainiert haben, bei Trainingsende mit gesunden Kontrollen vergleichbare Werte? Kann eine Empfehlung gemacht werden über die Größe des Alpha-Delta Quotienten, die erreicht werden sollte um den Tinnitus zu lindern?

6: Wie sieht der Zusammenhang zwischen der Tinnitusintensität und der Tinni-tusbelastung aus? Lassen sich Befunde, die keinen positiven Zusammenhang zwi-schen psychoakustizwi-schen Merkmalen, wie der subjektiven Intensität, und der tinni-tusbezogenen Belastung finden (Henry & Meikle, 2000, Newman et al., 1997) , durch die vorliegende Untersuchung bestätigen?

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EMPIRISCHER TEIL